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Südamerika

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Es war im Ganzen ein ziemlich ärmliches Gemach, die Wände weiß getüncht und nur an vielen Stellen mit kleinen bunten Heiligenbildern geschmückt – die Tische und Stühle von rohem Holz und ein großes Himmelbett, das in der einen Ecke stand und in der That fast den vierten Theil des Ganzen ausfüllte, trug grobcattunene Vorhänge. – Diese hingen aber zurückgeschlagen, das Bett zugleich als Sitz den Gästen anzubieten, und überhaupt schien jedes Winkelchen benutzt, Zuschauern und Tanzenden Raum zu halten. Die Ersteren saßen auf den Fensterbänken, Tischen und Stühlen herum, jede Ecke ausfüllend und für die Letzteren war nur ein sehr kleiner, beschränkter Raum geblieben, in dem sie ihren chilenischen Nationaltanz, so lange ich wenigstens im Zimmer war, ausführten. Agua ardiente und Dulces wurden fortwährend herumgereicht, und Männer und Frauen tranken den ersteren, während alle fast ohne Ausnahme, nur die Tänzer nicht, ihre Cigarillos rauchten.

Die erste Ueberraschung einmal vorüber, und nachdem ich dem gastlichen Angebot von Essen und Trinken genügt, und meine Papiercigarre angezündet, fiel auch mein Blick auf einen Gegenstand, den ich bis dahin allerdings schon gesehen, aber in dem allgemeinen Lärm und dem vielen Neuen was sich mir ringsum bot, nicht so beobachtet hatte, wie er es eigentlich verdiente.

Es war dieß ein etwa sieben Fuß hohes Gerüst, um das die Musici herumsaßen und standen, und das mit Blumen, Lichtern und Heiligenbildern von oben bis unten bedeckt schien. Der wunderlichste Zierrath darauf war aber eine vortrefflich gearbeitete Wachspuppe – ein kleines Kind vorstellend, das in einem schneeweißen Kleidchen, mit geschlossenen Augen, die zarten bleichen Wangen von einem leisen Rosenschein überhaucht, und von Blumen förmlich umgeben, auf einem kleinen Kinderstuhl saß. So täuschend war die Puppe gemacht, daß ich das Kind im Anfang für ein wirkliches hielt, und die Augen nicht abwenden konnte davon, noch dazu, da gerade darunter eine schöne, bleiche, junge Frau mit Thränen in den Augen stand, die recht gut hätte als dessen Mutter gelten können. Darin hatte ich mich aber auch geirrt, denn gerade jetzt trat Einer der Männer lachend auf sie zu, sie zum Tanze abzuholen, und sie folgte ihm nicht allein, sondern war auch in wenigen Augenblicken mit die fröhlichste der Schaar.

Aber es mußte ein wirkliches Kind seyn – so täuschend konnte kein Künstler die Formen nachbilden – und jetzt verlöschte das eine Licht, dicht neben seinem Köpfchen, und die kleine ihm zugedrehte Wange verlor dadurch den rosigen Schein. – Meine Nachbarn mußten endlich merken, mit welcher Aufmerksamkeit ich jenes Kind oder jene Figur, was es nun auch seyn mochte, beschaute, und der mir Nächste erzählte mir, soviel ich von seiner Rede verstehen konnte, es sey das jüngste Kind jener jungen Frau mit dem bleichen Gesicht, die da so fröhlich tanze, und die ganze Feierlichkeit in der That nur jenes kleinen gestorbenen Engelchens wegen.

Ich schüttelte ungläubig mit dem Kopf, mein Nachbar aber, um mich zu überzeugen, nahm mich am Arm, und führte mich zu dem Gestell, neben dem ich auf einen Stuhl und Tisch treten mußte, die kleinen Händchen des Kindes, zu berühren.

Es war eine Leiche – und die Mutter, als sie sah, daß ich daran gezweifelt hatte und mich jetzt überzeugt mußte, trat von ihrem Tänzer ab auf mich zu und lächelte mich an – sie sagte mir, das sey ihr Kind gewesen, und jetzt ein Engelchen im Himmel und die Guitarren fielen wild ein – sie mußte zum Tanze zurück.

Ich verließ das Haus wie betäubt, denn ich wußte wahrhaftig nicht, ob sich das Alles, was ich da eben gesehen, auch wirklich vor meinen eigenen Augen zugetragen habe, später aber bekam ich die Lösung.

Wenn in Chile ein kleines Kind, ich glaube bis zu vier Jahr, oder noch jünger, stirbt, so glauben die Leute daß es direkt zum Himmel eingehe und ein Engelchen werde – und die Mutter ist stolzer darauf, als ob sie es zu kräftigem Alter frisch und fröhlich herangezogen hätte. Die kleine Leiche wird dann, wie ich es gesehen, ausgestellt, und oft so lange davor getanzt und getrunken bis der kleine Körper Spuren der Verwesung zeigt. Die Mutter aber, so weh ihr auch immer ums Herz seyn mag, muß lachen und fröhlich seyn und tanzen und singen – sie darf nicht egoistisch an sich selber denken, gilt es ja doch das Glück ihres eigenen Blutes – arme Mutter.

Als ich wieder auf die Straße trat und langsam die jetzt öde und menschenleere Straße hinab schritt, passirte ich etwa zwanzig Schritt von dem Haus, die dunkle Gestalt eines Mannes, der auf der Schwelle eines der dort stehenden Gebäude saß. Ich achtete seiner nicht, denn die Straßen sind vollkommen sicher in Valparaiso, als ich aber sechs oder acht Schritt an ihm vorüber war, stieß er einen langgezogenen, gellenden Pfiff aus, daß ich überrascht stehen blieb und mich umsah. Die Gestalt rührte sich jedoch nicht – es war jedenfalls ein Nachtwächter, der hier die Stunde pfiff. An der nächsten Ecke stand ein Pferd angebunden, doch sah ich keinen Mann dabei, und als ich das Pferd passirt war, schallte dicht hinter mir wieder derselbe gellende Pfiff.

Sonderbar, dachte ich, und wanderte langsam weiter – bald sah ich wieder eine Gestalt an einem der Häuser lehnen, die nicht im mindesten auf mich zu achten schien, kaum aber war ich vorüber, so hörte ich auch wieder denselben Pfiff, was mir in der einen Straße sechsmal begegnete, und ich mußte nun wohl merken, daß ich solcher Art gewissermaßen durch die ganze Stadt gepfiffen wurde.

Die Polizei in Valparaiso ist jetzt berühmt, und diese Art, nächtliche Wanderer dem »Collegen« zu bezeichnen, hat mir ungemein gefallen. Geht ein Mensch auf der Straße und ist nur das erste Zeichen gegeben, so mag er sich hinwenden wohin er will, überall wissen die Nachtwächter daß irgend Jemand, der eigentlich um diese Zeit der Nacht schon in seinem Bett liegen sollte, noch draußen herumwandelt. Hat der Mann dann weiter nichts Böses im Sinn, so wird er nur bis an seine eigene Hausthür gepfiffen, und damit ist die Sache gut, wäre aber das Gegentheil der Fall gewesen, so müßte er das ruhig aufgeben, denn die Nachtwächter, denen er angemeldet ist, und die nichts mehr von ihm gesehen haben, passen nun auf wie die Heftelmacher und es würde ihm schwer werden ihre Aufmerksamkeit zu betrügen.

Da ich übrigens gerade von Polizei spreche, fällt mir auch die chilenische Calebouse oder das öffentliche Gefängniß ein, die ich Gelegenheit hatte zu besuchen. Ein Bekannter von mir, ein deutscher Schiffscapitän, hatte seine ganze Mannschaft dort sitzen, und forderte mich eines Morgens auf, mit ihm dorthin zu fahren.

Die Einrichtung derselben war so eigentümlich wie praktisch – die verschiedenen Gefangenen saßen in keinem festen Gefängniß sondern in einer Art großer Menageriewägen, wie wir sie zur Meßzeit bei uns mit Löwen und Tigern zu sehen bekommen. Rings in dem geräumigen Hof standen solche Fuhrwerke mit großen langen eisenbeschlagenen und vorn und hinten mit starken eisernen Gittern versehenen Kasten, und die wunderlichsten Gruppen saßen, lagen und kauerten darin, alle »zu Tage.«

Der Capitän hatte seine ganze Mannschaft »zehn Stück« wie er sagte, in einem solchen »Omnibus« – die Leute sollten sich geweigert haben mit ihm weiter nach Californien zu gehen, weil sie sich mit dem ersten Steuermann nicht vertragen konnten. Er frug sie ob sie sich nun anders besonnen hätten und mit ihm segeln wollten; sie beriethen sich aber kurze Zeit mit einander und antworteten dann einfach nein. Er machte ihnen hierauf begreiflich daß sie mit ihm segeln müßten, sie möchten wollen oder nicht, und daß der einzige Unterschied wäre, ob sie freiwillig mit ihm gehen, oder durch die Polizei zum Schiff hinunter gefahren werden wollten; die einzige Antwort die sie hierauf gaben war, daß fahren bequemer sey als gehen, und sie deßhalb das letztere vorzögen.

Sie wurden auch wirklich später in dem Kasten bis hinunter an die Landung geführt und dort mit Polizei, als das Schiff segelfertig war, an Bord gebracht. Allerdings liefen sie in San Francisco augenblicklich davon, das wußte der Capitän aber vorher, und hatte wenigstens seinen Willen gehabt.

11. Eine Macht auf dem Kirchhof zu Valparaiso

»Waren Sie schon oben im Pavillon des Kirchhofs?« frug mich Einer meiner in Valparaiso neugewonnenen Freunde, als wir zusammen eines Morgens an der Landung auf- und abgingen, und ich eben der reizenden Aussicht erwähnt hatte, die wir selbst von dem niederen Strand aus genossen.

»Noch nicht?« erwiederte er lebhaft auf meine verneinende Antwort – »ei das dürfen Sie nicht versäumen – es sind auch einige in Italien und vortrefflich aus carrarischem Marmor gearbeitete Monumente oben.«

Ich bin gern zwischen Gräbern – es hat etwas unbeschreiblich Rührendes für mich die niederen Hügel zu durchwandern, unter denen die stillen Todten, so ruhig und friedlich mit gefaltenen Händen in enger freundlicher Nachbarschaft – wie Blätter in einem Stammbuch – liegen, jeder in seinem Stübchen und die kurze Inschrift zu Häupten nennt Namen und Datum des Blattes. Dort freue ich mich auch jeder Blume, die eine treusorgende Hand für die letzte Ruhestätte der Entschlafenen gepflückt und den kleinen Hügel mit den duftenden Blüthen geschmückt hat.

»Wandle zwischen Gräbern, dort wohnt die Liebe – auch aus der Ferne weht ihr warmer Athem Dir entgegen.«

»Wir wollen gleich einmal hinaufgehen,« sagte mein Freund, der sich nach einem eben erst eingenommenen bedeutenden Frühstück etwas Bewegung zu machen wünschte – »die Aussicht vom Pavillon ist wahrhaft entzückend – Sie haben dort oben einen vollkommenen Ueberblick über Stadt und Hafen, und die Monumente sind allein das Bergsteigen werth.«

Die Monumente lockten mich nicht – mir haben die großen massiven Marmorblöcke auf den stillen Wohnungen der Todten etwas Unheimliches, Erdrückendes. Zu schwer lastet ihr Gewicht auf den armen Dahingeschiedenen, zu undurchdringlich lagern sie sich zwischen ihn und die Blumen, die den Stein wohl umschmiegen, aber ihren Thau nicht auf das Grab schütteln und süße liebe Worte hinunterflüstern können, anders wünsche ich mir selber einmal die eigene stille Ruhestätte – im Wald möcht ich begraben werden, im lieben grünen rauschenden Wald und der Baum, dessen Wurzeln sich dann um mich schlängen, sollte mir auch den Hügel mit seinem Thau begießen und den Vögeln Schutz und Schirm gewähren, die ihre leise Todtenklage über mich sängen. Nur keinen kalten unbeweglichen Steinblock oben darauf – die Erde drückt schwer genug wenn wir Abschied von ihr und alle dem nehmen mußten, was uns auf ihr, ach so unendlich lieb und theuer war.

 

Wir kletterten langsam den steilen, zickzack laufenden Bergpfad hinan, und erreichten endlich ein langes schmales, aber freundliches Gebäude das des Todtengräbers Wohnung, wie Capelle und Betsäle enthielt.

Als wir durch den Corridor gingen warf ich den Blick links in ein offenstehendes Gemach, und sah darin einen behäbigen Mönch in weißer Kutte (Franziskaner glaub’ ich) der die dicken fetten Hände auf dem Bauch gefaltet hielt und seine Daumen, in Mangel besserer Beschäftigung, umeinander herumjagte. Hatte er Messen für die Todten gelesen? – es sah schwül und dumpfig in dem Zimmer aus und die weiße Gestalt diente nicht dazu, den Raum freundlicher zu machen. – Mir bleibt es stets ein unheimliches Gefühl, diese Gebete für und über die Dahingeschiedenen, und ich ging rasch vorüber.

Erst als wir auf den offenen freundlichen Platz hinaustraten, der hier, auf der Kuppe des Küstenhügels die Gräber der in Valparaiso gestorbenen Katholiken umschloß, athmete ich wieder frei auf. Rechts und links von uns lag ein schmales, mit niederem Staket umschlossenes Gärtchen, voll schattiger Orangen und Cypressenbäume, voll Blumen und Blüthen, und dicht dahinter der Gottesacker mit seinen Stein- und Marmorplatten und einfachen prunklosen Gräbern, während hie und da, aus ihnen heraus, das prachtvolle, von hohem Eisengitter umschlossene Monument eines »Großen der Stadt« emporragte, und noch jetzt sogar für den Todten – denn er selber lag so tief und still wie die Anderen – über die Nachbargräber hinwegschaute und die Blicke des Wanderers auf sich lenkte. Der aber fand auch hier nur Staub, so gut wie bei dem Nachbar, und die Bewunderung, die er dem herrlich gemeißelten Steine zollen mußte – galt auch eben nur dem Stein und dem Künstler, der dem Marmor solches Leben einzuhauchen wußte – nicht dem, der darunter den langen Todesschlaf schlief und der Auferstehung entgegenträumte.

Mein Führer hatte aber wirklich recht – nur das eine Monument der Familie Waddington wäre es werth, den Ort zu besuchen. Es ist ein einfacher Würfel aus cararischem Marmor, mit einem eben solchen Sarkophag darauf, und auf diesem liegt in leichten, die schlanken jugendlichen Glieder umfließenden Gewande, eine trauernde Mädchengestalt; aber diese schmerzdurchzuckte Brust scheint zu athmen und der Wind in den zarten Falten des Kleides zu spielen, so kunstvoll ist der Stein gemeißelt. Es sind noch einige reichere Monumente auf dem Gottesacker, mit ebenfalls kunstreich ausgeführten Figuren und von trefflicher Arbeit, ich kehrte aber immer und immer wieder zu der trauernden Frauengestalt zurück und konnte mich kaum satt sehen an dem lieblichen rührenden Bilde.

Gerade hinter dem prachtvollen Monument der Familie Gonzales erhob sich ein wunderliches thurmähnliches Gebäu – oben darauf mit eisernem Gitterwerk, fast wie ein Vogelbauer, weitläufig überspannt, das Ganze jedoch hoch, und weder mit Eingang noch Treppe.

Mein Führer erklärte mir, das sey ein Beinhaus, in welches die »alten Knochen« hineingeworfen würden. – »Räumt man denn die Gräber wieder aus?« – »Die Gräber sowohl als jene Kuhle dort« – lautete die Antwort, »doch die wollen wir nachher besuchen, jetzt müssen Sie erst einmal die Aussicht des Pavillons bewundern.«

Wir schritten rechts an dem Knochenkäfig vorüber, gingen durch ein kleines Zimmer, in welchem einige »Sargkasten,« deren Gebrauch ich mir aber beim ersten Anblick nicht gleich erklären konnte, standen, und betraten dann den Balkon des Pavillons, der, dicht an den Hang gebaut, den ganzen Hafen bis hinaus in das stille Meer, wie weit weit nach den schneegedeckten Cordilleren hinüber, überschaute.

Der Anblick war, gerade von diesem Punkt aus, entzückend, und ich konnte das Auge nicht abwenden von dem reizenden Panorama. Tief tief unter mir die von Menschen bewegte, lebendige Stadt – Maulthiertrupps, die dicht am Strande zusammengeschaart standen und geduldig des Führers harrten, hin- und hersprengende Reiter, schwerbeladene Wägen, welche die Produkte des inneren Landes zum Markte oder zum Hafenplatz schafften, daneben das rege Treiben der Bai – die zahlreichen dort liegenden Schiffe mit ihren bunten Flaggen und Pennants, die hin- und herschießenden Boote —, einsegelnde Fahrzeuge, von denen der vor der Börse stehende Telegraph schon lange die Meldung gebracht – selbst die Möven und blitzschnellen Taucher der Bai, die auf der stillen, spiegelglatten Wasserfläche umherschwammen, die scharfgeschnittenen Köpfe vorsichtig nach allen Richtungen hindrehten und bei dem geringsten Anzeichen von Gefahr rasch in die Tiefe fuhren, und nur in den ausschwellenden Wasserkreisen ihre Spur zurückließen – dann darüber der heiter und blau ausgespannte Himmel, der weit im Osten drüben auf den zackigen, schneeglühenden Kuppen der Cordilleren zu ruhen schien – das Alles breitete sich in einem reizenden, nie vergessenen Bilde vor dem entzückten Auge aus, und nicht satt schauen konnte dieses an all dem Herrlichen, was ihm hier in solcher Fülle geboten wurde.

Die Umgegend von Valparaiso hat gewiß, da ihr der Baumwuchs gänzlich fehlt, wenig Anziehendes, von da oben aus vergißt man aber fast diesen Mangel, und während die belebte reizende Bai den Mittelpunkt des schönen Panorama’s bildet, ist der Eindruck des großartigen Hintergrundes vom Ocean und Cordilleren zu gewaltig, sich der einzelnen Mängel zu erinnern.

Ich weiß nicht wie lange ich da gestanden haben würde, hätte mich nicht mein Führer darauf aufmerksam gemacht, daß wir eigentlich noch etwas auf dem Kirchhof ansehen müßten, was ich nicht versäumen dürfe – die Kuhle. —

Die Kuhle? ich wußte gar nicht, was er mit dem Worte Kuhle eigentlich meinte – Kuhle, Grube, was für eine Grube – ein neugemachtes Grab? —

»Nein, die Kuhle, wohinein die Armen von Valparaiso kommen,« lautete die Antwort, und er ging mir voran durch das Sargkastenzimmer wieder durch und rechts einem hochaufgeworfenen Erdhaufen zu. Ich folgte ihm, und stand bald darauf am Rande einer wohl 10 Fuß tiefen, 16—18 Fuß langen und auch vielleicht 10 Fuß breiten Grube, die mir beim ersten flüchtig hineingeworfenen Blick leer schien.

»Hier hinein kommen die Armen,« sagte mein Freund.

»Also werden die Särge hier wahrscheinlich schichtenweis beigesetzt?« frug ich – »aber da ist’s doch nicht recht, daß sie nicht wenigstens ein Dach gegen den Regen darüber machen – das Wasser muß sich ja da unten sammeln.«

»Ich weiß nicht einmal, ob sie Särge haben,« lautete die Antwort; »mir ist nur gesagt daß man sie in den Kasten, die da drinne stehen, hier herausträgt, und da geht doch keinenfalls ein Sarg hinein.«

»Nun, ohne Särge wird man sie doch nicht hier in das offene Loch legen,« erwiederte ich ihm ungläubig, »so begraben ja die Wilden nicht einmal ihre Todten – sehen Sie das Schwarze da unten, von dem der Sand heruntergerutscht ist, das muß jedenfalls ein Sarg seyn.«

»Ein Sarg? wohl schwerlich, es ist rund und unegeal – wahrhaftig, das ist eine Leiche—sehen Sie die Feuchtigkeit, die da an der Seite herauskommt? – da unten liegt auch ein Kinderschuh.« —

»Ein Schuh?« – erwiederte ich schaudernd, denn der einmal geweckte Verdacht überschaute jetzt schärfer und aufmerksamer die früher nicht beachteten Erhöhungen und Vertiefungen der Grube – der Schuh stand aufrecht auf dem Hacken, der Sand, der von ihm ausging, lag gerade da, nach der Ecke hinauf, höher als anderswo – auch das war eine Leiche.

»Sie bewundern wohl hier die Katacomben, Gentlemen,« näselte in diesem Augenblick ein Amerikaner, der ganz unbemerkt zu uns getreten war, »ja, sie haben hier in Valparaiso eine ganz freundliche Art, ihre Todten unter, oder eigentlich genau genommen, nur in die Erde zu bringen, denn unter die Erde kann man das doch eigentlich nicht gut nennen, wenn Einem nachher noch Arme und Beine herausstrecken.«

»Also sind das wirklich Leichen, die dort unten ohne Sarg und kaum mit einer Handvoll Erde bedeckt liegen?« frug ich, und konnte mich dabei eines unwillkürlichen Grausens nicht erwehren.

»Treten Sie einmal dort unter den Wind,« sagte der Amerikaner lachend, »dann können Sie mir die Antwort ersparen; man braucht kein Indianer zu seyn, um da Menschen zu wittern. Beugen Sie sich übrigens einmal ein wenig vornüber – sehen Sie den Ellbogen hier in der Ecke? – das ist eine Frau, die sie gestern hinuntergeworfen haben.«

»Hinunter geworfen?« rief ich fast unwillkürlich – »von oben hinunter?«

»Ha ha ha! Fremder, you’re green yet,« amüsirte sich der Yankee, »hier werden mit den abgetragenen »Seelfutteralen« nicht viel Umstände gemacht. Es ist dieß übrigens das beste Mittel gegen das »lebendig begraben werden« – vor dem ich, beiläufig gesagt, allen möglichen Respekt habe, das wohl je erfunden wurde. – Ist man noch nicht todt, so bricht man ziemlich sicher beim »Beisetzen« den Hals, und wäre selbst der zäh genug, einen solchen Sprung auszuhalten, und käme man später da unten wieder zur Besinnung, ei, so braucht man nur einfach aufzustehen, sich das Bischen Erde abzuschütteln und an der hier lehnenden Leiter hinauszusteigen – hat man sich nachher den Sand etwas aus den Haaren gekämmt, so sind alle Spuren der Beerdigung verschwunden.«

»Aber hinunter geworfen werden die Leichen doch nicht,« entgegnete ich dem Mann, und zwar keineswegs in einer Stimmung auf seine Scherze einzugehen – »die Leiter ist doch jedenfalls dazu da sie hinunter zu tragen

»Wenn Ihnen das so unglaublich scheint,« entgegnete der Amerikaner, »so seyn Sie so gut und sehen Sie einmal jene Ecke dort an – dort, wo die verschiedenen Fetzen von alten Kleidern hängen – denken Sie denn daß mit einem armen Teufel, mit dem nur eben Leute genug gehen ihn herauszuschleppen, große Umstände gemacht, und etwa gar noch Leute herbeigeholt werden ihn sanft und bequem hinunter zu legen? Gott bewahre, die Träger kommen in einem halb Trott, und immer dabei ihr Santa Maria ec brummend, an die Grube hier – die Leiche liegt offen, gewöhnlich in ihrer Alltagstracht, manchmal wenn die Verwandten es daran wenden können, in ein schwarzes Tuch eingeschlagen, in diesem ebenfalls offenen Kasten, von denen sie ein paar da drinnen sehen können, und am Rande dieses freundlichen Plätzchens sendet ein plötzlicher Ruck und Wurf den Cadaver zum Ort seiner Bestimmung nieder. Nachher steigt einer von ihnen hinunter die Leiche gerade zu ziehen – nicht etwa der Leiche wegen, sondern nur damit sie nicht mehr Platz wegnimmt, als unumgänglich nöthig ist. Von oben hinunter werden dann ein paar Schaufeln voll Erde geworfen; auch wieder nicht der Leiche, sondern nur des Geruches wegen, und das Begräbniß ist beendet. Sind ihrer mehre dabei, so fassen sie den Körper wohl bei Armen und Beinen an und reichen ihn sich hinunter, sonst aber nicht – ich bin schon, wie manchmal, dabei gewesen. Sehen Sie dort drüben, in der einen Ecke, wo das halbe Gerippe noch in seinen alten Lumpen aus der Erde vorschaut, dort werden sie gewöhnlich »abgeladen.« Die Knochen da bröckeln sich bei der Gelegenheit auch langsam mit los und jeder neue Leichnam nimmt sich ein paar mit zum Andenken in die Tiefe.«

»Doch Gentlemen,« unterbrach er sich plötzlich, »der Aufenthalt hier ist nichts weniger als angenehm, der Wind kommt bald von der, bald von jener Seite und so sehr ich auch die Todten achte, so rieche ich sie doch nicht gern.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und schlenderte pfeifend an dem Gebeinkäfig vorüber, dem Ausgang zu.

»Nun wollen wir auch noch den protestantischen Kirchhof besuchen«, sagte mein Freund, »er liegt hier gerade gegenüber und ist zwar einfach, denn von einer hohen Mauer rings umgeben fehlt ihm die schöne Aussicht, fehlen ihm die prachtvollen Monumente, ihm fehlt aber auch Gott sey Dank dafür eine solche Leichenkuhle – mich ekelts hier bei den Todten.«

Fast willenlos folgte ich ihm, denn ich muß aufrichtig gestehen, das Widerliche des eben gesehenen Grabes hatte, vielleicht auch weil es so ganz unerwartet gekommen, einen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich den gar nicht so schnell wieder abzuschütteln vermochte. Wir schritten langsam zwischen den Gräbern hin, dem kleinen Gärtchen wieder zu, aber ich hatte keine Augen mehr, weder für die Monumente noch die Blumen – immer und immer wieder kehrte mein Blick von ihnen nach jenem Erdhaufen zurück und gerade sie mit dem blau und freundlich darüber ausgespannten Himmel machten den Gegensatz nur noch furchtbarer. Ich war ordentlich froh, als wir den Platz verlassen hatten.

 

Dicht neben dem katholischen Kirchhof, und von diesem nur durch einen Fahrweg getrennt, ebenso wie dieser aber von einer hohen Mauer eingeschlossen, liegt der protestantische Gottesacker von Valparaiso – eine gewiß lobenswerthe Toleranz der jetzigen Regierung, wenn man bedenkt, wie noch vor gar nicht so langen Jahren die Inquisition an den Ufern des stillen Meeres gewüthet hatte. Ihm fehlte allerdings die prachtvolle Aussicht des katholischen Kirchhofs, ihm fehlten die kostbaren Monumente, ja ich weiß nicht einmal ob ein protestantischer Geistlicher die Aufsicht über den »geweihten Grund« hatte – aber dafür lag Arm wie Reich in seinen stillen Gräbern friedlich nebeneinander. Einfache Steine oder Kreuze standen zu Häupten der Geschiedenen; die Zurückgebliebenen konnten Blumen auf die Gräber ihrer Lieben pflanzen und den Ort besuchen, ohne mit Schaudern vor ihrer letzten Ruhestätte zurückzubeben.

Besonders viel Matrosen schienen hier, den verschiedenen Inschriften nach, beigesetzt zu seyn, auf deren Denkplatte oder noch häufiger auf den einfach hölzernen Kreuzen ein paar Verse die Trauer der Kameraden oder eine kurze Betrachtung ausdrückten. Ja ich fand sogar hie und da einen gewissen seemännischen Humor, der sich bis auf das Grab hinaus erstreckt hatte.

So lautete die eine Grabschrift Isaak Tickell’s von Ihrer Majestät Schiff Präsident:

Shipmates, all my cruise is up

My body’s moor’d at rest

My soul is – where?? – aloft of course,

Rejoicing with the blest.

Kameraden, meine Fahrt ist aus,

Mein Körper liegt ruhig vor Anker,

Meine Seele ist – wo? – nun natürlich noch oben,

Und jubelt mit den Seligen.

Eine andere:

The commodore short warning gave

For me, to anchor ship

My moorings hard and fast are laid

Till signal’s made to trip.

Der Commodore gab kurze Ordre

Mein Schiff vor Anker zu legen,

So lieg ich denn hier hart und fest

Bis das Signal zum Lichten gegeben wird.

Wir fanden noch mehre ähnliche Inschriften und verließen endlich den Kirchhof, wieder in die Stadt hinunter zu steigen. Mir kam aber die Grube nicht aus dem Gedächtniß – nicht vergessen könnt’ ich die Leichen die dort oben, wild und bunt durch und übereinander geworfen, und kaum mit einer Hand voll Staub bedeckt, in Sonne und Regen lagen, und am nächsten Morgen wanderte ich, trotz dem Schauder den ich beim ersten Anblick empfunden, doch wieder hinauf, den Gottesacker zu besuchen.

Gottes Acker das Wort klang mir, wenn ich neben der schauerlichen Grube stand, wie die fürchterlichste Ironie. Ein Acker Gottes sollte das seyn? – eine Düngergrube war’s in die man menschliche Wesen, oft noch warm – denn der Südamerikaner läßt die Leichen, besonders die der Aermeren manchmal kaum acht oder zehn Stunden über der Erde – hinabgeworfen. – Aber selbst der Schauder den ich empfand, hatte eine Art schwer zu beschreibenden Reizes für mich. So eiskalt es mir jedesmal über Herz und Seele lief, wenn ich später die Nähe des Schreckensortes betrat, so konnte ich doch auch – ich glaube wenn ich selbst gewollt hätte, den Platz nicht mehr meiden. So muß, jenem naturhistorischen Märchen nach, dem Vogel zu Muthe seyn, der von den fest auf ihn gerichteten Blicken der Schlange wie betäubt, den Ort der Gefahr meiden will, und statt ihn zu fliehen, nur näher und näher dahin gezogen wird.

Tag für Tag ging ich hinauf, manchmal sogar zweimal, und die Leichen in der Grube kamen mir zuletzt vor wie alte Bekannte, auf deren Gesichter ich mich nur nicht mehr recht besinnen konnte. Der Knabe in der Ecke mit dem vorgestreckten Bein und der schwarze Leichnam an der Seite – der braune Todtenkopf, der dort so stier und ernst nach dem blauen Himmel – halt – am zweiten Tag hatten die da unten Besuch bekommen. Dort lagen ein paar Füße die ich noch nicht kannte – die Schuhe waren oben aufgeschnitten – den Mann drückten seine Hühneraugen nicht mehr – und rothe Fußlappen schauten durch.

Das Frauenkleid, was am andern Morgen unter dem Sand vorschimmerte, mußte auch über Nacht eingeführt seyn – ich war noch spät, am Abend vorher, oben gewesen, und hatte nichts von ihr gesehen, und mein alter Freund, das Gerippe – wie rauh sie mit dem umgegangen – die Hälfte der Rippen lag unten; das hatte jedenfalls der Mann mit den rothen Fußlappen gethan.

Eins that mir weh – so kalt und öde lagen die Leichen da unten in ihrer Gruft, keine einzige Blume war ihnen mitgegeben in das traurige Grab – kein Zeichen der Liebe, keines, der Trauer um die Hingeschiedenen, und da draußen blühten so viele Blumen.

Am nächsten Tage war ich Morgens, unterhalb des Leuchtthurms, am Seegestade, um nach ankommenden Schiffen auszuschauen und Massen von Blumen wucherten dort, wohinaus die Brandung mit ihren peitschenden Salzarmen nicht langen konnte, zwischen den Steinen und Klippen. Sternblümchen besonders viel, und eine andere Art, die genau wie unsere Maiblumen dufteten, und rothe glockenartige Blüthen. Von den allen pflückte ich einen großen mächtigen Strauß – das ganze Taschentuch hatt’ ich voll, trug sie geraden Wegs auf den Kirchhof hinauf, und streute sie dort über die armen Verlassenen – Vergessenen – in die Grube. Auch das Gerippe bekam sein Theil, es sah aber gar so wunderlich aus, wie die Blüthen in den gräßlichen Ueberbleibseln eines Menschen hingen.

Ich bekam jetzt eine ordentliche Sehnsucht darnach ein Begräbniß mit anzusehen – so oft ich das Grab besuchte war fast stets ein neuer Gast eingekehrt, und keiner mir vorher vorgestellt worden – ich wollte auch einmal bei der Einführung seyn. Dieß Verlangen wurde noch gesteigert als ich erfuhr, daß man in Valparaiso die Todten alle um Mitternacht begrabe. Mit dem Glockenschlag zwölf verlassen die Träger mit der Leiche das Haus oder Schiff, und ziehen mit Laternen, deren Anzahl sich natürlich nach dem Reichthum des Verstorbenen richtet, dem Kirchhof zu; mir wurde auch gesagt, ich brauche mich nur eine einzige Nacht gerade vor zwölf Uhr vor dem Gottesacker einzufinden, und ich würde nicht vergeblich warten, denn es verginge selten eine Nacht, in der nicht wenigstens eine Leiche begraben würde.

In der ersten Nacht traf ich es aber doch so, und saß fast bis um ein Uhr an dem steilen Hügel, dicht unter der Mauer und harrte umsonst – es kam keine Leiche. In der zweiten Nacht war ich glücklicher; gleich nach drei Viertel auf zwölf saß ich schon auf meinem Posten, und der Mond schien hell und klar auf die mir gegenüberliegende zerrissene Schlucht, deren einen Abhang der Gottesacker deckt und auf die an der anderen Seite darüber hingestreuten kleinen Gebäude nieder. Da pfiffen in der Stadt die Wächter und schrieen Stunde und Wetter ab, und von einem der Schiffe in der dunkeln Bai löste sich fast in demselben Moment ein Boot ab, und sechs kleine, aber scharf abgezeichnete Lichter blitzten auf der fast schwarzen Fläche und glitten rasch dem Ufer zu. Kaum konnten sie dieß berührt haben, als auch die Lichter schon in der Straße sichtbar wurden und sich jetzt die schmale düstere Straße heraufzogen, die vom Strande ab gleich nach dem Gottesacker hinaufführte und die Kirchhofsgasse genannt wurde.

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