Wilde Welt

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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zweite Serie.

Vierter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

Wilde Welt

Gesammelte Erzählungen

von

Friedrich Gerstäcker.

___

Jena, Hermann Costenoble

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig, 2020

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

Die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2020

In den Pampas.

Geschrieben 1864 für Jugend-Album. Blätter zur angenehmen und lehrreichen Unterhaltung im häuslichen Kreise.Hallberger, Stuttgart. Laut eigenhändigem Werksverzeichnis vorgesehen für den Sammelband Buntes Treiben unter dem Titel Die Pampas-Indianer.

I.

Ueber die Steppe brauste der Pampers. Scheu duckte sich das Wild in's hohe Gras, das einem wogenden See fast täuschend ähnlich sah; die Heerden drehten dem Sturm das Rücktheil zu, senkten die Köpfe und schlossen vor den peitschenden Tropfen die Augen. Nur der Strauß kauerte sich, der Windsbraut gerade entgegen, dicht auf den Boden nieder, streckte den langen Hals voraus, den Kopf unter irgend einem Grasbüschel bergend, und ließ das Wetter über seine dicht angeschmiegten Federn ziehen.

Der Himmel war schwarz umzogen, grelle Blitze zuckten oft durch die düsteren Wolkenschleier, und von Zeit zu Zeit schlug ein schwerer Schauer auf den Boden nieder, unzählige kleine Lachen bis zum Rande füllend.

Ueber die Steppe, mit dem Sturme, brausten auf schäumenden, keuchenden Rossen zwei Reiter - wilde, abenteuerliche Gestalten wie die Scenerie, die sie umgab, und prächtig zu ihr passend.

Der Eine von ihnen war ein Indianer, der Andere ein Weißer - ein Gaucho oder Eingeborener des Landes, nur von weißen Eltern abstammend, aber Beide hatte die Steppe groß gezogen, Beide hatten von Jugend auf die freie grüne /2/ Ebene um sich gesehen und mit Bolas1 und Lasso das scheue Wild gejagt, und Beiden war das wackere Roß, das sie im Fluge über die Ebene trug, so unentbehrlich znm Leben geworden, daß sie sich eine Existenz außer dem Sattel kaum noch denken konnten.

Beiden Reitern, dazu gleich abgehärtet gegen Wind und Wetter, wie sie waren, schien das Element, in dem sie sich bewegten, gerade wie eigens für sie gemacht, und doch hatten Beider Sphären bis noch vor wenigen Tagen weit, weit auseinander gelegen.

Don Diego war einer edlen Familie entsprossen, die noch jetzt in Montevideo die höchsten Ehrenstellen bekleidete, und wenn auch in den Pampas erzogen, hatte er doch in Montevideo selber eine so gute und tüchtige Erziehung genossen, wie sie ihm Südamerika nur bieten konnte. Sein Begleiter dagegen, Osantos, ein Häuptling der früher mächtigen Nybygaren, war ganz und durchaus ein Wilder, von der mit einem wollenen Tuch umwundenen Stirn bis zu den Zehen nieder, /3/ die in der von einem Pferdebein gestreiften Haut staken. So verschieden sie aber sonst auch handeln und denken mochten, in diesem Augenblick schien Beiden ein gemeinsames Ziel gesteckt, und dicht neben einander hin brausten die Pferde, und schnaubten mit den Nüstern, wenn ein grellerer Blitz als vorher aus den Wolken zuckte und schmetternder Donner prasselnd hinterdrein über die Steppe brach.

Der Abend dämmerte schon - lange Reihen von Wildenten strichen schwirrend an ihnen vorbei - ein paar Mal schreckte ein Kasuar dicht vor den Hufen ihrer Pferde auf, daß die Thiere scheu zur Seite stoben, oder ein Hirsch fuhr aus seinem Bett empor und floh in weiten Sätzen die Steppe entlang. Aber keiner der Reiter drehte auch nur den Kopf nach dem Wild. Ihre Ponchos um sich her geschlungen, die Zügel fest in der Faust, mit scharfem Blick dabei am Boden spähend, die vielen kleinen Erdlöcher zu vermeiden, die der dachsartige Viscacho in die Erde gegraben, flogen sie dahin, kein Wort mitsammen wechselnd, bis ihnen plötzlich aus der Ferne einige matte Lichtstrahlen entgegenfunkelten.

Beide hatten die glänzenden Punkte zugleich gesehen - Beide zügelten zugleich ihre Pferde ein, und der Indianer, mit seiner langen Lanze dorthinüber deutend, sagte in spanischer, nur wenig gebrochener Sprache:

,,Dort, Don Diego - dort liegt Eruzalta - Ihr könnt den Weg dahin nicht mehr verfehlen - haltet Ihr Euch aber noch ein klein wenig mehr links, so trefft Ihr die Räderspuren der letzten Mendoza-Caravane, die gerade darauf zuführen."

„Und Du willst jetzt zurück, Osantos?"

„Noch nicht," lachte der Wilde. „Erst denke ich mir den Platz da drüben einmal selber ein wenig anzusehen - aber wir dürfen nicht Beide zusammengetroffen werden."

„Nimm Dich in Acht. So viel ich weiß, liegt argentinisches Militär darin," warnte ihn sein Gefährte.

„Und wenn auch,", zischte der Wilde, während sein Auge glühte. „Sie müssen rasch in den Sätteln sein, wenn sie dem Strauß der Pampas in der Nacht folgen wollen - und in den Bereich meiner Bolas wagen sie sich doch nicht." /4/

„Aber sie führen Gewehre."

„So viel für ihre Gewehre," knurrte der Indianer finster vor sich hin. „Im Dunkeln, wenn ich die Gestalt sehe, treffe ich mit meiner Bolas den Punkt - die Gewehre schießen vorbei am Hellen Tag. Habt keine Sorge um mich, Seňor - ich bin mit meinen Leuten an dem bestimmten Ort und zur rechten Zeit."

„Aber ich kann Dir bessere Nachricht bringen, wie Du selber je im Stande wärst, sie Dir zu holen," rieth noch einmal der Weiße ab, „und wenn sie Dich fingen, wäre unser ganzer Plan mißglückt."

„Mich fangen?" - lachte der Wilde, nur bei dem Gedanken an eine solche Unmöglichkeit - „sie sollen's versuchen. - Nein; ich will selber sehen - und jetzt genug. Hei! wie das stürmt, als ob es die Pferde vom Boden heben und mit fortreißen wollte. Aber gut - gut - bei solchem Wetter liegen die argentinischen Schufte bei ihrem caňa in den Pulperien2 und durch die Fenster kann man ihre Köpfe zählen. - Auf Wiedersehen, Seňor - und nehmt Euch selber in Acht, daß sie in Euch nicht den Unitarier erkennen. Ihre Messer sind scharf, ihre Hand ist schnell - und Rosas liebt die rothe Farbe des Blutes."

„Den Tod über sie; ich fürchte sie nicht," zürnte der Reiter, fast unwillkürlich aber dabei nach der eigenen Waffe, seinem Messer, greifend, ob sie noch zum Gebrauch bereit säße - „auf Wiedersehen denn, Osantos - doch ich kann Dir keine Zeit bestimmen."

„Vergeßt das Zeichen nicht," mahnte der Indianer.

„Bei dem Wetter aber zieht der Rauch am Boden hin!" rief Diego.

„Der Pampero hat bald ausgetobt," sagte der Wilde - „schon dreht er sich nach Süden herum. Morgen früh weht kein Luftzug."

„Desto besser dann, und nun a Dios, Compaňero," und mit den Worten preßte er die Flanken seines treuen Thieres, /5/ das scharf mit den Nüstern schnaubend den schönen Kopf auf und nieder warf. Und über die Steppe hin flog der Reiter, den fernen Lichtern entgegen, die ihm durch den dämmernden Abend entgegen funkelten.

Still und regungslos in dem Sturm hielt dagegen der Indianer, den Blick auf die Gestalt des Reiters geheftet, so lange er ihr in der Nacht mit den Augen folgen konnte. Sein brauner, mit weißen und schwarzen Fäden durchwebter Poncho schlug und flatterte im Winde, und wild und wirr peitschte ihm das lange nasse Haar um die Schläfe. So arg tobte dabei der Sturm über die Steppe, daß er die wohl vierzehn Fuß lange Rohrlanze nicht einmal gerade emporhalten konnte und sie vor dem heulenden Orkan senken mußte. Aber das Alles kümmerte ihn wenig genug, denn seit seiner Kindheit war die Steppe seine Heimath, und er mit allen ihren Freuden und Schrecken von Jugend auf so vertraut geworden, daß er den rasenden Pampero so wenig achtete, wie den leisen Südostwind und tiefblauen Himmel. Er kam eben und brauste vorüber - Pferd und Reiter wandten ihm nur den Rücken und ließen ihn seine Wuth an dem wehenden Grase der Pampas verschwenden - nicht einen Zoll breit konnte er sie von ihrer Stelle rücken.

Eine volle Stunde blieb er so halten wie eine dunkle, aus schwarzem Marmor gehauene Statue; der Regen peitschte nieder und der Donner rollte, die ganze Natur schien in Aufruhr - aber er rührte und regte sich nicht, und selbst das Roß schien sich endlich, so ungeduldig es im Anfange in sein Gebiß geschäumt, diesem regungslosen Ausharren ergeben zu haben. Es senkte den Kopf und lehnte sich gegen den Wind, das Zeichen des Reiters erwartend , wenn sie ihre dunkle Bahn fortsetzen wollten.

Endlich schien Osantos die rechte Zeit gekommen, das Lager seiner weißen Feinde zu besuchen. Langsam griff er die Zügel wieder auf, und nach seinen Waffen fühlend, nach Lasso und Bolas, ob beide zum Griff bereit säßen, und das Messer bequem im rauhen Bota oder Stiefel stecke, zog er dem kleinen Ort Cruzalta in einem leichten Trab entgegen. /6/

II.

In Cruzalta herrschte ein lebendiges Treiben. Der Ort bestand allerdings nur aus wenigen einzelnen niedrigen Hütten - Häuser, wie man sie dort nannte, aus sonngebrannten Lehmsteinen aufgebaut und fast alle mit Rinder- und Pferdehäuten gedeckt, und die Bevölkerung war sonst dünn genug. Die neuen Ausbrüche der im Süden wohnenden Indianer-Horden hatten aber die ganze Argentinische Republik in Aufregung gebracht, und während der Krieg gegen die sogenannten ,,Unitarier" in Montevideo fortwüthete, wurden Detachements argentinischer Kavallerie überall in die kleinen Orte an der Poststraße zwischen Buenos Ayres und Mendoza, am Fuße der Kordilleren, gelegt, um die blutdürstigen und raubgierigen Schaaren der Wilden wenigstens abzuhalten, diese Linie zu durchbrechen und das bebaute und reiche Land im Norden zu überfallen.

 

Eme wirklich malerische Schaar war diese argentinische Reiterei, die auch den Kern der südamerikanischen Truppen bildet. Sie trugen dunkelblaue Ponchos mit weißen Randstreifen und brennend rothem Futter - eben solche Mützen mit langen Zipfeln, die um den Kopf herumgelegt und vorn befestigt sind - gleiche Cheripas3 und weiße befranste Leggins oder Unterhosen; dabei als Waffen: Karabiner, ihre langen Messer, den Lasso, und ein Theil derselben auch Lanzen, um den wilden Horden, mit denen sie zu kämpfen hatten, völlig gewachsen zu sein. Und wahrlich, sie waren es in jeder Hinsicht: weiße Indianer, die sich nur in der Hautfarbe, Uniform und Disciplin von ihren rothen Brüdern unterschieden -, aber sonst ebenso im Sattel daheim – ebenso /7/ ein wildes, abenteuerliches Leben gewohnt, eben so mäßig in ihren Bedürfnissen, eben so blutdürstig und rachsüchtig in ihren Sitten, diese wilden Gauchos4 der Pampas, aus denen Rosas, der Dictator der Argentinischen Republik, seine Truppen wählte - aus deren Mitte er selber zum Thron der Republik - die wirklich nur im Spott eine solche genannt werden konnte - emporgestiegen.

Mit dem eisernen blutgefärbten Scepter, das er führte, hatte er bis jetzt auch gewußt, die Indianer, theils sie zu seinen revolutionären Zwecken benutzend, theils ihnen die volle Macht zeigend, im Zaum und entfernt von den Ansiedelungen zu halten. In letzter Zeit aber waren die braunen Horden wieder vom Süden heraufgekommen und hatten Raubzügc selbst bis in die Provinz Buenos Ayres unternommen, bei denen sie die Heerden zerstreuten oder mit sich führten, die Wohnungen plünderten, die Männer tödteten und junge Frauen und Mädchen in Gefangenschaft schleppten.

Das Gerücht ging dabei, daß sich Einzelne der zersprengten Unitarier ihnen nicht allein angeschlossen, sondern sie von Anfang an aufgehetzt hätten, die Republik zu überfallen und Rosas' Soldaten auswärts zu beschäftigen. So wollte man auch Weiße an ihrer Spitze gesehen haben, ihre Ueberfälle zu leiten; und die Punkte, die sie dazu gewählt, rechtfertigten allerdings den Verdacht, daß sie nicht eben nur auf's Gerathewohl in die Ansiedelung brächen. Und konnte sich Rosas deshalb beklagen? Er hatte mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, die ihm feindlichen Unitarier unterjocht und vertilgt. Messer und Blei hatte zwischen ihnen gewüthet, Blut war in Strömen geflossen, und die Banden seiner Henker durchzogen Monate lang Stadt und Land, in die ihnen bezeichneten Familien einzubrechen und ihre Opfer, oft am eigenen Herde, abzuschlachten. Die Unitarier übten da nur Vergeltungsrecht, /8/ und während Buenos Ayres vor dem Tyrannen zitterte und keiner Klage Laut zu geben wagte, trotzten sie ihm noch in Montevideo, oder durchstreiften einzeln und flüchtig das Land, die Bevölkerung aufzureizen, ihre Ketten endlich - endlich einmal abzuschütteln.

Wehe dem freilich, der in Rosas' Hände fiel; sein Tod war schnell besiegelt und Erbarmen nicht zu hoffen. Aber diese Männer kannten auch die Gefahr, die jeden ihrer Schritte bedrohte , und wußten ihr zu begegnen oder auszuweichen, und rüstig und unverdrossen arbeiteten sie der Zeit entgegen, in der sie das furchtbare Joch abschütteln und wieder frei würden aufathmen können in dem schönen Lande.

Don Diego gehörte zu der kleinen Zahl dieser wackeren Streiter, die, das eigene Leben nicht achtend, sich mitten zwischen die Späherbanden des Dictators hineinwagten, nicht allein die wahre Gesinnung der Argentiner kennen zu lernen, nein, auch den Tag des Ausbruchs zu beschleunigen. So mit all' dem kühnen Unternehmungsgeist seiner Jahre, von jung auf an ein bewegtes und oft gefährliches Leben gewöhnt, und von einem Haß gegen den Usurpator erfüllt, wie wohl Viele einen ähnlichen, aber Keiner einen heftigeren in sich trug, war Don Diego fest entschlossen, seinen Plan durchzuführen oder dabei selber unterzugehen.

Sein Bruder war schon im Kampf gegen Rosas geblieben; sein Schwager, der Gatte seiner Schwester, von Jenes Henkersknechten heimlich in Buenos Ayres überfallen und ermordet worden. Selbst sein Vater war damals nur mit genauer Noth den schon nach ihm ausgesandten Blutrichtern entgangen, und er hatte geschworen nicht eher zu ruhen und zu rasten, bis er die Ketten gebrochen hätte, die sein Vaterland umschlangen.

Die Gefahren, die sich ihm dabei entgegenstellten, ermaß er, wie schon angedeutet, nur zu wohl; er wußte aber ebenso, daß mit gewöhnlichen Mitteln nichts gegen den Dictator auszurichten sei, so geheim wie dieser seine Pläne nur mit sich selbst berieth, so vollständig abgeschlossen, wie er sich kaum je dem Volke zeigte, nur durch blutige grausame Thaten zu ihni sprechend und durch die Furcht, die Alles erfüllte, ununterbrochen Alle niederhaltend. Diese Pläne mußten jetzt erforscht /9/ werden, - mit welchen Mitteln immer, das blieb sich gleich. Dann sollte das Volk gegen seinen Bedränger aufgestachelt und Schlag auf Schlag gegen ihn geführt werden, bis der Tyrann erlag und die mißhandelten Provinzen wieder frei aufathmen konnten.

Aber nicht das allein hatte Don Diego diesmal nach Cruzalta geführt. In Buenos Ayres hatte eine von Frankreich stammende und seinen Eltern befreundete Familie gelebt, die, wie man durch einen Kundschafter in Montevideo erfuhr, sei's durch ihren Reichthum, sei's durch ihre Gesinnung, den Argwohn des allmächtigen Rosas wach gerufen. Diese sollte gewarnt werden, und Don Diego hatte es in keckem Jugendmuth unternommen, sich mitten unter die Creaturen Rosas' hineinzuwagen. Aber er kam zu spät: der Schlag war schon gefallen, Vater und Sohn von den Mashorqueros ermordet worden, die Mutter vor Gram und Entsetzen gestorben und das Haus, auf dem der Zorn des Dictators lag, verödet. - Das ganze Geschlecht war jedoch nicht ausgestorben. Heimliche Freunde gaben Don Diego die Kunde, daß noch ein Mitglied am Leben sei, eine Tochter, die kürzlich von Frankreich aus einer Erziehungsanstalt zurückkehrte. Rosas aber habe sie aus Buenos Ayres hinweg und in das Innere des Landes schaffen lassen - wohin, das wußte Niemand. Ja es wagte auch Niemand zu forschen. Auf wen der Dictator seine Hand gelegt, der galt ja doch für verloren.

Don Diego hatte daraus das Innere des Landes sowohl dieses Mädchens wegen durchstreift, als auch um seine schon lange gehegten Pläne gegen den Tyrannen in's Werk zu setzen. Mit Geld reichlich versehen und sich auf sein eignes Selbst, seinen frischen, fröhlichen Muth verlassend, brach er heimlich von Buenos Ayres auf. Aber vergebens durchstöberte er die ganze Gegend bis San Luis. Dort wurde er von Einem von Rosas' Leuten, einem früheren Bundesgenossen, erkannt und verrathen. Mühsam entging er durch die Flucht den nach ihm ausgesandten Henkern.

Wenn er nun freilich vor der Hand die Hoffnung aufgeben mußte, das verwaiste Mädchen zu finden und zu befreien, so hatte er doch mit Jubel den allgemeinen Haß wahrge-/10/nommen, der überall gegen den Dictator in der Bevölkerung herrschte. Gelang es, diesen Haß zu entfesseln, so war Don Diego überzeugt, das ganze Land werde sich erheben. Nur auf den Anlaß dazu kam es an und auf das Auffinden der ersten Mittel des Aufstandes. In dieser Absicht hatte sich Diego wieder nach Buenos Ayres begeben, als er unerwarteter Weise auf einer einzelnen Estancia die Kunde erhielt, daß das von ihm ohne Erfolg gesuchte Mädchen auf des Gouverneurs Befehl nach Cruzalta, einem kleinen Städtchen der Pampas, gebracht worden sei. Dort also lag jetzt sein Ziel, und von früher her mit den Sitten der neuerdings wieder gegen Rosas ausgebrochenen Indianer bekannt, wagte er es sogar, diese wilden Horden in ihren geheimsten Schlupfwinkeln aufzusuchen. Er wußte, wie wenig er sich für jetzt noch auf den Beistand der Weißen verlassen konnte. Eher war auf die Hülfe der Indianer zu rechnen.

Diese Hülfe war ihm denn wirklich durch einen der verwegensten ihrer Häuptlinge, durch Osantos, zugesichert worden, und so kühn der Plan auch sein mochte, den sich Diego ausgesonnen, so fühlte er sich demselben doch völlig gewachsen und Kraft und Muth genug, ihn durchzuführen.

Zu schärferem Ritt spornte er nun sein müdes Thier; er fühlte den Sturm nicht, der ihn umtobte, nicht den Regen, dessen kalte Tropfen an seine fieberheißen Wangen schlugen. Vorwärts! Dort drüben, wo die Lichter blinkten, lag sein Ziel, und dem strebte er mit aller Hast entgegen - wäre es auch nur gewesen den Gedanken zu entfliehen, die ihm zuweilen Herz und Kopf verwirren, betäuben wollten.

Der Weisung des Indianers folgend, erreichte er endlich die Spuren der Lastwagen, und wenn es auch indessen viel zu dunkel geworden war, sie zu erkennen, witterte doch das kluge Thier die Fährten, und trabte schärfer aus, den Reiter los zu werden und seine Freiheit für die Nacht zu erhalten. Stall und Futter hatte es doch nicht zu erwarten, denn die freie Pampas war jede Nacht sein Bett wie sein gedeckter Tisch.

Deutlicher wurden die Lichter - schon ließen sich lachende und singende Stimmen unterscheiden, und wenige Minuten /11/ später erreichte Don Diego die ersten Gebäude der kleinen, aber breiten Hauptstraße von Altacruz, in welcher er indessen keinem einzigen menschlichen Wesen begegnete.

Der Sturm hatte Alles in die Häuser getrieben, und das Lager jener Soldaten, die nicht unter ein festes Dach und Fach gebracht werden konnten, war auf der Südseite des kleinen Ortes nothdürftig aus rasch aufgeworfenen Erdwällen und rohen Häuten hergestellt.

Die kleinen Häuser standen allerdings fest verschlossen; aus den engen vergitterten Fenstern schimmerten aber die Lichter vor, und aus dem größten von ihnen tönten, trotz dem heulenden Sturm draußen, der über die Pampas fegte, die munteren Laute einer Guitarre und die schrille Stimme eines Sängers, die oft von lautem Lachen unterbrochen wurde.

Sorgloses Volk, das mitten in es umgebenden Gefahren seinen heitern, kecken, vielleicht auch nur leichten Sinn bewahrte. Draußen an etwas geschützten Plätzen waren fortwährend Pferde angebunden, bei der ersten Alarmirung bereit und beritten zu sein; in den Ecken der Gebäude, nahe zur Thür, standen die Waffen, und Lebensmittel hingen gepackt an ihren recados oder Sätteln - aber indessen tanzten und sangen sie, und was die nächste Stunde brachte, mochte die nächste Stunde auch bekämpfen - die jetzige gehörte noch der Lust.

Selten wählten die Indianer übrigens die Nacht zu ihrem Angriff, fast nie den Abend, und gewöhnlich brachen sie, wenn sie irgend einen Ort überfallen wollten, mit der frühen Morgendämmerung auf den Feind herein. In Cruzalta fürchteten die Bewohner aber kaum etwas Derartiges, wenn sie auch auf Alles gerüstet blieben, denn der kleine Trupp Militär, der bei ihnen lagerte, sollte die wilden Horden wohl abhalten, hierher ihren Zug zu richten, scheuten sich die Indianer doch vor den Feuerwaffen.

Vor der Pulpcria des Ortes hielt der nächtliche Reiter, und während er draußen mit der revenca5 an die Thür /12/ klopfte, rief er als Gruß die frommen Worte: Ave Maria -

„purisima!" lautete die Antwort von innen heraus, und gleich darauf wurde die Thür geöffnet. Der Reiter sprang vom Pferd, und Sattel und Zaum abnehmend, ließ er sein Thier, ohne sich weiter darum zu kümmern, mitten in der Straße frei. Er wußte, daß er es am Morgen auf dem nächsten Weideplatz schon wieder finden würde.

III.

Im ersten Augenblick schwieg der Lärm bei dem Eintreten des Gastes, denn ein Fremder war, noch dazu in dieser Zeit, eine viel zu seltene Erscheinung in den Pampas, ihm nicht die ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden.

„Gott zum Gruß," sagte dieser aber, ohne sich weiter viel um die Insassen zu kümmern - „hier, Frau Wirthin, habt die Güte und gebt diesem Poncho einen Platz an irgend einem Feuer, denn er ist vollständig durchgeweicht, und für die Nacht werdet Ihr doch kein anderes Bett für mich haben. Bis dahin möcht' ich ihn trocken wissen."

„Nicht einmal einen Platz, wo Ihr Euch ausstrecken könntet, Seňor, findet Ihr im Haus," klagte aber die Wirthin - „Alles haben die Herren Soldaten besetzt bis in den letzten Winkel."

„Caramba, Seňora, Ihr werdet einen armen Teufel bei solchem Wetter nicht wieder in das „campo" hinausjagen wollen," lachte dagen der Fremde. „Die Herren Soldaten werden zurücken, denn ich gehe einmal nicht wieder fort. Cada uno pura si, y Dios para todos," und mit diesen Worten warf er seinen Poncho ab, unter dem die reiche, malerische Tracht eines jungen wohlhabenden Gaucho zum Vorschein kam.

 

Er trug die Cheripa, wie alle Anderen, aber vom feinsten buntgewirkten Stoff, und an dem breiten, mit reich verzierten /13/ Taschen versehenen Gürtel, der sie zusammenhielt, waren so dicht beisammen gehenkelte Doublonen und spanische Dollars befestigt, daß man die Stickerei darunter kaum erkennen konnte. Sein langes, hinten im Gürtel steckendes Messer zierte ein mit Gold eingelegter Elfenbeingriff, und die kurze Sammtjacke war mit runden Silberknöpfen dicht und reich besetzt.

Sein Gesicht hatte dabei etwas Edles und Kühnes, und als er den breiträndigen Panamahut abnahm, auf den Tisch warf und dann die Regentropfen aus dem rabenschwarzen lockigen Haar und dem vollen gekrausten Bart schüttelte, flüsterten die Mädchen mit einander und Don Diego konnte sicher sein, daß er den schönen Theil der Versammlung schon ganz auf seiner Seite hatte.

Der Officier des kleinen Reitertrupps, der hier auf nichts weniger als kriegerische Weise mit drei jungen reizenden Mädchen am Tisch saß und ihnen kleine Lieder auf einer Guitarre vorklimperte, hatte den Fremden im Anfang mißtrauisch betrachtet. Sein stattliches ungenirtes Aeußere aber imponirte ihm wieder, und er sagte lachend:

„Dios para todos, ja, Kamerad - aber nicht für die vermaledeiten Unitarier hoffentlich, die Ihr doch wohl davon ausgenommen habt."

„Wenig kümmern mich die," rief der Fremde gleichgültig. „Herr Wirth, eine Flasche Caňa, - oder habt Ihr Mendozawein?"

„Vom besten, Seňor," versicherte der herbeischlendernde Wirth. „Die Caravane, die vorgestern den Ort passirte, hat mir vier von ihren dickbäuchigsten Fässern dagelassen."

„Vortrefflich, Alter - vortrefflich," rief der Fremde, sich den Bart streichend. „Dann schafft rasch einmal ein halbes Dutzend Flaschen herbei. Ich hoffe nicht, daß mich die Herren hier werden allein trinken lassen."

„Caramba, nein," lachte der Soldat, „wenn Ihr des Gewichtes Eurer Knöpfe so müde seid, so findet Ihr an uns hier die rechten Leute. Aber wo kommt Ihr her?"

„Von Mendoza."

„Den ganzen Weg allein?" /14/

„Und warum nicht?" rief Diego. „Ich hatte mich dann nie über schlechte Gesellschaft zu beklagen."

„Aber die Indianer?" sagte der Wirth, der die verlangten Flaschen herbeischleppte. „Heilige Mutter Gottes, mir juckt der Hals schon, wenn ich daran denke, jetzt allein in die Pampas hinauszureiten, wo die rothen Schufte neben jedem Distelbusch im Hinterhalt liegen können."

„Bah, so viel für die Rothhäute!" sagte der Fremde verächtlich, indem er den Kork von einer der Flaschen warf - „die Senoritas trinken doch mit?"

Der Officier warf einen zweifelnden Blick aus die Mädchen, und zum ersten Mal schien in ihm der Gedanke aufzusteigen, daß der Fremde, wenn nicht politisch gefährlich, doch persönlich ihm lästig werden könnte.

Eins der Mädchen aber, ein junges frisches Ding von kaum sechzehn Jahren, rief lachend:

„Vielen Dank, Seňor, wir nehmen die Gabe an. Der geizige Wirth gäbe uns auch sonst keinen Schluck von seinem Weine, der selten genug an unsere Lippen kommt."

„Wollt Ihr nicht erst den Mateh6 kosten?" fiel hier die Wirthstochter ein, die hinter dem Tisch saß und gleich bei dem Eintritt des Gastes das übliche Getränk bereitet hatte. „Hier, Josefa, ich kann nicht hinaus - bitte, reiche Du dem Gast die Bombilla."

Das angeredete Mädchen, auf dem Diego's Blick schon so oft geruht hatte, als das unbemerkt geschehen konnte, nahm das kleine Gefäß mit der Röhre, und es dem Gast reichend, sagte sie mit einer gar lieben und weichen Stimme:

„Ist es Euch gefällig, Seňor?"

Die Sprache, die sie gebrauchte, war die des Landes, in dem sie sich befanden: Spanisch, und doch verrieth wieder ein leiser fremder Ton, daß die Sprechende dem Boden eigentlich nicht angehöre. Auch ihr Aussehen zeigte, daß in ihren /15/ Adern kein „castilianisches" Blut rolle, denn unter den kastanienbraunen Locken leuchteten ihm ein paar seelenvolle blaue Augen entgegen. Aber um die feingeschnittenen Lippen lag ein bitterer Zug von Schmerz und Leid, ja selbst ihr Lächeln hatte etwas unbeschreiblich Rührendes und Wehmüthiges, wie auch ihr Gewand die dunkle Farbe der Trauer zeigte.

Diego, wie ihr Blick sich zu ihm hob, vergaß in dem Moment fast die Mateh-Calabasse, die sie ihm entgegenhielt.

„Nehmen Sie, Seňor."

„Oh, tausend Dank, Senňrita - aber caramba, Sie sind keine Argentinerin - nicht in den Pampas wenigstens geboren."

„Nein, Seňor," sagte die Dame schüchtern, „ich -"

„Es ist eine junge Dame," unterbrach sie hier plötzlich der Officier - „die Tochter eines Cringo7 zwar, die aber unter meinem Schutze steht."

„Ah, wahrscheinlich Französin!" sagte der junge Fremde. Er war selber in Montevideo genug mit Franzosen zusammengekommen, sogar ihre Sprache fließend zu reden, ohne daß er es für zweckmäßig hielt, dem argentinischen Soldaten gegenüber mit einer solchen Kenntniß zu prahlen, die diesem jedenfalls verdächtig gewesen wäre.

Die junge Dame neigte leicht das Haupt, und sich zurückziehend, nahm sie den kaum verlassenen Platz wieder ein, auf dem sich ihre Nachbarin flüsternd zu ihr hinüberbog. Diego aber, die Matehschale ergreifend und die Bombilla, die eben noch von der Jungfrau Lippen berührt worden, an sich ziehend, sog den süßen und heißen Trank ein, und sah dabei wie träumend vor sich nieder.

Der Officier, dem dies Zwischenspiel anfing unangenehm zu werden, hatte die Guitarre wieder aufgegriffen und fiel nach einigen Accorden in einen der beliebten Tänze jener Gegenden, den er ziemlich geläufig ausführte.

Diego hatte eine ganze Weile diesen Klängen gelauscht, und erst der Wirth, der eine Anzahl Gläser und Becher hereinbrachte, störte ihn aus seinem Brüten auf. /16/

„Zum Henker auch," rief er da aus, „wir sitzen hier, während der Regen draußen niederpeitscht, allerdings trocken, aber zu trocken dürfen wir's auch nicht treiben. Ihr Name, Seňor?"

„Pasquale Herrero," sagte der Officier.

„Buono denn, Don Pasquale, hier ist Ihr Becher; füllen Sie ihn bis zum Rand und lassen Sie ihn uns auf das Wohl jener jungen Dame leeren. Seňorita, darf ich erfahren, wie Sie sich nennen?"

„Ich weiß nicht," unterbrach ihn der Argentiner, während das junge Mädchen erröthend vor sich nieder sah, , „ob Donna Josefa diese Artigkeit liebt, und in diesem Fall -"

„Schönen Augen dürfen wir zutrinken, Seňor," unterbrach ihn aber der Fremde, „Gott hat sie wie die Blumen auf unsern Weg gestreut, sie anzuschauen und an ihrem Glanz uns zu ergötzen. Ihr Lächeln ist der Duft der Blume, und so rauh wir Männer auch sein mögen, die Erinnerung an solch ein holdes Bild muß manche trübe Nacht, die wir draußen in Sturm und Wetter dann verleben, wieder erhellen und erwärmen. - Donna Josefa soll leben!"

Er leerte das gehobene Glas auf Einen Zug, und der Argentiner mußte sich wohl oder übel seinem Beispiel fügen. Don Diego ließ ihm aber nicht Zeit, sich zu besinnen. Auch den übrigen jungen Damen schob er Gläser hin, Andere der Gauchos rief er herbei zum Tisch, und auf seinen Wink brachte der Wirth neuen Vorrath, die rasch geleerten Flaschen zu ersetzen.

Das Gespräch wurde jetzt bald allgemein. Don Diego erfuhr, daß eins der jungen Mädchen die Tochter des Wirthes selber, das zweite aber eine Verwandte sei. Donna Josefa war dagegen erst vor kurzer Zeit von Buenos Ayres „als Gast" zu ihnen gekommen.

„Und um wen trauert sie?"

Der Wirth, der sich an seine Seite gesetzt hatte, bog sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm in's Ohr:

„Bst, Seňor - reden wir lieber nicht davon. Rosas, den Gott erhalten möge, hat scharfe Ohren, und ihr Vater und Bruder" - die Worte wurden so leise gesprochen, daß /17/ sie der Fremde kaum verstehen konnte - „waren Verräther an der Konföderation."

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