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Helene

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XII

– Held Inßarow werden sogleich hier sein! rief er feierlich, indem er in das Gastzimmer Stachow‘s trat, wo sich in diesem Augenblick nur Helene und Zoë befanden.

– Wer? fragte Zoë deutsch. Bei unerwarteten Anlässen pflegte sie sich ihrer Muttersprache zu bedienen.

Helene richtete sich auf. Schubin blickte sie mit neckischem Lächeln auf den Lippen an. Das verdroß sie, sie sagte aber nichts.

– Sie haben es gehört, wiederholte er, – Herr Inßarow kommt sogleich.

– Ich habe es gehört, erwiederte sie, – und habe gehört, wie Sie ihn genannt haben. In der That, Sie setzen mich in Erstaunen. Noch hat Herr Inßarow das Haus nicht betreten und schon glauben Sie sich berechtigt, Ihren Spaß zu treiben.

Schubin wurde plötzlich verlegen.

– Sie haben Recht, haben immer Recht, Helene Nikolajewna, brummte er vor sich hin, – es war ja nicht schlecht gemeint, bei Gott. Wir sind den ganzen Tag zusammen spazieren gegangen und ich versichere Sie, es ist ein herrlicher Mensch.

– Ich habe Sie nicht darnach gefragt, sagte Helene und erhob sich.

– Ist Herr Inßarow jung? fragte Zoë.

– Er ist hundertvierundvierzig Jahre alt, entgegnete Schubin ärgerlich.

Der Dienstbursche meldete die Ankunft beider Freunde. Sie traten ins Zimmer. Berßenjew stellte Inßarow vor. Helene bat sie, Platz zu nehmen und ließ sich selbst nieder, Zoë aber begab sich hinauf: man mußte Anna Wassiljewna von der Anwesenheit der Gäste benachrichtigen. Ein ziemlich nichtssagendes Gespräch, wie es alle Antrittsgespräche zu sein pflegen, wurde eingeleitet. Schubin spielte aus einem Winkel, den Beobachter, es gab jedoch nichts zu beobachten. An Helene nahm er die Spuren zurückgehaltenen Aergers gegen ihn, Schubin, wahr – das war Alles. Er betrachtete Berßenjew und Inßarow, und stellte als plastischer Künstler Vergleiche an. – Sie sind Beide, dachte er, – nicht besonders hübsch; der Bulgare hat ein charakteristisches, monumentales Gesicht; jetzt zum Beispiel ist es gut beleuchtet; des Großrussen Gesicht will eher gemalt sein, keine Zeichnung darin, aber Ausdruck, Physiognomie. Es könnte sich aber doch Jemand in den Einen oder den Anderen verlieben. Noch liebt sie nicht, wird aber Berßenjew lieben, – entschied er bei sich. Anna Wassiljewna trat ins Gastzimmer und die Unterhaltung nahm einen ganz landhausmäßigen Ton an, einen landhäuslichen, nicht etwa ländlichen. Es war ein sehr buntscheckiges Gespräch nach der Zahl der berührten Fragen, aber kurze, ziemlich lästige Pausen unterbrachen es alle drei Minuten. Während einer solchen Pause wandte sich Anna Wassiljewna zu Zoë. Schubin verstand den stummen Wink und machte ein saures Gesicht, als Zoë sich ans Clavier setzte und ihre Stückchen abspielte und absang. Uwar Iwanowitsch war zwar hinter der Thür sichtbar geworden, hatte aber nur mit den Fingern gespielt und sich verzogen. Es wurde dann Thee umhergereicht, und zuletzt machte die ganze Gesellschaft eine Tour durch den Garten . . . Draußen war es dunkel geworden, die Gäste entfernten sich.

Inßarow hatte in der That auf Helene weniger Eindruck gemacht, als sie es selbst erwartete, oder richtiger gesagt, es war nicht der Eindruck gewesen, den sie erwartet hatte. Sein gerades und ungezwungenes Benehmen und auch sein Gesicht hatten ihr gefallen, doch es wollte Inßarow‘s ganzes Wesen in seiner ruhigen Festigkeit und alltäglichen Einfachheit nicht recht zu dem Bilde passen, welches die Erzählungen Berßenjew‘s in ihrer Phantasie hervorgerufen. Helene hatte, ohne es selbst zu ahnen, etwas mehr »Fatalistisches« in seinem Gesichte erwartet. – Heute, dachte sie, – hat er sehr wenig gesprochen, und ich bin selbst daran schuld, ich habe ihn nicht ausgefragt; wir wollen warten bis zum nächsten Male . . . seine Augen sind aber ausdrucksvoll und ehrlich. Sie fühlte, daß sie sich nicht vor ihm beugen wolle, ihm jedoch freundschaftlich die Hand zu bieten, trug sie gleichfalls Bedenken: nicht so wie Inßarow war, hatte sie sich ihre »Helden« vorgestellt. Bei diesem Worte fiel ihr Schubin in den Sinn und, bereits im Bett, fuhr sie erzürnt auf.

– Wie haben Ihnen Ihre neuen Bekannten gefallen? fragte Berßenjew aus dem Heimwege Inßarow.

– Sie haben mir sehr gefallen, namentlich die Tochter, gab Inßarow zur Antwort.

– Ein herrliches Mädchen, in der That! Sie ist aufgeregt, aber diese Aufregung ist edel.

– Sie müssen öfter das Haus besuchen, bemerkte Berßenjew.

– Ja, das muß ich, sagte Inßarow, und sprach bis nach Hause nichts weiter.

Er verschloß sich sogleich auf seinem Zimmer, das Licht, brannte aber bis tief nach Mitternacht.

Berßenjew hatte noch nicht eine Seite im Raumer gelesen, als eine Handvoll feinen Sandes an seine Fensterscheiben geworfen wurde. Er fuhr unwillkürlich zusammen öffnete das Fenster und erblickte Schubin, bleich wie ein Leintuch.

– Ach Du unruhiger Geist! Du Nachtfalter! sagte Berßenjew.

– St! unterbrach ihn Schubin, – ich bin heimlich zu Dir gekommen, wie Max zu Agathe. Ich muß Dir durchaus ein paar Worte unter vier Augen sagen.

– So komm denn herein.

– Nein, nicht nöthig, erwiederte Schubin und stützte sich auf das Fensterbrett, – so ist‘s lustiger, mehr nach spanischer Art. Erstens muß ich Dir gratuliren: Deine Actien sind gestiegen. Dein gepriesener, merkwürdiger Mann ist durchgefallen, dafür kann ich Dir stehen. Und soll ich Dir einen Beweis meiner Unparteilichkeit geben, so vernimm die Liste der Merkmale des Herrn Inßarow:« Talente – keine; Poesie – noch weniger; Arbeitssinn – bedeutend; Gedächtniß – scharf; Verstand – nicht vielseitig und nicht tief, doch gesund und lebhaft; Nüchternheit und Kraft und sogar Gabe des Worts, wenn das Gespräch auf sein, unter uns gesagt, höchst langweiliges Bulgarien kommt. Nun, was sagst Du? bin ich ungerecht? Noch eine Bemerkung: Du wirst Dich nie mit ihm auf Du und Du stehen, und nie hat Einer mit ihm so gestanden. Ich als Künstler bin ihm zuwider, das macht mich stolz. Trocken ist er, trocken, und doch könnte er uns Alle zu Pulver stoßen. Er ist mit seinem Lande verwachsen, – ganz anders, als unsere hohlen Töpfe, die sich beim Volk einschmeicheln: komm, ergieß Dich in uns, lebendiger Quell! Zudem ist seine Aufgabe auch leichter, verständlichen es gilt blos, die Türken aus dem Lande werfen, eine Kleinigkeit das! Alle diese Tugenden gefallen aber, Gottlob, den Frauen nicht. Kein Zauber dabei, kein Reiz – wie bei mir und Dir!

– Warum mischest Du mich hinein? brummte Berßenjew. – Und übrigens hast Du Unrecht: Du bist ihm keineswegs zuwider, und zu seinen Landsleuten sagt er Du, das weiß ich.

– Das ist was Anderes! In ihren Augen ist er ein Held; ich aber muß sagen, ich stelle mir die Helden anders vor: ein Held darf nichts von Beredtsamkeit wissen; ein Held muß brüllen wie ein Stier; dafür aber stürzen Mauern ein, wenn er einen Stoß mit den Hörnern giebt. Und er selbst darf nicht wissen, weshalb er stößt. Möglich, daß man heutzutage Helden anderen Kalibers verlangt.

– Warum beschäftigt Dich denn Inßarow so sehr? fragte Berßenjew. – Bist Du denn nur deshalb hergelaufen, um mir eine Schilderung seines Charakters zu geben?«

– Ich bin hergekommen, entgegnete Schubin, – weil mir zu Hause sehr traurig zu Muthe wurde.

– So! Möchtest Du nicht wieder etwas weinen?

– Spotte nur! ich bin hergekommen, weil ich mir die Ellenbogen zerbeißen möchte, denn Verzweiflung, Aerger, Eifersucht nagen an mir . . .

– Eifersucht? und gegen wen?

– Gegen Dich, gegen ihn, gegen Jedermann. Mich martert der Gedanke, daß, wenn ich sie früher verstanden hätte, wenn ich die Sache von der rechten Seite angegriffen hätte . . . Wozu aber die Worte! Das Ende davon wird sein, daß ich so lange scherzen, Streiche machen, Gesichter schneiden werde, wie sie sagt, bis ich mir das Garaus mache.

– Nun, was das betrifft, das wirst Du nicht, bemerkte Berßenjew.

– In solch, einer Nacht natürlich nicht; warte aber, bis wir Herbst haben. Ach, das Glück? Aus jedem Schattenstreif, den die Bäume über den Weg werfen, scheint’s zu flüstern: »Ich weiß, wo das Glück ist . . . Willst Du, ich sage es Dir?« Ich möchte Dich einladen, einen Spaziergang zu machen, Du bist aber jetzt in prosaischer Stimmung. Schlafe, und mögest Du in Deinen Träumen mathematische Figuren sehen! Meine Seele aber will zerspringen. Ihr Herren seht einen Menschen lachen und sagt, ihm ist leicht um’s Herz! Ihr beweist ihm klar, daß er sich selbst widerspricht, und meint, daß er also nicht leiden könne – hole Euch der Teufel!

Schubin verließ rasch das Fenster. – Annuschka! wollte Berßenjew ihm nachrufen, hielt aber inne: Schubin‘s Gesicht war in der That ganz verändert. Ein paar Minuten darauf däuchte es Berßenjew sogar, er höre schluchzen; er stand auf und öffnete das Fenster; es war Alles still, nur in der Ferne sang gedehnt ein Wandernder, wahrscheinlich ein Bäuerlein, das Lied von der Mosdokschen Steppe.

XIII

Während der ersten zwei Wochen nach seiner Uebersiedelung in die Nachbarschaft Kunzowos hatte Inßarow Stachow’s nur vier oder fünf Mal besucht; Berßenjew war alle drei Tage bei ihnen. Helene empfing ihn immer mit Freuden, jedes Mal knüpfte sich zwischen ihnen ein lebhaftes und interessantes Gespräch an, und jedes Mal kehrte er mit betrübtem Gesichte heim. Schubin kam fast nicht zum Vorschein; mit fieberhafter Geschäftigkeit gab er sich seiner Kunst hin, entweder saß er eingeschlossen auf seinem Zimmer und kam nur in einer Blouse und ganz mit Lehm beschmutzt aus demselben hervor, oder er brachte ganze Tage in Moskau zu, wo er ein Atelier hatte und seine Modelle und italienische Formgießer, seine Freunde und Lehrer, zu ihm kamen. Helene hatte nicht ein einziges Mal mit Inßarow gesprochen, wie sie es gewollt; wenn er nicht da war, nahm sie sich vor, ihn über Mancherlei auszufragen; war er gekommen, so schämte sie sich ihrer Vorbereitungen. Inßarow’s Ruhe machte sie verlegen, es dünkte sie, sie habe kein Recht, in ihn zu dringen, und sie entschloß sich, zu warten; bei alledem fühlte sie sich nach jedem seiner Besuche, wie geringfügig auch die Worte, die sie mit ihm getauscht hatte, sein mochten, immer mehr und mehr zu ihm hingezogen; sie war aber niemals allein mit ihm geblieben, – und um Jemand näher kennen zu lernen, ist, wenn auch nur ein Mal, eine Unterhaltung unter vier Augen nothwendig. Mit Berßenjew sprach sie viel von ihm. Berßenjew sah ein, daß Helene‘s Phantasie mit Inßarow beschäftigt war, und er freute sich, daß sein Freund nicht »durchgefallen« war, wie Schubin behauptet hatte; mit Wärme und bis in die kleinsten Einzelheiten erzählte er ihr Alles, was er über ihn wußte (oft, wenn wir Anderen gefallen wollen, streichen wir in unseren Reden unsere Freunde heraus und sind uns dabei nicht immer bewußt, daß wir so uns selber loben), und selten nur, wenn Helene’s bleiche Wangen sich leicht rötheten, die Augen lebhafter und größer wurden, preßte ihm jene nicht gutartige Traurigkeit, die ihm schon bekannt war, das Herz ab. Einst kam Berßenjew zu ungewöhnlicher Stunde, Morgens gegen elf Uhr, zu Stachow’s. Helene kam ihm im Saale entgegen.

 

– Denken Sie doch, redete er sie mit erzwungenem Lächeln an, – unser Inßarow ist verschwunden.

– Wie« verschwunden? fragte Helene.

– Verschwunden. Vorgestern Abend ging er aus und ist seitdem nicht wiedergekehrt.

– Er hat Ihnen nicht gesagt, wohin er ging?

– Nein, Helene ließ sich auf einen Stuhl nieder.

– Wahrscheinlich wird er nach Moskau gefahren sein, sagte sie, indem sie bemüht war, gleichgültig zu scheinen und sich dabei wunderte, daß sie es scheinen wolle.

– Ich glaube es nicht, entgegnete Berßenjew. – Er ist nicht allein fortgegangen.

– Mit wem denn?

– Es kamen vorgestern, vor Tische, zwei Unbekannte zu ihm, vermuthlich Landsleute.

– Bulgaren? warum nehmen Sie das an?

– Weil sie, soviel ich hörte, mit ihm in einer mir unbekannten, aber slavischen Mundart sprachen . . . Sie, haben immer, Helene Nikolajewna, an Inßarow wenig Geheimnißvolles gefunden; was wäre nun wohl geheimnißvoller, als dieser Besuch? Stellen Sie sich vor: Jene traten in sein Zimmer . . . Darauf Schreien und Streiten, und so wild, so erbittert . . . Und auch er schrie.

– Auch er?

– Auch er. Er schrie sie an. Es hatte den Anschein, als klage der Eine über den Anderen. Und Sie hätten diese Besucher sehen sollen! Bräune Gesichter, breite Backenknochen, stumpfe Blicke, Habichtsnasen, beide über die Vierzig, schlecht gekleidet, bestaubt, triefend von Schweiß; dem Anschein nach waren es Handwerker . . . oder auch keine, doch sicher keine gebildeten Leute . . . Weiß Gott, was für Menschen das waren.

– Und er ist mit ihnen gegangen? – Ja wohl.

Er gab ihnen etwas zu essen und ging, mit ihnen davon. Die Wirthin erzählte mir, die Beiden hätten ihrer Zwei, einen ungeheueren Topf voll Grütze verzehrt. Sie hätten, erzählte sie, wie um die Wette geschlungen, rein wie Wölfe.

Helene lächelte leicht.

– Sie werden sehen, sagte sie – die Auflösung davon wird höchst prosaisch sein.

– Gott gebe! Sie hätten aber diesen Ausdruck nicht gebrauchen sollen. Es ist nichts prosaisch an Inßarow, obgleich Schubin behauptet . . .

– Schubin? unterbrach ihn Helene und zuckte die Achseln. – Aber geben Sie zu, daß jene beiden Herren, welche die Grütze verschlungen . . .

– Auch Themistokles hat am Vorabend der Schlacht bei Salamis gegessen, bemerkte Berßenjew mit einem Lächeln.

– Ganz recht; doch dafür ward Tags darauf eine Schlacht geschlagen. Sie müssen es mich aber doch wissen lassen, wenn er zurück sein wird, setzte Helene hinzu und versuchte, der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben – es wollte aber nicht damit gehen. Zoë trat ins Zimmer und begann in demselben auf den Zehen umher zu schleichen, um dadurch anzudeuten, daß Anna Wassiljewna noch nicht erwacht sei.

Berßenjew entfernte sich.

An demselben Tage, Abends, bekam Helene ein Zettelchen von ihm. – Er ist zurückgekehrt, schrieb er, – von der Sonne gebräunt und bestaubt bis an die Augenbrauen; warum und wohin er gefahren ist, weiß ich nicht, vielleicht erfahren Sie es!

– Vielleicht erfahren Sie es! sagte Helene leise. – Spricht er denn mit mir?

XIV

Am folgenden Tage, gegen zwei Uhr Mittags, stand Helene im Garten vor einem kleinen, abgesonderten Raume, in welchem zwei junge Hunde auferzogen wurden. (Der Gärtner hatte dieselben am Zaune gefunden und dem Fräulein gebracht, welches, wie die Wäscherin erzählte, jegliches Gethier gern habe. Er wurde in seiner Erwartung nicht getäuscht, Helene gab ihm ein Fünfundzwanzigkopekenstück.) Sie warf einen Blick in die Abtheilung, überzeugte sich, daß die jungen Hunde am Leben und munter seien, und daß man ihnen frisches Stroh untergelegt habe; sie wandte sich dann um und hätte fast aufgeschrien: gerade auf sie zu kam, die Allee herauf, Inßarow gegangen. Er war allein.

– Guten Tag, sagte er, als er näher gekommen war und zog die Mütze. Sie bemerkte, daß er in den letzten drei Tagen allerdings sehr von der Sonne verbrannt war. – Ich wollte mit Andrei Petrowitsch herkommen, er hat sich aber verspätet und da bin ich denn ohne ihn fortgegangen. Bei Ihnen im Hause ist Niemand: es schlafen oder spazieren Alle, darum bin ich hierher gekommen.

– Das klingt wie eine Entschuldigung, entgegnete Helene, – Es bedarf durchaus keiner. Es macht uns Allen viel Vergnügen, Sie zu sehen . . . Setzen wir uns hier in den Schatten auf die Bank.

Sie setzte sich. Inßarow nahm neben ihr Platz.

– Sie waren, glaube ich, in dieser Zeit abwesend? begann sie.

– Ja, entgegnete er, – ich war eine Zeit lang fort . . . Andrei Petrowitsch hat Ihnen davon gesagt? Inßarow blickte sie an, lächelte und begann mit seiner Mütze zu spielen. Wenn er lächelte, pflegte er rasch mit den Augen zu blinzeln und streckte dann die Lippen vor, was ihm ein sehr gutmüthiges Aussehen gab.

– Andrei Petrowitsch hat Ihnen vermuthlich auch gesagt, daß ich mit zwei . . . häßlichen Männern davongegangen bin, fuhr er noch immer lächelnd fort.

Helene wurde etwas verlegen und begriff sogleich, daß man Inßarow immer die Wahrheit sagen müsse.

– Ja, sagte sie bestimmt.

– Was dachten Sie dabei von mir? fragte er plötzlich.

Helene blickte ihn an.

– Ich habe gedacht . . . sagte sie. – Ich habe gedacht, daß Sie immer wissen, was Sie thun, und daß Sie nicht im Stande sind, etwas Schlechtes zu thun.

– Nun, so danke ich Ihnen dafür. Sehen Sie, Helene Nikolajewna, fing er an und rückte treuherzig näher zu ihr heran, – der Unseren sind hier nicht Viele; unter ihnen giebt’s wenig Gebildete; Alle aber sind der gemeinschaftlichen Sache treu ergeben. Unglücklicher Weise geht es nicht ohne Streit ab, mich kennen und mir vertrauen nun Alle; da bin ich denn abgerufen worden, einen Streit zu schlichten und habe mich aufgemacht.

– War es weit von hier?

– Sechzig Werft von hier, bin ich nach dem Kloster des heiligen Sergius gefahren. Es sind bei demselben in der Schule auch Einige von den Unsrigen. Ich bin wenigstens nicht unnützer Weise dagewesen; die Sache ist beigelegt.

– Und fiel Ihnen das schwer?

– Schwer genug. Der eine war sehr halsstarrig. Er wollte nicht zahlen.

– Wie? Um Geld handelte sich’s in diesem Streit?

– Ja wohl, und nur um eine kleine Summe. Und was glaubten Sie denn?

– und um solch eine Kleinigkeit sind Sie sechzig Werst weit gefahren? Haben Sie drei Tage verloren?

– Eine Kleinigkeit ist das nicht, Helene Nikolajewna, wenn es sich um Landsleute handelt. In solchen Fällen wäre es Sünde, sich fern zu halten. Sie entziehen, wie ich da sehe, selbst Hunden Ihren Beistand nicht, und ich finde das sehr lobenswerth von Ihnen, Daß ich nun einige Zeit verloren habe, ist kein großes Unglück, ich hole es nachher ein. Unsere Zeit gehört nicht uns.

– Wem gehört sie denn?

– Nun, Jedem, der ihrer bedarf. Ich habe Ihnen dies Alles rund heraus erzählt, weil mir viel an Ihrer Meinung gelegen ist. Ich kann mir denken, wie Andrei Petrowitsch Sie in Verwunderung gesetzt hat!

– Es ist Ihnen an meiner Meinung gelegen? fragte Helene halblaut, – und weshalb?

Inßarow lächelte wieder.

– Weil Sie ein braves Fräulein, keine Aristokratin sind . . . Darum geschieht’s.

Eine kurze Pause trat ein.

– Dmitri Nikanorowitsch, sagte Helene, – wissen Sie wohl, Sie sind zum ersten Male so offen gegen mich?

– Wie so? Mich däucht, ich hätte immer mit Ihnen gesprochen, wie ich dachte.

– Nein, dies ist das erste Mal und es freut mich sehr; ich will auch offen gegen Sie sein. Darf ich das?

Inßarow lachte und sagte:

– Sie dürfen es.

– Ich muß Sie darauf vorbereiten, ich bin sehr neugierig.

–– Das thut nichts, reden Sie nur.

– Andrei Petrowitsch hat mir viel aus Ihrem Leben, und Ihrer Jugend erzählt. Ein Vorfall ist mir bekannt . . . Ein schreckliches Ereigniß . . . Ich weiß, daß Sie nachher Ihre Heimath besucht haben . . . Antworten Sie um Gottes willen nicht auf meine Frage, wenn Ihnen dieselbe unbescheiden scheinen sollte, mich quält aber ein Gedanke . . . Sagen Sie mir, sind Sie mit jenem Manne zusammengetroffen . . .

Helene verging der Athem. Sie wurde verlegen und ängstlich über ihre Kühnheit. Inßarow blickte sie fest an, blinzte leicht mit den Augen und berührte sein Kinn mit den Fingern.

– Helene Nikolajewna, begann er darauf und seine Stimme ward leiser als gewöhnlich, worüber Helene fast Angst bekam, – ich verstehe, von welchem Manne Sie soeben gesprochen haben, Nein, ich bin nicht mit ihm zusammengetroffen, und danke dafür Gott! Ich habe nicht nach ihm geforscht. Ich habe es nicht gethan, nicht etwa weil ich glaubte, ich hätte kein Recht, ihn zu tödten . . . ich hätte ihn ruhig getödtet . . . sondern weil persönliche Rache, wenn es sich um eine allgemeine, um die Wiedervergeltung eines Volkes handelt . . . oder nein, dies Wort war nicht das rechte . . . wenn es sich um Befreiung des Volkes handelt, nicht am rechten Platze gewesen wäre. Eines hätte dem Anderen im Wege gestanden. Zu seiner Zeit kommt auch jene an die Reihe . . . Auch jene kommt an die Reihe, wiederholte er mit Kopfschütteln.

Helene sah ihn von der Seite an.

– Sie lieben Ihr Vaterland sehr? fragte sie schüchtern.

– Das ist noch ungewiß, gab er zur Antwort. – Ja, wenn erst Einer von uns für dasselbe stirbt, dann kann gesagt werden, daß er es liebte.

–– Doch so, daß, wenn Ihnen die Möglichkeit, nach Bulgarien zurückzukehren, genommen würde, fuhr Helene fort, – Ihnen in Rußland zu leben schwer wäre.

Inßarow ließ den Kopf hängen.

– Ich glaube, ich könnte es nicht ertragen, sagte er.

– Sagen Sie, begann wieder Helene, – ist die Erlernung der bulgarischen Sprache schwierig?

– Durchaus nicht. Es ist eine Schande, daß der Russe nicht mit dem Bulgarischen vertraut ist. Der Russe sollte alle slawischen Sprachen kennen. – Wünschen Sie es, dann bringe ich Ihnen bulgarische Bücher. Sie werden sehen, wie leicht das ist. Was für Lieder wir haben! sie geben den serbischen nichts nach. Warten Sie, ich will Ihnen eins davon übersetzen. Es ist darin die Rede von . . . Ja, ist Ihnen aber, wenn auch nur Einiges, aus unserer Geschichte bekannt?

– Nein, ich weiß nichts, erwiederte Helene.

– Warten Sie, ich werde Ihnen ein Buch bringen. Sie werden aus demselben wenigstens die hauptsächlichsten Ereignisse erfahren. Nun aber hören Sie das Lied an . . .

Doch nein, es wird besser sein, ich bringe Ihnen eine, schriftliche Uebersetzung. Ich bin überzeugt, Sie werden uns liebgewinnen, Sie lieben alle Unterdrückten. Wenn Sie wüßten, was für ein gesegnetes Land das unserige ist! Und doch tritt man es mit Füßen, man zerreißt es, – (und dabei machte er eine Bewegung mit der Hand und das Blut stieg ihm ins Gesicht), – man hat uns Alles genommen, Alles: unsere Kirchen, unsere Rechte, unseren Boden; wie das Vieh treiben und schlachten uns die ruchlosen Türken . . .

– Dmitri Nikanorowitsch! rief Helene aus.

Er hielt inne.

– Verzeihen Sie mir. Ich kann nicht mit Gleichgültigkeit davon reden. Sie fragten mich soeben, ob ich mein Vaterland liebe? Was denn sonst sollte man auf dieser Welt lieben? Was ist beständiger, was über alle Zweifel erhabener, was unverleugbarer, nach Gott? Und wenn dieses Vaterland unsere Hilfe braucht . . . Vergessen Sie nicht: der geringste Bauer, der elendeste Bettler in Bulgarien und ich, – wir haben denselben Wunsch. Wir Alle haben dasselbe Ziel. Sie begreifen nun, welch’ eine Zuversicht und Kraft das verleiht!

Inßarow hielt einen Augenblick inne und sprach dann wieder von Bulgarien. Helene hörte ihn mit theilnehmender, gespannter und schmerzlicher Aufmerksamkeit an. Als er geendet hatte, fragte sie ihn nochmals:

 

– Sie würden also auf keinen Fall in Rußland bleiben wollen?

Und als er fortging, blickte sie ihm lange nach. Er war an diesem Tage ein anderer Mensch in ihren Augen geworden. Sie entließ ihn von sich als einen Anderen, als sie ihn vor zwei Stunden empfangen hatte.

Seit jenem Tage kam er immer häufiger, Berßenjew aber seltener hin. Zwischen beide Freunde war etwas Ungewöhnliches getreten, sie fühlten es selbst recht gut, wußten es aber nicht zu nennen und empfunden Scheu, sich darüber auszusprechen. So verging ein Monat.

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