Wilde Welt

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Diego preßte das Glas, das er in der Hand hielt, so fest zusammen, daß es in Stücken sprang und der Wein ihm über die Hand und zu Boden lief.

„Caramba, Compaňero," rief er lachend aus, „Ihr führt schwaches Geschirr - ein anderes Glas für einen Toast."

„Bravo!" stimmte der Officier ein - „da seid Ihr mein Mann. So recht: füllt es bis zum Rande. Viva la confederacion – mueran – “8

„Los Unitarios!“ rief rasch Diego, sein Glas erhebend - „Tod allen Feinden."

Alles sprang von den Sitzen auf, dem Toast die nöthige Ehrfurcht zu erweisen, nur Josefa, das Gesicht in der linken Hand bergend, blieb sitzen.

„Seňorita, wir trinken der Federation," sagte der Officier.

Diego bog sich zu ihr und flüsterte:

„Meinen Toast dürft Ihr trinken."

Josefa richtete sich auf; sie war den Zwang der Republik gewohnt, und ihr Glas ergreifend, neigte sie es gegen den Fremden und nippte daran. Ihre Blicke begegneten sich dabei, und Diego sah in dem Glühen ihrer Wangen, dem Brennen ihres Auges den furchtbaren Haß, dessen Erfüllung sie von dem Schicksal brünstig erbat, als sie den Becher an die Lippen brachte.

„Ihr aber, Compaňero," wandte sich der Officier, dem das Betragen der Beiden nicht recht gefiel, plötzlich an den Fremden - „habt bei Eurem Toast die üblichen Beiworte weggelassen – salvajes, immundos asquerosos Unitatrios, die Devise unserer Bänder - doch ich sehe nicht einmal eins bei Euch? wo ist das?"

„Fragt den Pampero," lachte Don Diego, „in welchen Winkel der Pampas er es gefegt hat, wenn er es nicht in diesem Augenblick selber nach Buenos Ayres hinüberträgt. /18/ Außerdem bin ich ein freier Gaucho und kann tragen was ich will."

„Die Montevideer und die verdammten Unitarier nennen sich auch Gauchos," rief der Officier, emporfahrend, „ich hoffe nicht, daß -"

„Musik, Seňorcs, Musik," fiel hier der Wirth ängstlich in das Gespräch, denn den Officier durfte er nicht beleidigen, und den freigebigen Fremden hätte er um Alles nicht an seinem Tische missen mögen - „Ihr vergeßt ganz die Hauptsache. Die Seňoritas sitzen da und warten mit Schmerzen auf die versprochenen Lieder, und die Guitarre liegt stumm und todt auf dem Tisch. Das ist nicht Sitte in den Pampas, wenn Ihr's auch so vielleicht in Buenos Ayres haltet."

„Wahr, wahr, Amigo!" rief der Fremde, dem selber daran lag, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. „Wir dürfen die Seňoritas nicht kränken und langweilen. Gebt uns ein Lied, Seňor, Ihr spieltet so meisterhaft, als ich das Haus betrat, daß Ihr es mir nicht übel nehmen dürft, wenn ich mehr davon verlange."

„Dann haben wir nachher einen Rundgesang," rief der Wirth, dem fröhlich beistimmend, „ich hole alle Guitarren zusammen, die zu haben sind. Caramba, das soll ein fröhlicher Abend werden!"

Der Officier, durch das Lob des Fremden geschmeichelt, hatte die Guitarre aufgenommen, und ohne seine vorige Frage zu wiederholen, griff er einige Accorde und schien seine Gedanken zu dem bevorstehenden geistigen Wettkampf zu sammeln; Don Diego aber war aufgestanden und zur Thür getreten, zu sehen, ob der Sturm nachgelassen hätte. Der Pampero war auch in der That vorübergebraust; ein ziemlich frischer Südwind strich über die Ebene, und hell und klar funkelten die Sterne am Himmel. Nur fern im Norden lag noch eine düstere Wolkenschicht, und das Wetterleuchten dort drüben verrieth den Weg, den die furchtbaren Gewitter genommen hatten.

Don Diego lauschte die Straße auf und ab. Hatte Osantos wirklich gewagt, den mit Militär erfüllten Ort zu betreten? - Nirgends ließ sich ein Reiter erkennen; die Straße /19/ war vollkommen menschenleer, und nur aus einigen der benachbarten Häuser tönte der Klang von Guitarren und Liedern.

Als er in's Zimmer zurückkam, faud er die Tische schon zur Seite gerückt und die Stühle gestellt. - Die jungen Mädchen saßen an der einen Seite der Stube; dicht vor ihnen, und ihnen halb zugedreht, der argentinische Officier, die Guitarre im linken Arm und mit den Fingern der rechten Hand leicht die Saiten im Fandangotact schlagend. Drei oder vier andere Gauchos, die ihm gegenüber saßen, hielten ebenfalls Guitarren in den Händen, und suchten sie alle gleich zu stimmen, daß der Wechselgesang nicht durch einen Mißton gestört würde.

„Und spielt Ihr auch das Instrument, Seňor?" frug der Officier, als Don Diego durch die Stube schritt und, die Plätze neben den jungen Damen besetzt findend, einen Stuhl dem Soldaten gegenüber einnahm.

„Ein wenig wohl," erwiderte der Fremde, „aber meine Hand scheint sich besser mit den Schnüren von Lasso und Bolas, wie mit den dünnen Saiten der Guitarre zu befreunden. Nichtsdestoweniger ist mir der Gesang das Liebste auf der Welt."

Der Officier nickte lächelnd mit dem Kopf, und dann einige kräftige Accorde als Introduction anschlagend, begann er mit melodischer Stimme ein kleines spanisches Liebeslied, bei dem er ziemlich deutliche Blicke nach der schweigend vor sich nieder sehenden Josefa warf:

„Sag' mir, daß Du mich magst, Caramba,

Liebst von ganzem Herzen -

Lieb' ich's, wenn Du mir's sagst, Caramba,

Wollen dann singen und scherzen.

Heute wag' ich es kaum, Caramba,

Alles Dir zu verkünden.

Morgen wird wie ein Traum, Caramba,

Sorgen und Leid verschwinden. -

Sag' mir. daß Du mich magst, Caramba,

Liebst von ganzem Herzen,

Lieb' ich's, wenn Du mir's sagst, Caramba,

Wollen dann singen und scherzen."

/20/

Eins der jungen Mädchen hatte indessen ihrem Nachbar die Guitarre aus der Hand genommen, und mit einem leisen Lächeln präludirend, sang sie mit einer glockenhellen Stimme:

„Es sprengt ein Reiter die Steppe her -

Die Hufe berührten den Boden kaum.

Er kam herüber vom weiten Meer -

Und fand in den Pampas 'nen Ombubaum.

Einen Ombu, so hoch wie er keinen gesehn.

Und oben im Wipfel in Glanz und Licht,

Da saß ein Vogel so wunderschön -

Der Reiter verlangt ihn - bekommt ihn nicht."

Rasch griff der Argentiner in die Saiten:

„Da nimmt er den Lasso und wirft ihn hinein -

Die Schlinge fliegt aus und der Vogel ist sein."

In der Ecke saß ein alter Gaucho mit wildem, wirrem Bart, den Hut fest über die Augen gezogen. Er hatte bis jetzt mit seiner Guitarre die vorigen Melodien begleitet. Jetzt that er einen schrillen Griff und antwortete mit hoher, komisch klingender Fistelstimme, die Erwiderung des Mädchens nachahmend :

„Der Lasso ist kurz, und der Ombu ist hoch;

Das erste Mal nicht, daß der Wurf ihn betrog."

Die Zuhörer lachten, aber trotzig sang der Soldat:

„Und reicht nicht der Lasso - die Bolas zur Hand,

Die bringen den Vogel gewiß in den Sand."

Da sang die eine Wirthstochter wieder:

„Ei wollt Ihr mit Bolas ein Mädchen frei'n,

So möcht' ich Euch rathen, Seňor, laßt es sein.

Eine freundliche Statt findet wohl ein gut Wort,

Aber droht mit Gewalt und - der Vogel fliegt fort."

„Und flög' er auch fort," - sang der Officier,

„laß ihn fliegen, mein Kind, Ich sitze im Sattel und folge geschwind.

Den Zügel verhängt und den Lasso zur Hand,

/21/

Durch Dornen und Busch und den lockeren Sand,

Wohin er auch flöge, ich bleibe ihm nah.

Und setzt er sich einmal - im Nu bin da."

Da nahm Don Diego die neben ihn hingelegte Guitarre, und während keiner der anderen Gauchos es wagte, dem übermüthigen Soldaten entgegen zu treten, begann er mit leiser, aber wunderbar ergreifender und zum Herzen sprechender Stimme, die aber gegen das Erde des Verses mächtig anschwoll:

„Es war ein Vogel, so wunderschön.

Ich habe noch keinen so weiter gesehn.

Der kam von Osten, weit über das Meer,

Er brachte den Oelzweig im Schnabel her.

Sein Kleid war silbern, mit himmlischem Schein,

Er sang so lieblich - frei sollt Ihr sein!

Er brach die Ketten - des Spaniers Joch,

Er hieß „libertad" - und heißt so noch!"

,,Bravo - bravo!" jubelten die Gaucho's dem Sänger zu; der Alte mit dem greisen Bart aber griff wild in seine Saiten und sang mit voller, tönender Stimme:

„Und frei war das Volk und frei war das Land,

Das alle Stämme wie Brüder verband.

Ein Jubelschrei ging vor der Botschaft her,

Vom Atlantischen hin bis zum Stillen Meer."

Wieder griff Don Diego einige Accorde, und während ihm Alles still und schweigend lauschte und Josefens Auge besonders in wachsender Spannung an seinen Worten hing, begann der Fremde wieder, kaum die Saiten berührend:

„Da kam ein Jäger mit wildem Troß,

Der traf den Vogel mit seinem Geschoß,

Verschwunden war da der Farben Gluth,

Der Vogel zuckte jetzt roth im Blut!"9

/22/

Die Anspielung war zu deutlich, und der argentinische Officier, dem das Blut in die Schläfe schoß, entgegnete zornig, dem Fremden ohne Weiteres in sein Lied fallend:

„Du hast ihn bezeichnet den Feigen, Gesell,

Lavalia hieß er - doch mächtig und schnell

Erschien auch der Retter in dieser Noth

Und traf jenen feigen Verräther zum Tod.

Don Manuel Rosas war es - in Lust

Jauchzt ihm entgegen jedwede Brust,

Sein Schrei aber: Nieder der Schurken Troß

Mueran los Unitarios,

Und hoch auf den Händen, vom Volk gestellt,

Trug es den hohen, den göttlichen Held-

Trug es der Pampas würdigen Sohn,

Mit dem Rufe: Viva la federacion!"

 

Noch hatten sich die Insassen des Zimmers nicht entscheiden können, ob sie, schon aus alter Gewohnheit, in den Landesruf mit einstimmen sollten, als Diego, von seinem Sitz emporspringend, und wild dazu seine Saiten schlagend, einfiel:

„Viva la confederacion!

Den Schrei geb' ich mit, den Verräthern zum Hohn.

Viva das Volk und des Volkes Hort,

Die freie Wahl und das freie Wort -

Zu Boden mit Jedem, der wieder versucht,

Das Gut uns zu rauben der frech und verrucht

Den Gaucho auf's Neue mit Ketten bedeckt,

Die Freiheit entehrt und den Namen befleckt.

Und wie er auch heiße, und wer er auch sei.

Zu Boden mit ihm, denn der Boden sei frei!"

Es wäre unmöglich, den Tumult zu schildern - den diese wenigen Reime in der Versammlung hervorriefen.

„Viva la libertad!" donnerte der alte Gaucho mit dröhnender Stimme, „viva la libertad!“ tobten alle anwesenden Gauchos im Jubelruf mit ein, und nur der argentinische Officier stand schweigend, zürnend dazwischen. „Viva la libertad!" war auch Rosas' Schlagwort, aber er fühlte recht gut, daß die Männer hier die Freiheit nicht meinten, die ihnen der Dictator gebracht, und daß ein gefährlicher, rebel-/23/lischer Geist in den Burschen stecke. Wie aber war dem zu begegnen?

Noch dauerte die Aufregung, die das letzte Lied hervorgerufen, als eins der Mädchen, das durch Zufall den Blick auf das Fenster geworfen, laut und erschreckt ausrief:

„l,os indios! Gott sei uns gnädig."

Rasch drehte Don Diego den Kopf dorthin; aber er sah nur noch, wie, einem Schatten gleich, ein dunkler Schein vom Fenster glitt.

„Dort, dort war es!" wiederholte das Mädchen, den zitternden Arm der Gegend zustreckend, wo sie die Ursache ihres Schreckens gesehen haben wollte. Als ihr Aller Augen aber dahin folgten, ließ sich nichts weiter erkennen, und ein Theil der Gäste drängte jetzt der Thür zu, um die Straße draußen zu untersuchen.

IV.

Nur der argentinische Officier war noch zurückgeblieben und wandte sich, während sich Don Diego wieder auf seinen Stuhl niederließ und sein Glas füllte, an das junge Mädchen, um genauer zu erfahren, was sie so erschreckt habe.

Beatriz, des Wirthes Tochter, konnte ihm aber nichts weiter sagen, als daß sie einen dunkeln Kopf mit glühenden Augen am Fenster gesehen und im ersten Augenblick geglaubt habe, es sei ein Indianer. Die Bewohner der Pampas dachten in damaliger Zeit ja fast an nichts weiter, als an jene wilden Horden.

Nun war es schon außerordentlich unwahrscheinlich, daß sich ein einzelner Wilder hier in das von Soldaten gefüllte Städtchen gewagt haben sollte. Außerdem befanden sich aber unter dem argentinischen Militär eine Menge Mulatten und Neger, und jedenfalls hatte einer von diesen - wenn überhaupt Jemand - in das Fenster hereingesehen. Nichtsdestoweniger erforderte es die Pflicht des Officiers, nachzuschauen, und es gefiel ihm nur nicht, den ihm überhaupt verdächtigen /24/ Fremden mit den Mädchen allein zu lassen. - Aber was konnte er auch in den wenigen Minuten thun? Er war jetzt Commandirender in Cruzalta, und daß ihm der Fremde da nicht lästig werden sollte, dessen war er gewiß. - Was brauchte ein Officier der Argentinischen Republik oder vielmehr des allmächtigen Rosas auch große Umstände zu machen!

Er verließ das Zimmer, und Don Diego saß noch immer ruhig auf seinem Stuhl, nahm die Guitarre wieder und spielte leise und wie in Gedanken ein kleines spanisches Lied. Wieder und wieder schweifte sein Blick nach dem schönen fremden Mädchen hinüber, das sich jetzt mit den Freundinnen in die entfernteste Ecke des Zimmers zurückgezogen hatte, und nur Auge und Ohr für dieselben zu haben schien.

Der Wirth, der mit den Uebriqen vor die Thür getreten war, kam jetzt zurück, und sich neben Diego niedersetzend, sagte er lachend:

„Du hast einen schönen Lärm geschlagen, Beatriz, und mir die Gäste im Nu aus dem Haus gejagt. Ihr glaubt gar nicht, Seňor, welche Furcht die Dirnen vor den Indianern haben. Ich bin fest überzeugt, sie begegneten viel lieber dem leibhaftigen Gottseibeiuns auf den Straßen, als einem dieser kupferbraunen Burschen."

„Und habt Ihr sie schon hier in der Nähe gespürt?" frug Diego gleichgültig.

„Caramba, ja," sagte der Wirth schnell. „Ausgesandte Spione haben vor einigen Nächten gar nicht so weit von hier entfernt ein Lager der verwünschten Rothhäute angetroffen, - ihre Feuer wenigstens gesehen; denn sie getrauten sich nicht weiter hinan. Als die Soldaten aber von hier am nächsten Morgen dorthin aufbrachen, fanden sie keine Seele mehr daheim. Die Horde war wieder abgezogen, weil sie die Gegend für doch nicht so ganz sicher halten mochte."

„Und wie stark mag der Trupp gewesen sein?"

„Den Zeichen nach fünfzig Mann. Die Schurken ziehen ja gewöhnlich in so kleinen Banden umher, um einzelne Hütten zu überfallen und zu plündern und gelegentlich eine Heerde mit fortzutreiben. Der Correo wird einen schweren Stand haben, diesmal durchzukommen. Man munkelt schon wieder /25/ davon, daß sie Weiße zu Anführern hätten. Unitarier," - setzte er leise flüsternd hinzu, - „die sich der gerechten Regierung Sr. Excellenz nicht unterwerfen wollen."

„Das alte Lied," sagte Don Diego, mit den Achseln zuckend, - „aber wann glaubt Ihr wohl, Seňor, daß der Correo hier eintreffen kann? Ich erhoffe Briefe von Buenos Ayres, und möchte ihn gern erwarten, - Euch jedenfalls bitten, wenn ich früher fort müßte, meine Briefe hier zurück zu behalten. Meine nähere Adresse werde ich Euch noch geben."

„Wenn der Correo überhaupt unter den jetzigen Verhältnissen aus der „Stadt" ausgebrochen ist," sagte der Wirth, „so muß er morgen zu Mittag hier sein. Ich habe ihn eigentlich heute schon erwartet; denn er reitet gewöhnlich am 17. Von Buenos Ayres ab und übernachtet in der letzten

Estancia."

„Desto besser, dann treff' ich ihn gewiß," sagte Don Diego und die Guitarre neben sich hinlegend, nahm er aus seinem Gürtel ein kleines Stück Papier, schrieb mit einem Bleistift ein paar Worte darauf und schob es zurück. Langsam hob er dabei den Blick und begegnete dem Auge Josefa's, die vor dem Ausdruck in den Zügen des Fremden zusammenschrak. Der Blick galt ihr und barg ein Geheimniß.

„Seňor," flüsterte da der Wirth an seiner Seite, „wollt Ihr auf guten Rath hören?"

„Gewiß," sagte Don Diego rasch, „in diesen Zeiten ist ein guter Rath oft so viel und mehr werth, wie eine gute That."

„Gut - so nehmt Euch vor dem - Herrn Lieutenant in Acht."

„Ihr glaubt?"

„Er hat Böses mit Euch im Sinne," warnte der Mann, noch leiser fast als vorher. „Euer freies und keckes Lied über den Dictator - den Gott erhalten möge - ist ihm in die Krone gefahren, und Ihr wißt, eben so gut wie ich es Euch sagen könnte, daß es in jetziger Zeit wenig mehr als eines Verdachtes bedarf, um Leben und Freiheit irgend eines Menschen zu bedrohen?“ /26/

„Und nennt Ihr das ein freies Land?" lachte Don Diego verächtlich vor sich hin.

Der Wirth zuckte, während er einen scheuen Blick über die Schulter warf, mit den Achseln.

„Don Manuel ist allmächtig," setzte er dann flüsternd hinzu, „und gegen den Stachel kann Niemand lecken. Mir juckt die Kehle schon bei dem bloßen Gedanken, daß ich einmal den Unwillen des - des Herrn erregen könnte. Ich beschwöre Sie also -"

„Habt keine Angst um mich, Freund," erwiderte ruhig Don Diego, „übrigens danke ich Euch für die Theilnahme, die Ihr mir bewiesen. Selbst das ist schon mehr, als ich zu erwarten hatte - und nun macht Euch weiter keine Sorgen. Ich glaube, die Leute kommen zurück; Caramba, wäre es denn nicht möglich, heut Abend einen kleinen Fandango zu arrangiern? Es ist noch früh, und die Zeit vergeht beim Tanze rascher als je. Wie wäre es, Senoritas, wer von Ihnen hätte Lust, daran Theil zu nehmen?"

„Ach, an Mädchen soll cs nicht fehlen," lachte der Wirth, damit vollkommen einverstanden. „Wenn's einen Fandango giebt, habe ich in fünfzehn Minuten die ganze Nachbarschaft auf den Beinen."

„Und die Indianer?"

„Thorheit, - wer weiß, was für ein Mulattengesicht die Dirne gesehen hat. So frech sind die Burschen nicht, daß sie stch in des Tigers Rachen wagen sollten. Hier, Beatriz - hier, Mareguita, nehmt die Guitarren. Donna Josefa müßt Ihr entschuldigen, Seňor - sic trauert um liebe Freunde - nehmt die Guitarren, Mädchen, und beginnt die Melodie. Wir haben der ernsten Stoffe heute gerade genug gehabt."

Don Diego war aufgestanden, und seine Guitarre einer der jungen Damen überreichend, bog er sich dabei über Josefa hinüber. - Wieder hatte sein bittender, mahnender Blick sie getroffen, und zusammenschreckend fühlte sie, wie er unter der Guitarre einen kleinen Zettel in ihre Hand drückte. Im nächsten Augenblick trat er zurück und hatte gerade seinen Platz auf's Neue eingenommen, als die übrigen Gäste lachend und zusammen plaudernd zurückkehrten. /27/

Der Blick des argentinischen Officiers fiel zuerst wieder auf den Fremden, aber die muntern Töne der Guitarre regten in dem lebensfrohen Völkchen rasch die Lust zum Tanz. Die Stühle wurden bei Seite geschoben, die Tische aus dem Wegc gerückt, und ein paar junge Gauchos zogen lachend die Wirthstochter mit ihrer Base in die Mitte der Stube und begannen mit ihnen, während die Aelteren der Gesellschaft die Instrumente aufgriffen und ohne Weiteres in den volksthümlichen Tact- einfielen, den fröhlichen Fandango.

Der Wirth hatte dabei nicht zu viel versprochen und in weniger als einer Viertelstunde alles Tanzfähige ans dem kleinen Ort zusammengerufen. Das geschah aus so eigenthümliche wie ächt argentinische Art. Sein draußen angebundenes Pferd nämlich besteigend - denn es fällt keinem Gaucho ein, auch nur hundert Schritt zu Fuß zu gehen, wenn er nicht nothgedrungen muß - galoppirte er die Straße hinab; an jeder Thür aber zügelte er ein, schrie das Wort „Fandango" hinein und sprengte dann weiter. Große Toilette brauchten die Damen ebenfalls nicht zu machen; sie warfen ihre Mantilla um, und der Anzug war vollendet. Wie auch immer dabei die politischen Verhältnisse des Landes standen, ja, wenn die Indianer selber draußen im Lager gewesen wären und sie bedroht hätten, der Aussicht auf einen Fandango würden sie doch nicht haben widerstehen können, - noch dazu mit einem Lieutenant und zwei Fähnrichen im Ort. Wer wußte denn, ob ihnen solche Gelegenheit so bald wieder geboten wurde.

Bald nahm auch der Tanz Aller Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch. Während ihn aber im Ansang ein und zwei Paare abwechselnd aufführten, trat, wie der Abend weiter vorrückte, auch wohl eine einzelne Senorita auf. Stumm und lautlos schauten ihr dann die Uebrigen zu; aber ein Beifallssturm lohnte sie, wenn sie den schwierigen Anforderungen dieses Tanzes vollkommen genügt hatte. Ja, nicht selten flogen auch kleinere Silbermünzen, selbst Dollars, in den Ring, als ehrendes Geschenk für die Tänzerin, das sie mit einer freundlichen Verbeugung acceptirte und selber aufhob.

Don Diego hatte sich von alle dem ziemlich zurückgehalten. /28/

Es schien fast, als ob er noch einmal Gelegenheit suche, sich Josefa zu nähern. Wäre das aber wirklich der Fall gewesen, so vereitelte sie der argentinische Osficier vollkommen, indem er das trauernde Mädchen nicht aus den Augen ließ.

Wohl hatte Don Pasquale sogar versucht, sie trotz allem Weigern dazu zu bewegen, an dem fröhlichen Tanze Theil zu nehmen; aber sie wies ihn jedesmal, wenn auch nicht unfreundlich, doch ernst zurück, und er ließ sich endlich an ihrer Seite nieder, suchte die Hand zu ergreifen, die sie ihm jedoch entzog, und knüpfte ein leises, lebhaft geführtes Gespräch mit ihr an, das dem schönen Mädchen bald die Thränen in die Augen trieb. - Und dazu tönten die Guitarren, jauchzten die Zuschauer und hüpften die lachenden Tänzer und Tänzerinnen lustig im Zimmer auf und ab. Don Diego konnte den Anblick endlich nicht länger ertragen.

Er sprang auf, und in den Kreis der ihm willig Raum gebenden Zuschauer tretend, fand er Donna Beatriz gerade mitten in einem Fandango, den sic mit unbeschreiblicher Grazie und unter dem Beifalljauchzen der Gauchos ausführte.

Das junge Mädchen tanzte wirklich reizend, und so graziös wie züchtig bewegte sie sich bei den raschen, lebendigen Klängen der Melodie im Kreis und setzte dabei die kleinen niedlichen Füße so zierlich und gewandt, daß, als sie endlich schloß, ein Beifallssturm sie lohnte. Aber dabei blieb es nicht. Ein paar der jungen Burschen hatten rasch ihr Messer bei der Hand, und von den Gürteln die Dollarknöpfe losschneidend, warfen sie die der jungen Schönen zu.

 

„Silber? Caramba!" rief Don Diego, „lohnt Ihr mit Silber einen solchen Tanz? - der verdient Gold, denn es war die reine Musik der Füße, wie sie über den Boden mehr dahin spielten als tanzten," und mit seinem Messer eine Unze vom Gürtel trennend, warf er das große Goldstück vor die Füße des schönen Mädchens, das sich leicht erröthcnd und lächelnd gegen ihn neigte.

„Das ist kein Unitarier, Seňor," flüsterte der Wirth schmunzelnd dem Officier zu, der indessen ebenfalls aufgestanden war, dem Tanze zuzuschauen, „denn denen fehlt's /29/ immer am Besten, am rothen Golde, während es unser Amigo so leichtherzig von sich wirft, als ob er es gestern erst auf der Straße gefunden hätte."

„Der Teufel traue ihm, Compaňero," murmelte der Soldat leise vor sich hin. - „Sein voriges Lied hab' ich ihm noch nicht vergessen, und ehe wir Beiden von einander scheiden, soll er mir noch mehr Rede stehen, als ihm vielleicht lieb ist, oder - wir trennen uns gar nicht so bald wieder. Hat er Euch gesagt, wie lange er hier zu bleiben gedenkt?"

„So viel ich weiß, wartet er auf den Correo," sagte der Wirth, „der ihm Briefe von Buenos Ayres bringen soll."

„Briefe? - hm - es ist gut. Sein Name?"

„Don Diego."

„Aber weiter."

„Thut mir leid, Seňor, weiter kann ich nicht dienen. Ich habe noch nicht mehr davon gehört."

„So sorgt dafür, daß Ihr bis morgen früh mehr davon wißt," sagte der Officier streng. - „Ich weiß nicht, ob ich mich geirrt habe, aber mir schien, als ob Ihr in das vorige Viva la libertad jenes verdächtigen Burschen ebenfalls mit eingestimmt hättet, und da -"

„Seňor, ich bitte Euch um Gottes willen!" rief der Wirth erschreckt. „Ich halte dies Gasthaus nur durch die Gnade Sr. Excellenz, unsers vielgeliebten Don Manuel Rosas, dem der Allmächtige ein langes segensreiches Leben schenken möge. Ihr werdet doch nicht etwa glauben -"

„Ich sagte Euch, daß ich cs nicht gewiß weiß."

„Aber schon ein bloßer Verdacht genügte -"

„Da Ihr das wißt," erwiderte der Officier mit einem bedeutungsvollen Blick, „so denke ich, werdet Ihr auch wohl Alles thun, was in Euren Kräften steht, jeden solchen Verdacht von Euch fern zu halten, oder - wenn er etwa schon gefaßt sein sollte - zu entkräften. Ihr kennt Euren eigenen Vortheil viel zu gut, als daß ich Euch mehr zu sagen brauchte."

„Aber, Seňor, wenn nun -"

„Ruhig - der Tanz ist beendet. Morgen früh erwarte ich Antwort von Euch." Und ohne sich weiter um den Wirth zu bekümmern, drehte sich der Soldat von ihm ab und schritt /30/ dem Tisch wieder zu, an dem Don Diego die Männer jetzt um sich versammelte, ihm Trinken zu helfen.

Die spanische Race ist aber im trinken außerordentlich mäßig, und wenn Don Diego auch wohl unter den französischen Einwanderern in Montevideo andere Sitten angenommen hatte, konnte er hier die Leute doch nicht überreden, mehr als ein oder zwei Gläser von dein starken Wein mit ihm zu leeren. Der Abend war überdies auch schon ziemlich weit vorgerückt; die Frauen und Mädchen zogen sich in ihre verschiedenen Wohnungen zurück, die Männer folgten größtentheils dem Beispiel, und auch für die Gäste der Pulperia wurden, so weit es der Raum erlaubte, die Lagerstätten nothdürftig hergerichtet.

Dazu bedurfte es freilich keiner großen Vorbereitungen. Den Poncho, der die Nacht als Decke diente, führte jeder bei sich, eine Kuhhaut auf den nackten Boden oder auf eine dazu an der Wand angebrachte Lehmbank gebreitet, verrichtete Matratzendienste, der Sattel mit den dazu gehörigen Schaffellen bildete das Kopfkissen und das Bett war fertig.

Eine halbe Stunde später, und nicht ruhiger und stiller lag die Nacht draußen anf der dunkeln schweigsamen Steppe, als auf dem kleinen, von Bewaffneten gefüllten Ort, in dem kein einziges Licht mehr Leben und Bewegung kündete. Aber welch ein lebendiges Bild bot der nächste Morgen.

V.

Hell und klar stieg die Sonne aus dem weiten, ununterbrochenen Horizont der Pampas wie über einem Ocean empor, und der leichte Duft, der auf der Steppe lag, schwand in dem warmen Schein, oder strich in leichten wechselnden, oft phantastischen Schwaden vor der schwachen Ostluft hin, die dem Sonnenaufgang vorauszog. Ueberall, wohin das Auge traf, weideten kleine Hcerden von Rindern und Pferden, in Gruppen über den grünen Plan zerstreut, und besonders stachen /31/ die Rinder mit ihren bunten Farben wunderlich und schroff gegen den hellgrünen Boden ab.

Jetzt wurde es auch in dem Städtchen lebendig. Die Soldaten waren hinausgegangen, um ihre Thiere einzufangen und zu satteln, und hier und da jagten Einzelne, den Lasso um den Kopf schwingend, hinter den wildesten des Trupps her, sie entweder zurück zu treiben, oder mit der sichern Schlinge an ihre Pflicht in deutlicher Weise zu mahnen.

Müßig schlenderten die Gauchos dazwischen herum, und der einzige, wirklich thätige Mensch in Cruzalta trieb ein Pferd in einer wunderlichen Art von Mühle, und lag dabei auf einem von dem Schaft ausgehenden Baum auf dem Bauch, das eingeschirrte Pferd nur manchmal durch einen schrillen Ruf zur Thätigkeit aufschreckend. Die Mühle war dabei so eingerichtet, daß der Stein um jenen aufrecht stehenden Schaft fest saß - der davon ausgehende Baum, auf dem der kleine Bursch lag, diente aber zu gleicher Zeit als Deichsel, das Pferd daran zu befestigen, und während sich dieses im Kreis umherbewegtc und mit dem Schaft auch den Stein drehte, behielt es seinen Kutscher fortwährend hinter sich.

Ein anderer Junge, schmutzig und verwahrlost genug aussehend, mit Hemd, Cheripa und Gürtel, lag ebenfalls ausgestreckt neben der Stelle, wo das fertige Mehl durch einen Beutel von Rindshaut lief, nm das Verschütten dasselben zu überwachen.

Die ganze Arbeit gehörte übrigens zum Luxus des kleinen Ortes, ebenso wie das Mehl, das keineswegs zu Brod, sondern nur zu süßen Näschereien für die Seňoritas verarbeitet werden sollte. Wer von den Leuten dachte hier daran, Brod zu essen, wo sie Fleisch im größten Ueberfluß hatten! In der ganzen Nachbarschaft befand sich auch nicht ein einziges Feld, und der wenige Weizen, der hier und da neben den Häusern in einer ganz abgestreiften Rindshaut aufbewahrt wurde, war mit den Caravanen von dem fern gelegenen Mendoza gekommen.

Ueberall in den Häusern brodelte indessen das leckere Mahl: Fleischstücke auf ein Feuer von getrocknetem Kuhdünger und einigen holzigen Gräsern geworfen, denen der Mateh /32/ vorausgehen und folgen mußte. Die Cigarillen ersetzten danach alle weiteren Genüsse. Aber die rauhen Bewohner der Pampas waren an kein besseres Leben gewöhnt, noch verlangten sie es anders. Fleisch, Fleisch und Fleisch ihre Nahrung, der Sattel ihre Heimath, die Gefahren und Beschwerden der Steppe ihre Unterhaltung und Erholung - eine weitere Anforderung an das Dasein kannten und stellten sie nicht.

Don Diego war heut einer der Ersten mit auf, um draußen nach seinem wackern Thier zu sehen und sich dessen zu versichern. In der Pulperia traf er nachher eben zur rechten Zeit ein, das Frühmahl mit den übrigen Bewohnern zu theilen.

„Ihr wolltet mir Eure Adresse geben, Sektor," redete ihn der Wirth an, als er ihn einen Augenblick allein sprechen konnte, „falls Ihr den Correo verfehlen solltet."

„Allerdings," sagte der junge Mann. „Vor der Hand warte ich aber noch bis Mittag, ob er nicht kommt. Ihr glaubt, daß er bis dahin hier sein könnte!"

„Keine Gewißheit, Seňtor, keine Gewißheit," bemerkte achselzuckend der Wirth. „Jetzt, wo die Indios die Steppe unsicher machen, kann er eben so gut einen, wie acht Tage länger ausbleiben, darf er es doch nicht wagen, des Morgens, sein Nachtquartier zu verlassen, bis sich der Nebel vollständig von der Steppe verzogen hat. Ich - würde gar nicht auf ihn warten, wenn ich wie Ihr wäre," setzte er rasch und leise hinzu.

„Ihr meint wegen des Officiers?" lachte der Fremde. „Der kümmert mich weniger, als Ihr vielleicht denkt. Was kann er mir anhaben?"

„Was können die Soldaten Sr. Excellenz, unseres erhabenen Don Manuel, nicht thun!" erwiderte scheu der Wirth.

„So viel für seine Macht," gab Diego verächtlich zurück, indem er mit dem Finger schnalzte. „Er mag sich hüten, meinen Weg zu kreuzen, das ist Alles, was ich mit ihm noch zu schaffen habe. Aber über Eins könntet Ihr mir vielleicht Auskunft geben, und dabei ist weder Don Manuel, noch Euer Officier im Spiel. Seit wann ist jenes junge, schöne, in Trauer gekleidete Mädchen hier?" /33/

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