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Punin und Baburin

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* * *

Drei Tage waren vergangen. Ich saß in meinem Zimmer vor meinem Schreibtische und war weniger mit meiner Arbeit als mit meinem Frühstück beschäftigt, als ich einen schlurrenden Gang vernahm, den Kopf erhob und wie versteinert sitzen blieb. Vor mir stand unbeweglich, bleich wie ein Leichentuch eine Jammergestalt . . . Punin! Langsam blinzelnd blickten mich seine zusammengekniffenen thränenden Augen an; ein fast blödsinniges, hasenartiges Erschrecken lag in ihnen, seine Hände hingen wie ein paar Peitschenschnüre schlaff herab.

»Nikander Wawilitsch! was ist Ihnen zugestoßen. Wie sind Sie hereingekommen? Hat Sie Niemand gesehen? Reden Sie, was fehlt Ihnen?«

»Weg, fort!« flüsterte er wie ein Automat mit kaum hörbarer, heiserer Stimme.

»Wer ist weg, wer ist fort?«

»Musa. Des Nachts weggelaufen; hat einen Zettel nachgelassen.«

»Einen Zettel?«

»Ja. Ich danke – schreibt sie – für Alles, kehre aber nicht mehr zurück. Sucht mich nicht. Wir fragen hier, da, die Köchin; Niemand weiß etwas. Verzeihen Sie, ich kann nicht laut sprechen. Die Stimme ist mir wie gebrochen.«

»Musa Pawlowna hat Sie verlassen?« rief ich. »Nun und Herr Baburin, was sagt er? In Verzweiflung mag er wohl sein. Was gedenkt er aber zu thun?«

»Nichts, gar nichts. Ich wollte zum General- Gouverneur laufen: er hat mir’s verboten. Dann wollte ich eine Anzeige bei der Polizei machen; auch das hat er mir untersagt, ist sogar böse über mich geworden. »Es war ihr Wille,« sagte er, »ich werde ihr nicht entgegen sein.« Sogar in’s Geschäft ist er gegangen, natürlich mit gebrochenem Herzen; gar sehr hat er sie geliebt. Ach, wie haben wir Beide sie nicht lieb gehabt!«

Hier gab Punin zuerst kund, daß er kein Holzblock sei, sondern ein Mensch mit tiefem Gefühl; dann hob er beide Fäuste empor und ließ sie wieder auf seinen blendendweißen Schädel herab.

»O, die Undankbare!« stöhnte er, »wer hat sie gefüttert, getränkt, gerettet, gekleidet und erzogen, wer hat sie gepflegt und für das Heil ihrer Seele gesorgt? . . . Und nun Alles zu vergessen! Mich freilich zu verlassen, das war kein so großes Uebel, aber ihn, der ihr Alles war, Paramon Semeonitsch! . . . «

Ich bat ihn sich zu setzen, sich zu erholen . . . Punin schüttelte verneinend den Kopf. »Nein, das ist unnöthig. Ich bin zu Ihnen gekommen . . . warum eigentlich, weiß ich nicht. Zu Hause, allein, war mir’s unheimlich; ich fürchtete den Verstand zu verlieren; wenn ich nur die Augen schloß, sah ich sie vor mir und rief: Musa, Muschen! Das ist um wahnsinnig zu werden! Doch halt, jetzt weiß ich, warum ich gekommen war. Sie haben mir da neulich die abscheulichen Verse von dem alten, grausamen Manne vorgelesen. Warum haben Sie das gethan? Haben Sie nicht vielleicht etwas gewußt, . . . oder nur errathen ?« Punin blickte mich an. »Väterchen, Peter Petrowitsch,« rief er plötzlich zitternd und bebend, »Sie wissen vielleicht, wo sie ist? Väterchen, zu wem ist sie gelaufen?«

Ich wurde unwillkürlich verlegen und schlug die Augen nieder.

»Hat sie in ihrem Briefe etwa gesagt,« hub ich an . . .

»Sie schreibt, daß sie uns verlasse, weil sie einen Andern liebe. Freund, Väterchen, Sie wissen sicher, wo sie ist! Reiten Sie sie, kommen Sie, lassen Sie uns zu ihr gehen, sie überreden, in sich zu gehen, zurückzukehren. Denken Sie doch nur, wem sie das Herz bricht!« Punin wurde plötzlich über und über roth, das Blut stieg ihm in den Kopf, er stürzte schwerfällig auf die Knie vor mir nieder: »Retten Sie sie, Väterchen, kommen Sie zu ihr!«

»Mein Diener erschien im Zimmer und blieb verwundert stehen.

Nicht geringe Mühe kostete es mir, ihn aufzuheben; ich setzte ihm auseinander, daß, wenn ich auch etwas vermuthe, ich doch keine Berechtigung habe, so mit ihm ohne Weiteres vorzugehen; daß man so nur die Sache verderbe und daß ich bereit sei zu versuchen, was ich thun könne, aber für nichts hafte. Punin erwiderte nichts, hörte auch kaum, was ich sagte, sondern wiederholte nur immer seine flehende Bitte: »Retten Sie sie und Paramon Semeonitsch.« Endlich fing er an zu weinen. – »Sagen Sie mir wenigstens eins,« bat er, »ist er hübsch, jung?«

»Jung ist er,« antwortete ich.

»Jung,« wiederholte Punin, während die Thränen über seine alten Wangen herabflossen. »Und sie ist jung . . . das allein ist das Uebel!«

Ich versprach ihn zu besuchen, sobald ich etwas Näheres erfahren würde. »Gut, gut, ich danke Ihnen,« flüsterte Punin mit flehender Geberde, »nur, bitte, daß ja Paramon Semeonitsch nichts erfährt . . . er könnte böse werden. Er hat verboten davon zu reden. Leben Sie wohl, Herr.«

Als er mir den Rücken wendete und hinausging, erschien er mir so gebrochen, daß ich ordentlich erschrak; er schien sogar zu hinken und bei jedem Schritte zusammensinken zu wollen.

»Eine dumme Geschichte! Finis, wie man sagt,« dachte ich bei mir.

* * *

Obgleich ich Punin versprochen hatte, Erkundigungen über Musa einzuziehen, so zweifelte ich doch, obgleich ich mich gleich am selben Tage zu Tarchow begab, etwas Näheres zu erfahren, erwartete sogar, daß er mich nicht empfangen werde. Meine Vermuthung erwies sich jedoch als irrthümlich: ich traf Tarchow zu Hause, er nahm mich wie gewöhnlich auf, ich erfuhr, was ich wissen wollte, doch brachte dies auch nicht den geringsten Nutzen. Kaum hatte ich seine Schwelle überschritten, so kam er mir mit freudestrahlenden Augen – er schien mir sogar hübscher geworden – entgegen und sagte mit fester, entschlossener Stimme: Hör’, Bruder Peter; ich errathe, weshalb Du gekommen bist und worüber Du mit mir zu sprechen gedenkst; ich sage Dir aber zum Voraus, daß, wenn Du ihrer nur mit einem Worte erwähnst, oder über das, was Du ihr Vergehen zu nennen beliebst, oder darüber, was Du nach Deinen Begriffen für die Pflicht der Dankbarkeit hältst, so sind wir länger keine Freunde, selbst unsere Bekanntschaft endet dann und ich sehe mich genöthigt, Dich zu bitten, mich wie einen Dir vollkommen Fremden anzusehen.«

Ich betrachtete Tarchow, er erschien mir wie eine stramm angezogene Saite, die bei der geringsten Berührung erbebt und klingt; sein junges heftig aufwallendes Blut sprudelte aus jedem seiner Worte hervor; in seinem neuen Glücke war er bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen.

»Ist das Dein unabänderlicher Entschluß ?« fragte ich ihn betrübt.

»Ja, Bruder Peter, er ist’s.«

»So bleibt mir nichts als Dir Lebewohl zu sagen.

Tarchow kniff die Augen leicht zusammen – sein Glück machte ihn übermüthig. – »Lebewohl, Bruder Peter!« schnarrte er etwas durch die Nase und zeigte heiter lächelnd seine weißen Zähne.

Was blieb mir wohl noch zu thun übrig? Ich ließ ihn und »sein Glück« allein.

Als ich die Thüre hinter mir schloß, hörte ich, wie sich die Thür seines zweiten Zimmers rasch öffnete.

* * *

Mir war nicht leicht um’s Herz, als ich mich am folgenden Tage zu meinen unglücklichen Bekannten begab. Ich hatte heimlich gehofft – so schwach ist der Mensch – sie nicht zu Hause zu treffen und mich wieder geirrt. Beide waren anwesend. Die Veränderung, welche mit ihnen in den letzten paar Tagen vorgegangen war, hätte jeden erschrecken müssen. Punin war ganz bleich, sein Gesicht schien geschwollen, wohl vom Weinen. Wo war seine Schwatzhaftigkeit geblieben? Er sprach langsam mit schwerer, heiserer Stimme und sah aus wie verloren. Baburin im Gegentheil war wie zusammengesunken, sein Gesicht vertrocknet und fast ganz schwarz; früher schon kein Freund von langen Reden, stieß er jetzt kaum ein paar kurze Worte hervor, seine Züge waren wie versteinert und noch strenger geworden.

Ich fühlte, daß ich nicht gut schweigen könne, was sollte ich aber wohl sagen? Ich begnügte mich damit, Punin zuzuflüstern: »Ich habe nichts in Erfahrung bringen können, rathe Ihnen aber, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Punin blickte mich mit seinen geschwollenen, kleinen Augen an, das einzige, was roth in seinem Gesichte geblieben war, murmelte etwas vor sich hin und wendete sich von mir weg. Baburin, der errathen mochte, wovon die Rede war, öffnete endlich seine trockenen Lippen und sagte langsam und gedehnt: »Mein Herr, seit Ihrem letzten Besuch hat sich in unserer Familie ein Trauerfall ereignet: unsere Pflegetochter Musa Pawlowna Winogradow hat es nicht mehr für angemessen gefunden, mit uns zu leben und hat uns verlassen; ein zurückgelassener Brief von ihr theilt uns dies mit. Da wir nicht das Recht zu haben vermeinen, sie in ihrem Vorhaben zu hindern, so haben wir es ihr überlassen zu handeln, wie sie es für gut erachtet. Wir wünschen, es möge ihr wohlergehen,« – fügte er mit einer gewissen Selbstüberwindung hinzu – »Sie aber ersuchen wir ergebenst, diesen Gegenstand ferner nicht zu erwähnen, da dergleichen Reden unnütz sind und nur peinlich berühren.«

»Nun, auch dieser, gerade wie Tarchow, verbietet mir von Musa zu sprechen,« dachte ich, konnte mich aber innerlich nicht genug wundern, wie auch nicht ; ein einziger Vorwurf, nicht ein einziges bitteres Wort über Baburin’s Lippen kam. Nicht umsonst hatte er sich Zeno zum Beispiel genommen. Ich wollte ihm von diesem Weisen reden, aber auch mir war die Zunge wie am Gaumen geklebt.

So kehrte ich denn bald in meine Wohnung zurück. Niemand sagte mir »auf Wiedersehen!« Beide riefen wie auf Verabredung:· »Leben Sie wohl!« Punin gab mir sogar ein Buch, welches ich ihm geliehen hatte, zurück. »Jetzt,« meinte er, »brauche er : es ja nicht mehr.«

* * *

Eine Woche darauf hatte ich ein sonderbares zufälliges Zusammentreffen. Der Frühling war zeitig angebrochen; zur Mittagszeit waren oft bis achtzehn Grad Wärme. Alles fing an zu grünen und aus der lockern feuchten Erde hervorzusprossen. Ich miethete mir in einer Manege ein Reitpferd und ritt zur Stadt hin auf die »Sperlingsberge« hinaus. Unterwegs begegnete mir eine mit einem paar muthigen kleinen Pferden der berühmten Wiätka-Race bespannte, hübsche Telega (ein Bauerwagen, der aber bei den reichen Bauern der großen Dörfer der Umgegend der Hanptstädte, mit Schnitzwerk verziert, sich recht kokett und elegant ausnimmt, während er bei den Bauern sonst das primitivste, unbequemste Gefährt der Welt ist; selbstverständlich nicht auf Federn, sondern auf der Achse ruhend.) Die Schöpfe und Mähnen der Thiere waren geflochten und mit grellrothen Bändern verziert, das Geschirr, wie man es bei den Edelleuten sieht, wenn sie auf die Jagd fahren, mit blanken Messingringen und Quasten besetzt; der Kutscher, ein junger Bursche, in einem eleganten echt russischen Costüme, einem blauen anschließenden Kaftan ohne Aermel und einem goldgelben seidenen Hemd, dessen Aermel von der Schulter an aus dem blauen Kaftan hervorschimmerten; dazu einen spitzigen Filzhut mit einigen Pfauenfedern besteckt. Neben ihm saß ein junges Mädchen in Bürger- oder Kaufmannsfrauentracht, in einer bunten Brokatkatsaweika (Art Mantille mit Aermeln), den Kopf mit einem hellblauseidenen Tuch bedeckt. Beide schienen ausgelassen lustig, das Mädchen besonders lachte laut und herzlich; der Bursche schmunzelte gleichfalls. Ich wendete mein Pferd zur Seite und achtete nicht besonders auf das rasch dahinfliegende muntere Paar, – als mit einemmale der Bursche die Pferde laut anschrie, sie noch mehr anzufeuern. . . . . »War das denn nicht Tarchow’s Stimme?« Ich blickte mich um . . . »Wahrhaftig: er und kein Anderer, in Kutschertracht, und neben ihm – sollte das wirklich Musa sein ?«

 

In diesem Augenblicke aber griffen die kleinen ; behenden Wiätkapferde aus und flogen wie der Wind dahin. Ich wollte mein Pferd in Galopp setzen und ihnen nacheilen, es war aber ein alter abgehetzter Miethgaul, der nur noch die sogenannte Generals-Allure, d. h. in kurzem Galopp ging, so mußte ich denn weit zurückbleiben.

»Spaziert und belustigt euch nur, ihr guten Leute!« brummte ich neidisch zwischen den Zähnen. Tarchow hatte ich schon über eine Woche nicht mehr gesehen, obgleich ich ein paarmal bei ihm gewesen war. Auch von Baburin und Punin, die ich nicht weiter besuchte, hatte ich nichts mehr gehört.

Obgleich es mir nun heiß geschienen, hatte ich mich doch auf meinem Spazierritt erkältet, da ein ziemlich heftiger Wind wehte. Ich erkrankte nicht unerheblich, und als ich wieder genesen war, begaben die Großmutter und ich uns auf’s Land – auf die Grasfütterung – wie der Arzt sich witzelnd auszudrücken beliebte. So kam ich nicht mehr nach Moskau, denn zum Herbst ging ich auf die Universität nach Petersburg.

III.
(1849)

Nicht sieben, sondern zwanzig volle Jahre waren verstrichen; ich trat bereits in mein zweiunddreißigstes Jahr. Die Großmutter war längst gestorben; ich selbst diente jetzt als Regierungsbeamter beim Ministerium des Innern. Tarchow hatte ich längst aus dem Gesicht verloren. Er war in den Militärdienst eingetreten und stand irgendwo in der Provinz. Ein paar Mal hatten wir einander als alte Freunde getroffen und uns freundlich wieder begrüßt, der alten Zeiten aber nicht erwähnt. Als ich ihm zum zweiten Mal begegnete, war er, so viel ich mich dessen erinnere, bereits verheiratet. Eines Tages, an einem schwülen Sommertage, durchschritt ich, sie Dienstgeschäfte die mich noch in Petersburg, seinem Staube und feiner unerträglichen Hitze zurückhielten, so recht von Herzen verwünschend, die Erbsenstraße. Eine Beerdigungsprocession sperrte mir den Weg. Sie bestand nur aus einem, auf dem unebenen, holprigen Pflaster hin- und herschaukelnden alten Leichenwagen, an welchem ein ärmlicher, hölzerner, zur Hälfte nur mit einem zerrissenen schwarzen Tuche bedeckter Sarg stand. Ein alter Mann mit weißem Haar folgte dem Wagen allein nach.

»Ich blickte ihn an . . . das Gesicht schien mir bekannt . . . Auch er richtete sein Auge auf mich. . . »Mein Gott! das ist ja Baburin!«

Ich nahm meinen Hut ab, trat näher, nannte mich – und folgte mit ihm der Leiche.

»Wen begleiten Sie da auf seinem letzten Wege ?« fragte ich.

»Nikander Wawilitsch Punin,« antwortete er.

Ich hatte nun wohl das Vorgefühl, daß er diesen Namen nennen werde und doch erbebte ich innerlich. Mir wurde traurig zu Muthe und doch wieder freute ich mich, daß ein merkwürdiger Zufall mich gerade diesen Weg führen mußte, meinem alten Lehrer die letzte Ehre zu erweisen . . .

»Darf ich mit Ihnen gehen, Paramon Semeonitsch ?«

»Gewiß . . . ich allein begleite ihn, jetzt werden unser zwei sein.«

Länger als eine Stunde dauerte unser trauriger Gang. Mein Gefährte ging ruhig, ohne die Augen zu erheben, oder den Mund zu öffnen. Seit ich ihn zum letzten Male gesehen habe, war er ganz zum Greise geworden; das mit Runzeln durchfurchte broncefarbene Gesicht stach grell gegen die silberweißen Haare ab. Die Spuren eines schweren sorgenvollen Lebens waren scharf in seiner ganzen Gestalt ausgeprägt Noth und Armuth hatten mehr als der Zahn der Zeit an ihm genagt. Als Alles beendigt war, als Alles, was sich einst Punin nannte, auf ewig in kühler, feuchter – im vollsten Sinne des Wortes feuchter Sumpferde des Smolensk-Gottesackers ruhte, stand Baburin noch ein paar Augenblicke mit gesenktem Haupte vor dem neuen Grabhügel, wendete dann sein verwittertes altes Gesicht mit den harten, strengen Zügen zu mir, dankte mir mürrisch für die Begleitung und wollte sich entfernen; ich hielt ihn zurück.

»Wo wohnen Sie, Paramon Semeonitsch ? Werden Sie mir nicht erlauben, Sie zu besuchen? Ich wußte wahrlich nicht, daß Sie in Petersburg wohnen. Wir könnten uns der alten Zeiten erinnern; von den lieben Verstorbenen ein Wörtchen reden.«

Baburin zögerte etwas, bevor er antwortete: »Seit drei Jahren schon wohne ich in Petersburg, aber fast am Ende der Stadt. Wenn Sie übrigens wirklich mich zu besuchen wünschen, so kommen Sie.« Er gab mir seine Adresse. »Kommen Sie am Abend; des Abends treffen Sie uns immer zu Hause Beide!«

»Beide?«

»Ja, ich bin verheiratet. Meine Frau befindet sich heute nicht recht wohl, deshalb hat sie den Verstorbenen nicht begleiten können. Uebrigens ist es ja auch genug, wenn Einer diese leere Formalität, diese überflüssige Ceremonie besorgt. Wer glaubt wohl an all’ dergleichen?«

Ich wunderte mich einigermaßen über diese letzten Worte Baburin’s, doch sagte ich nichts, nahm einen Fuhrmann und machte Baburin den Vorschlag, ihn nach Hause zu bringen; er nahm jedoch mein Anerbieten nicht an, sondern ging zu Fuß davon.

* * *

Noch an demselben Tage begab ich mich, Abends, zu ihm. Unterwegs dachte ich nun an Punin und an die längst entschwundene erste Jugendzeit, wo ich zuerst seine Bekanntschaft auf eine so originelle Weise gemacht hatte; jetzt war für ihn jeder Scherz vorbei! Baburin wohnte auf der Wyburger Seite, in einem Häuschen, das mich lebhaft an sein Moskauer Nestchen erinnerte, das Petersburger schien mir fast noch ärmlicher. Als ich in sein Zimmer trat, saß er auf einem Sessel im Winkel, beide Hände über dem Knie; ein herabgebranntes Unschlittlicht beleuchtete dunkel seinen herabhängenden weißen Kopf. Als er das Geräusch meiner Schritte vernahm, erbebte er, begrüßte mich jedoch freundlicher, als ich erwartet hatte. Einen Augenblick darauf erschien auch seine Frau; ich erkannte in derselben sogleich Musa wieder – und nun wurde mir mit einem Male klar, warum Baburin mich zu sich eingeladen hatte: er wollte mir zeigen, daß er doch das Seinige erreicht habe.

Musa hatte sich bedeutend verändert – sowohl im Gesicht, als in der Stimme, ja selbst in ihren Bewegungen; vor allem aber fiel mir die vorgegangene Umwandlung ihrer Augen auf. Wie Leuchtkäfer waren sie vormals flüchtig hin und her geeilt, diese bösen und doch zugleich reizenden Augen, deren Aufblitzen wie ein Nadelstich verwundete . . . Jetzt blickten sie , offen, ruhig und fest; die schwarzen Aepfel schienen verschleiert, erloschen. »Ich bin gebeugt, sanft, gut geworden,« sagte dieser stille milde Blick. Dasselbe drückte auch ihr beständiges ergebenes leichtes Lächeln aus, zeigte auch ihr bescheidener Anzug, ein braunes weißgeblümtes Kleid. Sie trat selbst auf mich zu und fragte mich, ob ich sie wohl erkenne? – Augenscheinlich war nicht die geringste Verlegenheit in ihrem Benehmen; nicht etwa, daß sie schamlos geworden, oder das Gedächtniß verloren hätte, nein, man sah, sie hatte alle Eitelkeit des Lebens hinter sich zurückgelassen. Musa erzählte viel vom lieben Verstorbenen, sie sprach mit gelassener, gleichfalls kälter gewordenen Stimme. Er war zuletzt fast kindisch geworden, so daß er sich, wie ein Wind, mit Spielsachen belustigt hatte, er nähte Läppchen zusammen, zum Verkauf; wie man ihm glauben ließ. Seine Leidenschaft aber für Verse hatte er nicht verloren und declamirte noch in den letzten Tage vor seinem Tode einige Zeilen aus der Russiade; Puschkin dagegen fürchtete er wie ein Kind das Feuer. Auch seine Anhänglichkeit an Baburin hatte sich nicht vermindert, noch im Augenblick des Todes, als sein Verstand sich bereits verdunkelte, hatte er dessen Hand ergriffen und »Wohlthäter!« gelispelt. Noch erfuhr ich, daß bald nach der Moskauer Begebenheit Baburin wieder seine Stelle aufgegeben hatte und von einem Ende Rußlands nach dem andern gewandert war. Auch jetzt hatte er nur eine Privatstelle in Petersburg gehabt, die er aber, da er sich der Arbeiter gegen ihren Brodherrn angenommen, wieder aufzugeben genöthigt worden war. Das fortwährende Lächeln, das auf Musa’s Lippen schwebte, machte auf mich einen fast traurigen Eindruck; es vervollständigte den, welchen ihr Mann auf mich gemacht hatte. Schwer wurde es den Beiden, um’s tägliche Brod zu kämpfen, das war unzweifelhaft Baburin mischte sich nur wenig in unsere Unterhaltung, er schien mehr besorgt als betrübt . . . es quälte ihn augenscheinlich etwas.

»Paramon Semeonitsch, kommen Sie doch einen Augenblick heraus,« sagte die Köchin, ihren Kopf in’s Zimmer steckend.

»Was ist da?« fragte er ängstlich.

»Bitte, es ist nöthig,« antwortete sie bedeutungsvoll und mit Nachdruck.

Baburin knöpfte sich zu und verließ das Zimmer.

* * *

Als ich mit Musa allein war, sah sie mich mit einem ganz anderen Gesichte an, auch das stereotype Lächeln verschwand von ihren Lippen: Ich weiß nicht, Peter Petrowitsch, was Sie jetzt von mir denken mögen,« vermuthe aber, daß Sie sich wohl dessen erinnern, wie ich einst war . . . selbstvertrauend, heiter . . . und nicht gut! So war ich; ich wollte das Leben genießen. Jetzt kann ich es Ihnen wohl sagen: »als ich damals verlassen wurde, war ich wie verloren und wartete nur, daß Gott mich zu sich nehme, oder daß ich selbst den Muth haben werde, meinem Leben ein Ende zu machen – da begegnete ich wieder, wie damals in Woronesch – Paramon Semeonitsch – er rettete mich zum zweiten Male! . . . Kein böses Wort ging über seine Lippen, keinen Vorwurf hörte ich von ihm, nichts verlangte er von mir; – ich fühlte mich seiner unwürdig. – Doch als ich sah, wie theuer ich ihm war, wie er mich liebte, wie er ohne mich gealtert hatte, begriff ich erst meine zukünftigen Pflichten gegen ihn . . so wurde ich sein Weib. Und so ist es geblieben.«

Sie schwieg; das frühere ergebene Lächeln schwebte wieder auf ihren Lippen: »Ob mir dies Leben leicht wurde, frage darnach nicht,« lag in diesem Lächeln.

Das Gespräch ging nun auf gewöhnliche Gegenstände über. Musa erzählte mir, daß Punin ein Katze nachgelassen habe, die seit seinem Tode auf dem Boden sitze und kläglich miaue, gerade als ob sie ihn rufe, und daß nun die abergläubischen Nachbarn sehr erschreckt seien und sich fürchteten, indem sie sich einbildeten, Punin’s Seele sei in die Katze übergegangen.

»Paramon Semeonitsch scheint aufgeregt und besorgt, was fehlt ihm?« fragte ich endlich.

»Haben Sie das schon bemerkt?« antwortete Musa seufzend. »Daß er seinen alten Ueberzeugungen treu geblieben ist, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen . . . Die Lage der Dinge, wie sie heut zu Tage ist, konnte diese Ueberzeugung nur noch verstärken. (Musa drückte sich ganz anders aus, wie vordem in Moskau, ihrer Sprache war anzumerken, daß sie mit Nutzen viel gelesen haben mußte.) Ich weiß jedoch nicht, in wie weit ich mich Ihnen anvertrauen darf, und wie Sie es aufnehmen . . .«

»Woher vermuthen Sie, daß Sie sich mir nicht anvertrauen können?«

»Sie stehen doch im Dienst, nicht wahr? sind Regierungsbeamter?«

»Nun und was schadet das ?«

»Sie sind demzufolge Anhänger der Regierung.«

Ich mußte mich innerlich über Musa’s jugendliche Ansichten wundern. »Was meine Beziehungen zur Regierung betrifft, die nicht einmal ahnt, daß ich existire, darüber dürfen Sie sich vollkommen beruhigen. Jeden- falls werde ich Ihr Zutrauen keineswegs mißbrauchen. Die Ueberzeugungen Ihres Mannes theile ich in Manchem . . . mehr als Sie vermuthen.«

 

Musa schüttelte den Kopf.

»Ja; das mag schon richtig sein, aber hier stehen die Sachen anders: Möglicherweise wird bald die Zeit kommen, wo Paramon Semeonitsch auch seine Ueberzeugungen durch die That wird beweisen müssen. Sie können nicht länger unter dem Scheffel vergraben bleiben. Er hat Gefährten, die er jetzt nicht mehr verlassen darf . . .«

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