Reisen Band 1

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Gesammelte Schriften

Friedrich Gerstäcker

Reisen

Band 1: Südamerika, Californien, die Südsee-Inseln

Volks- und Familien-Ausgabe Band Fünf

der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V.

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2015 / 2020

1.

Die Ausfahrt.

An Bord des Talisman in der Weser - 18. März 1849. Es ist ein wunderliches, eigenthümliches Gefühl, an Bord eines Fahrzeuges, vor Beginn einer langen Seereise, noch im alten Vaterland fest vor Anker zu liegen, und diesem, während man die Reise selber noch gar nicht begonnen, den heimischen Boden noch nicht verlassen hat, doch auch eigentlich schon nicht mehr anzugehören. - Es ist ein wunderliches, aber auch recht fatales Gefühl und hält unsere Nerven in einer Abspannung, die uns zuletzt ordentlich den Zeitpunkt ersehnen läßt, vor dem es Manchem im Anfang wohl heimlich gebangt hatte - den Abschied von seiner Muttererde.

Auf die Passagiere eines Auswandererschiffes macht das übrigens den verschiedenartigsten, wenn auch im Endresultat sich ziemlich gleich bleibenden Eindruck. Unthätig und mit langweiligen verdrossenen Gesichtern treiben sich die Meisten von ihnen bald an dem kaum fünfzig Schritt entfernten Land (wir liegen dicht vor Groß' Hotel in Brake), bald an Bord umher, und so ungemüthlich, so unbehaglich Alles am Ufer ist, ebenso jeder Bequemlichkeit und Ruhe trotzend ist es an Bord.

Fortwährend treffen noch neue Passagiere mit einer Masse von Gepäck ein, als ob jeder Einzelne erwarte, die Arche /6/Noah zu eigener Disposition gestellt zu bekommen. – Alle Luken sind geöffnet, Kisten, Koffer, Bettsäcke, Körbe, Schachteln usw. stehen überall in Menge; kein Mensch findet was ihm selber gehört, Namen werden verwechselt und Koffer und Kasten waren es von Anfang an. Die Matrosen, die diesem gewohnten Treiben dabei mit der äußersten Gleichgültigkeit zuschauen, steigen in einer wahrhaft fabelhaften Gemüthsruhe über das wild umhergestreute Passagiergut hin und her. Sie treten Hut- und andere Schachteln in ganz unbestimmte Formen und Facons, hissen, was ihnen in den Wurf kommt, - manchmal nur durch das verzweifelte Zuspringen der Passagiere verhindert – in den untern Raum, um etwas mehr unter den Füßen weg zu bekommen, und kehren sich sonst an gar nichts. Die Zwischendecks- und auch Kajüten-Passagiere bekümmern sich dagegen um Alles. Jedes Collo wollen sie besehen und untersuchen, schreien über die Luken herüber und hinüber, und thun Alles was in ihren Kräften steht, die Verwirrung auf’s Aeußerste zu steigern.

Nasses Wetter vermehrt natürlich das Unangenehme, ja Widerliche solchen Zustandes. Kein Wunder denn, daß Mancher voller Verzweiflung in das dunkle Chaos – in die Höhle des Zwischendecks, niederstarrt, aus der ihm ein warmer widerlicher Dunst entgegenquillt, und die ihm nicht fünf bis sechs Wochen wie auf einer Reise nach New-York, nein eben so viele Monate hindurch zum fast alleinigen Aufenthaltsort dienen soll. Wäre Tausenden von diesen ein solcher Blick verstattet gewesen, als sie noch zwischen „Auswandern“ und „Zuhausebleiben“ im Geiste schwankten, wie Viele, oh wie unendlich Viele würden nie in ihrem Leben ein Schiff betreten! Jetzt aber können sie natürlich nicht mehr zurück, und müssen nun auch, mit einem alten deutschen Sprüchwort, „ausessen, was sie sich vorher in aller Unschuld auf das Sorgfältigste eingebrockt hatten“.

Was das Gepäck übrigens betrifft, so ordnet sich das, erst einmal ein paar Tage in See, gar bald von selber. – Ganz unglaubliche Quantitäten werden in die wirklich kleinsten Räumlichkeiten weggestaut, und Sachen und Gegenstände, an deren Unterbringen man bis dahin verzweifelte, bekommen /7/ einen Platz und scheinen vollkommen gut aufgehoben. Bisdahin aber heißt es „Geduld und Fügsamkeit“.

Unsere Passagiere für Californien – denn der Talisman ist direct nach San Francisco bestimmt – bilden eine höchst eigenthümliche und wirklich interessante Masse. Es sind fast lauter junge kräftige Leute, die jenem abeneuerlichen Leben des neu entdeckten Eldorado mit so goldenen Träumen entgegengehen, wie sie nur je in Alchymist in seiner düstern Stunde geträumt hatte; aber keine einzige Frau – kein Kind ist zwischen ihnen. Die meisten, besonders die Zwischendecks-Passagiere, sind dazu, bei ihrer Ankunft an Bord, bis an die Zähne bewaffnet, manche auf wirklich komische Art. So kam gestern Einer vom Dampfboot auf den Talisman, mit einer Flinte, einem Spaten und – einem baumwollenen Regenschirm. „Mit dem Spaten willst Du wohl’s Gold ‘rauskriegen?“ frug ihn ein Matrose. „Ich wird’s doch nicht sollen mit den Händen ‘rauskrabbeln,“ antwortete ihm der Mann im höchsten Ernst.

Spaten führen übrigens die Meisten bei sich; manche Dutzende davon – auch Massen von alten Säbeln, Pistolen, Dolchen, Bajonett-Flinten. Ueberhaupt kommen Waffen zum Vorschein, als ob eine Rüstkammer geplündert wäre, oder ein Antiquitätencabinet aufgestellt werden sollte.

Eine Persönlichkeit darf ich jedoch hier nicht übergehen, denn sie hat nicht allein bei uns, sondern auch in ganz Bremen großes Aufsehen erregt. Es ist das ein Messerschmidt aus Magdeburg – hier jetzt nur kurzweg der Riese genannt, der ebenfalls nach Californien auswandern will. Der Leser denke sich eine wahre Herculesgestalt, von riesigem Körperbau mit krausem Bart, rothen Wangen und gutmüthigen klaren Augen – nur ein klein wenig zu bauchig, eine Figur also, die schon ohnedies durch ihren kolossalen Umfang aufgefallen wäre, nun auch noch nach folgender Art gekleidet: grüne Blouse, helle Beinkleider und weißen Turnerhut; um den Leib einen etwa fünf Zoll breiten weißen Ledergurt, und an diesem erstens einen wahrhaft riesigen Pallasch, der über die Steine klirrt, neben diesem einen Hirschfänger, der an der Stelle allerdings nur wie ein Messer aussieht, und neben dem /8/Hirschfänger noch einen gigantischen „Nickfänger" zum Zusammenklappen - ebenfalls etwa achtzehn Zoll lang. Außerdem trägt diese Titanengestalt einen Dolch mit Terzerolläufen daran, wie eine verhältnißmäßige Anzahl von Pistolen.

Noch abenteuerlicher, ja fast komisch wird aber diese Persönlichkeit durch ihre Begleitung. Es sind das drei, hier „Trabanten" genannte, Individuen, die den mächtigen Führer in Diminutivform, wie die Lootsen den Haifisch, umschwimmen. Drei sehr kleine Männer, ebenfalls in grünen Blousen, Turnerhüten und mit dem weißen Gurt, also ganz wie junge Riesen, und nur statt des Pallasches mit sehr kurzen Messern oder Hirschfängern an der Seite. Der Riese war allem Anschein nach ein höchst gutmüthiger, ja fast gemüthlicher Mann - wie das meist alle großen, kräftigen Naturen sind. - Er ließ sich Pallasch und Messer von allen Leuten herausziehen und untersuchen, und glich in der That einem Kauffahrer, der Kanonen ohne Munition führt.

An jenem Abend ging bei Brake das neue deutsche Kriegsdampfschiff Britannia unter dem Abfeuern der Landböller vor Anker - es war ein tüchtiges, stark und scharf gebautes und gewiß schnelles Boot, und was für Hoffnungen füllten damals unsere Brust, und w i e sind sie später getäuscht - verrathen worden!

Nachdem wir uns nun über eine Woche in einem solchen Zwitterdasein zwischen Reisenden und Ansässigen Herumgetrieben, kam endlich die frohe Botschaft, daß wir „unter Segel gehen", oder wenn wir keinen günstigen Wind bekämen, wenigstens mit der rückströmenden Ebbe der Mündung der Weser zutreiben sollten. Gerüchte über ausbrechende Feindseligkeiten mit Dänemark gaben uns dabei ziemlich gegründete Ursache, eine Unterbrechung unserer Reise fürchten zu müssen, falls wir nicht den Kanal vor der Aufkündigung des Waffenstillstandes erreichten, denn unsere Flotte lag noch in den Windeln (ich dachte damals wahrlich nicht, daß ich sie bei der Rückkehr schon im Leichenhemd finden sollte,) und dänische Kreuzer hätten uns einen bösen Strich durch die Rechnung machen können. - Doch der Erfolg wies sich besser aus, als /9/ wir gefürchtet. An dem Abend mußten wir zwar noch ein¬mal vor Anker gehen, aber am nächsten Tag wurde der Wind günstiger, und als wir an Bremerhasen vorüberfuhren, wehte schon eine recht wackere Brise.

Gerade dem Hafen gegenüber kam ein Boot von dort ab. Zwei Leute saßen darin, ruderten aus Leibeskräften und hatten es nur ihrem zeitig genug vom Ufer Fahren zu danken, daß sie uns wirklich einholten, denn das Schiff lief wenigstens fünf Knoten durch's Wasser. Die Passagiere standen fast Alle an Deck und schauten gespannt nach diesem letzten Boten vom festen Land herüber. Der Capitain glaubte, es sei eine Depesche für ihn, und die Uebrigen zerbrachen sich den Kopf, was die Sendung zu bedeuten haben könne, denn Niemand befand sich im Boot, als eben die beiden Rudernden. Und was brachten sie? - einen Brief für einen der Zwischendecks-Passagiere.

„He - Schulze - Schulze - ein Brief für Dich!" rief es aus einer Anzahl Kehlen, als das heranschießende Boot, von einem zugeworfenen Tau gehalten, mit dem Talisman fortgezogen wurde und Einer der Bootsleute an Bord gesprungen war.

„Ein Brief für mich?" sagte der Angeredete, der sich jetzt hinzudrängte, anscheinend ganz erstaunt, ja fast erschreckt, „ich gehe nicht wieder zurück."

 

Während noch einige der Uebrigen lachten, erbrach er den Brief und frug zugleich den Bootsmann, was er als Botenlohn zu beanspruchen habe.

„Einen Dollar," lautete die tröstliche Antwort, die den armen Teufel von Passagier nicht wenig erschreckte. „Einen Dollar?" wiederholte er ganz verblüfft und las dabei zugleich den Inhalt des Briefes halblaut vor sich hin - „lieber Bruder, ich rufe Dir nochmals ein Lebewohl aus der Ferne zu - ich wünsche Dir eine recht glückliche Reise und gute Gesundheit - und das kostet einen Dollar? - und laß recht bald etwas recht Gutes von Dir hören. Es grüßt und küßt Dich tausendmal Dein getreuer Bruder Franz. - Na, dafür will ich mein ganzes Leben lang nichts weiter thun, als Briefe transportiren - wie können Sie denn dafür einen Dollar fordern?"/10/ „Das ist Taxe," betheuerte der Mann, „und es war wahrhaftig keine Kleinigkeit, das Schiff mit solchem Fortgang noch einzuholen - seien Sie froh, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen sind."

„Ich?" sagte der Passagier ganz erstaunt - „für einen Thaler zehn Silbergroschen das Stück wünsch' ich den Leuten das ganze Jahr hindurch eine „glückliche Reise" - ich wollte, Sie wären eine halbe Stunde später gekommen."

Der Mann mußte jedoch seinen Dollar bekommen, und Herr Schulze fügte sich endlich seufzend darein, nachdem er dem Bootsmann noch vorher den, wenn auch vergeblichen, Vorschlag gemacht hatte, ihm den Brief für das halbe Porto wieder abzunehmen.

Aus der Weser erst hinaus, wurde der Wind immer schärfer und besser. Wir mußten aufbrassen und liefen vor günstigster Brise wohl sieben bis acht Meilen.

Dem nicht nautischen Leser hier übrigens gleich im Anfang wenigstens einen Begriff der nautischen Rechnungsart zu geben, werden ein paar Worte genügen. Der Lauf des Schiffes wird nach dem Log gemessen - jedes Conversationslexikon giebt darüber Auskunft -, und wenn es heißt, das Schiff läuft z. B. acht Knoten in der Stunde (nach den Merkmalen in der Logleine) - so sind damit englische Meilen gemeint; heißt es aber acht Meilen in der Wacht, so sind das geographische oder vielmehr nautische. Vier englische gehen aber aus eine nautische, und vier Stunden auf eine Wacht, so daß acht Knoten oder Meilen (englische) die Stunde - auch dasselbe ist, was acht Meilen die Wacht bedeutet, da man bei der Wacht nur nach nautischen Meilen rechnet.

Donnerstag Abend um sieben Uhr liefen wir also in die Nordsee ein - am Freitag Abend mit Dunkelwerden sahen wir schon die Leuchtfeuer von Dover - etwas später auch die von Calais, und Sonntag Morgens, am 25., erreichten wir die Mündung des englischen Kanals.

With the blue above and the blue below

And silence reights whereever we go.“

/11/So lagen denn all' die gefährlichen Dünen und Sandbänke der Nordsee - all' die grünen Untiefen des Kanals glücklich hinter uns - mit diesen allen aber auch die Heimath, und es war ein wahrlich nicht zu beschreibendes Gefühl das mich ergriff, als ich endlich einmal wieder auf dem blauen, so wundervoll blauen Ocean, aber auch so fern von den Meinen schaukelte, auf's Neue einem wilden, tollen Leben in die Arme gesprungen.

Die Gefühle meiner Mitpassagiere schienen größtentheils anderer Art. Mit nur sehr geringen Ausnahmen wurden die meisten seekrank, und wen nicht das grimme Seeleid, den jagte gewiß die nichtswürdige Kälte unter die Decken, so daß das Verdeck die ersten Tage ziemlich verödet lag. Von günstigem Wind getrieben, schossen wir aber rasch dahin, und mit dem freudigen Bewußtsein, einen ziemlich fatalen Theil der Reise überstanden zu haben, mischte sich jetzt auch noch das beruhigende Gefühl, jeder Gefahr eines durch die dänische Blokade möglichen Aufenthalts glücklich entgangen zu sein.

Mit derselben herrlichen Brise erreichten wir die Breite der Insel Madeira, die wir jedoch nicht zu Gesicht bekamen, und trafen hier den Nordostpassat, der uns eine rasche Fahrt versprach. Die Seekranken erholten sich auch sehr rasch wieder, und die gesund Gewordenen konnten jetzt erst beginnen, die Wunder des Meeres anzustaunen, die sich um sie her ausbreiteten.

Besonders beschäftigte uns in dieser Zeit die Jagd auf eine Art Delphin, den sogenannten „Schweinefisch", weil er ein rüsselähnliches Maul hat. Ich harpunirte mehrere davon, wir bekamen aber keinen an Bord.

Das Harpuniren dieser Fische ist übrigens schon an sich selber eine höchst interessante Jagd. Der Schweinefisch (wahrscheinlich der sogenannte Delphin der Alten, da ein wirklicher Delphin nie groß genug gefunden wäre, den Arion an's Land zu tragen, und diese „Springer" auch der Beschreibung eher entsprechen) durchstreift bei frischer Brise, wenn das Schiff rasch durch's Wasser geht, die See in zahlreichen Schaaren. Die Fische springen dann vorzüglich gern dicht vor dem Bug her und spielen in den schäumenden, hochaufspritzenden Wellen, /12/ denen sie sich oft, mit dem ganzen Körper über Wasser, vorauschnellen. Der Harpunirende aber steht vorn - ebenfalls vor dem Bug des Fahrzeugs, in den Ketten des Stampfholzes, unter dem vorstehenden Klüverbaum, und wartet bis ihm einer der herüber- und hinüberschießenden Schaar zum Wurf kommt. Unter dem Bugspriet muß dabei ein Block festgemacht sein, in welchem das an die Harpune geschlagene Tau läuft. An diesem Tau stehen an Bord Leute, des Rufs gewärtig, und sobald der Fisch die Harpune hat, ziehen sie in möglichster Schnelle denselben über Wasser, damit die Fluth, gegen die er jetzt angerissen wird, das Gewicht nicht noch vermehrt, das die schwache Harpune überdies schon zu halten hat. Zu gleicher Zeit muß ein Matrose draußen ebenfalls eine Schlinge bereit halten, sie dem Gefangenen, so wie er ihn nur erreichen kann, um den Schwanz zu werfen. Dieser aber schlägt dabei aus Leibeskräften um sich, und müht sich unausgesetzt - durch sein bedeutendes Gewicht höchst nachdrücklich unterstützt - wieder loszukommen. Es läßt sich denken, daß es dadurch mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, einen solchen gewaltigen Fisch an Bord zu holen, und wir haben fünf auf diese Art verloren.

Das Fleisch des Schweinefisches ist ziemlich gut und es lassen sich besonders vortreffliche sogenannte ,,Beefsteaks" davon bereiten. Das Harpuniren ist, obgleich der Fisch im vollen Sprung getroffen sein will, keineswegs sehr schwierig, doch gehört eine sichere Hand und etwas Uebung dazu.

Mitten in dem Jubel und Lärm der Passagiere ging in der nämlichen Zeit ein Mann herum, der sich um alles das nicht kümmerte, die Stellen vermied, wo lustige Leute beisammen waren, und stets still und abgeschieden, finster brütend und mit seinen eigenen, jedenfalls traurigen Gedanken beschäftigt, an irgend einem einsamen Plätzchen saß, wo er das auch immer aufsuchen mußte. Der Mann hatte das Heimweh. - Mir war er wohl schon lange aufgefallen, aber ich glaubte immer, er leide vielleicht noch an den Folgen der Seekrankheit, von der er sehr mitgenommen worden. Eines Tages aber kam er mit thränenden Augen zu mir und bat mich, ich möchte doch um Gottes willen den Capitain dahin zu bewegen suchen, /13/ daß er ihn mit dem nächsten Schiff, was uns begegne, zurück nach Deutschland schicke. - Er habe leichtsinnig gehandelt - er habe eine Frau und drei Kinder daheim zurückgelassen, während ihm jetzt die Erinnerung an sie das Herz zerreiße und er blutige Thränen weinen möchte, wenn er an den Abschied von den Seinen dächte. Die Kleinen waren ihm um den Hals gefallen und hatten ihn gebeten, daß er nicht von ihnen gehen möchte. - Jetzt sähe er ein daß er unrecht, daß er unverantwortlich gehandelt habe, und sei auch sein kleines Capital, was er auf die Reise verwandt, nun verloren, so wolle er doch lieber den letzten Pfennig daran wenden, wieder zurückzukommen, und dann im Vaterland bei den Seinen Tag und Nacht arbeiten, das Verlorene wieder einzubringen.

Als sich dem Mann erst einmal der starre Schmerz gelöst, als er Worte gefunden hatte, gerieth er fast außer sich, und die Thränen stürzten ihm die bleich gehärmten Wangen nieder. Ich that allerdings Alles was in meinen Kräften stand, ihn zu trösten; was aber konnte ich ihm als Trost sagen. Ein Schiff zu finden, das ihn zurücknähme, darauf durfte er gar nicht rechnen, denn wenn wir wirklich eins trafen, wie das auch später geschah, so hätte ihn das gar nicht so ohne Weiteres aufnehmen dürfen. Alles was ich ihm rathen konnte, war, sich den Schritt, den er gethan, noch einmal recht zu überlegen und dann, wenn wir nach Rio kämen, entweder alle trüben Gedanken bei Seite zu werfen und in das Leben, das er sich jetzt einmal gewählt, mit beiden Füßen zugleich hineinzuspringen, oder - wenn er fühle, daß er unrecht gehandelt habe und den Schritt bereue, oder auch nicht im Stande sei die Trennung zu ertragen, von Rio de Janeiro aus, wo er fast jeden Tag Gelegenheit habe, wieder heimzukehren in die Arme der Seinen.

Der Mann beruhigte sich endlich. Als wir einige Tage später ein Schiff trafen, erwähnte er nichts weiter von seiner früheren Absicht, und noch vor Rio antwortete er mir auf meine Frage danach, daß er sich entschlossen habe, seinen Plan durchzuführen und nach Californien zu gehen. Als er aber später in Rio de Janeiro die heimwärts bestimmten Schiffe /14/ sah, und gar Menschen sprach, die sich darauf freuten nun bald wieder zu Hause bei den Ihrigen zu sein, da mochte das Heimweh wohl wieder mit der alten gewaltigen Kraft ausgebrochen sein und alle seine anderen Entschlüsse über den Haufen geworfen haben. Er nahm seine Sachen vom Bord des Talisman und ging als Passagier an Bord eines dorthin bestimmten Schiffes, nach Bremen zurück.

Wir befanden uns jetzt ziemlich unter der Linie und kamen auch unter die hier fast unvermeidliche Windstille. Die Hitze hatte ich mir aber viel schlimmer gedacht, denn bei einem kaum bemerkbaren Luftzug war sie ganz erträglich und selbst ohne diesen kaum drückend. Am heißesten Tag hatten wir im Schatten 27 Grad Reaumur. Eins der vielen Seemärchen ist es, daß die Schiffe bei Windstille unter dem Aequator alle halbe Stunden oder alle Stunden mit Wasser begossen werden müssen, wenn sie nicht „springen" sollen. Unsere Decks wurden nur Morgens wie gewöhnlich gewaschen. Regenschauer sind übrigens hier ziemlich häufig und besonders in der Nacht störend, wo die Schläfer am Deck fast jede Nacht durch einen Guß geweckt und in ihre dunstigen Kojen mit den nassen Betten hinabgeschickt werden.

Unsere Fahrt ging von da an still und günstig vorwärts. Bei Cap Frio hatten wir allerdings einen kleinen Sturm durchzumachen, der aber nur einige Tage dauerte. Am 12. Mai erreichten wir endlich die lang' ersehnte Einfahrt von Rio de Janeiro, und hatten am Nachmittag das ganze prachtvolle Panorama, das den schönsten Hafen der Welt umschließt, vor uns. Schon konnten wir den „Zuckerhut", der als treffliche Landmarke das linke Ufer des Eingangs bildet, unterscheiden. Je mehr wir uns dem Land näherten, desto deutlicher traten die einzelnen Gruppen, endlich die Umrisse der Vegetation und zuletzt sogar das so lang' entbehrte lebende Grün der Bergrücken und Wälder, aus denen hochstämmige Palmen aufragten, empor. An den beiden kleinen Inseln Paya und Maya (Vater und Mutter) segelten wir dicht vorüber, und erreichten gerade nach Sonnenuntergang den Platz, von dem wir, wäre es hell gewesen, Alles hätten überschauen können, was das Auge in dieser neuen Welt /15/ überrascht und entzückt. - Unter den Tropen folgt aber dem Sonnenuntergang auch fast augenblickliche Nacht, und als wir vom Fort Santa-Cruz angerufen wurden, lag schon tiefe Nacht auf dem Meere, und nur unzählige Lichter verriethen die Nähe einer volkreichen Stadt, eines belebten Hafens.

Es war bis dahin an Bord die Befürchtung ausgesprochen, daß die Passagiere der fremden Schiffe, ohne einen vom brasilianischen Consul in Deutschland visirten Paß zu haben, nicht würden an's Land gelassen werden. Glücklicher Weise zeigte sich das aber anders; denn als am nächsten Morgen das sogenannte Visitenboot zu uns an Bord kam, wurde uns bald die summarische Erlaubniß zu Theil, so rasch und so zahlreich an Land zu fahren, wie wir nur wollten. Man kann sich denken, daß wir schnell genug davon Gebrauch machten, und es dauerte nicht lange, so ruderten wir (am 13. Mai Morgens) im herrlichsten Sonnenlicht dem freundlichen Ufer entgegen. „Brasilien ist nicht weit von hier", sangen Einige, und Alle freuten sich der prachtvollen Natur, die uns umgab.

Der Hafen von Rio de Janeiro ist übrigens schon zu oft beschrieben, als daß ich noch einmal etwas versuchen sollte, was eigentlich doch unmöglich ist - diese wunderbare Natur, die stille Bai, die am Ufer bald zerstreuten, bald zu Massen zusammengedrängten Gebäude, die hohen, bald schroffen, bald mit der herrlichsten Vegetation bedeckten Hügel und Gebirge, die zahlreichen Schiffe und Boote, die Flaggen aller Länder und Erdtheile, die Forts und Bastionen mit ihren Kirchen und Kanonen - das Alles läßt sich wohl schildern und ausmalen, aber dem Leser einen wirklichen Begriff, ein treues Bild davon zu geben, das, glaub' ich, ist unmöglich. /16/

 

2.

Rio de Janeiro und weiter!

Die Stadt selber - und mit wie Manchem auf der weiten Gotteswelt geht es nicht ebenso - verliert indessen gewaltig, wenn man erst ihre nähere Bekanntschaft macht. Die Straßen sind, mit wenigen Ausnahmen, eng und schmutzig. Die Menge der Sclaven, mit ihren unzähligen farbigen Abstufungen, die dem Auge überall in den Weg tritt, macht einen zu widerlichen Eindruck auf den Europäer, um ihn in dem scharfen Contrast nicht selbst die herrliche Natur vergessen zu machen, der man übrigens in den schmalen Straßen auch fast entrückt ist.

Am nächsten Morgen beschloß ich, eine kleine Landpartie zu machen, und ritt mit einigen Freunden zusammen hinaus in's Freie.

Die brasilianischen Pferde sind kleine muntere, ausdauernde Thiere und gehen meistens, was ich wenigstens davon sah, Paß oder Galopp. Die auf dem Lande wohnenden Pflanzer und Kaufleute aber, die Morgens in die Stadt kommen und Abends wieder Hinausreiten, gebrauchen nicht selten Maulthiere - ebenfalls eine kleinere Race, als ich sie in Nordamerika gefunden habe - und erreichen mit diesen ihr Ziel wohl nicht ganz so rasch, aber doch jedenfalls weit bequemer und sicherer.

Die Umgegend von Rio ist wirklich paradiesisch - die stille Bai mit ihren zahlreichen Masten und lebendig hin- und wiederschießenden Booten - die niedlichen Gärten mit ihren Orangen, Bananen und Palmen, Kaffeebäumen und Blumenbüschen - die hohen pittoresken Berge und Felskuppen, die weit übereinander herüber schauen - die eigenthümliche Tracht und Farbe der Eingeborenen und Sclaven, die zu Markt ziehenden Neger, die Viehtreiber und Verkäufer, das Alles macht mit seinen wechselnden phantastischen Gestalten auf den Fremden /17/ einen eigenthümlichen, wohl kaum zu vergessenden Eindruck. Der Unterschied mit der Heimath ist zu auffallend; man fühlt, daß man in einem fremden, tropischen Lande ist, und jeder Schritt, jede Biegung der Straße, jede uns begegnende Persönlichkeit bringt dem mehr und mehr erregten Geiste, dem gierig umherschweifenden Auge Neues, Interessantes.

Leider konnte ich aber nicht lange in diesem schönen Lande verweilen, denn ein neuer, erst in den letzten Tagen an Bord flüchtig gefaßter Plan war mir so lieb geworden, daß ich beschloß, ihn durchzuführen, es koste was es wolle.

An Bord des Talisman war nämlich ein junger Italiener, von englischen Eltern geboren, der, mehr aus Prahlerei wahrscheinlich als einer ernsten Absicht wegen, eine Wette gemacht hatte (und zwar mit Eins gegen Zwanzig), daß er die Landreise durch Südamerika durchführen wolle. Mir selber war die Landreise schon bis dahin fortwährend im Kopf herumgegangen. Das damalige Reichsministerium hatte mir nämlich einen Zuschuß unter dem Vorbehalt bewilligt, daß ich bestimmte Länder, zu denen die La Platastaaten gehörten, dafür besuchen wolle. Wenn ich nun auch die feste Absicht hatte, diese jedenfalls auf dem Rückweg, um das Cap der guten Hoffnung heimkehrend, zu bereisen, so lag dazwischen doch noch ein langer Zeitraum und außerdem die ganze Welt, und ich beschloß endlich, mich in Rio de Janeiro wenigstens genau nach einer solchen Landreise zu erkundigen. In Rio erhielten wir aber zu unserem Erstaunen so mißliche Nachrichten über die Argentinische Republik, durch die hier mein Weg, querüber durch die Pampas, lag, es wurden uns solch' entsetzliche Geschichten von den jetzt empörten Indianern und nachher dem Schnee der Cordilleren, die wir gerade hätten mitten im Winter passiren müssen, erzählt, daß mein Begleiter die Sache in Verzweiflung aufgab und seinen Dollar Wette bezahlte. War ich aber vorher noch unentschlossen gewesen, so schien es, als ob mich diese sonst keineswegs ermuthigenden Nachrichten erst hartnäckig gemacht hätten. Schon in Nordamerika hatte ich erfahren, wie oft solche Berichte über Weitentfernte Strecken übertrieben seien und Manches in der /18/ Nähe eine ganz natürliche Färbung bekomme, was uns, weit davon entlegen, in fabelhafter Weise ausgeschmückt wurde. Nicht wenig vertraute ich dabei auf mein gutes Glück, das mir in früherer Zeit schon manchmal durchgeholfen. Das Resultat war, daß ich mit einem kleinen deutschen Schooner, der unter argentinischer Flagge zufällig im Hafen lag und nach Buenos-Ayres bestimmt war, meine Passage abschloß und mich schon am 16. Mai aus diesem nach der argentinischen Republik hin einschiffte.

In den La Platastaaten und den weiten Pampas Südamerikas lernte und sah ich mehr, als an Bord eines von Passagieren dichtgedrängten Schiffes, und was die Gefahren betraf, so besaß ich zu vielen Leichtsinn, an die eher zu denken, als sie mir wirklich entgegentraten.

Für alle Solche übrigens, welche nach mir Lust haben sollten dieselbe Tour zu unternehmen, möchte ich eine wohlmeinende Warnung hier beifügen, und diese besteht darin, ihre Papiere bei guter Zeit fertig zu machen, damit sie nicht im entscheidenden Augenblick durch irgend eine erbärmliche Kleinigkeit, die ihnen aber förmlich unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg wirft, aufgehalten werden. Nicht allein muß man nämlich seinen Paß von dem Buenos-Ayres-Consul visirt und ebenfalls von der Polizei die Erlaubniß darauf verzeichnet haben, auf einem andern Schiffe, als mit dem man angekommen, den Hafen wieder verlassen zu dürfen, sondern es ist auch noch eine Erlaubnißkarte nöthig, „das Passagiergut von einem Schiff auf das andere schaffen zu dürfen", und befindet sich zufällig ein „Gewehr" bei diesen Effecten, so fangen Aufenthalt und Kosten an in's Fabelhafte zu gehen. Das Gewehr muß dann, wenn man nicht andere Mittel und Wege findet dem Rechtsschlendrian zu entgehen, erst an's Ufer geschafft und - ich glaube, mit vierzig Procent versteuert, und dann erst wieder an das neugewählte Schiff gebracht werden. Nach zwei Uhr Nachmittags ist aber auch selbst dies nicht mehr möglich, und der ganze wie der nächstfolgende Tag versäumt, da die Schiffe nur mit der bis zehn Uhr etwa wehenden Landbrise auslaufen können. Ich meinestheils habe es nur der Freundlichkeit und wirklich aufopfernden Gefällig-/19/keit des Herrn Viceconsuls Heymann in Rio-Janeiro zu danken, daß es mir überhaupt möglich wurde, allen Anforderungen zu genügen und mit den nöthigen Papieren von Bord des Talisman und an Bord des San-Martin zu kommen. Eine geraume Zeit meines kurzen Aufenthalts in Rio ist mir aber durch diese entsetzlichen Weitläufigkeiten wirklich auf das Fatalste verbittert worden, und ich bekam in der That von Brasilien, auf das ich mich so lange schon gefreut, fast gar nichts zu sehen. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf, das in einer späteren Zeit nachzuholen, und ging ohne Weiteres an Bord meines neuen Fahrzeugs, des San-Martin.

Der Talisman mußte noch wenigstens eine volle Woche im Hafen bleiben, und da der San-Martin augenblicklich segelte, hatte ich die Hoffnung Buenos-Arires zu erreichen, ehe mein altes Schiff nur wieder in See ging. Dort konnte ich mich dann einige Wochen aufhalten, und hoffte so immer noch, Valparaiso am Stillen Meere zu erreichen, ehe der Talisman im Stande war die oft sehr langwierige Reise um Cap Horn zu beenden. Für den Fall aber, daß mir irgend etwas passire oder ich aufgehalten würde, hatte ich vom Cargador wie Capitain des Talisman das feste Versprechen erhalten, daß sie meine Effecten in dem Geschäft der Herren Lampe, Müller und Fehrmann einsetzen wollten, und ich konnte dann später mit einem andern Heydorn'schen Schiffe nach San-Francisco nachkommen. Den Umständlichkeiten Rio de Janeiros glücklich entgangen, - meine Büchsflinte mußte ich sogar noch an Bord des San-Martin hinüber schmuggeln - schiffte ich mich am 16. Mai aus diesem kleinen Schooner nach Buenos-Ayres ein. Die ersten Tage schien auch ein ziemlich guter Wind unsere kurze Fahrt begünstigen zu wollen, und die Reise kann, wenn Alles zusammen stimmt, recht leicht in fünf Tagen zurückgelegt werden. Hatten wir dies aber erwartet, so sollten wir uns bald gewaltig getäuscht finden, denn der Wind drehte sich, und am 21. verwandelte ein Pampero die ruhig wogende See in ein wildes, sturmgepeitschtes Meer, auf dem unsere kleine Nußschale von Fahrzeug auf das Unerbittlichste umhergeschleudert wurde. Pampero ist übrigens ein Wort, /20/ das der diese See Befahrende gerade zur Genüge zu hören bekommt, und mit dem ich den deutschen Leser (der es sich aus solche Art recht gut gefallen lassen kann) ebenfalls etwas vertrauter machen will.

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