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Visionen und andere phantastische Erzählungen

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Wir hatten einen Grafen in der Nachbarschaft, der sich furchtbare ausländische Hunde hielt. Mir zittern die Knie; ich stürze zu einem Spiegel, um zu sehen, ob ich nicht gebissen bin. Nein, Gott sei Dank, nichts zu sehen; nur ist mein Gesicht grün. Indessen liegt Nymphodora Ssemjonowna auf dem Diwan und gluckst wie eine Henne. Das ist auch wohl begreiflich: erstens die Nerven und zweitens die Empfindsamkeit. Sie kommt aber wieder zu sich und fragt mich, mit so matter Stimme, ob ich noch lebe. Ich sage ihr, daß ich noch lebe und daß Tresor mein Retter ist. – ›Ach,‹ sagt sie drauf, ›welch ein Edelmut! Hat ihn also der tolle Hund erwürgt?‹ – ›Nein,‹ sage ich, ›er hat ihn nicht erwürgt, aber stark verletzt.‹ – ›Ach,‹ sagt sie wieder, ›in diesem Falle muß man ihn sofort niederschießen!‹ – ›Nein,‹ sage ich, ›damit bin ich gar nicht einverstanden; ich will versuchen, ihn zu kurieren…‹ Indessen kratzt Tresor von außen an der Türe; ich will ihn hereinlassen. – ›Ach,‹ sagt sie, ›was fällt Ihnen ein? Er wird ja uns alle beißen!‹ – ›Erlauben Sie,‹ erwidere ich, ›das Gift wirkt nicht so schnell.‹ – ›Ach,‹ sagt sie, ›wie kann man nur so was sagen! Sie sind wohl verrückt!‹ – ›Nymphotschka,‹ sage ich ihr, ›beruhige dich, sei doch vernünftig…‹ Da schreit sie aber auf: ›Hinaus, hinaus, sofort verlassen Sie das Haus zusammen mit Ihrem ekelhaften Hund!‹ – ›Gut,‹ sage ich, ›gerne, ich gehe schon.‹ – ›Sofort, in dieser Sekunde! Entferne dich,‹ sagt sie, ›du Mörder, und wage nicht, mir je wieder unter die Augen zu kommen. Du kannst ja selbst toll werden!‹ – ›Sehr gut,‹ sage ich, ›lassen Sie mir nur einen Wagen geben, denn ich fürchte mich jetzt, zu Fuß nach Hause zu gehen.‹ – Sie starrte mich an. – ›Gebt ihm einen Wagen, eine Kutsche, eine Droschke, was er will, nur daß ich ihn nicht mehr sehe! Diese Augen! Was er für Augen macht!‹ Mit diesen Worten rennt sie aus dem Zimmer, gibt einem Dienstmädchen, das ihr gerade in den Weg kommt, eine Ohrfeige, – und ich höre, wie sie im Nebenzimmer einen hysterischen Anfall bekommt. – Sie mögen es mir glauben, meine Herren, oder nicht, doch von diesem Tag an brach ich jeden Verkehr mit Nymphodora Ssemjonowna ab; und bei reiflicher Überlegung muß ich sagen, daß ich auch für diesen Dienst meinem Freund Tresor bis an mein Lebensende zum Danke verpflichtet bin.

Ich ließ also einen Wagen anspannen, setzte mich mit Tresor hinein und fuhr nach Hause. Zu Hause untersuchte ich ihn, wusch seine Wunden aus und beschloß, ihn am nächsten Morgen zu einer weisen Frau, die im Kreise Jefremow wohnte, zu bringen. Diese weise Frau war übrigens ein alter Bauer, ein ganz merkwürdiger Mensch: er flüsterte einige Worte über Wasser, – andere sagen, daß er Schlangenspeichel hineintat, – gab davon zu trinken, und im Nu war jede Krankheit weg. Bei dieser Gelegenheit wollte ich mir in Jefremow zur Ader lassen: das ist manchmal sehr gut gegen Schreck; nur selbstverständlich nicht am Arme, sondern an der Daumenader.«

»Wo liegt denn die Daumenader?« fragte mit schüchterner Neugier Herr Finoplentow.

»Das wissen Sie nicht? Das ist eben die Stelle auf der Faust neben dem Daumen, wohin man Schnupftabak schüttet, bevor man eine Prise nimmt – hier ist sie! Für den Aderlaß ist es die geeignetste Stelle; denn urteilen Sie selbst: aus dem Arme kommt frisches Aderblut, aber da kann nur verbrauchtes Blut herauskommen. Die Ärzte wissen es nicht und verstehen es nicht; wie sollten sie es auch, diese Deutschen! Bei uns befassen sich hauptsächlich Schmiede damit. Und was es für geschickte Leute unter ihnen gibt! So ein Schmied setzt den Meißel an, haut mit dem Hammer darauf – und fertig!.. Während ich auf diese Weise überlegte, war es draußen ganz finster geworden, also höchste Zeit, schlafen zu gehen. Ich legte mich zu Bett, und Tresor blieb selbstverständlich bei mir im Schlafzimmer. Ich weiß nicht, war es noch der Schreck, oder kam es von der stickigen Luft, von den Flöhen, oder weil ich zu viel Gedanken im Kopfe hatte, – aber ich konnte nicht einschlafen, wie sehr ich mir auch Mühe gab! Ich hatte ein so eigentümliches, beklemmendes Gefühl, daß ich es gar nicht beschreiben kann; ich versuchte alles Mögliche: trank Wasser, öffnete das Fenster, spielte auf der Gitarre die Kamarinskaja mit italienischen Variationen… es nützte alles nicht! Es trieb mich aus dem Zimmer… schließlich nahm ich mein Kissen, die Bettdecke, ein Laken und begab mich durch den Garten in den Heuschuppen und richtete mich da ein. Es war so angenehm, meine Herren: die Nacht ist still, ungewöhnlich still, nur ab und zu streicht mir ein Windhauch, zart wie eine Frauenhand, über das Gesicht; das Heu duftet wie Tee, auf den Apfelbäumen zirpen die Grillen; mitunter schlägt eine Wachtel, und man fühlt, daß es auch ihr, der Kanaille, so wohlig zumute ist, während sie mit dem Weibchen im Tau sitzt… Und am Himmel eine strahlende Pracht: die Sternchen flimmern, und zuweilen schwebt ein Wölkchen vorbei, weiß wie Watte, und bewegt sich kaum…«

An dieser Stelle mußte Skworewitsch niesen; auch Kinarewitsch, der nie hinter seinem Freunde zurückblieb, nieste. Anton Stepanowitsch sah die beiden beifällig an.

»Nun,« fuhr Porfirij Kapitonowitsch fort, »so liege ich da und kann noch immer nicht einschlafen. Ich muß in einemfort denken und zwar hauptsächlich über die menschliche Weisheit: wie wunderbar hat mir doch Prochorytsch das warnende Zeichen gedeutet, und warum solche Wunder gerade mit mir geschehen?.. Ich wundere mich, weil ich nichts begreife; Tresor liegt indessen zusammengerollt auf dem Heu und winselt leise; seine Wunden schmerzen ihn. Ich will Ihnen auch sagen, was mich am Schlafen hinderte, Sie werden es wohl kaum glauben: der Mond! Er steht so rund, groß, gelb und flach gerade vor mir, und starrt mich an, bei Gott! So frech und zudringlich starrt er mich an… Schließlich zeigte ich ihm sogar die Zunge. Was bist du so neugierig? – denke ich mir. Wenn ich mich von ihm abwende, kriecht er mir ins Ohr, bestrahlt mir den Nacken, übergießt mich wie ein Regen; und wenn ich die Augen öffne, ist es noch ärger: jedes Hälmchen, jedes unnütze Ästchen im Heu, jedes noch so unbedeutende Spinngewebe beleuchtet er so grell, so unverschämt: sieh dir nur alles recht genau an! Es ist nichts zu machen; ich stütze mich auf einen Ellenbogen und fange an zu sehen. Ich kann auch nicht anders: meine Augen sind plötzlich wie die eines Hasen, sie sind so weit aufgerissen, wollen beinahe aus dem Kopfe herausspringen; sie sind so unheimlich wach, als ob sie gar nicht wüßten, was Schlaf heißt. Ich glaube, ich hätte mit den Augen alles verschlingen können. Das Tor steht weit offen, an die fünf Werst weit kann ich im Felde alles sehen: so unheimlich deutlich und zugleich undeutlich, wie es immer in einer Mondscheinnacht ist. So sehe ich, und sehe, und blinzle nicht mal mit den Augen… Und plötzlich kommt es mir vor, als ob sich in weiter Ferne etwas regte. Es vergeht einige Zeit, wieder huscht ein Schatten vorbei, diesmal etwas näher; und dann noch einmal und wieder näher. Was kann das sein? Vielleicht ein Hase? Nein, es scheint größer als ein Hase zu sein, auch springt ein Hase ganz anders. Ich sehe: der Schatten zeigt sich wieder und huscht schon als dunkler Fleck über die Viehweide – die Viehweide liegt aber im Mondlichte ganz weiß da. Es ist ja klar: ein Tier, ein Fuchs oder ein Wolf. Das Herz steht mir still… doch was soll ich mich fürchten? Es treibt sich doch immer allerlei Getier nachts im Feld umher. Die Neugierde ist aber größer als die Furcht; ich stehe auf, starre hinaus, und auf einmal überläuft es mich ganz kalt; ich erstarre, als ob man mich bis über die Ohren in Eis gesteckt hätte; doch warum? Das weiß Gott allein! Und ich sehe: der Schatten wird immer größer und wächst und rückt gerade auf meinen Schuppen los… Und ich sehe ganz genau, daß es ein großes Tier mit dickem Kopf ist… Es saust daher wie ein Wirbelwind, wie eine Flintenkugel… Du lieber Himmel! Was mag das sein? Das Tier bleibt auf einmal stehen, als ob es etwas witterte… Das ist ja… der tolle Hund von heute früh! Er ist es, er ist es! Gott! Und ich kann mich weder rühren, noch schreien… Der Hund springt in den Schuppen, seine Augen funkeln, und er stürzt heulend gerade auf mich los!

Aber da kommt schon aus dem Heu mein Tresor wie ein Löwe heraus; ja das tut er! Rachen an Rachen beißen sich die beiden ineinander fest und stürzen wie ein Knäuel zu Boden! Was weiter geschah, weiß ich nicht, denn ich sprang, wie ich war, über sie weg, und aus dem Schuppen heraus, und in den Garten, und nach Hause in mein Schlafzimmer!.. Ich muß gestehen, daß ich mich beinahe unters Bett verkroch. Aber was für Sätze, was für Pas führte ich im Garten aus! Ich glaube, die erste Tänzerin, die vor Kaiser Napoleon an seinem Namenstage tanzt, auch die hätte es nicht besser machen können. Als ich jedoch einigermaßen zur Besinnung gekommen war, brachte ich gleich das ganze Haus auf die Beine; ich befahl allen, sich zu bewaffnen und nahm selbst einen Säbel und einen Revolver. (Ich hatte mir diesen Revolver, offen gestanden, gleich nach der Aufhebung der Leibeigenschaft gekauft; wissen Sie, für jeden Fall; nur hatte ich ein ganz miserables Ding erwischt: von drei Schüssen versagten mindestens zwei.) Ich nahm also das alles und begab mich mit einer ganzen Schar, mit Knüppeln und Laternen bewaffnet zum Schuppen. Wir kommen an, rufen, – nichts zu hören; schließlich gehen wir in den Schuppen. Und was sehen wir? Mein armer Tresor liegt tot mit durchbissener Kehle – und der andere, der Verdammte, ist längst verschwunden!

Da brüllte ich, meine Herren, wie ein Kalb und ich schäme mich nicht zu bekennen: ich fiel über meinen sozusagen zweifachen Retter und liebkoste lange seinen Kopf. Und ich blieb in dieser Stellung so lange, bis mich meine alte Haushälterin Praskowja wieder zur Besinnung brachte (sie war mit den andern auf den Lärm herbeigeeilt). – ›Wie können Sie sich nur, Profirij Kapitonowitsch,‹ sagte sie, ›wegen eines Hundes so grämen? Sie werden sich noch erkälten, Gott bewahre! (Ich war auch in der Tat sehr leicht gekleidet). Und wenn dieser Hund, als er Sie rettete, sein eigenes Leben ließ, so ist das für ihn eine große Gnade und Ehre!‹

 

Obwohl ich Praskowja nicht beistimmen konnte, begab ich mich doch nach Hause. Der tolle Hund wurde aber am nächsten Tage von einem Soldaten erschossen… So ein Ende war ihm wohl vorausbestimmt: der Soldat hatte zum ersten Male in seinem Leben aus einem Gewehre geschossen, obwohl er eine Medaille für das Jahr 1812 besaß. Also so eine übernatürliche Begebenheit hat sich mit mir zugetragen.«

Der Erzähler schwieg und begann sich eine Pfeife zu stopfen. Wir sahen aber einander ganz verdutzt an. – »Vielleicht führen Sie ein besonders gottgefälliges Leben,« begann Herr Finoplentow, »und zur Belohnung…« Doch bei diesem Worte blieb er stecken, denn er sah, daß Porfirij Kapitonowitsch seine Backen aufblies, rot wurde und mit den Augen zwinkerte, wie einer, der sofort in schallendes Gelächter ausbrechen wird…

»Wenn man aber die Möglichkeit des Übernatürlichen, die Möglichkeit seines Hineinspielens in das sogenannte wirkliche Leben zugeben soll,« begann wieder Anton Stepanowitsch, »welche Rolle soll dann noch der gesunde Menschenverstand spielen?«

Niemand von uns wußte darauf etwas zu erwidern, und wir verblieben im Zustande völliger Ratlosigkeit.

Das Lied der triumphierenden Liebe

MDXLII
Dem Andenken Gustave Flauberts

Wage du zu irren und zu träumen.

Schiller.

Folgendes las ich in einer alten italienischen Handschrift:

I

Um die Mitte des XVI. Jahrhunderts lebten in Ferrara – (das damals unter dem Szepter seiner prachtliebenden Herzöge, der Beschützer der Künste und der Poesie, in hoher Blüte stand) – zwei junge Männer, mit Namen Fabius und Mutius. Gleich an Alter, nahe miteinander verwandt, waren sie fast immer unzertrennlich; eine innige Freundschaft verband sie seit frühester Jugend… Dieses Band war auch durch die Ähnlichkeit ihrer Lebensschicksale gefestigt. Beide gehörten alten Geschlechtern an; beide waren reich, unabhängig und ohne Familie; auch hatten sie gleichen Geschmack und verwandte Neigungen. Mutius beschäftigte sich mit Musik, und Fabius mit Malerei. Ganz Ferrara war stolz auf sie, als auf den schönsten Schmuck des Hofes, der Gesellschaft und der Stadt. In ihrem Äußeren waren sie aber unähnlich, obwohl sie sich beide durch schlanke, jugendliche Schönheit auszeichneten: Fabius war etwas größer von Gestalt und hatte ein zartes, weißes Gesicht, blonde Haare und blaue Augen; Mutius dagegen hatte ein braunes Gesicht, schwarze Haare, und in seinen dunkelbraunen Augen lag nicht jener heitere Glanz, und auf seinen Lippen nicht jenes freundliche Lächeln wie bei Fabius; seine dichten Brauen hingen beinahe auf die schmalen Lider herab, während Fabius' goldblonde Brauen in feinen Halbkreisen auf der reinen, glatten Stirne lagen. Auch war Mutius im Gespräch weniger lebhaft; trotz alledem hatten beide Freunde bei Damen den gleichen Erfolg, denn nicht umsonst waren sie Muster ritterlicher Dienstfertigkeit und Freigebigkeit.

Um die gleiche Zeit lebte zu Ferrara eine Edeljungfrau, mit Namen Valeria. Sie galt als eine der ersten Schönheiten der Stadt, obgleich man sie nur selten zu Gesicht bekam: sie lebte sehr zurückgezogen und verließ das Haus nur um in die Kirche, und höchstens noch an großen Feiertagen auf die Promenade zu gehen. Sie lebte mit ihrer Mutter, einer adeligen, doch wenig bemittelten Witwe, deren einziges Kind sie war. Valeria flößte einem jedem, der ihr begegnete, das Gefühl unwillkürlicher Bewunderung und einer ebenso unwillkürlichen, zarten Achtung ein: so bescheiden gab sie sich, so wenig schien sie sich selbst der Macht ihrer Reize bewußt zu sein. Manche fanden sie freilich etwas blaß; der Blick ihrer Augen, die sie fast immer gesenkt hielt, drückte eine gewisse Schüchternheit und sogar Furchtsamkeit aus; ihre Lippen lächelten selten und dann auch nur kaum wahrnehmbar; ihre Stimme hatte selten jemand gehört. Aber es ging das Gerücht, daß diese Stimme sehr schön sei, und daß sie manchmal in ihrer verschlossenen Kammer, früh morgens, wo noch die ganze Stadt schlief, alte Lieder sänge und sich selbst auf der Laute begleite. Trotz ihres blassen Aussehens erfreute sich Valeria einer blühenden Gesundheit, und selbst alte Leute, welche sie sahen, sagten sich unwillkürlich: »O wie glücklich wird der Jüngling sein, für den sich diese unberührte jungfräuliche Knospe dereinst zur Blüte entfalten wird!«

II

Fabius und Mutius erblickten Valeria zum ersten Male bei einem prächtigen Volksfeste, das auf Befehl des Herzogs Ercole von Ferrara, eines Sohnes der berühmten Lucretia Borgia, zu Ehren der Würdenträger gegeben wurde, die aus Paris auf Einladung der Herzogin, einer Tochter des Königs Ludwig XII. von Frankreich, eingetroffen waren. Valeria saß neben ihrer Mutter in der Mitte einer schönen Tribüne, die nach dem Entwurf Palladios auf dem Hauptplatze von Ferrara für die vornehmsten Damen der Stadt errichtet war. Beide Jünglinge, Fabius und Mutius, verliebten sich am gleichen Tage leidenschaftlich in das Mädchen; und da sie vor einander nichts zu verheimlichen pflegten, erfuhr ein jeder von ihnen sehr bald, was das Herz des andern erfüllte. Sie einigten sich, daß ein jeder von ihnen versuchen werde, sich Valeria zu nähern, und wenn sie einem von ihnen den Vorzug geben sollte, werde sich der andere widerspruchslos ihrer Entscheidung unterwerfen müssen. Nach einigen Wochen gelang es den beiden, dank dem guten Rufe, den sie mit Recht genossen, Einlaß in das sonst schwer zugängliche Haus der Witwe zu erlangen; sie erlaubte ihnen, sie zu besuchen. Nun hatten sie fast täglich Gelegenheit, Valeria zu sehen und mit ihr zu sprechen; und mit jedem Tage loderte das in den Herzen der beiden Jünglinge entzündete Feuer heftiger empor; Valeria schien indessen keinem von ihnen den Vorzug zu geben, obgleich sie an diesen Besuchen offenbar Gefallen hatte. Mit Mutius trieb sie Musik, unterhielt sich aber lieber mit Fabius, in dessen Gesellschaft sie viel unbefangener war. Endlich sandten die Jünglinge, um sich Gewißheit über ihr Los zu verschaffen, Valeria einen Brief mit der Bitte, sie möchte sich ihnen selbst erklären und sagen, wem sie ihre Hand geben wolle. Valeria zeigte diesen Brief der Mutter und erklärte ihr, daß sie bereit sei, Jungfrau zu bleiben; wenn aber die Mutter meine, daß es für sie Zeit sei, in die Ehe zu treten, so wolle sie den heiraten, den ihr die Mutter bestimmen würde. Die ehrsame Witwe vergoß einige Tränen bei dem Gedanken an die Trennung von dem geliebten Kinde; sie hatte jedoch keinen Grund, die Freier abzuweisen: einen jeden von ihnen hielt sie für gleich wert, die Hand ihrer Tochter zu erlangen. Doch da sie in der Tiefe ihrer Seele Fabius vorzog und ahnte, daß er auch Valeria mehr zusagte, wies sie auf ihn. Fabius erfuhr schon am nächsten Tage von seinem Glück; und Mutius blieb nichts anderes übrig, als sein Wort zu halten und sich zu fügen.

Das tat er auch; aber Zeuge des Triumphes seines Freundes und Rivalen zu sein, – ging über seine Kraft. Er verkaufte sofort den größeren Teil seines Besitzes und begab sich mit den paar tausend Dukaten, die er dafür bekam, auf eine weite Reise nach dem Morgenlande. Beim Abschied versprach er Fabius, nicht eher zurückzukommen, als bis er fühlen werde, daß die letzten Spuren der Leidenschaft in ihm erloschen wären. Es fiel Fabius schwer, sich von dem Freunde seiner Kindheit und seiner Jugend zu trennen… doch die freudige Erwartung einer nahen Seligkeit ließ alle anderen Gefühle verstummen, und er überließ sich ganz den Wonnen seiner vom Erfolg gekrönten Liebe.

Bald darauf ging er die Ehe mit Valeria ein und erst da erkannte er den ganzen Wert des Schatzes, den er gewonnen hatte. Er besaß eine schöne Villa, in einem schattigen Garten gelegen, in nicht allzugroßer Entfernung von Ferrara; in diese Villa zog er mit seiner Gattin und ihrer Mutter. Eine selige Zeit brach für die beiden an. Valeria zeigte in der Ehe alle ihre Vorzüge und Reize in einem neuen, bezaubernden Lichte; Fabius entwickelte sich aber zu einem bedeutenden Maler: er war nicht mehr einfacher Dilettant, sondern ein Meister. Die Mutter Valerias weidete sich am Glück des jungen Paares und dankte Gott. Vier Jahre zogen dahin so schnell und unbemerkt wie ein seliger Traum. Nur eins fehlte den jungen Gatten, sie hatten nur den einen Kummer: der Himmel gab ihnen keine Kinder… aber die Hoffnung verließ sie nicht. Am Ende des vierten Jahres erfuhren sie ein großes, diesmal wirkliches Unglück: nach kurzer Krankheit starb die Mutter Valerias.

Valeria vergoß viele Tränen und konnte sich lange nicht in den Verlust finden. Aber es verging noch ein Jahr, das Leben trat wieder in seine Rechte, und alles kam in das frühere Geleise. Und da, an einem schönen Sommerabend, kehrte nach Ferrara, ohne jemand benachrichtigt zu haben, Mutius zurück.

III

In den ganzen fünf Jahren, die er abwesend war, hatte niemand etwas von ihm gehört; alle Gerüchte über ihn waren verstummt, als ob er ganz vom Erdboden verschwunden wäre. Als Fabius seinem Freund in einer der Straßen von Ferrara begegnete, schrie er beinahe laut auf, – zuerst vor Erstaunen und dann vor Freude. Er lud ihn sogleich nach seiner Villa ein. In seinem Garten hatte er einen abgesonderten, geräumigen Pavillon, und er schlug dem Freunde vor, in diesen Pavillon zu ziehen. Mutius ging gern darauf ein und siedelte noch am gleichen Tage in Begleitung seines stummen, malaiischen Dieners dahin über. Der Malaie war stumm doch nicht taub und sogar, nach der Lebendigkeit seines Blickes zu schließen, sehr aufgeweckt und verständig… Man hatte ihm einst die Zunge herausgeschnitten. Mutius brachte zahlreiche Koffer mit, angefüllt mit den verschiedenartigsten Kostbarkeiten, die er auf seinen langen Reisen gesammelt hatte. Auch Valeria freute sich über die Rückkehr des Mutius; er begrüßte sie freundschaftlich heiter, doch ruhig, und man konnte nach seinem ganzen Gebaren schließen, daß er seinem Freund Fabius das Wort gehalten hatte. Im Laufe des ersten Tages richtete er sich in seinem Pavillon ein und packte mit Hilfe des Malaien die mitgebrachten Schätze aus: Teppiche, seidene Stoffe, Gewänder aus Samt und Brokat, Waffen, Schalen, Schüsseln und Becher, verziert mit Email, Gegenstände aus Gold und Silber, geschmückt mit Perlen und Türkisen, geschnitzte Kästchen aus Bernstein und Elfenbein, geschliffene Flaschen, Gewürze und Räucherwerk, Tierfelle, Federn unbekannter Vögel und eine Menge anderer Sachen, deren Gebrauch sogar geheimnisvoll und unbegreiflich erschien. Unter allen diesen Kostbarkeiten war auch ein reiches Perlenhalsband, das Mutius vom persischen Schah für einen gewissen großen und geheimen Dienst erhalten hatte; er bat Valeria um Erlaubnis, ihr dieses Perlenhalsband eigenhändig um den Hals legen zu dürfen: es erschien ihr ungewöhnlich schwer und mit einer seltsamen Wärme behaftet… es schmiegte sich auch sofort fest an ihre Haut. Am Abend nach der Mahlzeit saßen sie alle auf der Terrasse der Villa im Schatten der Oleander und Lorbeeren, und Mutius begann seine Erlebnisse zu schildern. Er erzählte von den fernen Ländern, die er besucht, von Bergen, die über die Wolken hinaufragen, von Flüssen, groß und mächtig wie Meere; er sprach von riesenhaften Gebäuden und Tempeln, von tausendjährigen Bäumen, von in allen Farben des Regenbogens schillernden Blumen und Vögeln, er nannte die Namen der Städte und Völker, die er besucht hatte… schon diese Namen klangen wie Märchen. Mutius kannte den ganzen Orient: er hatte Persien durchreist und Arabien, wo die Pferde schöner und edler sind als alle anderen Geschöpfe; war in die Tiefe Indiens eingedrungen, wo die Menschen herrlichen Gewächsen gleichen; hatte die Grenzen Chinas und Tibets erreicht, wo ein Gott, namens Dalai-Lama in Gestalt eines schweigsamen Mannes mit Schlitzaugen leibhaftig auf Erden wohnt. Wunderbar waren seine Erzählungen! Fabius und Valeria hörten ihm wie bezaubert zu. Mutius hatte sich äußerlich wenig verändert: sein von Kindheit an braunes Gesicht war nur noch etwas dunkler geworden, versengt von den Strahlen einer heißeren Sonne, und die Augen schienen etwas tiefer als früher; das war auch alles. Sein Gesichtsausdruck war aber ein anderer geworden: er schien in sich gekehrt, ernst, und belebte sich auch dann nicht, wenn er von den Gefahren sprach, die er bestanden, nachts in Wäldern, wo Tiger heulten, oder am Tage, auf einsamen Wegen, wo Fanatiker auf die Reisenden lauerten, um sie zu Ehren einer eisernen Göttin, die nach Menschenopfern verlangt, zu erdrosseln. Auch die Stimme Mutius' war dumpfer und eintöniger geworden; die Bewegungen seiner Arme und des ganzen Körpers hatten jene Freiheit und Ungezwungenheit verloren, die sonst den Italienern eigen ist. Mit Hilfe seines Dieners, des unterwürfigen und flinken Malaien, zeigte er seinen Freunden einige Kunststücke, die er von den indischen Brahminen gelernt hatte. So versteckte er sich z. B. hinter einem Vorhange und erschien plötzlich mit untergeschlagenen Beinen frei in der Luft schwebend, wobei er sich nur leicht mit den Fingerspitzen auf ein senkrecht aufgestelltes Bambusrohr stützte, was Fabius in großes Erstaunen setzte und Valeria sogar erschreckte… – »Ist er wohl gar mit bösen Mächten im Bunde?« dachte sie. – Als er aber mit den Tönen einer kleinen Flöte aus einem geschlossenen Korbe zahme Schlangen hervorzulocken begann und als die Schlangen, ihre Stacheln bewegend, die dunklen, platten Köpfe unter der bunten Decke hervorsteckten, geriet Valeria in Entsetzen und bat Mutius, diese ekelhaften Geschöpfe so schnell wie möglich zu verstecken. Beim Nachtmahl traktierte Mutius seine Freunde mit Schiras-Wein aus einer langhalsigen bauchigen Flasche; der ungewöhnlich aromatische und dicke Wein war von goldener Farbe und schillerte grünlich und geheimnisvoll in den kleinen Schalen aus Jaspis, in die er ihn einschenkte. Sein Geschmack war von dem der europäischen Weine verschieden: er war sehr süß und würzig, und wirkte, wenn man ihn langsam in kleinen Zügen trank, angenehm einschläfernd auf alle Glieder. Mutius nötigte Fabius und Valeria davon zu trinken und trank auch selbst. Er beugte sich über Valerias Schale und flüsterte etwas, wobei er die Finger eigentümlich bewegte. Valeria bemerkte es; da ihr aber die Manieren Mutius' und sein ganzes Auftreten auch ohnehin fremd und sonderbar vorkamen, dachte sie nur: »Hat er vielleicht in Indien irgend einen fremden Glauben angenommen? Oder herrschen dort solche Gebräuche?« – Nach kurzem Schweigen fragte sie ihn, ob er auch während seiner Reise Musik getrieben habe. Als Antwort ließ er sich von seinem Malaien seine indische Geige bringen. Sie glich den hiesigen, nur hatte sie statt der vier Saiten drei; sie war mit bläulicher Schlangenhaut überzogen, und der dünne Bogen aus Rohr war zu einem Halbkreis geschwungen und trug an seinem Ende einen spitzgeschliffenen funkelnden Diamanten.

 

Mutius spielte zunächst einige traurige, wie er behauptete, volkstümliche Lieder, die für ein italienisches Ohr seltsam und sogar wild klangen; die metallenen Saiten tönten klagend und schwach. Als aber Mutius ein neues Lied anstimmte, wurde der Ton plötzlich stark und klangvoll; der Bogen, den er sehr breit führte, zauberte eine leidenschaftliche Melodie hervor, sie glitt anmutig dahin, wie jene Schlange, deren Haut die Geige bedeckte; und die Melodie leuchtete und glühte in solchem Feuer, in solchem triumphierenden Jubel, daß es Fabius und Valeria ganz unheimlich zumute wurde, und ihnen Tränen in die Augen traten… während Mutius, mit gebeugtem, an die Geige gedrücktem Kopf, mit blassen Wangen und zu einem Strich zusammengezogenen Brauen noch ernster, noch mehr in sich gekehrt erschien, und der Diamant an der Spitze des Bogens im Hin- und Hergehen blendende Funken um sich warf, gleichsam vom Feuer des wunderbaren Liedes entzündet. Als Mutius geendet hatte, hielt er die Geige noch immer zwischen Kinn und Schultern gedrückt, ließ aber die Hand mit dem Bogen sinken. – »Was ist das? Was hast du uns gespielt?« rief Fabius. – Valeria sprach kein Wort, schien aber mit ihrem ganzen Wesen die Frage ihres Mannes zu wiederholen. Mutius legte die Geige auf den Tisch, schüttelte leicht das Haar und sagte höflich lächelnd: »Das? Diese Weise… dieses Lied hörte ich einmal auf der Insel Ceylon. Es heißt dort im Volke das Lied der glücklichen, befriedigten Liebe.« – »Spiele es noch einmal,« flüsterte Fabius. – »Nein; ich darf es nicht wiederholen,« entgegnete Mutius. »Auch ist es zu spät. Signora Valeria bedarf der Ruhe und auch ich muß gehen… ich bin so müde.« Im Laufe dieses ganzen Tages hatte sich Mutius im Verkehr mit Valeria höflich und einfach, wie ein alter Freund benommen; beim Abschied drückte er ihr aber auffallend fest die Hand, wobei er seine Finger auf ihre Handfläche preßte, und blickte ihr so unverwandt ins Gesicht, daß sie, obwohl sie die Augenlider gesenkt hatte, diesen Blick auf ihren plötzlich erglühenden Wangen spürte. Sie sagte nichts zu Mutius, riß aber ihre Hand aus der seinigen los, und als er gegangen war, warf sie noch einen Blick auf die Türe, durch die er sich entfernt hatte. Es fiel ihr ein, daß sie auch in den früheren Jahren vor ihm eine gewisse Furcht gehabt hatte… nun war sie ganz verwirrt. Mutius begab sich nach seinem Pavillon, und die Gatten zogen sich in ihr Schlafgemach zurück.

IV

Valeria konnte lange nicht einschlafen; ihr Blut wogte langsam und matt, und in ihrem Kopfe sang es ganz leise… Es kam vom seltsamen Wein, meinte sie, vielleicht auch von den Erzählungen des Mutius, oder von seinem Geigenspiel… Erst beim Morgengrauen schlief sie ein und hatte einen wunderbaren Traum.

Es war ihr, als träte sie in ein geräumiges Zimmer mit niedriger gewölbter Decke… Ein solches Zimmer hatte sie noch nie im Leben gesehen. Alle Wände waren mit kleinen blauen, mit goldenem Blumenmuster verzierten Kacheln bekleidet; schlanke Säulen von geschnitztem Alabaster stützten die Marmordecke; die Decke und die Säulen waren wie durchsichtig… bleiches rosiges Licht drang von allen Seiten in den Raum und übergoß geheimnisvoll und gleichmäßig alle Gegenstände; in der Mitte des spiegelglatten Fußbodens lagen auf einem schmalen Teppich Kissen aus Brokat. In den Ecken rauchten kaum wahrnehmbar große Räucherbecken in Form von Märchenungeheuern; es gab hier keine Fenster; in einer Wandnische dunkelte stumm eine mit einem Samtvorhang verhängte Tür. Und plötzlich gleitet dieser Vorhang langsam zur Seite… und an der Schwelle erscheint Mutius. Er verbeugt sich vor ihr, öffnet die Arme, lacht… Seine harten Arme umschlingen roh Valerias Oberkörper, seine trockenen Lippen versengen sie am ganzen Leibe… Sie sinkt zurück auf die Polster…

Valeria stöhnt vor Schreck auf, macht verzweifelte Anstrengungen und erwacht. Ohne noch zu begreifen, wo sie ist und was mit ihr geschehen, richtet sie sich im Bette auf und blickt sich ganz bestürzt um… Sie bebt am ganzen Körper… Fabius liegt an ihrer Seite. Er schläft; doch sein Gesicht scheint im Lichte des runden und hellen Vollmondes, der durchs Fenster hereinblickt, bleich wie bei einem Toten… es ist trauriger als das Gesicht eines Toten. Valeria weckt ihren Mann, und als er sie erblickt, ruft er aus: »Was hast du?« – »Ich hatte… ich hatte einen schrecklichen Traum,« flüstert sie, noch immer am ganzen Leibe bebend…

Aber in diesem Augenblick erklangen vom Pavillon her laute seltsame Töne, und beide, Fabius wie Valeria, erkannten die Melodie, die ihnen Mutius vorgespielt und die er das Lied der befriedigten, triumphierenden Liebe genannt hatte. – Fabius blickte verlegen auf Valeria… sie schloß die Augen, wandte sich ab, – und beide lauschten mit verhaltenem Atem dem Liede bis zu Ende. Als der letzte Ton erstorben war, versteckte sich der Mond hinter einer Wolke, und im Zimmer wurde es plötzlich dunkel… Beide Gatten ließen ihre Köpfe auf die Polster sinken, ohne ein Wort zu wechseln – und keiner von den beiden merkte, wann der andere einschlief.

V

Am nächsten Morgen kam Mutius zum Frühstück; er schien zufrieden und begrüßte Valeria sehr heiter. Sie erwiderte den Gruß ganz verwirrt, sie blickte ihn flüchtig an und erschrak vor seinem zufriedenen, heiteren Gesicht, vor seinen durchdringenden, fragenden Augen. Mutius begann wieder etwas zu erzählen, Fabius unterbrach ihn aber beim ersten Wort.

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