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Helene

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I

Im Schatten einer hohen Linde, am Ufer der Moskwa, unweit Kunzowo, lagerten an einem der heißesten Sommertage des Jahres 1853 zwei junge Männer im Grase. Der eine, dem Anscheine nach dreiundzwanzig Jahre alt, hoch von Wuchs, von dunkler Gesichtsfarbe, mit spitzen etwas schiefer Nase, offener Stirn und verhaltenem Lächeln auf den breiten Lippen, lag auf dem Rücken und blickte, leicht mit den Augen blinzelnd, in die Ferne hinaus; der andere lag auf der Brust, den blonden Lockenkopf auf beide Arme gestützt, und hatte gleichfalls den Blick in die Weite gerichtet. Er war drei Jahre älter als sein Gefährte, schien aber viel jünger zu sein: der Schnurrbart keimte kaum und das Kinn war mit leichtem Flaum bedeckt. Es lag etwas kindlich Liebliches etwas einnehmend Graziöses in den seinen Zügen seines frischen, runden Gesichtes, in den angenehmen braunen Augen, den schönen, vollen Lippen und den weißen kleinen Händen. Sein ganzes Wesen athmete glückliche, heitere Gesundheit, Sorglosigkeit, Selbstvertrauen, Jugendmuthwillen und Jugendzauber. Er ließ seine Blicke umherschweifen, lächelte und stützte den Kopf, wie es Knaben thun, die dessen sich bewußt sind, daß man sie mit Vergnügen betrachtet. Er hatte einen weiten, weißen Ueberrock in der Art eines Staubhemdes an; ein blaues Tuch war um seinen schlanken Hals geschlungen und neben ihm im Grase lag ein zerdrückter Strohhut.

Im Vergleich zu ihm schien sein Gefährte ein alter Mann und Niemand würde beim Anblick seiner ungelenken Figur geglaubt haben, daß auch er Genuß empfinde, daß auch ihm wohl zu Muthe sei. Es war etwas Unbeholfenes in seiner Stellung, in der Art wie sein nach oben breiter, nach unten spitz zulaufender Kopf auf dem langen Halse saß; diese Unbeholfenheit äußerte sich auch in der Haltung der Arme, des in einen kurzen, schwarzen Ueberrock gezwängten Oberkörpers und in den langen Beinen, die er, wie Heuschrecken ihre Hinterfüße, die Knie hinauf, an sich gezogen hatte. Bei alledem war unverkennbar, daß er ein wohlerzogener Mensch war; sein ganzes Wesen trug das Gepräge der »Ordentlichkeit« und sein unschönes und sogar etwas komisches Gesicht verrieth Gewohnheit des Nachdenkens und Gutmüthigkeit. Sein Staate war Andrei Petrowitsch Berßenjew; sein Kamerad, der blonde junge Mann, hieß Pawel Jakowlewitsch Schubin.

– Warum liegst Du nicht, gleich mir, aus der Brust? begann Schubin. So ist es viel besser. Besonders wenn man dabei die Füße in die Höhe hebt und mit den Hacken aneinander klopft – siehst Du, so! So hast Du den Rasen vor der Nase: fortwährend die Landschaft anzustieren, bekommt man satt; – betrachte Dir einmal ein rundes Käferchen, wie es den Grashalm hinaufkriecht, oder eine Ameise, wie sie geschäftig umherläuft. Das ist wirklich vernünftiger. Liegst Du doch in Deiner pseudo-classischen Positur hingestreckt, wie eine Tänzerin im Ballet, die sich auf einen Felsen aus Pappe stützt. Vergiß nicht, Du hast jetzt volles Recht auszuruhen; ’s ist keine Kleinigkeit; als Dritter aus dem Candidatenexamen hervorzugehen! Ruhen Sie aus, Sir; hören Sie auf, sich anzustrengen, strecken Sie Ihre Glieder!

Schubin brachte diese Rede näselnd in etwas trägem und tändelndem Tone vor (so reden verwöhnte Kinder zu den Freunden des Hauses, die ihnen Zuckerwerk bringen), und ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort:

– Was mich am meisten bei Ameisen, Käfern und bei den anderen Herren Insecten in Erstaunen setzt, das ist ihre außerordentliche Ernsthaftigkeit; mit so wichtiger Physiognomie laufen sie umher, als gelte ihr Dasein auch etwas! Der Mensch, dieser Kopf der Schöpfung, dieses höhere Wesen, blickt auf sie herab, und siehe da, sie nehmen keine Notiz davon; ja einer Mücke kann es gar einfallen, sich dem Kopf der Schöpfung auf die Nase zu setzen und dieselbe als eine Nahrungsquelle für sich zu benutzen. Das ist beleidigend. Andererseits aber – weshalb wäre ihr Leben schlechter als das unsere? Warum sollten sie nicht auch wichtig thun, wenn wir es uns erlauben? Wohlan, Philosoph, löse mir diese Aufgabe! Warum sprichst Du nichts? Nun?

– Was willst Du? . . . fragte Berßenjew, aus seinen Träumen erwachend.

– Was? wiederholte Schubin. Dein Freund breitet vor Dir seine tiefsinnigsten Ideen aus und Du schenkst ihm nicht einmal Gehör!

– Ich ergötzte mich an der Fernsicht! Sieh doch, wie jene Felder herrlich im Sonnenschein glänzen! (Berßenjew lispelte etwas beim Sprechen.)

– Der Ton ist fein gehalten, brummte Schubin. Mit einem Worte, Natur!

Berßenjew schüttelte den Kopf.

– Du solltest mehr als ich daran Freude haben. Das schlägt in Dein Fach: Du bist Künstler.

– Nein; mein Fach ist es nicht, erwiederte Schubin und schob den Hut in den Nacken. Ich bin Fleischer; mein Fach ist – Fleisch, Fleisch zu modelliren, Schultern, Beine, Arme, und hier ist nichts von Form, nichts Bestimmtes, Alles auseinander geflossen . . . Und das bringe mal Einer zusammen!

– In seiner Art ist auch das schön! bemerkte Berßenjew. Ja, sage doch, hast Du Dein Basrelief beendet?

– Welches?

– Das Kind mit dem Ziegenbock.

– Das hole der Kukuk, Kukuk, Kukuk! rief Schubin in singendem Tone. Ich habe mir das Leben selbst, die Alten, die Antike angesehen und mein Machwerk zerschlagen. Du zeigst mir die Natur und sagst: Da ist auch Schönheit. Gewiß, Schönheit ist in Allem, selbst in Deiner Nase zu finden, wie willst Du aber jeder Schönheit nachlaufen. Die Alten, – die liefen dem Schönen nicht nach; es ließ sich von selbst auf ihre Werke herab, wer weiß woher! vom Himmel etwa? Ihnen gehörte die Welt; wir aber können uns so breit nicht machen: die Arme sind uns zu kurz. Wir werfen unsere Angel nach einem Punkte aus und passen auf. Hat etwas angebissen, bravo!l wenn nicht . . .

Schubin streckte die Zunge vor.

– Halt, halt! entgegnete Berßenjew, das ist ja ein Widerspruch. Wenn Du das Schöne nicht fühlen, es nicht lieben wirst, wo es Dir auch vorkommen mag, wird es sich Dir in Deiner Brust nimmer aufthun. Wenn eine schöne Aussicht, eine liebliche Musik Deine Seele nicht rühren, ich will sagen, Dein Gefühl nicht anregen . . .

– Ach, Du Gefühlsanreger! platzte Schubin aus und lachte bei diesem neugeschaffenen Worte auf, Berßenjew jedoch blieb ernsthaft. Nein, Bruder, fuhr Schubin fort, Du bist ein kluger Kopf, ein Philosoph der dritte Candidat der moskauer Universität, mit Dir zu streiten kann gefährlich werden, vorzüglich für mich, den ausgetretenen Studenten; eines muß ich Dir aber sagen: außerhalb meiner Kunst liebe ich die Schönheit nur an Frauen . . . an Mädchen, und auch das erst seit Kurzem . . .

Er drehte sich auf den Rücken um und legte die Hände unter den Kopf zurück.

Einige Minuten blieben sie stumm. Die Stille der Mittagshitze lag schwer aus der bestrahlten und ruhenden Erde.

– Da wir just von Weibern reden, fing Schubin wieder an, warum fällt es Niemandem ein, Stachow in Zucht zu nehmen? Hast Du ihn in Moskau gesehen?

– Nein.

– Der Graubart hat ganz den Verstand verloren. Täglich sitzt er bei seiner Augustine Christianowna, langweilt sich furchtbar und geht doch nicht fort. Sie gucken einander in die Augen, – so dumm . . . daß Jedem übel dabei wird. Da hast Du es! Was Familie betrifft, ist der Mensch doch gewiß nicht vom Himmel übergangen worden; aber nein, er muß noch die Augustine haben! Ich kenne nichts Widerlicheres, als diese Entenphosiognomie! Ich habe neulich eine Carricatur von ihr modellirt, in Dantan’schem Geschmack. Sie ist nicht schlecht ausgefallen. Ich werde sie Dir zeigen.

– Und Helena Nikolajewna’s Büste, fragte Berßenjew, geht es mit der vorwärts?

– Nein, Bruder, es geht nicht vorwärts damit. Das Gesicht könnte Jeden zur Verzweiflung bringen. Siehst Du Dir’s an, – sind es nur reine, regelmäßige, gerade Linien; es scheint, die Aehnlichkeit müsse leicht heraus zu bekommen sein. Doch nein . . . nichts davon. Hast Du bemerkt, wie sie zuhört? Kein einziger Zug bewegt sich, aber der Ausdruck im Blicke verändert sich beständig, und davon wird auch die ganze Figur anders. Was fängt dabei ein Künstler, und noch dazu ein mittelmäßiger, an? Ein wunderbares Wesen . . . ein sonderbares Wesen, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu.

– Ja; ein wunderbares Mädchen, wiederholte Berßenjew.

– Und das ist Nikolai Artemjewitsch Stachow’s Tochter! Sprich Du mir nun von Blut und Race. Und ist es nicht curios, daß sie so ganz seine Tochter, ihm so ähnlich und zugleich der Mutter, Anna Wassiljewna, ähnlich ist. Diese Frau achte ich von ganzem Herzen, auch hat sie mir viel Gutes erwiesen – eine Gans ist sie aber doch! Von wem hat nur Helene diese Seele? Wer hat dieses Feuer entzündet? Da hast Du wieder eine Aufgabe, Philosoph!

Der Philosoph, antwortete jedoch wie vorhin nichts. Redseligkeit war überhaupt nicht Berßenjew‘s schwache Seite, Helene- und wenn er sprach, drückte er sich nicht in üblicher Weise aus; er stockte und gesticulirte ohne Noth mit den Händen; jetzt aber war ein besonderes Schweigen über ihn gekommen, ein Schweigen, das als Ermattung und Melancholie gedeutet werden konnte. Nach langer und schwerer Arbeit, die viele Stunden des Tages in Anspruch genommen hatte, war er, nicht weit von der Stadt, aufs Land gezogen. Die Unthätigkeit, die wonnige reine Luft, das Bewußtsein, ein Ziel erreicht zu haben, das offene ungezwungene Gespräch mit dem Freunde, das plötzlich hervorgerufene Bild eines lieben Wesens, alle diese verschiedenartigen und dabei einander doch ähnlichen Eindrücke verschwammen bei ihm zu einem allgemeinen Gefühle, das ihn zugleich beruhigte, aufregte und erschlaffte . . . Er war ein überaus empfindsamer junger Mann.

Unter der Linde war es kühl und still; die Fliegen und Bienen, die in den Schattenkreis derselben hineingeriethen, summten, wie es schien, leiser; das reine, kurze, smaragdgrüne Gras schillerte nicht in goldigen Uebergängen und bewegte sich nicht; wie von einem Zauber berührt ragten die längeren Halme regungslos empor, und wie von einem Zauber berührt und leblos hingen auch an den unteren Zweigen der Linde gelbe Blüthenbüschel herab. Mit Wonne sog jeder Athemzug den lieblichen Duft tief ein. In der Ferne« jenseits des Flusses, bis an den Horizont stand Alles in Glanz und Gluth; zuweilen strich ein Luftzug darüber hinweg und zertheilte und vervielfältigte den Glanzschimmer; ein strahlender Dunst zitterte über dem Boden. Kein Vogel ließ sich hören – während der heißen Mittagsstunden singen die Vögel nicht – doch rings umher zirpten Grillen und im kühlenden Schatten ruhend, hörte sich dieser geschäftige Lebensruf mit Vergnügen an: er schläferte ein und rief die Phantasie wach.

 

– Hast Du bemerkt« begann plötzlich Berßenjew, indem er mit Gesticuliren seiner Rede nachhalf, welch’ ein eigenthümliches Gefühl die Natur in uns erweckt? Alles in ihr ist so vollendet, so klar, ich möchte sagen, so selbstgenügsam; wir sehen es und freuen uns daran und doch erweckt sie dabei immer, wenigstens in mir, eine gewisse Unruhe, eine unbestimmte Angst, ja sogar Schwermuth. Woher kommt das wohl? Wäre es etwa, weil wir bei ihrem Anblicke, Angesichts derselben, uns unserer Unvollkommenheit, unserer Unklarheit bewußt werden, oder ist das, was ihr genügt, zu wenig, um uns zu befriedigen und fehlt es ihr an Anderem, das heißt an dem, was uns Noth thut?

– Hm, erwiederte Schubin, ich will Dir, Andrei Petrowitsch, sagen, woher das kommt. Du hast die Eindrücke eines einsamen Mannes beschrieben, der nicht lebt, sondern vor sich hinstiert und in sich selbst zerfließt. Was nützt das bloße Gassen? Fange zu leben an und Du wirst ein ganzer Kerl werden. Klopfe so viel Du willst an das Thor der Natur, sie wird Dir nicht antworten, weil sie stumm ist. Sie wird tönen und jammern wie eine Darmsaite, auf Lieder warte nicht. Eine lebende Seele – die wird Dir Antwort geben, und vor Allem die Seele eines Weibes. Und darum, mein edler Freund, rathe ich Dir, Dich nach einer Gefährtin des Herzens umzusehen, und alle schwermüthigen Empfindungen werden sofort bei Dir verschwinden. Das ist es, was uns »Noth thut« wie Du sagtest. Diese Angst, diese Schwermuth, das ist ja Alles, wahrhaftig, in seiner Art, eine Hungersnoth. Gieb dem Magen die angemessene Speise und Alles wird bald in Ordnung sein. Nimm Deine Stelle im Weltraume ein, werde ein lebender Körper, mein Bester. Und was ist denn, was nützt denn, die »Natur?« Höre auf das Wort: Liebe . . . welch’ ein mächtiges, glühendes Wort! Natur . . . was für ein kalter, schülerhafter Ausdruck! Und darum (Schubin sagte es singend): Es lebe Maria Petrowna; oder nein« setzte er hinzu, nicht Maria Petrowna; nun das bleibt sich ganz gleicht Vous me comprenez!

Berßenjew erhob sich ein wenig und stützte sein Kinn aus die gekreuzten Arme.

– Wozu der Scherz, sagte er, ohne den Gefährten anzusehen, wozu der Spott? Ja, Du hast Recht: Liebe . . . ist ein großes Wort, ein großes Gefühl . . . Von welcher Liebe aber sprichst Du?

Schubin richtete sich gleichfalls etwas auf.

– Von welcher Liebe? Von welcher Dir beliebt, sie muß aber da sein. Offen gestanden, giebt es, meiner Ansicht nach, keine verschiedenen Gattungen von Liebe. Wenn Du wirklich liebst . . .

– Von ganzer Seele, warf Berßenjew ein.

– Nun ja, das versteht sich von selbst: die Seele ist kein Apfel; man kann sie nicht in Theile zerlegen. Wenn Du also liebst, hast Du auch Recht. Spotten wollte ich aber nicht. Mein Herz ist jetzt so zärtlich, so weich gestimmt . . . Ich wollte blos erklären, warum die Natur, wie Du sagtest, einen solchen Eindruck aus uns hervorbringt. Das kommt, weil sie in uns das Bedürfniß der Liebe erregt und nicht im Stande ist, es zu befriedigen. Sie drängt uns sanft in andere, lebendige Umarmung und wir verstehen sie nicht und erwarten von ihr selbst etwas Besonderes. Ach, Andrei, Andrei, schön ist diese Sonne, dieser Himmel, Alles, Alles um uns her ist so herrlich und Du trauerst; wenn Du aber in diesem Augenblicke in Deiner Hand die Hand eines geliebten Weibes hieltest, wenn diese Hand und das ganze Weib Dein wären, und wenn Du dazu noch mit ihren Augen sähest, nicht mit eigenem, isolirtem Gefühle, sondern mit ihrem Gefühle fühltest . . . o Andrei, nicht Schwermuth, nicht Angst erregte dann die Natur in Dir und für ihre Schönheiten hättest Du kein Auge; sie selbst würde frohlocken und jubeln, sie würde Deine Hymne mit ihrem Gesang begleiten, denn Du hättest ihr, der Stummen, die Sprache gegeben.

Schubin sprang auf und ging einige Mal auf und ab, Berßenjew seinerseits senkte den Kopf und sein Gesicht röthete sich leicht.

– Ich bin nicht ganz mit Dir einverstanden, begann er, nicht immer weist die Natur auf . . . Liebe hin. (Dieses Wort kam nicht sogleich aus seinem Munde.) Sie droht uns auch, sie mahnt uns an schreckliche . . . ja an unergründliche Geheimnisse. Ist sie es nicht, die uns verschlingen soll, die uns fortwährend verschlingt? an ihr ist Leben und Tod; aus ihr redet ebenso laut Tod wie Leben.

– Auch in der Liebe ist Leben und Tod, unterbrach ihn Schubin.

– Und dann, fuhr Berßenjew fort, wenn ich zum Beispiel im Frühling in einem Walde, im Dickicht des Grüns mich befinde und mir däucht, ich höre die romantischen Töne von Oberon‘s Horn (Berßenjew empfand etwas wie Scham, als er diese Worte vorbrachte), wäre das wohl . . .

– Liebessehnen, Sehnen nach Glück, weiter nichts! warf Schubin ein. Auch mir sind jene Töne, jene Rührung, jene Erwartung bekannt, die im Schatten des Waldes, in dessen tiefstem Dickicht, oder auch wohl Abends auf freiem Felde, wenn die Sonne sich neigt und hinter dem Röhricht Nebel vom Flusse aufsteigen, die Seele beschleichen. Aber auch vom Walde, wie vom Flusse, von der Erde, wie vom Himmel, von jedem Wölkchen, jedem Grashalme erwarte und fordere ich Glück, ich spüre in Allem dessen Herannahen, überall höre ich sein Rufen. »Mein Gott, mein Gott ist licht und heiter!« Das war der Anfang eines Gedichtes von mir; Du wirst gestehen, der Vers ist schön, den folgenden habe ich aber nicht dazu finden können. Glück!s Glück! so lange das Leben noch nicht abgelaufen ist, so lange wir noch alle unsere Glieder in unserer Gewalt haben, so lange es mit uns nicht bergab, sondern bergan geht! Hol‘s der Kukuk! fuhr Schubin in einem plötzlichen Anfalle von Begeisterung fort; wir sind jung, nicht mißgestaltet, nicht auf den Kopf gefallen: wir wollen uns das Glück erobern!

Er schüttelte die Locken und blickte selbstbewußt und fast herausfordernd gen Himmel. Berßenjew erhob die Augen zu ihm.

– Als ob es nichts Höheres gäbe, als Glück! sagte er ruhig.

– Was denn zum Beispiel? fragte Schubin und blieb stehen.

– Nun, wir sind Beide, wie Du sagst, jung, ehrliche Männer, so zu sagen; Jeder von uns wünscht für sich Glück . . . Ist aber wohl dieser Begriff: »Glück« solcher Art, daß er uns Beide vereinigen, begeistern und zwingen könnte, einander die Hand zu bieten? Ist er nicht ein selbstsüchtiger, ich will sagen, ein trennender Begriff?

– Du kennst also wohl Begriffe, die vereinigen?

– Gewiß, und es sind deren nicht wenig; auch Du kennst sie.

– Wohlan denn, nenne mir diese Begriffe.

– Nun zum Beispiel, Kunst – da Du gerade Künstler bist – Heimath, Wissenschaft, Freiheit, Gerechtigkeit.

– Und Liebe? fragte Schubin.

– Auch Liebe ist ein vereinigender Begriff; aber nicht jene Liebe, nach welcher Dich jetzt gelüstet: Liebe ist nicht . . . Genuß; Liebe ist . . . Opfer.

Schubin machte ein saures Gesicht.

– Das paßt für Deutsche; ich will für mich selbst Liebe; ich will Nummer Eins sein.

– Nummer Eins, wiederholte Berßenjew – Ich möchte glauben Nummer Zwei zu werden . . . wäre die rechte Bestimmung unseres Lebens.

– Wenn Jeder Deinem Rathe folgen wollte, erwiederte Schubin mit kläglicher Grimasse, – so äße Niemand auf der Welt Ananas: ein Jeder überließe sie dem Nächsten.

– Daraus folgt, daß Ananas kein Bedürfniß ist; sei übrigens ohne Sorge: es wird immer Leute geben, die selbst das liebe Brod Anderen vom Munde nehmen.

Beide Freunde schwiegen einige Zeit.

– Neulich begegnete mir wieder Inßarow, nahm Berßenjew das Gespräch wieder auf: – ich habe ihn zu mir eingeladen; ich will durchaus, daß er mit Dir . . . und auch mit Stachow‘s bekannt werde.

– Wer ist dieser Inßarow? Ach ja jener Serbe oder Bulgare, von dem Du mit mir gesprochen. Jener Putriot! Hat er nicht vielleicht Dir alle diese philosophischen Ideen beigebracht!

– Vielleicht.

– Ist das ein ungewöhnliches Individuum, wie?

– Gewiß.

– Gescheit? Talentvoll?

– Gescheidt? . . . ja; talentvoll? . . . weiß nicht, glaube nicht.

– Nicht? Was ist denn Merkwürdiges an ihm?

– Du wirst es sehen. Für jetzt aber, denke ich, ist es Zeit, daß wir gehen. Anna Wassiljewna wartet vermuthlich auf uns. Wie viel ist es an der Zeit?

– Ueber Zwei. Komm. Welche Hitze! Diese Unterhaltung hat mir alles Blut entzündet. Auch Du warst einen Augenblick . . . nicht umsonst bin ich Künstler: ich bemerke Alles. Gestehe, das Mädchen steckt Dir im Kopfe . . .

Schubin wollte Berßenjew in die Augen blicken, dieser wandte sich jedoch ab und verließ seinen Platz unter der Linde. Schubin folgte ihm, nachlässig-graziös auf seinen zierlichen Füßchen dahin schreitend. Berßenjew‘s Gang war linkisch, er zog beim Gehen die Schultern hoch hinauf und streckte den Hals vor, und doch hatte er mehr das Aussehen eines ordentlichen Menschen, als Schubin, er war mehr Gentleman, würden wir sagen, wenn dieses Wort bei uns nicht verbraucht wäre.j

II

Die jungen Leute stiegen zum Flusse hinab und gingen an dessen Ufer weiter. Vom Wasser wehte Kühle ihnen entgegen und das leise Plätschern der kleinen Wellen schlug angenehm an ihr Ohr.

– Ich möchte gern wieder baden, sagte Schubin, – fürchte aber zu spät zu kommen. Sieh doch das Wasser an; es scheint uns zu locken. Die alten Griechen hätten eine Nymphe darin gesehen. Wir aber sind keine Griechen, o schöne Nymphe! wir sind dickhäutige Scythen!

– Wir haben unsere Nixen, bemerkte Berßenjew.

– Zum Henker mit Deinen Nixen! Wozu nützen mir, dem Bildhauer, diese Ausgeburten einer eingeschüchterten, starren Phantasie, diese in dicker Bauernstubenluft und im Dunkel der Winternächte ausgebrüteten Gestalten? Ich brauche Licht, Raum . . . Wann, o mein Gott, wann werde ich Italien sehen? Wann . . .

– Du willst wohl sagen Kleinrußland?

– Schäme Dich, Andrei Petrowitsch, mich an einen dummen Streich zu erinnern, den ich ohnehin bitter bereue. Nun ja, ich war ein Narr; die vortreffliche Anna Wassiljewna gab mir Geld, nach Italien zu reisen und ich bin zu den Chochols1 gefahren, um Mehlklößchen zu essen und . . .

– Brauchst nicht weiter zu sprechen, unterbrach ihn Berßenjew.

– Und dennoch kann ich sagen, das Geld war doch nicht ganz weggeworfen. Ich habe dort solche Typen, besonders weibliche, gefunden . . . Freilich, ich weiß es, außerhalb Italiens giebt’s kein Heil!

– Du kannst nach Italien reisen, sagte Berßenjew, ohne sich umzuwenden: – und wirst doch nichts schaffen. Du wirst nur mit den Flügeln schlagen und doch nicht fliegen. Wir kennen Euch!

– Stawasser2 hat sich aber doch erhoben . . . Und nicht er allein. Und kann ich es nicht, so heißt das« daß ich ein flügelloser Pinguin bin. Es wird mir hier schwül, ich muß nach Italien, fuhr Schubin fort: – dort ist Sonne, Schönheit . . .

Ein junges Mädchen, in breitem Strohhute, mit einem rosenfarbigen Sonnenschirme in der Hand, zeigte sich in diesem Augenblicke auf dem Fußwege, auf welchem die Freunde dahingingen.

– Was sehe ich aber? Selbst hier kommt die Schönheit uns entgegen! Der reizenden Zoë entbietet seinen Gruß der bescheidene Künstlers rief plötzlich Schubin, theatralisch den Hut schwenkend.

Das junge Mädchen, dem diese Anrede galt, blieb stehen, drohte ihm mit dem Finger und sagte, nachdem beide Freunde an sie herangekommen waren, mit heller Stimme und etwas schnarrend:

 

– Warum kommen Sie denn nicht zum Essen, meine Herren? Der Tisch ist gedeckt.

– Was höre ich? rief Schubin, die Hände zusammenschlagend. Hütten Sie sich wirklich, reizende Zoë, bei dieser Hitze herausgewagt nur um uns aufzusuchen? Muß ich so den Sinn Ihrer Worte deuten? Sagen Sie, wäre es möglich? Oder nein, besser, Sie sprechen das Wort nicht aus: die Reue würde mich auf dem Flecke tödten.

– Ach, hören Sie auf, Pawel Jakowlewitsch, erwiederte nicht ohne Unwillen das junge Mädchen, warum sprechen Sie nie im Ernste zu mir? Ich werde böse werden, setzte sie mit koketter Miene hinzu und warf die Lippen auf.

– Sie werden mir nicht zürnen, ideale Zoë Nikitischna; Sie werden mich nicht in den finsteren Abgrund wahnsinniger Verzweiflung stürzen wollen. Ernsthaft zu sprechen ist mir aber unmöglich, denn ich bin kein ernsthafter Mensch.

Das junge Mädchen zuckte die Achseln und wandte sich zu Berßenjew.

– So ist er immer; er behandelt mich wie ein Kind, und ich bin doch schon über achtzehn Jahre alt. Ich bin schon ein erwachsenes Mädchen.

– O Gott! seufzte Schubin und verdrehte die Augen; Berßenjew lächelte still.

Das Mädchen stampfte mit dem Fuße.

– Pawel Jakowlewitschs Sie werden mich böse machen! Helene hat mich begleiten wollen, fuhr sie fort, ist aber im Garten geblieben. Sie hat sich vor der Hitze gefürchtet . . . ich fürchte aber die Hitze nicht. Kommen Sie.

Sie ging auf dem Fußwege voran, den schlanken Körper bei jedem Schritte sanft hin- und herwiegend und mit dem schönen Händchen, in schwarzem Halbhandschuh, die langen, weichen Locken aus dem Gesichte zurückstreichend.

Die Freunde folgten ihr (Schubin preßte bald die Hände ans Herz, bald streckte er dieselben über dem Kopfe empor) und waren einige Augenblicke darauf vor einem der vielen Landhäuser in der Umgegend Kunzowos angekommen. Es war ein kleines hölzernes Häuschen mit einem Erker von hellrothem Anstrich, das inmitten eines Gartens lag und still aus dem Grün der Bäume hervorguckte. Zoë war die Erste am Pförtchen, sie machte es auf, lief in den Garten und rief: Ich habe die Herumstreicher zurückgebracht! Ein junges Mädchen, von blassem und ausdrucksvollem Gesichte, erhob sich von einer Bank in der Nähe des Gartenweges und an der Schwelle des Hauses zeigte sich eine Dame in violett-seidenem Kleide; sie hielt gegen die Sonne ein gestieltes Batisttuch vor der Stirn und lächelte schmachtend und träge.

1Das heißt: Schöpfe. Spottname für Kleinrussen. D. Uebers.
2Namhafter russischer Bildhauer, verstorben. D. Uebers.
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