Nach Amerika! Bd. 2

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Nach Amerika! Bd. 2
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Friedrich Gerstäcker

Nach Amerika!

Ein Volksbuch. 2. Band


Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. Braunschweig

Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“ herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald und Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck. Die Neuausgabe enthält die Illustrationen der ersten Buchausgabe von 1855 von Theodor Hosemann und Carl Reinhardt.

Diese Veröffentlichung wurde gefördert durch Mittel der Stiftung der Volksbank Braunschweig Wolfsburg und der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Wir bedanken uns herzlich für die Unterstützung.


Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2007/2020

ERSTES KAPITEL

Die Fahrt durch Arkansas.

Den Mississippi hinauf brauste das kleine, aber tüchtige Dampfboot Little Rock, nach Fort Smith, dem Grenzort des indianischen Territoriums bestimmt, aber auch an allen Zwischenorten, wo eben Passagiere aussteigen oder an Bord kommen wollten, oder wohin Fracht von New Orleans aus eingeladen war, anlegend.

Passagiere hatte es aber nicht sehr viele an Bord, denn der große Menschenstrom der Einwanderung geht vorzugsweise den Mississippi hinauf bis St. Louis oder Wisconsin, oder den Ohio hinauf, wohin wir der Jane Wilmington mit unseren Bekannten gefolgt waren. Den Arkansas aufwärts war der Zug der Einwanderung noch nicht so stark, denn die Fremden fürchten die kalten Fieber1, die in den östlichen Teilen des Staates herrschen, und scheuen sich ebenso sehr nach dem Westen zu gehen, den ihre Phantasie nicht selten auf viel zu poetische Weise mit Bären, Panthern und Gottweißwas sonst noch für reißenden Tieren bevölkert.

Nichtsdestoweniger haben die dort gelegenen Städte zum Teil schon recht wackere Fortschritte gemacht. Sie blühen und gedeihen in dem jungen Land, das Fruchtboden aufzuweisen hat, wie kaum ein anderer Staat der Union, und in seinen westlichen Bergen dabei so gesunde und trefflich gelegene, überall von schönen Strömen durchzogene Flächen bietet, wie es der Farmer nur wünschen kann. Freilich war es noch wild in dem Squatterstaat2, noch entsetzlich wild, und als der Little Rock, der nach der Hauptstadt von Arkansas seinen Namen bekommen, den lebendigeren Mississippi verließ und bei dem kleinen Städtchen Napoleon links in die Mündung des Arkansas selber einbog, schien Wald, endloser Wald die Ufer zu decken, aus denen nur hier und da kleine urbar gemachte, oder von den Holzhauern gelichtete Waldblößen die Wildnis nicht etwa unterbrachen, sondern nur die Färbung derselben in etwas veränderten. Dicht und unmittelbar dahinter nahm sie wieder ihre dunklen Schatten an, und die mit wehenden Schlingpflanzen in schwingenden Festons behangenen Zweige streckten sich oft weit über das Ufer und den daran hinschäumenden Strom hinaus.

Breite, helle Sandbänke füllten dabei die äußeren Biegungen des in dieser Jahreszeit ziemlich niedrigen Stromes, auf denen Schwärme von Wildenten und Gänsen saßen, beim Nahen des heranbrausenden Bootes die langen, dunklen Hälse hoch emporreckten, mit den Flügeln schlugen, und dann aufstrichen in ihren schnurgeraden Reihen, bis sich der Führer hoch oben in blauer Luft seinen Zug keilförmig ordnete und quer über den Wald weghielt, einem stilleren Sumpf oder Binnensee zu.

Überall ragten hier häßliche snags und sawyers (in Sand oder Schlamm unten festsitzende Stämme und Äste)3 aus der Flut empor, den Lotsen in dem nicht so breiten Fahrwasser zu doppelter Vorsicht mahnend, und auch die Ufer dieses Stromes, wie die des Mississippi, verrieten die Verheerungen, die er hier am bewaldeten Ufer angerichtet. Ganze Strecken der hohen, aus dem herrlichsten Fruchtboden bestehenden Bänke waren unterwühlt, hunderte von mächtigen Stämmen hineingerissen in die um ihre Äste jetzt quirlende Flut, und wieder und wieder bohrte und wusch die Strömung unter den schon halb bloßgelegten Wurzeln der nächsten Bäume, um auch sie nachzuholen in ihre gelben Strudel.

Sykomoren, Baumwollenbäume, Eschen und Zypressen, mit stämmigen Weiden am unmittelbaren Ufer, bilden, wie am Mississippi, den Unterwald, Oft wird er dabei von dichten, fast undurchdringlichen Schilfbrüchen gefüllt, und hier allerdings schleicht der scheue Panther nachts zum Strom nieder, um seinen Durst zu löschen oder dem schlanken Hirsch aufzulauern, der das Wasser des Arkansas, seines Salzgehaltes wegen, eifrig sucht. In diesen Schilfbrüchen schlägt sich der amerikanische gelbnasige Bär mit den Tatzen sein Lager zurecht, der wilde Truthahn bäumt in die hohen Baumwollenstämme und sucht von deren Gipfel aus mit schwerem, leicht ermattetem Flug das andere Ufer zu erreichen, und das Catamount4, ein Mittelding zwischen Panther und wilder Katze, duckt sich dicht am Ufer in stiller Nacht, als es das Dampfboot mit den regelmäßig klappernden Radschlägen und dem scharfen Keuchen stromauf arbeiten hört, und flieht mit flüchtigen Sätzen die steile Uferbank hinan, als die gegen das Land geworfenen Wellen nach ihm aufspritzen und züngeln.5

Es ist ein wunderbares, nicht zu beschreibendes Gefühl, auf raschem Boot zwischen diesen stillen, rauschenden Wäldern dahinzugleiten, und füllt die Brust des Fremden besonders, dessen Blick vergebens in des Waldes Tiefe einzudringen sucht, mit einem halb zagenden Verlangen, jene Wildnis zu betreten. Wie die Wipfel so leise und geheimnisvoll flüstern und im Winde schwanken, herüber und hinüber, und ihren duftigen Schleier über das zitternde Dunkel des Urwaldes breiten – wie es da drinnen knarrt und stöhnt und seufzt, und hindurchschleicht durch das gelbe, jahre- und jahrelang aufgehäufte Laub mit leisem, scheuen Schritt, und in den Blättern raschelt und durch die Büsche hin! – Hui! – Vorbei – was war das? Wie ein Phantom glitt’s an dem Rand der Waldung hin, und ein Paar glühende Augen blitzten einen Moment von dort herüber. Ein Wolf? – Vielleicht, die schwarzen, tückischen, mordlustigen Burschen haben dort ihren Tummelplatz, und wenn die Nacht kommt, tönt noch der wunderbar klagende, unheimlich hohle Laut der Eule von dort heraus, mit dem neckenden Schrei der Nachtschwalbe, die den Gespielen ruft: «Whip-poor-will! Whip-poor-will!6»


Whip-poor-will, Amerikanische Nachtigall
Der schöne – wunderschöne Wald – aber er bleibt Dir ein v e r s c h l o s –

s e n e s Heiligtum, wenn Du nicht kühn und keck vom Boot springst, mit starken Armen die Büsche teilst und den heiligen Boden betrittst, der Gottes Tempel ist und seine hohen, mächtigen Säulen trägt. Nur sein Atmen hörst Du, wenn Du an der Pforte stehst, die Dir die Arme trotzdem weit und gastlich entgegenbreitet. Das stille Rauschen seiner dunklen Wipfel grüßt Dich wohl, und sie nicken Dir zu, wie man den Fremden grüßt, den man auf der Straße trifft; aber der liebende Ton ist es nicht, mit dem sie dem F r e u n d das Schlummerlied flüstern, der ihrem Schutz vertraut – leise, leise, daß es ihn nicht stört, während sie ihm die Mondesstrahlen von den Augen halten.

«Oh, wie großartig – oh wie herrlich!» seufzte eine entzückte weibliche Stimme von den guards7 des Dampfers aus, als dieser dicht an dem wilden, rauschenden Ufer vorüberbrauste. «Wer jetzt hinüberkönnte – dahinein, die Wunder dieser düsteren, geheimnisvollen Welt zu erforschen!»

«Ja, Moskitos und Holzböcke würden Sie genug finden, verehrtes Fräulein», sagte in diesem Augenblick eine Stimme, als Amalie v. Seebald, die ihren Gefühlen ganz unbewußt laute Worte gegeben, die Arme fest an die Brust gepreßt, den Blick sehnsüchtig auf die rauschenden Wipfel geheftet, auf der Galerie der Damenkajüte des Little Rock stand und nach dem dunklen Wald hinüberschaute.

Fräulein v. Seebald schaute überrascht empor, und sah eine kleine, untersetzte, in einen grauen Überrock geknöpfte und mit einem etwas abgetragenen Strohhut bedeckte Menschengestalt dicht über sich auf dem Radkasten stehen, die ein Tuch in der Hand hielt und im Begriff schien, jemandem, der noch etwas weiter oben am Ufer in einer kleinen, kaum bemerkbaren Lichtung stand, zuzuwinken.

«Ungeheuer viel Moskitos da drin», sagte der kleine, freundlich aussehende Mann, «enorm viel, und Holzböcke!8 – Puh, ich bin einmal da drin gewesen, gleich unter der Post Arkansas9; Tschisus Etch Dobbeljuw Kreist10, was für Holzböcke! Wenn mich nicht ein Teil festhielt, hätte mich der andere aus dem Bette gezogen, und am nächsten Morgen war meine Haut wie ein Sieb, daß ich mich mit Baumharz ordentlich anstreichen mußte, um nur nicht auszulaufen. Ist aber famoses Land da drinnen.»

«Sie sind hier bekannt?» frug Fräulein v. Seebald mit mehr Interesse, als sie sonst wohl an dem kleinen, unscheinbaren Mann genommen hätte. «Kennen das Land vielleicht auch und die Leute?»

«Kennen?» sagte der kleine sonderbare Fremde mit einem ungemein selbstbewußten Lächeln, indem er als bildliche Darstellung seiner Antwort die rechte Rocktasche herausdrehte und gegen die Dame hielt. «Kenne ich meine Tasche? – Ich bin Charley Fischer – haben Sie noch nichts von Charley Fischer in Little Rock gehört? Wie? – Noch nicht? Bin schön zwölf Jahre hier im Land und habe Little Rock mit bauen helfen; war damals wirklich ein Little Rock11, ist aber jetzt ein hiep biggerer12 geworden.»

 

Fräulein v. Seebald lächelte über die wunderliche Ausdrucksweise des Mannes. Es lag ihr aber daran, die genaue Situation der Farm kennenzulernen, die dem Grafen Olnitzki gehörte und die, da sie eine gar nicht so weite Strecke von der Hauptstadt Little Rock entfernt sein sollte, auch jedenfalls von dem Mann gekannt sein mußte.

«Dürfte ich Sie da vielleicht um eine Auskunft über jemand bitten, der in Ihrer Nähe wohnt?» frug sie ihn, und erschrak fast, als der kleine Fremde ganz zutraulich den kleinen Steg vom Radkasten nieder und zu ihr auf die Galerie kam. Sie machte dabei eine fast unwillkürliche Bewegung zurück sah sich nach der Kajütentür um. Charley aber, der die Bewegung falsch verstand, sagte freundlich:

«Hat nichts zu sagen, mein Fräulein; i c h darf überall hin, der Kapitän kennt mich und ist mein intimer Freund. Habe selber eine kleine Reise nach Napoleon gemacht, um dort nach Sachen zu sehen, die für mich von New Orleans heraufkamen und mit denen das Boot nahe bei Napoleon verunglückte, habe aber ziemlich alles wiederbekommen und die ganze Geschichte gleich selber mitgenommen. Und nach wem wollten Sie sich erkundigen, wenn ich fragen darf?»

«Kennen Sie einen Graf Olnitzki13, der in der Nähe der Oakland grove eine Farm hat und dort ebenfalls schon mehrere Jahre ansässig ist?»

«Graf Olnitzki – Graf Olnitzki?» sagte Charley Fischer, wie er sich selbst genannt hatte, sein Kinn dabei mit der rechtend Hand streichend, während er die linke tiefer und tiefer in die entsprechende Rocktasche hineinbohrte. «Graf Olnitzki – den Namen habe ich doch oft genug gehört; er muß auch schon einmal bei mir in Little Rock gewesen sein. Was hat er denn nur da gewollt – ich glaube, irgendetwas zum Verkauf gebracht?»

«Wahrscheinlich seine Produkte – türkischen Weizen oder Baumwolle… » sagte Fräulein v. Seebald.

«Ne, ne – es war etwas anderes», meinte Charley.

«Oder den Ertrag seiner Jagden – Hirschhäute und Bärenschinken… »

«Ne, ne», beharrte der kleine Deutsche, «es war ‘was ganz absonderliches, jemine noch einmal, daß ich mich jetzt nicht mehr darauf besinnen kann.»

«Aber das hat ja auch gar nichts zu bedeuten. Sie kennen jedenfalls die Lage und können mir sagen, wo ich vom Dampfboot abgehen muß, den Platz am leichtesten zu erreichen. Der Kapitän meinte, ich würde bis Little Rock mitfahren müssen.»

«Jedenfalls, jedenfalls», sagte Charley schnell, «können dann bei mir logieren, ich halte auch seit einiger Zeit ein Hotel. Mein Bruder hält zwar ebenfalls eins, und wir haben dadurch gewissermaßen eine Opposition gegeneinander, aber die Opposition ist ja die Seele der Gesellschaft, der Lebenstrieb, der unsere ganzen Staaten zusammenhält; was wären wir hier alle miteinander ohne Opposition?»

«Aber ich gedenke mich gar nicht in Little Rock aufzuhalten», sagte Fräulein v. Seebald ausweichend.

«Es wird aber wohl Abend werden, bis wir hinkommen», meinte Charley, «doch das können Sie sich noch überlegen; hier haben Sie jedenfalls meine Adresse.»

«Und welchen Weg schlage ich von Little Rock ein?» frug die junge Dame, mit einer leicht dankenden Verbeugung die Karte nehmend. «Der Platz liegt, so viel ich weiß, auf der anderen Seite des Stromes… »

«Oakland Grove? – Jawohl, aber an der Straße. Prächtige Straße dorthin – ein bißchen naß, wenn’s geregnet hat, aber sonst breit und famos durch den Wald ausgeschlagen.»

«Und wann geht die Post dorthin ab?» frug Fräulein v. Seebald.

«Die Post?» sagte Charley, sie rasch und erstaunt dabei ansehend, setzte aber, sich besinnend hinzu : «Die B r i e f post meinen Sie? – Der Mailrider14 geht die Woche zweimal nach Batesville hinauf und kommt zweimal wieder.»

«Und die Fahrpost?»

«Fahrpost, hahaha!» lachte Charley. «Die Bären und Panther würden ungemein erstaunt sein, wenn sie einmal eine Fahrpost zwischen sich durchrasseln hörten. Segne Ihre Seele, mein Fräulein, dahinein geht keine Fahrpost. Nichts wie ein berittener Bote, und wenn Sie nach Oakland Grove wollen, so müssen Sie entweder zu Fuß gehen oder reiten. Ihr Gepäck können Sie indessen zu mir ins Haus stellen.»

«Das wäre ja schrecklich!» rief Fräulein v. Seebald.

«Oh, es steht dort ganz sicher!» sagte Charley.

«Nein, ich meine den Weg zu Fuß oder zu Pferde machen; ich habe noch nie auf einem Pferde gesessen.»

«Das ist ganz leicht», sagte Charley, «der linke Fuß kommt in den Steigbügel, und das rechte Knie nehmen Sie, sehen Sie, s o – über die Knuppe hinauf, die an dem Damensattel sitzt, dann können Sie gar nicht herunterfallen und hängen oben wie eine Klette.»

«Und wie weit ist der Platz von Little Rock?»

«Oakland Grove?»

«Nein, wo Graf Olnitzki wohnt?»

«Ja, das weiß ich wahrhaftig nicht genau», sagte Charley achselzuckend, «ich bin nach der Richtung hin noch gar nicht gekommen; aber dahin müssen Sie doch einen Führer mit Pferden nehmen, und Ihr Herr Gemahl – Sie sind doch verheiratet, wenn ich fragen darf?»

Die Frage kam so plötzlich, daß Amalie v. Seebald unwillkürlich darüber errötete, aber lächelnd antwortete:

«Nein, ich bin n i c h t verheiratet.»

«Aber Sie haben doch jedenfalls Begleitung», sagte Charley.

«Ich bin g a n z allein», erwiderte die Dame.

« G a n z allein? – Und wollen ganz allein in den Wald hinein?»

«Und warum nicht?»

«Nu, hören Sie, das nehmen Sie mir nicht übel», sagte Charley, freundlich lächelnd, «das ist denn nun doch wohl bloß Ihr Spaß?»

«Aber weshalb um Gotteswillen?» frug Fräulein Seebald wirklich beunruhigt über das ganze Wesen des Mannes. «Was kann mir denn im Walde geschehen? Sind noch Indianer dort?»

«Indianer? – Nein, am Fluß lagern vielleicht welche, aber die stehen unter Aufsicht und sind harmlos.»

«Oder wilde Tiere?»

«Nun ja, es gibt wohl Bären und Panther da, aber man hört doch selten davon, daß sie jemanden angefallen haben.»

«Was sollte mich also sonst hindern?»

«Ih nun ja», sagte Herr Fischer, «es ist wahr, es g i n g e schon, aber – ich weiß doch nicht, i c h möchte nicht allein und ohne Gewehr nach Oakland Grove und von da noch weiter in den Wald hineingehen, und ich bin doch nun schon zwölf Jahre in Arkansas. Überhaupt, es ist nirgends besser wie in Little Rock, das ist ein kapitaler Fleck und sollte mich gar nicht wundern, wenn es einmal die erste Stadt in der Union würde. Nachher ist aber Charley Fischer am Platz, denn ich habe eine ganze Partie Lots gekauft, und die müssen einmal einen heillosen Wert bekommen.»

«Aber es hat doch ungemein viel Romantisches, so allein durch den Wald zu gehen», sagte Fräulein v. Seebald.

«Romantisches! Du lieber Gott», erwiderte achselzuckend der kleine, praktische Mann, «das kauf ich nicht teuer, denn das bringt nichts ein. Habe schon mehrere Leute hier gekannt – auch deutsche junge, nette Kerle, die ihre Kräfte hätten an ‘was Vernünftiges wenden können, die taten auch eben weiter gar nichts, als im Wald mit der Büchse allein herumzulaufen, bloß ein paar lumpiger Hirsche und des bißchens Romantik wegen. Was ist nachher aus ihnen geworden? – Weiter hatten sie nichts auf dem Leib als ihr ledernes Jagdhemd und ihre Leggins, dabei Mokassins an den Füßen und keinen Cent in der Tasche, ja, nicht einmal eine Tasche an sich, einen Cent hineinzutun, wie vielleicht ihren Kugelbeutel, und nachher brachten sie mit Mühe und Not Felle genug zusammen, um eben ihre Passage auf einem Dampfboot zu bezahlen, um wieder fortzukommen. Der Teufel soll eine solche Romantik holen – ne da lob’ ich mir Little Rock.15»

«Und Sie kennen der Grafen Olnitzki nicht persönlich? – Waren nie dort in der Gegend?»

«Nein, Madame – mein Fräulein, wollt’ ich sagen; aber wissen Sie, mit dem G r a f e n hat es hier auch nicht viel zu bedeuten.»

«Wieso, geht es ihm schlecht?» frug Amalie rasch und erschreckt.

«Wem? Dem Olnitzki? Ja, ich weiß nicht – nein, ich meine nur mit dem Titel überhaupt. Wissen Sie, hier in Amerika sind wir alle gleich – alle freie Bürger, einer so viel wie der andere, und wenn i c h mich zum Spaß Graf Charley Fischer nennen wollte, hätte auch niemand etwas dawider, ich wäre eben Graf Charley Fischer, und wenn die Leute zu mir kämen und ein Glas Brandy trinken wollten, würden sie mich wie jetzt auf die Schultern schlagen und sagen: ,Nu, Graf Fischer, altes Haus, wie geht’s, how do you tut’s Euch?»

«Ich glaube auch nicht, daß Graf Olnitzki Anspruch auf eine höhere Stellung macht», sagte Fräulein v. Seebald.

«Ne, kann ich mir denken», sagte Charley freundlich, «würde ihm auch gar nichts helfen; besonders hier nicht in Arkansas. Wir haben hier übrigens eine ganze Menge Polen, da ist der Graf Doraski am Redriver und der Graf Potelsk – Podelscyk – na, wie heißt er denn gleich? Verwünschte Namen tragen die Polen manchmal, und die Amerikaner haben ganz Recht, wenn sie meinen, man könnte sie nur aussprechen, wenn man dreimal nieste und dann ski sagte – na, es ist einerlei, wie er heißt. Sonderbar, von Polen kommen bloß lauter Grafen hierher, denn wenn man einen Polen findet, kann man sich auch fest darauf verlassen, daß es ein heimlicher Graf ist. Es muß ungeheuer viel Grafen dort im Lande geben.»

«Wie sind aber nur die Verhältnisse der Ansiedler hier in der Nähe von Little Rock?» frug Fräulein v. Seebald, die es drängte, etwas näheres über die ihr am Herzen liegenden Menschen zu hören. «Kommen sie manchmal, an Sonntagen vielleicht, in die Stadt zu Theatern oder Konzerten? – Haben die Deutschen untereinander nicht Bälle oder andere Festlichkeiten, bei denen sie sich zusammenfinden und vergnügt sind? Das Waldleben denke ich mir wundervoll, herrlich, aber das Schönste bedarf doch manchmal einer Abwechslung.»

«Bälle? – Ja, die haben wir manchmal hier unter den Deutschen», lachte Charley Fischer vergnügt vor sich hin, vielleicht in der Erinnerung mancher dabei verlebten Stunden, «und amüsieren tun sie sich dabei im Anfang und prügeln am Schluß, gerade wie bei uns zuhause; aber wenn die Farmer, besonders die, die so weit wegwohnen, dazu hereinkommen wollten, da hätten sie viel zu tun. Die Männer ja, die reiten manchmal her, stehen16 auch wohl ein paar Tage und vertun, was sie hereingebracht haben an Produkten, manchmal auch noch das mit, was sie das nächstemal bringen wollten, aber die Frauen bleiben zuhause und hüten das und ihre Kinder, und haben dabei alle Hände voll zu tun.»

«Aber die Nachbarn kommen dann untereinander wahrscheinlich sehr häufig zusammen.»

«Ja, wenn sie Nachbarn haben, die Nachbarschaft in Arkansas soll aber der Henker holen», sagte Charley, «die nennen sich so und wenn sie zwanzig Meilen voneinander sitzen.»

«Das ist ein Beweis für ihre Geselligkeit», lächelte Fräulein v. Seebald.

«Ja, schöne Geselligkeit, wenn niemand dazwischen wohnt», meinte Charley, «ne, da lob ich mir Little Rock. Wenn mir da mein eigener Brandy nicht mehr schmeckt, gehe ich um die Ecke herum zum Georg und trinke da anderen, und alle Wochen kommen ein paar Dampfboote den Strom herauf oder herunter, die auch Neues bringen, und wo man doch etwas zu hören und zu sehen bekommt. ‘s ist ein ganz famoses Leben in Little Rock.»

Fräulein v. Seebald fühlte sich, obgleich ihr der fremde Deutsche gar nichts Direktes von den Ihrigen sagen konnte, und diese ebenfalls in ganz anderen Verhältnissen lebten, wie er sie hier schilderte, doch unangenehm berührt durch diese Beschreibung, sie wußte eigentlich selber nicht recht, weshalb. Es war ihr auch erwünscht, daß die Unterhaltung in diesem Augenblick durch die in der Kajüte geläutete Klingel, das Zeichen zum Mittagstisch, abgebrochen wurde, und sie zog sich mit einer leichten, dankenden Verbeugung gegen Herrn Fischer, die dieser mit einem freundlichen Kopfnicken erwiderte, in die Ladies cabin zurück, um dort den Nachmittag hindurch ihren eigenen Betrachtungen und Gedanken nachzuhängen.

Das Boot setzte indessen rasch und wacker einen Weg fort; die Szenerie blieb dieselbe – Wald – endloser Wald an beiden Seiten, der sich selbst bei kleinen, einzeln zerstreuten Städten, die sie trafen, bis dicht um diese herzuziehen schien. Es war ordentlich, als ob er wieder frisch aufgewachsen sei, seit sie entstanden, und das Land zurückverlange, das sie ihm abgedrängt.

 

Am nächsten Tag, gegen Abend, erreichten sie Little Rock, und die breite, weit ausgehauene Lichtung verriet schon von weitem eine größere Ansiedlung, wie sie bis jetzt getroffen. Als sie näher kamen, erkannten sie große, ansehnliche steinerne Gebäude, allerdings oft neben kleinen, niedrigen Holzhütten, und eine Dampffähre spielte über den Strom nach dem anderen Ufer hinüber. Auch der Landungsplatz, gegen den sie jetzt aufliefen, bot, wenn auch nicht mit New Orleans zu vergleichen, doch das belebte Bild einer größeren, geschäftigen Stadt, die hier im Herzen eines sonst noch ziemlich wilden Staates entstanden. Karrenführer von allen Farben drängten sich herbei, um Güter und Passagiergut fortzuführen, sobald nur die Taue ausgeworfen und die Planken herübergeschoben wären, und eine Menge Ungeduldiger, wie auf allen Landungspunkten am ganzen Strom hinab, warteten mit Sehnsucht auf den Augenblick, wo sie an Bord springen konnten, um Neues und Neuigkeiten in Empfang zu nehmen, oder gegen die mageren Stadtberichte einzutauschen.

Fräulein v. Seebald befand sich aber jetzt wirklich in Verlegenheit. In der festen Überzeugung, daß eine Post doch wenigstens die Woche ein paarmal nach der Ansiedlung ihres Schwager hinauflaufen müsse, hatte sie ihr ganzes Gepäck, drei Koffer und mehrere Hutschachteln mit noch ein paar kleinen Kisten, Geschenke für Schwester und Schwager, mit an Bord des Dampfers genommen. Wie sollte sie die jetzt mit fortbringen, in den Wald hinein? Und fort mußten sie, denn sie brauchte, wie sie meinte, dort alles notwendig, was sie enthielten.

Charley Fischer half ihr da übrigens, als die Landung17 nur erst überstanden und er alle seine tausend Freunde begrüßt und mit ihnen, wie er’s nannte, Hands geschäkt18 hatte, aus der Not. Er war erstlich nicht der Mann, irgendjemanden, von dem er einen Nutzen zu ziehen hoffte, unbeachtet zu lassen, dann aber auch die gutmütige Gefälligkeit gegen Damen selber, und glaubte hier noch dazu das doppelte Interesse an einer Reisegefährtin nehmen zu müssen. Kaum daher in die Stadt hinaufgekommen, sah er sich auch schon, alles übrige indes hintansetzend, auf das Eifrigste nach einer möglichen Gelegenheit nach Oakland Grove um. Dazu war die Landung selber auch der beste Platz, da dort fast alle Gastwirte, oder doch Leute von ihnen, bei der Ankunft eines Dampfers zusammenkamen. Zufällig war in der Tat ein Geschirr – freilich nur ein gewöhnlicher Leiterwagen – von Rosemores (eine Farm, die eine kleine Strecke oberhalb der Oakland Grove lag) in Little Rock, hatte Butter, Eier, geräucherte Hirschkeulen und andere Produkte hereingebracht, und nahm Mehl, Kaffee, Zucker, Brandy usw., kurz, Provisionen, die dort nicht zu bekommen waren, wieder mit hinaus. Der Fuhrmann wollte am nächsten Morgen mit der ersten Fähre über den Strom gehen und, da er nur halbe Ladung hatte, mit Vergnügen gegen eine mäßige Entschädigung die Sachen der Dame bis zu ,Billy Jones clearing’19 mitnehmen. Von da aus lief ein Fuß- oder Reitpfad nach Old Nitzkys Range, wie der Mann den Namen des Grafen Olnitzky mißhandelte, hinüber. Wollte die Dame bis Billy Jones mit auf seinem Wagen fahren, so war sie ,perfectly welcome’, das heißt: er stand ihr mit Freuden zu Diensten, und durch ein paar Arme voll Maishülsen ließ sich auch schon zur Not ein ziemlich bequemer Sitz herstellen.

Charley Fischer lief ungesäumt mit dieser ,guten Nachricht’ an Bord zurück, wo Fräulein v. Seebald eben in ziemlicher Ungewißheit war, ob sie die Karte des Herrn Charley Fischer benutzen oder ihr Gepäck in ein anderes Gasthaus schaffen lassen sollte, dessen riesige Firma sie schon über die Straße herüberleuchten sah. Des kleinen, gefälligen Mannes Erscheinen entschied dies zu seinen Gunsten; die Koffer und Kisten wurden aufgeladen, und die junge Dame befand sich bald darauf in einem kleinen, kahlen, unbehaglichen, nicht überreinlichen Gemach auf Pinestreet, in dem sie jedoch bald von der freundlichen Wirtin selber aufgesucht und unterstützt wurde, ihre Toilette zur Abendtafel vorzubereiten, die aus einem recht guten, kompakten Mahl mit Tee bestand.

Charley Fischer hätte nun gar zu gern diese Gelegenheit benutzt, um aus seinem Gast alles nur mögliche über ihre Lebensverhältnisse und besonders den Zweck ihrer Reise herauszubekommen; denn daß eine junge Deutsche eine solche Fahrt a l l e i n unternommen, hatte jedenfalls auch etwas ganz Absonderliches zu bedeuten. Nun sagte ihm Fräulein v. Seebald allerdings ganz einfach, daß sie nur nach Arkansas gekommen wäre, um ihre an den Grafen Olnitzki verheiratete Schwester zu besuchen, aber das glaubte er ihr natürlich nicht und suchte nun erst recht etwas Geheimnisvolles unter dem Besuch. Je bereitwilliger und freigebiger er dabei mit seiner eigenen Lebensgeschichte war, desto mehr verdroß es ihn natürlich, wenn andere nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollten. Fräulein v. Seebald war aber sowohl ermüdet von der Reise, als sie sich auch angegriffen von der Aufregung der letzten Tage fühlte, und suchte deshalb zeitig ihr Lager. Charley Fischer versprach ihr übrigens, sie wecken zu lassen, wo sie das Frühstück bereitfinden und immer noch zeitig genug zur ersten Fähre kommen sollte. Der Fuhrmann hatte dabei zugesagt, bei seinem Hause, wo er überdies seinen gewöhnlichen Morgentrunk nahm, vorzufahren, und eine Versäumnis war deshalb gar nicht möglich.

Der Morgen kam, die Sachen wurden vor das Haus geschafft und für die beiden kleinen Kisten besonders wieder die größte Vorsicht empfohlen, da sie zerbrechliche Sachen enthielten, Fräulein v. Seebald hatte ihre Reisetoilette wir ihr Frühstück beendet, ihre nicht übermäßige Rechnung bezahlt, ein Glas Brandy und Zucker, das ihr ihr freundlicher Wirt auf das Hartnäckigste gegen die rauhe Morgenluft aufzudringen suchte, wieder und wieder verweigert, der Wagen kam, die Sachen wurden aufgeladen, und Charley Fischer ließ es sich nicht nehmen, Fräulein v. Seebald seinen Arm zu reichen und sie zur Fähre hinunter zu begleiten.

Allerdings hätten die beiden Figuren nach unseren deutschen Begriffen vielleicht ein wenig wunderlich zusammen ausgesehen, und Fräulein v. Seebald selber fühlte sich auch so unbehaglich als möglich in der Begleitung, die sie nicht gut verweigern konnte. Die Dame nämlich war ganz modern, ja sogar modisch angezogen, mit einem hellen Kleid von roter Seide, feinem Strohhut auf, und einer dunkelroten, seidenen Schärpe um, während Charley dagegen in einem etwas kurzen und auch nicht übermäßig reinen leinenen Röckchen prangte, unter dem ein Paar ebenfalls sehr kurze, gestreifte, wollene Hosen hervorsahen. Er trug dabei Schuhe und gelbwollene Strümpfe oder vielmehr Socken, die nicht oben blieben, wie er erklärte, er mochte dagegen tun, was er wollte, und der alte Strohhut deckte noch immer seinen Scheitel, wie auf dem Schiff; nur ein reines, gelb und rot gestreiftes Hemd hatte er heute Morgen angezogen und ein saftblaues, seidenes Tuch darum geknüpft. In Amerika fällt etwas Derartiges aber nicht auf; man sieht sogar, selbst in den größten Städten, die Damen sehr häufig an dem Arm eines Herrn, der in kurzer, weißleinener Jacke geht, in Sammet und Seide nebenher rauschen. Das Kleid macht dort nicht den Mann, sondern der Mann das Kleid.

Nichtsdestoweniger und trotz der frühen Morgenstunde war Fräulein v. Seebald fest davon überzeugt, daß die Augen sämtlicher Einwohner von Little Rock, an deren Fenstern sie vorübergingen, in Spott und Neugierde auf sie geheftet wären, und dankte ihrem Gott, als sie das Fähr- oder Ferryboot endlich erreichten. Dort verabschiedete sich Herr Charley Fischer auf das Angelegentlichste von ihr und ersuchte sie nur noch, ihn ihrer Frau Schwester, wenn auch unbekannterweise, freundlichst zu empfehlen.

Die kleine Fähre dampfte über den ziemlich breiten Strom, auf dem noch der leichte Morgennebel in dünnen, hier und da von einem blitzenden Sonnenstrahl geteilten Schwaden lag und auch den gegenüberliegenden Uferrand bedeckte. Nur eine Reihe niedriger, hell angestrichener, viereckiger Holzhäuser wurden da sichtbar, die, mit riesigen Schildern bedeckt und, wenn das möglich gewesen wäre, verunstaltet, den oberen Rand der steilen Uferbank krönten, und wieder ihrerseits von den hohen und majestätischen Wipfeln riesiger Baumwollenbäume überragt wurden. Diese kleine Stadt hier, die dem wachsenden Little Rock ihren Ursprung verdankte, bestand fast einzig und allein aus Schenkständen – sogenannten ,groceries’ und ,provision stores’20, in denen, neben allen möglichen Lebensbedürfnissen, die spirituösen Getränke den Hauptbestandteil bildeten. Aber sie sah neu und häßlich aus, wie eine Schachtel frisch ausgepackter Nürnberger Spielwaren in eine Reihe gestellt, über die der darüber wohnende Urwald den Kopf schüttelte und seufzend dabei den Krebsschaden erkannte, der sich weiter und weiter in seine Seite fraß.

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