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Helene

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XV

Anna Wassiljewna liebte zu Hause zu bleiben, wie dem Leser bereits bekannt ist; zuweilen jedoch, und ganz unerwartet, äußerte sich bei ihr ein unüberwindliches Verlangen nach etwas Außergewöhnlichem, einer überraschenden partie de plaisir, und je schwieriger diese partie de plaisir zu Stande zu bringen war, je mehr dazu Vorbereitungen und Weitläufigkeiten erforderlich waren und je mehr Anna Wassiljewna selbst dabei in Aufregung gerieth, um so wohler war ihr zu Muthe. Kam ihr eine solche Grille im Winter bei . . . dann wurden zwei, drei Logen nebeneinander gemiethet, sie trommelte alle ihre Bekannten zusammen und führte sie ins Theater, oder auch auf den Maskenball; im Sommer wurden Ausfahrten in die Umgebung der Stadt, irgend wohin, unternommen. Am folgenden Tage klagte sie dann über Kopfweh, ächzte und blieb im Bett, und ein paar Wochen später spürte sie wieder einen Durst nach etwas »Ungewöhnlichem«. Das war auch jetzt der Fall. Es hatte Jemand in ihrer Gegenwart von den Schönheiten Zarizinos gesprochen, sogleich erklärte Anna Wassiljewna, sie habe Lust, übermorgen nach Zarizino zu fahren. Das ganze Haus kam in Aufruhr; ein Bote ward nach Nikolai Artemjewitsch abgeschickt; zugleich mit jenem mußte der Haushofmeister fort, um Wein, Pasteten und allerlei Eßwaaren einzukaufen; Schubin erhielt den Befehl, für eine Lohnkalesche zu sorgen (an einer Kutsche hatten sie zu wenig) und Unterlegpferde zu bestellen; der kleine Dienstbursche mußte zwei Mal zu Berßenjew und Inßarow Einladungsbillets tragen, das erste Mal in russischer, dann in französischer Sprache, geschrieben von Zoë‘s Hand; Anna Wassiljewna selbst machte sich mit dem Reisekostüm der Fräulein zu schaffen. Und beinahe wäre aus der partie de plaisir nichts geworden: Nikolai Artemjewitsch kam in einer sauren, ärgerlichen und frondirenden Gemüthsstimmung aus der Stadt (er schmollte noch immer mit Augustine Christianowna) und als er von der Ausfahrt hörte, erklärte er bestimmt, – er werde nicht mitfahren, es wäre eine Albernheit, aus Kunzowo nach Moskau, aus Moskau nach Zarizino, aus Zarizino wieder nach Moskau und aus Moskau zurück nach Kunzowo zu jagen, und dann, setzte er hinzu, – soll man mir nur erst beweisen, daß man an dem einen Orte nicht ebenso vergnügt sein kann, als an dem anderen. Unter dieser Bedingung fahre ich mit. Natürlich konnte ihm Niemand das beweisen, und Anna Wassiljewna wollte, in Ermangelung eines soliden Begleiters, bereits die partie de plaisir aufgeben, da erinnerte sie sich Uwar Iwanowitsch’s, und in ihrer Verzweiflung schickte sie nach ihm auf sein Zimmer, wobei sie bemerkte: – Der Ertrinkende greift auch nach einem Strohhalm. Er wurde geweckt, kam herunter, hörte schweigend Anna Wassiljewna‘s Vorschlag an, ließ die Finger spielen und willigte, zu Alter Verwunderung, ein. Anna Wassiljewna küßte ihn ans die Wange und nannte ihn Herzchen; Nikolai Artemjewitsch lächelte verächtlich und sagte: »Quelle bourde!« (er liebte bei Gelegenheit »chiquöse« französische Ausdrücke anzubringen), und am folgendem Morgen um sieben Uhr rollten Kutsche und Kalesche, ganz vollgepackt, zum Thore des Stachow’schen Landhauses hinaus. In der Kutsche saßen die Damen, ein Stubenmädchen und Berßenjew; Inßarow hatte auf dem Bocke Platz gefunden; in der Kalesche befanden sich Uwar Iwanowitsch und Schubin. Uwar Iwanowitsch hatte selbst, mit einer Bewegung des Fingers, Schubin zu sich gewinkt; er wußte, daß dieser ihn während der Fahrt necken werde, es herrschte jedoch zwischen dem »Schwarzerdengeiste« und dem jungen Künstler ein eigenes Band und eine gewisse anzügliche Offenherzigkeit. Für dieses Mal ließ übrigens Schubin seinen beleibten Gefährten in Ruhe; er war stumm, zerstreut und nachgiebig.

Die Sonne stand bereits hoch am wolkenlosen Himmelszelt, als die Equipagen bei der Ruine des selbst zur Mittagszeit düsteren und schauerlichen Schlosses in Zarizino hielten. Die Gesellschaft sprang herunter in das Gras und nahm sogleich ihren Weg zum Park. Vorau gingen Helene, und Zoë mit Inßarow: hinter ihnen kamen mit dem Ausdruck vollkommenster Zufriedenheit Anna Wassiljewna am Arme Uwar Iwanowitsch‘s. Er keuchte und watschelte, der neue Strohhut drückte ihm die Stirn und die Füße brannten ihm in den Stiefeln, aber auch ihm war wohl zu Mathe; Schubin und Berßenjew schlossen den Zug. – Wir bilden die Reserve, Bruder, wir sind einigermaßen Veteranen, flüsterte Schubin Berßenjew zu. – Bulgarien ist jetzt vorauf, setzte er mit einem Winke der Augenbrauen auf Helene hinzu.

Das Wetter war herrlich. Alles rund herum stand in Blüthe, überall summte und sang es; in der Ferne spiegelten die Teiche; ein festliches, heiteres Gefühl umfing die Seele. – Ach wie schön! ach wie schön! wiederholte Anna Wassiljewna in einem fort; Uwar Iwanowitsch nickte, als Antwort auf ihre enthusiastische Ausrufe, beifällig mit dem Kopfe und äußerte sogar ein Mal: – Dagegen ist nichts zu sagen! Helene tauschte von Zeit zu Zeit einige Worte mit Inßarow; Zoë hielt mit zwei Fingern den Rand ihres breiten Hutes, ließ ihre kleinen, in hellgraue Halbstiefeln mit stumpfen Spitzen gehüllten Füßchen coquett unter dem rosafarbenen Barrègekleide hervorgucken und blickte bald auf die Seite, bald hinter sich. – He, he! rief ans einmal Schubin halblaut, – Zoë Nikitischna sieht sich wohl gar um. Ich will doch zu ihr. Helene Nikolajewna verachtet mich jetzt und hat Achtung vor Dir, Andrei Petrowitsch, was ja auf Eins herauskommt. Ich will hin; habe lange genug den Kopf hängen lassen. Dir aber, lieber Freund, rathe ich, botanisiren zu gehen; in Deiner Lage ist das das Beste, was Dir befallen kann; auch wissenschaftlich ist das von Nutzen. Lebe wohl! Schubin holte Zoë ein, reichte ihr den Arm und sagte: – Ihre Hand, Madame, faßte sie und eilte den Anderen voran. Helene blieb stehen, rief Berßenjew und nahm gleichfalls dessen Arm, setzte jedoch die Unterhaltung mit Inßarow fort. Sie fragte ihn, wie in seiner Sprache das Maiblümchen, der Ahorn, de Eiche, die Linde hießen . . . (– Bulgarien! dachte der arme Andrei Petrowitsch.)

Plötzlich ließ sich in einiger Entfernung ein Schrei hören; Alle erhoben den Kopf: Schubin‘s Cigarrentasche flog in ein Gebüsch, von Zoë’s Hand fortgeschlendert. – Warten Sie nur, ich werde Sie das entgelten lassen! rief er, kroch in das Gebüsch, holte von dort seine Cigarrentasche und wollte zu Zoë zurück; er hatte jedoch noch nicht Zeit gehabt, zu ihr heranzukommen, da flog seine Cigarrentasche über den Weg. Fünf Mal wiederholte sich der Spaß, er lachte dazu laut und drohte, während Zoë still lächelte und sich wie ein Kätzchen krümmte. Endlich erhaschte er ihre Finger und preßte sie so heftig, daß sie aufschrie, noch lange nachher auf ihre Hand bließ und sich bös stellte, während er ihr etwas ins Ohr lispelte.

– Ausgelassenes junges Volk, sagte Anna Wassiljewna fröhlich zu Uwar Iwanowitsch.

Dieser machte eine Fingerbewegung dazu.

– Was sagen Sie zu Zoë Nikitischna? fragte Berßenjew Helene.

– Und zu Schubin? fragte sie ihn.

Die ganze Gesellschaft war inzwischen zum Lusthause, das unter dem Namen »Zur schönen Aussicht« bekannt ist, gekommen und machte dort Halt, um sich am Anblicke der zarizinischen Teiche zu ergötzten. Sie zogen sich, einer hinter dem anderen, mehrere Werst weit hin. Im Hintergrunde lag ein dichter, dunkler Wald. Der Rasen, der den Abhang des Hügels bis zum Hauptteiche hinab bedeckte, gab der Wasserfläche eine außerordentlich grelle, smaragdgrüne Färbung. Nirgends, nicht einmal am Ufer, erhob sich die kleinste Welle; nirgends war Schaum zu sehen; nirgends kräuselte sich die glatte Spiegelfläche des Wassers. Es schien, als ob eine Masse geschmolzenen Glases schwer und klar ein ungeheures Becken angefüllt, und der Himmel sich auf den Grund desselben gesenkt habe, und spiegelten sich die unbeweglichen krausen Bäume auf dem hellen Grunde ab. Lange und mit stummem Entzücken betrachteten Alle das Bild; sogar Schubin war ruhig geworden und selbst Zoë stand in Gedanken verloren. Endlich kam sie Alle die Lust an, eine Fahrt auf dem Wasser zu machen. Schubin, Inßarow und Berßenjew liefen um die Wette über den Rasen hinab. Sie fanden ein großes, bemaltes Boot, schafften zwei Bootsknechte herbei und riefen die Damen. Die Damen gingen »hinab« vorsichtig ließ sich nach ihnen Uwar Iwanowitsch hinunter. Bis er ins Boot gestiegen war und seinen Platz eingenommen hatte, wurde viel gelacht. – Geben Sie Acht, Herr, setzen Sie uns nicht unter Wasser, bemerkte einer der Ruderer, ein junger stutznasiger Bursche in rothem, baumwollenem Hemd. – Nun, nun, Maulaffe! sagte Uwar Iwanowitsch. Das Boot stieß ab. Die jungen Leute versuchten die Ruder in die Hand zu nehmen, doch nur einer von ihnen, Inßarow, verstand zu rudern. Schubin machte den Vorschlag, ein russisches Lied im Chor zu singen und stimmte das: »Hinab den lieben Wolgastrom« an . . . Berßenjew, Zoë und selbst Anna Wassiljewna stimmten ein (Inßarow konnte nicht singen), es gab jedoch eine Disharmonie; bei dem dritten Verse verwirrten sich die Sänger, nur Berßenjew versuchte noch im Baß weiter zu singen: »Nichts zu sehen in den Wellen,« fiel jedoch auch bald durch. Die Ruderer tauschten mit einander Blicke und lächelten still. – Was denkt Ihr Euch? wandte sich Schubin zu ihnen, – Ihr glaubt wohl, die Herrschaften können nicht singen? Der Bursche im rothen Hemd schüttelte den Kopf. – Na, warte nur, Du Stutznase, fuhr Schubin fort, – wir wollen Dir‘s zeigen. Zoë Nikitischna, singen Sie uns doch »Le lac« von Niedermeyer. Nicht gerudert, Ihr! Die nassen Ruder streckten sich wie Flügel in die Luft und blieben unbeweglich, von plätschernden Wassertropfen triefend; das Boot glitt noch ein wenig fort und hielt dann, einen leichten Kreis um sich beschreibend, wie ein Schwan auf dem Wasser still. Zoë machte einige Umstände . . . – Allons! ermuthigte Anna Wassiljewna freundlich . . .

Zoë warf den Hut ab und begann:

 

– O lac, l‘année à peine a fini sa carrière . . .

Zoë‘s nicht umfangreiche, doch klare Stimme schallte über die Spiegelfläche des Teiches hin; weithin aus den Wäldern schlug jedes Wort zurück, wie wenn auch dort Jemand mit deutlicher und geheimnißvoller, aber nicht menschlicher, nicht irdischer Stimme sänge. Als Zoë geendet hatte, erschallte ein lautes Bravo aus, einem der Pavillons am Ufer und es sprangen einige Deutsche mit erhitzten Gesichtern hervor, die nach Zarizino gekommen waren, um zu kneipen. Einige von ihnen waren ohne Rock, ohne Halsbinde und sogar ohne Weste und riefen so ungestüm: – bis! daß Anna Wassiljewna befahl, rasch nach dem entgegengesetzten Ufer des Teiches hinüber zu rudern. Doch bevor noch das Boot ans Land stieß, gelang es Uwar Iwanowitsch, nochmals seine Bekannten in Verwunderung zu setzen; er hatte bemerkt, daß an einer Stelle des Waldes das Echo besonders deutlich jeden Laut zurückwarf und plötzlich begann er nach Art der Wachteln zu schnarren. Anfangs fuhren Alle zusammen, empfunden jedoch bald ein wahres Vergnügen, um so mehr, da Uwar Iwanowitsch sehr getreu und rein den Wachtelschlag nachmachte. Dieser Erfolg munterte ihn auf und er versuchte zu miauen; dies fiel jedoch bei ihm nicht so gut aus, daher ließ er noch einen Wachtelschlag hören, blickte im Kreise umher und verstummte. Schubin wollte sich ihm an den Hals werfen, er stieß ihn zurück. In diesem Augenblick war das Boot am Ufer angekommen und die ganze Gesellschaft stieg ans Land.

Während dieser Zeit hatten die Kutscher mit einem Diener und dem Stubenmädchen die Körbe aus der Kutsche hervorgeholt und auf dem Rasen unter einer alten Linde die Mittagstafel zubereitet. Alle ließen sich um das ausgebreitete Tischtuch nieder und griffen die Pasteten und die übrigen Speisen an. Alle hatten herrlichen Appetit. Anna Wassiljewna setzte fortwährend ihren Gästen etwas vor und forderte dieselben auf, recht viel zu essen, mit der Versicherung, das wäre im Freien sehr gesund. Sie richtete dieselbe Nöthigung auch an Uwar Iwanowitsch. – Seien Sie unbesorgt, knurrte er ihr mit vollem Munde entgegen. – Hat uns der Herr einen prachtvollen Tag geschenkt! wiederholte sie ohne Unterlaß. Sie war nicht wieder zu erkennen; um zwanzig Jahre jünger schien sie geworden zu sein. Berßenjew sagte es ihr. – Ja, ja, erwiederte sie, – auch ich habe meine Zeit gehabt; aus einem Dutzend hätte man mich nicht herausgeworfen.8 Schubin hatte sich zu Zoë gesetzt und goß ihr fortwährend Wein ein; sie weigerte sich, er drang in sie und das Ende davon war, daß er das Glas selbst leerte und ihr dann wieder zusetzte; auch betheuerte er, er wolle, wie Hamlet, den Kopf auf ihren Schooß legen, sie wollte ihm aber nicht gestatten, »sich solche Freiheit herauszunehmen«. Helene schien ernsthafter als die Uebrigen, ihr Herz war aber wunderbar ruhig, wie sie es schon lange nicht empfunden hatte. Sie fühlte sich zu Unbegrenzter Güte gestimmt und wollte beständig nicht Inßarow allein, sondern auch Berßenjew an ihrer Seite haben . . . Andrei Petrowitsch hatte eine dunkle Ahnung von dem, was das bedeute und seufzte im Stillen.

Die Stunden flogen; der Abend rückte heran. Plötzlich gerieth Anna Wassiljewna in Aufregung. – Ach, meine Besten, wie ist es schon spät, sagte sie. – Wir haben gut gegessen, gut getrunken, nun ist‘s Zeit, sich den Mund zu wischen. Sie erhob sich, die Uebrigen folgten ihrem Beispiel, und man begab sich zum Schloß, wo die Wagen standen. Als die Gesellschaft bei den Teichen vorüberkam, blieb sie stehen, um sich noch ein Mal an den Schönheiten Zarizinos zu ergötzen. Das Abendlicht hatte sich über die Landschaft ergossen; der Himmel war geröthet, das Laub, vom erwachten leichten Winde gewiegt, erglänzte im Wechselschein von Hell und Dunkel; wie geschmolzenes Gold schimmerten die Wasser in der Ferne; auf dem schwarzgrünen Hintergrunde der Bäume stachen scharf die ziegelrothen Thürmchen und Pavillons ab, die im Parke hier und dort zerstreut waren. – Lebe wohl, Zarizino, wir werden den heutigen Ausflug nicht vergessen! sagte Anna Wassiljewna . . . Doch in diesem Augenblick, und gleichsam als eine Bestätigung ihrer letzten Worte, ereignete sich ein sonderbarer Vorfall, der in der That nicht ganz leicht zu vergessen war.

Noch hatte Anna Wassiljewna ihren Abschiedsgruß an Zarizino nicht zu Ende gebracht, als auf einmal einige Schritte von ihr, hinter Fliedergebüschen, wirres Rufen, Gelächter und Geschrei ertönte . . . und ein ganzer Schwarm von Männern in unordentlicher Haltung, dieselben Freunde des Gesanges, welche so ungestüm Zoë Beifall geklatscht hatten, auf den Weg stürzte. Die Herren schienen angetrunken zu sein. Beim Anblick der Damen blieben sie stehen; einer von ihnen jedoch, ein Mensch von hohem Wuchse, mit Stiernacken und erhitzten Stieraugen, trennte sich von seinen Gefährten, grüßte linkisch und näherte sich schwankend der vor Schreck wie versteinerten Anna Wassiljewna.

– Bonjour! Madam, sagte er mit heiserer Stimme, wie befinden Sie sich?

Anna Wassiljewna taumelte zurück.

– Und warum denn, fuhr der Lange in schlechtem Russisch fort, wollten Sie nicht bis singen, als unsere ganze Compagnie bis schrie und Bravo und Foro?

– Ja wohl, ja wohl, warum wollten Sie nicht singen? ließen sich Stimmen in dem Haufen hören.

Inßarow wollte hervortreten, Schubin hielt ihn aber zurück und stellte sich wie zum Schutze vor Anna Wassiljewna.

– Erlauben Sie, begann er, ehrenwerther Unbekannter, Ihnen das unzweideutige Erstaunen auszudrücken, in welches Sie uns Alle durch Ihren Auftritt versetzen. So weit ich‘s zu beurtheilen vermag, gehören Sie zum sächsischen Stamm der kaukasischen Race, folglich dürfen wir bei Ihnen Kenntniß gesellschaftlicher Gesittung voraussehen, und doch richten Sie Worte an eine Dame, welcher Sie nicht vorgestellt worden sind. Seien Sie versichert, zu jeder anderen Zeit wäre es mir ein besonderes Vergnügen, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen, denn ich werde an Ihnen eine staunenerregende Entwicklung der Muskeln: biceps, triceps und doltoïdeus gewahr, so daß ich es als plastischer Künstler es für ein wahres Glück erachten würde, Sie zu meinem Modell zu haben; jetzt aber lassen Sie uns in Ruhe.

»Der ehrenwerthe Unbekannte, hörte die ganze Rede Schubin’s, mit verächtlicher Neigung des Kopfes und die Arme in die Seite gestemmt, an.

– Von dem Allen, was Sie da gesagt, verstehe ich nichts, erwiederte endlich der Lange. Sie denken vielleicht, ich sei Schuster oder Uhrmacher? He! Ich bin Offizier, ich bin Beamter, ja!

– Daran zweier ich nicht, begann Schubin wieder.

– Ich sage blos dies, fuhr der Unbekannte fort, indem er Schubin mit mächtiger Hand wie einen Zweig, der im Wege steht, bei Seite schob, ich sage blos, warum haben Sie nicht bis gesungen, als wir bin schrien? Jetzt aber gehe ich sogleich, in der Minute, nur muß dieses Fräulein, nicht diese Madam, die nicht – jenes Fräulein, oder dieses (er bezeichnete Helene und Zoë), muß mir einen Kuß geben, wie wir im Deutschen sagen: ein Küßchen; ja wohl; was ist denn dran? das ist nichts!

– Nichts, einen Kuß, weiter nichts, riefen Einige im Haufen. Ih! der Sakramenter! stieß vor Lachen stickend ein bereits ganz fertiger Deutscher aus.

Zoë faßte Inßarow beim Arme, er riß sich aber von ihr los und stellte sich gerade vor den langen Unverschämten.

– Jetzt gehen Sie gefälligst fort, sagte er mit nicht sehr lauter, doch fester Stimme.

« Helene.

Der Deutsche lachte dumpf. Wie, fort? Na, das gefällt mir! Darf ich denn nicht auch spazieren? Ich soll fortgehen? Warum fortgehen?

– Weil Sie sich unterstanden haben, eine Dame zu belästigen, sagte Inßarow und wurde plötzlich bleich, weil Sie betrunken sind.

– Was? ich betrunken? Hört! Hören Sie das, Herr Provisor? Ich bin Offizier, und er wagt es . . . Jetzt fordere ich »Satisfaction!« Einen Kuß will ich.

– Nur einen Schritt noch . . . sagte Inßarow.

– Na? und was dann?

– Dann werfe ich Sie in‘s Wasser.

– In‘s Wassers »Herrje!« Weiter nichts? Na, das möchte ich sehen, muß hübsch sein, so in’s Wasser . . .

Der Herr »Offizier« streckte die Arme aus und that einen Schritt, doch da ereignete sich plötzlich etwas Außerordentliches: der Lange ließ ein Gekrächze hören, sein riesiger Körper wankte, löste sich, mit den Füßen nach oben, vom Boden ab, und bevor noch die Damen einen Schrei auszustoßen vermochten, bevor Jemand etwas von dem, was vorging, begreifen konnte, plumpte der Herr »Offizier« mit seinem ganzen Gewichte und mit lautem Geplätscher in den Teich und verschwand sogleich in dem Wasserwirbel.

– Ah! schrien die Damen wie aus einem Munde.

– Mein Gott! ließ sich‘s auf der anderen Seite hören.

Eine Minute verging . . . und ein runder Kopf, ganz von nassem Haar umklebt, zeigte sich über dem Wassers dieser Kopf stieß Blasen aus; zwei Hände arbeiteten krampfhaft, hart vor dem Munde dieses Kopfes.

– Er wird ertrinken, rettet ihn, rettet ihn!« schrie Anna Wassiljewna Inßarow zu, der mit ausgespreizten Beinen am Ufer stand und schwer Athem holte.

– Er wird herauskommen, sagte er mit verächtlicher und harter Nachlässigkeit.– Kommen Sie, setzte er hinzu, indem er Anna Wassiljewna bei der Hand nahm, – kommen Sie, Uwar Iwanowitsch, Helene Nikolajewna.

– A. . a . . o . . . o . . .« ließ sich in diesem Augenblicke das Klagen des unglücklichen Deutschen hören, dem es gelungen war, das Schilfrohr des Ufers zu erfassen.

Alle folgten Inßarow und mußten hart an der »Compagnie« vorbei. Doch, ihres Anführers beraubt, waren die Zechbrüder stiller geworden und ließen kein Wörtchen hören: einer nur, der Tapferste unter ihnen, brummte, mit dem Kopfe schüttelnd: – Nu, das ist doch. . . das ist, Gott weiß, was, nach solchem . . .ein Anderer zog sogar den Hut ab. Inßarow mochte ihnen recht erschrecklich vorkommen, und nicht ohne Grund: es lag etwas Unheimliches, etwas Gefahrdrohendes in seinem Gesicht. Die Deutschen beeilten sich, ihren Gefährten herauszuziehen, der, kaum auf trockenem Boden, in weinerlichem Tone den »russischen Spitzbuben« nachschimpfte und nachschrie, er werde sie verklagen, werde zu Sr. Excellenz selbst, zum Grafen von Kieseritz, gehen . . .

Die »russischen Spitzbuben« nahmen indessen keine Notiz von seinem Geschrei und eilten, so rasch es ging, dem Schlosse zu. Alle schwiegen, so lange sie durch den Park gingen, – nur Anna Wassiljewna stöhnte leise. Endlich gelangten sie zu den Equipagen und brachen nun Alle in ein unaufhaltsames, unbändiges Lachen aus, wie im Homer die Bewohner des Olymps. Zuerst war‘s Schubin, der mit Gewieher, wie wahnsinnig losplatzte, nach ihm vernahm man Berßenjew’s sich überstürzendes, schallendes Lachen, dann kam Zoë‘s feines, perlendes Kichern und Anna Wassiljewna’s ruckweises Aufschreien, Helene selbst mußte lächeln und sogar Inßarow vermochte zuletzt nicht dem Drange zu widerstehen. Doch schallender, anhaltender und rasender als Alle lachte Uwar Iwanowitsch: er lachte bis er Seitenstechen bekam, ihn Riesen überfiel und er zu ersticken glaubte. Als er sich etwas beruhigt hatte, wiederholte er mit fließenden Augen: – ich . . . denke . . . mir . . . muß etwas . . . geplatzt sein . . . und das . . . das war er . . . platt auf den Bauch . . . Und mit dem letzten, krampfhaft vorgebrachten Worte erschütterte ein neuer Ausbruch von Lachen seinen ganzen Körper. Zoë hetzte ihn noch mehr auf. – Da sehe ich, sagte sie, fliegen Beine durch die Luft . . . – Ja, ja, fing Uwar Iwanowitsch auf, – Beine, ja Beine . . . dann klatsch! fällt er auf den Bauch! – Ja wohl, und wie fein er es angefangen hat, der Deutsche war ja wohl dreimal länger? fragte Zoë. – Ich will’s Ihnen erklären, sagte Uwar Iwanowitsch, sich die Augen trocknend, – ich habe es gesehen: mit einer Hand an den Gurt, ein Bein gestellt und klatsch! Ich höre: was war das? . . . das ist er, auf den Bauch . . . platt . . .

Schon längst waren die Equipagen davongerollt, schon war das zarizinsche Schloß ihren Augen entschwunden, aber Uwar Iwanowitsch wollte sich noch immer nicht beruhigen. Schubin, der wieder mit ihm in der Kalesche saß, brachte ihn endlich zur Vernunft.

Inßarow war verlegen. Er saß in der Kutsche Helene gegenüber und schwieg (Berßenjew hatte den Kutschersitz bestiegen); sie schwieg gleichfalls. Er dachte, er habe ihre Mißbilligung erregt; sie tadelte ihn jedoch nicht. Im ersten Augenblicke war sie sehr erschrocken gewesen; darauf hatte der Ausdruck seines Gesichtes sie befremdet« und dann hatte sie sich ihren Gedanken hingegeben. Es war ihr nicht ganz klar, worüber sie nachgedacht hatte. Das Gefühl, welches sie im Laufe des Tages beherrscht, war verschwunden, sie war sich dessen bewußt; doch etwas Anderes, wovon sie in diesem Augenblicke noch keine Vorstellung hatte, war an die Stelle jenes Gefühles getreten. Die partie de plaisir hatte sich zu sehr in die Länge gezogen, unbemerkt war der Abend in Nacht übergegangen. Die Kutsche rollte rasch dahin, bald reifenden Feldern, wo die Luft schwül und duftig war und an Getreide erinnerte, bald an breiten Wiesen vorüber, von denen plötzlich sanfte Kühle den Gesichtern entgegenwehte. Am Horizont schien der Himmel in Rauch gehüllt. Endlich stieg der Mond auf, trübe und roth. Anna Wassiljewna schlummerte; Zoë guckte zum Kutschenfenster hinaus auf die Landstraße. Helene fiel es endlich ein, daß sie mehr als eine Stunde nichts mit Inßarow gesprochen hatte. Sie richtete an ihn eine unbedeutende Frage: er gab ihr sogleich freudig Antwort. Dumpf verworrene Laute, wie wenn Tausende von Stimmen in der Ferne geredet hätten, schlugen immer näher an ihr Ohr: Moskau kaut ihnen entgegen. Lichter tauchten vor ihnen auf; es wurden ihrer immer mehr und mehr; endlich erdröhnte Steinpflaster unter den Rädern. Anna Wassiljewna erwachte; Alle in der Kutsche sprachen, obgleich Niemand mehr unterscheiden konnte, wovon gesprochen wurde, so heftig war das Gerassel des Pflasters unter den Rädern der Wagen und der zweiunddreißig Hufe der Pferde. Lang und langweilig däuchte ihnen die Fahrt von Moskau nach Kunzowo; Alle schliefen oder schwiegen und hatten die Köpfe in verschiedene Ecken gedrückt; nur Helene schloß nicht die Augen, sie hielt dieselben fortwährend auf die dunkle Gestalt Inßarow’s geheftet. Schubin war auf ein Mal betrübt geworden, ein leichter Wind blies ihm in‘s Gesicht und ärgerte ihn; er schlug den Kragen des Mantels in die Höhe und hätte fast geweint. Uwar Iwanowitsch schnarchte, ganz gemächlich hin- und herwackelnd. Endlich hielten die Wagen an. Zwei Diener hoben Anna Wassiljewna aus der Kutsche; sie war ganz aufgelöst und erklärte beim Abschiede ihren Freunden, es wäre kein Funken Leben in ihr; die Freunde bedankten sich bei ihr, sie aber äußerte wiederholt: sie wäre kaum mehr am Leben. Helene drückte Inßarow zum ersten Male die Hand, und blieb noch lange angekleidet am Fenster sitzen; Schubin fand einen geeigneten Augenblick, dem fortgehenden Berßenjew zuzuraunen: – Nun, ist das kein Held? wirft er doch betrunkene Deutsche in‘s Wasser!

 

– Und Du hast nicht einmal das gethan, entgegnete Berßenjew und begab sich mit Inßarow nach Hause.

Die Morgenröthe stieg bereits am Himmel empor, als beide Freunde ihre Wohnung erreichten. Noch war die Sonne nicht aufgegangen, aber schon spürte man die Morgenkühle, grauweißer Thau lag auf dem Grase und die ersten Lerchen stiegen singend in die halbdunkele, lustige Tiefe, aus welcher, einem vereinzelten Auge gleich, ein großer, später Stern hernieder blickte.

8Russisches Sprichwort. (Wie man es mit einem schlechten Ei oder Apfel macht.) D. Uebers.
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