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Pfarre und Schule. Zweiter Band.

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Gleich darauf schloß sich die Thür wieder drüben, Schlüssel klapperten, und der Oberpostdirector kam mit dem Pastor in das Haus zurück.

 
»Ach Gnade, Gnade für Dich selber, für Dich selber,
Und Gnade – und Gnade, Gnade für mich – Gnade – Gnade – Gnade für mich!«
 

schloß Anna ihre schmetternde Bravourarie, und »herrlich!« »göttlich!« riefen die Fräulein Seiffenberger wie aus einem Munde.

»Wirklich schön!« sagte Herr Strohwisch, und machte einen schwachen Versuch zu applaudiren – »sehr schön, mein Fräulein – ich habe – ich habe auch schon früher das – Vergnügen gehabt, Sie singen zu hören –«

Weitere Complimente wurden unnütz, denn Melinde wie Josephine gingen auf Fräulein Schütte zu, preßten sie in die Arme, küßten sie, und nannten sie einen »süßen melodischen Engel.«

Der Oberpostdirector trat mit dem Pastor in's Zimmer, »so will ich Ihnen das andere kleine Gedicht noch vorlesen – mit Musik macht es sich freilich besser – alle meine Gedichte sind fast componirt – wundervoll – schön!«

»Um Gotteswillen, Vater, was ist da draußen eben geschehen?« frug aber Sophie, die neue Kriegserklärung gar nicht beachtend, in Todesangst ihren Vater, so wie dieser die Schwelle nur überschritten hatte.

»Nichts, mein Fräulein, beruhigen Sie sich,« nahm da Herr von Gaulitz die Antwort auf – »Nichts, was Sie ängstigen dürfte, im Gegentheil etwas Freudiges – wir haben den Burschen aufgespürt, der von der Residenz aus steckbrieflich verfolgt ist, und Sie selber sogar gestern im Walde angefallen hat.«

Sophie hatte eine Stuhllehne erfaßt, und es bedurfte aller ihrer Geistesgegenwart, sich in diesem Augenblick nicht zu verrathen.

»Den haben Sie erwischt?« rief da Anna Schütte fröhlich dazwischen – »Gott sei Dank, jetzt kann man doch wieder vor die Thüre gehen, ohne fürchten zu müssen, angefallen zu werden. Was geschieht nun mit dem erschrecklichen Menschen?«

»Aber er hat uns ja gar nicht angefallen!« betheuerte Sophie, denn gewaltsam raffte sie sich zusammen, da sie recht gut fühlte, wie es jetzt an der Zeit sei, dem Unglücklichen, was er auch sonst immer verbrochen haben mochte, wenigstens von dieser Anklage zu reinigen – »nur vom Waldrand her, wo er wahrscheinlich gesessen, trat er auf uns zu, als ihn auch schon das Blei des Jägers traf – und er ist – er ist verwundet.«

»Der klare Schrot wird ihm nicht viel gethan haben,« meinte der Oberpostdirector; »das bleibt sich aber auch gleich, und es soll mir seinetwegen lieb sein, wenn ihm das nicht härter in's Gewicht fällt. Ich habe bei der Sache aber weiter Nichts zu thun, als daß ich ihn in die Stadt an's Criminalgericht liefere, das mag nachher meinetwegen sehen, was es mit ihm anfängt.«

»Was hat er denn eigentlich verbrochen?« frug Strohwisch, der seufzend den Gedanken aufgab, heute noch und unter solchen Verhältnissen zum Vorlesen zu kommen – »hat er gestohlen?«

»Das kaum,« sagte von Gaulitz, »dem Ministerium scheint nur sehr viel an seiner Gefangennehmung zu liegen, es muß wohl ein sehr gefährlicher Mensch und Demagoge sein – nun, wild genug sieht er aus, und es ist mir lieb, daß wir ihn hinter Schloß und Riegel haben. Aber bitte, meine Damen, setzen Sie sich doch, Sie brauchen sich wirklich nicht mehr zu fürchten, – er ist ganz unschädlich. – Wir haben Sie gewiß in Ihrer Arie gestört, mein Fräulein.«

»Ich hatte sie gerade beendet – aber – bester Herr Oberpostdirector, könnte man den Menschen denn wohl einmal zu sehen bekommen? – ich habe noch nie einen ordentlichen Räuber –« sie zögerte einen Augenblick, und der Pastor fuhr lächelnd fort –

– »in aller Sicherheit hinter einem Gitter wie ein wildes Thier betrachten können.«

»Aber Anna!« sagte Sophie vorwurfsvoll –

»Nun liebes Kind, ich weiß wirklich nicht, ob man mit einem solchen Menschen Mitleiden zu haben braucht,« vertheidigte sich die junge Dame – »wenn Einer einmal erst steckbrieflich verfolgt ist, dann muß es ein schlechter Mensch sein.«

»Bitt' um Verzeihung, mein Fräulein,« fiel hier Strohwisch ein – »das kann in jetziger Zeit dem Besten passiren: ein sehr guter Freund von mir hat einmal auf die politischen Steckbriefe ein Gedicht gemacht, das –« er fing schon wieder an, in den Taschen zu suchen – »das – in – der – That – es wird Sie vielleicht – vielleicht interessiren –«

Es klopfte in dem Augenblick stark an die Thür, und auf ein fast unwillkührliches lautes »Herein« des Dichters, der jedoch erschreckt danach zusammenfuhr, und »tausendmal« um Entschuldigung bat, öffnete sich die Thür, und ein junger Mensch, der Bote, den Herr von Gaulitz heute in die Stadt geschickt hatte, trat herein:

»Nehmen Se's nich vor ungut, Herr Oberpostdirecter,« sagte dieser, »daß ich so g'rad hereinfalle, aber 's war keener nich von den Bedienten da, und da dacht' ich, de Sache hätte Eile.«

»Nun, Christoph, was giebts?« frug der Gutsherr rasch – »bringst Du Briefe?«

»Ja, zwee – eenen an den Herrn Oberpostdirecter, un eenen an den Herrn Paster – es sieht wild in der Stadt aus.«

»Was? – Wie so?« sagte von Gaulitz, indem er an den Tisch trat und den Brief erbrach.

»De Minister haben se fortgejeggt,« lachte der Bursche, »reene fort – eben wie ich zum Thore 'naus wulle, gung der Spectakel los.«

»Um Gott,« fuhr der Oberpostdirector erschreckt auf – »das wäre bös –«

»Ja, Se kennen sich druff verlassen, – in der Schenke han ich's en ooch schonst verzählt – na, die fungen en scheenen Cravall an – herr jes!«

Der Pastor hatte indessen seinen Brief ebenfalls geöffnet, von Gaulitz bat ihn aber mit leiser Stimme, ihm auf sein Zimmer zu folgen, und die beiden verließen nach nur kurzer, hastiger Entschuldigung die Gesellschaft.

Auch Christoph wollte sich mit vielen Bücklingen entfernen, um seine Neuigkeit wahrscheinlich im Dorfe weiter zu tragen, der kam aber schön an. Die drei Damen Seiffenberger und Schütte nahmen ihn in die Mitte, Strohwisch besetzte die Thür, und er mußte nun erzählen, bis er, wie eine total ausgepreßte Citrone, der auch der letzte Tropfen Saft genommen, trotz den gewaltigsten Anstrengungen nichts weiter mehr herausgeben konnte. Erst dann überließen sie ihn, matt und erschöpft seinem Schicksal.

»Herr Pastor,« sagte der Oberpostdirector indessen, als der Bediente das Licht auf den Tisch gestellt, und das Zimmer verlassen hatte – »die Sache in der Residenz scheint allerdings schlimm zu stehen, und die Revolution auch in unser kleines Ländchen ihre Bahn gefunden zu haben; nur von dem Sturz des Ministeriums las ich hier noch kein Wort – ich hoffe, der Bursche hat in all seiner Aufregung die Sache am Ende gar schlimmer angesehen, als sie wirklich war.«

»Auch in meinem Briefe steht keine Sylbe davon,« versicherte der Geistliche, – »für mich aber ist hier eine sehr fatale Nachricht enthalten. Denken Sie nur, unser Gefangener ist der Sohn unseres Generalsuperintendenten Wahlert, der sich freilich, wie mir der Hofprediger Bellmann hier schreibt, nach dessen letzten politischen Umtrieben von ihm losgesagt, und ihm förmlich das Haus verboten hat – aber, Du lieber Gott, Elternliebe läßt sich nicht so ohne Weiteres und mit solchem jungen Menschen zu gleicher Zeit vor die Thüre setzen; die bleibt zu Haus, und nagt und mahnt, und holt ihn am Ende doch wieder herein. Der Generalsuperintendent ist, besonders bei Hofe, außerordentlich einflußreich, und ich weiß in der That nicht, ob er es uns später danken würde, dazu beigetragen zu haben, sein einziges Kind aufzufangen.«

»Aber freigeben kann ich ihn doch wahrhaftig auch nicht wieder,« sagte von Gaulitz nach kurzem Ueberlegen, während er mit schnellen Schritten und verschränkten Armen im Zimmer auf- und abgegangen war; »erstlich ist mir das Sprengen des Ministeriums vollkommen unglaublich; wer weiß, was der holzköpfige Bursche in der Stadt gehört und sich dabei in seinem eigenen vernagelten Gehirn zusammengestellt hat – und dann – wirklich den Fall gesetzt, es wäre dem so, wer bürgt mir nachher dafür, daß die heute Gestürzten nicht morgen schon wieder die Zügel, und dann sicherlich noch viel gewaltiger als vorher in Händen haben? – Ich kann, man mag mir nun sagen was man will, noch immer an keine wirkliche, ordentliche Revolution glauben; der Geist des Militairs ist noch der alte, und läßt man den Regierungen nur Zeit, daß sie sich ein wenig von ihrem ersten Schreck erholen können, so werden sie sicherlich das verlorene, oder hier und da fast muthwillig selber aufgegebene Terrain bald wieder gewinnen. Deßhalb muß ich mir also den Rücken in jedem Fall frei halten, und jetzt vor allen Dingen suchen, authentisch-officielle Berichte über den wahren Stand der Dinge in der Residenz zu erhalten. Daß den Ministern, wären sie wirklich gestürzt, Nichts daran liegen würde, einen unruhigen Kopf mehr oder weniger unter Riegel zu wissen, versteht sich wohl von selbst, sind sie aber nicht gestürzt, und war das ein bloßes, vielleicht absichtlich ausgesprengtes Gerücht, – denn die freie Presse leiht ja jetzt zu jeder Schändlichkeit bereitwillig die Hände – und hätt' ich mich dann verleiten lassen, den Gefangenen wieder frei zu geben – so könnt' ich in schöne Verlegenheit hineingerathen.«

»Frei geben dürften Sie ihn auf keinen Fall«, meinte der geistliche Herr, der eine ganze Weile sinnend am Fenster gestanden und in die dunkle Nacht hinausgeschaut hatte, sich jetzt aber plötzlich wieder gegen den Gutsherrn wandte – »wer würde Sie dagegen tadeln können, wenn der Gefangene, durch die Hülfe irgend eines Anderen, vielleicht guten Freundes, von hier entwischte.«

Von Gaulitz blieb vor dem Pastor stehen und sah ihn ein paar Minuten forschend und scharf in die kleinen schwarzfunkelnden Augen, schüttelte aber nach kurzem Ueberlegen mürrisch den Kopf, setzte seinen unterbrochenen Spaziergang wieder fort Und sagte:

»Nein – nein – das geht nicht – das geht wenigstens jetzt noch nicht – erst muß ich die gewisse Bestätigung dieser Nachricht bekommen, und mit der – werde ich wohl auch Instructionen über mein künftiges Benehmen erhalten. Das alte Staatennetz ist viel zu vortrefflich und dauerhaft gewebt, als daß es so mit einem Male, und schon bei dem ersten gewaltsamen Ruck aus allen Fugen reißen sollte – eine Masche kann wohl manchmal nachgeben – doch das läßt sich restauriren – und die ausgebesserten Stellen halten nachher gerade am Besten. Ich will ohne Zögern einen zuverlässigen Boten in die Stadt zurückschicken; der kann dann recht gut vor morgen früh wieder hier sein, und nachher weiß ich, wie ich zu handeln, was ich zu thun habe, und woran ich bin.«

 

»Aber der General-Superintendent.«

»Es ist eine böse Geschichte – aber ich kann's nicht ändern – daß mir auch das alberne Volk den Menschen gerade heute Abend einbringt – das verdank' ich Niemandem, als diesem Ohrwurm, dem Poller – so lange hat der Schuft gebohrt und spionirt und wieder gebohrt, bis ich mich verlocken ließ. Ich weiß nicht, was ich jetzt darum gäbe, mit der ganzen Sache gar Nichts zu thun gehabt zu haben. Doch zum Spioniren ist er gut, und darum soll er mir auch ohne weiteres Zögern in die Stadt hinein.«

Der Oberpostdirector schritt rasch der Thüre zu, als ein wunderlich murmelndes Geräusch sein Ohr traf, und ihn fest an die Stelle bannte – auch der Pastor hob erschreckt den Kopf, trat zum Fenster und öffnete schnell den Flügel.

Draußen wogte und tobte eine wilde, stürmende Menschenschaar in das noch offen stehende Thor des Rittergutes herein, junge Bauerburschen und Handarbeiter aus dem Dorfe, und an der Spitze des Zuges wer anders als Doctor Levi, das gesinnungstüchtige Nordlicht der Freiheit mit bis obenhin zugeknöpftem Rocke und fest und entschlossen in die Stirn gedrücktem Hut.

»Hurrah – Freiheit – Freiheit oder'n Dot – 'raus mit'n Gefangenen – Postdirecter 'raus – Hurrah – Republik soll leben – hoch!!! – Hurrah – Postdirecter abdanken – freien Schnaps – hurrah – alle eine Metze Erdbirn' und zwee Pfund Fleesch – hurrah den Gefangenen 'raus!« Das waren die wildverworrenen Schreie und Ausrufungen, die von dem Menschenhaufen zu den am Fenster Stehenden heraufdrangen. In demselben Augenblicke glitt aber auch schon die bleiche, zum Tode entsetzte Gestalt des jungen Poller in's Zimmer und rief, fast athemlos vor innerer Angst und Aufregung:

»Sie kommen, Herr Oberpostdirector, sie kommen – sie wollen ihn wiederholen – das ganze Dorf ist unten, und sie haben geschworen, sie wollen das Schloß in Brand stecken, wenn sie'n nicht gleich mitkriegen.«

»Unsinn!« sagte Herr von Gaulitz, dem es, was auch seine sonstigen Eigenschaften sein mochten, keineswegs an persönlichem Muth gebrach – »Du bist eine Memme, daß Du gleich beim ersten Lärmschuß das Hasenpanier ergreifst – wer ist unten?«

»Das ganze Dorf!« rief der Erschrockene.

»Sind auch die Eisenbahnarbeiter vom Sellsberge dabei?«

»Es kriwwelt und wimmelt von lauter Gesindel.«

»Das ist ja gar nicht möglich,« sagte der Pastor, »Christoph hat die Nachricht vor kaum einer Stunde mitgebracht und auf die hin ist sicherlich erst die ganze Aufregung entstanden.«

»Herr Oberpostdirector!« rief in diesem Augenblicke der alte Poller, der ohne Weiteres das Zimmer aufriß und herein prallte – »Sie wollen mit dem Herrn Oberpostdirector sprechen – die ganze Gemeinde ist da.«

»Ist denn das ganze Haus verrückt geworden?« sagte der Herr von Gaulitz, dem Alten rasch und zornig entgegen gehend – »was ist das für eine Manier, zu mir in's Zimmer zu kommen – weiß er nicht besser, was sich schickt?«

»Bitt' um Verzeihung, Ew. Gnaden – aber – das Volk – der Schrecken – Besorgniß um Ew. –« stotterte der Alte.

»Wer ist noch draußen auf dem Vorsaale?« unterbrach ihn der Gutsherr rasch und heftig.

»Fritz – der Jäger,« lautete die Antwort.

»Er soll hereinkommen – schnell!«

Wenige Secunden später stand Fritz auf der Schwelle und sein monotones

»Zu Befehl Ew. Gnaden« – machte den jetzt wieder hastig im Zimmer auf- und abgehenden erst auf den Gerufenen aufmerksam. Er wandte sich nach ihm um und frug:

»Wie steht's draußen, Fritz? – Was sind das für Schaaren, die da lärmend und schreiend auf mein Gut ziehen – was wollen sie?«

»Sie scheinen's selber nicht so recht zu wissen,« lachte der junge Jäger – »der Doctor führt sie an und eigentlich wollen sie, glaube ich, den Gefangenen befreien, die wirklichen Bauern aus dem Dorfe sind's aber nicht – eine Parthie junge Bursche meistens und Neugierige, sie wählen unten gerade eine Deputation, um sie herauf zu schicken.«

»Ah gut – laß sie kommen,« sagte der Herr von Gaulitz rasch – »geh' hinunter Fritz, und führe sie herauf zu mir – Du bist doch wenigstens noch vernünftig, und weißt was Du sprichst, das Volk hier scheint aber das Bißchen Verstand vollendes verloren zu haben – hinaus mit Euch – halt da, Du, Karl – Du wartest draußen, ich habe noch einen Auftrag für Dich.«

Die beiden Poller glitten, zwischen Furcht vor ihrem Herrn und den aufgebrachten Volkshaufen draußen schwankend (denn die Bewohner von Horneck haßten sie, wie sie recht gut wußten, gründlich) aus dem Zimmer. Fritz aber führte gleich darauf den Doctor Levi mit zwei anderen »Vertrauensmännern«, dem Schneider aus dem Dorfe und dem Böttcher, in's Zimmer, und Levi hielt denn auch, mit seiner ganzen liebenswürdigen Bescheidenheit und ohne weitere Vorrede eine Ansprache an den Rittergutsbesitzer, in der er diesen darauf aufmerksam machte, wie die Tyrannei gestürzt und ihre Helfershelfer der Spreu gleich in alle Winde »zerstiebt« wären, wie das souveraine Volk jetzt eine Weile selber regieren wolle und ihn, den Reactionair auffordere, den Vorkämpfer der Freiheit, den schändlich und heimtückisch gefangenen Wahlert, augenblicklich wieder in Freiheit zu setzen. Sie – die Deputation – wären einstimmig vom Volke erwählt, das unten auf Antwort harre, und den »Bayonetten« zum Trotz seine Foderung mit seinem Heldenblute unterstützen wolle – er rechne auf unbedingte Unterwerfung.

Der Pastor stand in der einen Fenstervertiefung und rieb sich schmunzelnd die Hände – der Sohn des General-Superintendenten wurde frei und er selber damit jeder Verantwortlichkeit enthoben.

Doctor Levi aber, wie Pastor Scheidler, schienen sich Beide in ihren Berechnungen sowohl, wie in der Person des Gutsherrn etwas getäuscht zu haben – so rasch war dieser nicht eingeschüchtert und auch Menschenkenner genug, um an den noch scheu und unschlüssig dastehenden Gestalten der übrigen Deputationsmitglieder zu erkennen, wie der Geist des Aufruhrs sich nur für den Augenblick kaum weiter erstrecke als auf die Unverschämtheit des Doctor Levi, der, wie er früher ganz uneigennützig die »Emancipation« der Juden gepredigt, jetzt plötzlich ein weiteres Feld für seine Rednergabe fand und der gewöhnlichen Redeweise nach, »in deutscher Politik machte«. Diesen daher keines Blickes oder Wortes würdigend, schritt der Oberpostdirector auf den Schneider und Böttcher zu und sagte, sie bei ihren Namen anredend:

»Schickt Euch das ganze Dorf, Merzbach und Hantlich, oder seid Ihr nur auf eigene Veranlassung oder Aufreizung dieses – Menschen zu mir gekommen?«

»Herr Oberpostdirector!« rief der Beleidigte.

»Ruhig Herr,« sagte aber dieser mit so unerschrockener und finsterer Autorität, daß dem Böttcher und Schneider nur noch unbehaglicher zu Muthe wurde und der erstere endlich mit artigem Tone sagte:

»Die Leute im Dorfe meinen, Herr Oberpostdirector, Sie könnten den armen Teufel nun wohl wieder laufen lassen, der unter der vorigen Regierung 'was verbrochen hätte, denn wir kriegten nun doch wohl andere Herren Minister, die –«

»Das Volk fordert seine Befreiung!« schrie Levi, fuhr aber erschreckt zurück, als sich der Gutsherr rasch nach ihm umwandte, ihn vorn an der Brust faßte, und ausrief –

»Wenn die Einwohner von Horneck etwas verlangen, so werden sie einen solchen Quacksalber nicht zu mir schicken, geschieht das aber doch, so hat sich der auch so ordentlich und anständig zu betragen, wie es – an seiner Stelle – ein Einwohner aus dem Dorfe gethan haben würde – sonst werde ich andere Maßregeln mit ihm ergreifen.«

»Das ist Hand an einen Gesandten des Volks gelegt!« schrie der Doctor entrüstet und auch wohl in etwas um seine eigene Sicherheit besorgt, »ich protestire hiermit feierlichst gegen –«

»Fritz!« rief der Gutsherr dazwischen – »hinaus aus meinem Zimmer mit dem Menschen!«

»– Gegen jede Gewaltthat, die nicht an mir, sondern an dem souverainen Volke geschieht, und ich verwahre mich im Voraus gegen –«

Er konnte seine Rede nicht mehr vollenden; Fritz, der den fatalen Menschen aus mehr als einem Grunde nicht leiden mochte (denn er war in letzter Zeit besonders viel um die Schulwohnung geschlichen und hatte das arme Lieschen schon mehrmals mit seiner zudringlichen Freundlichkeit gequält) faßte ihn einfach, trotz alles Sträubens, beim Kragen und verschwand mit ihm ruhig aus der Thür.

Die übrigen beiden Deputirten wußten indessen gar nicht, wie sie sich bei der Sache verhalten sollten, denn von der Unverletzlichkeit eines Gesandten oder Deputirten hatten sie bis dahin einen nur höchst unvollkommenen Begriff, der denn auch durch das, was eben erst vor ihren leiblichen Augen geschah, keineswegs verstärkt oder bestätigt werden konnte. Herr von Gaulitz trat aber, ohne ihnen lange Zeit zum Ueberlegen zu lassen, rasch auf sie zu, und redete sie nun mit so freundlichen und artigen Worten an, daß sie die Behandlung ihres Wortführers ganz darüber vergaßen.

Er versicherte ihnen, daß der Gefangene nicht auf Befehl der Minister, sondern dem Gesetze nach verhaftet, und vorher auch durch das Gesetz steckbrieflich verfolgt wäre – daß ferner das Gesetz doch fortbestehen müsse, ob sie nun dies oder ein anderes Ministerium hätten – versprach ihnen aber auch, noch in dieser Nacht einen Boten nach der Residenz zu schicken und dort anfragen zu lassen, was der Eingebrachte verbrochen habe – sei dies dann nur politischer Natur, so gebe er ihnen die heiligste Versicherung, daß er augenblicklich in Freiheit gesetzt, und jedem beliebigen Verlangen, daß sie also an ihn stellen könnten, dadurch auch genügt werden würde. Uebrigens sei die Nachricht von der Abdankung des Ministeriums keineswegs gegründet, und sie könnten die Folgen leicht selber ermessen, die, im anderen Falle, aus einem gesetzlosen Auftreten von ihrer Seite entstehen möchten.

Die beiden Männer fanden das ganz vernünftig – sie hätten eben so gesprochen, wenn sie Herr von Gaulitz gewesen wären – der Doctor war überhaupt ein Krakehler, der ihnen nur vorgelogen hatte, was dem armen Gefangenen Alles geschehen solle – der Herr von Gaulitz möchte es nicht »vor übel nehmen«, daß sie so frei gewesen wären, bei ihm anzufragen – sie wollten's den Leuten unten schon sagen, wer recht hätte und wie die Sache eigentlich stände.

Und damit gedachten sie sich höflich grüßend zurückzuziehen – von Gaulitz war aber nicht der Mann, einen einmal gewonnenen Vortheil unverfolgt aufzugeben – eine Flasche mit Wein und Gläser standen auf dem Ecktische – ein paar freundliche Worte von ihm nöthigten die Beiden, nur noch einen Augenblick zu warten – rasch war eingeschenkt und fünf Minuten später verließen der Schneider und Böttcher das Zimmer und waren entzückt über ihren Gutsherrn.

»Nein, was das für ein Mann ist«, flüsterte der Schneider, als sie, von dem Bedienten geleitet, die breite Treppe hinabstiegen – »ich soll morgen mit meinem Maas hinaufkommen.«

»Und wegen der Brauereiarbeit hat er schon mit dem Brauer das Nöthige besprochen«, versicherte schmunzelnd der Böttcher – »die Kröte von einem Doctor fängt doch überall Krawall an.«

Draußen vor der Thüre erwartete sie übrigens noch ein ziemlich stürmischer Auftritt – der Doctor hatte die unten Versammelten durch die Erzählung dessen, was ihm geschehen sei, in nicht geringe Aufregung versetzt, und einen wirklichen Sturm auf das Haus konnte nur die Erscheinung der beiden anderen Deputirten verhindern. Mit dieser änderte sich aber auch freilich der Stand der Dinge um ein Bedeutendes – die beiden Männer berichteten, wie sie empfangen seien und welche Versicherungen man ihnen gewährt hätte – klagten über den Doctor, der gegen den Gutsherrn aufgetreten wäre, als ob er einen Holzhacker vor sich habe, setzten hinzu, der Herr Oberpostdirector wisse es auch ganz bestimmt, daß die Nachricht mit dem Ministerium gar nicht wahr wäre, und nur, wenn der Gefangene gestohlen oder sonst ein fürchterliches Verbrechen begangen hätte, dann sollte er in die Stadt geliefert, sonst aber augenblicklich wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

Ein donnerndes Hurrah, das man dem Gutsherrn brachte, war die Antwort; die rasenden Demonstrationen des auf's Aeußerste empörten Doctors wurden nicht weiter beachtet, ja dieser sogar, als er später eben in der Schenke seine Absicht mit Gewalt durchsetzen wollte und durch Schimpfwörter die Bauerburschen reizte, von diesen gefaßt, geprügelt und hinausgeworfen.

 
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