Albert

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LUNATA

Albert

Albert

© 1858 Lew Tolstoi

Aus dem Russischen von Alexander Eliasberg

Umschlagbild Kuzma Petrov-Vodkin

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1

Fünf reiche, junge Herren kamen einmal gegen drei Uhr nachts in ein Petersburger Balllokal, um sich etwas zu zerstreuen.

Es wurde viel Champagner getrunken, die Herren waren zum größten Teil sehr jung, die Mädchen waren hübsch, Klavier und Geige spielten unermüdlich eine Polka nach der anderen, Tanz und Lärm hörten gar nicht auf, und doch war es langweilig und ungemütlich, und jeder der Beteiligten hatte den Eindruck (wie es ja oft vorkommt), das Ganze sei nicht das Richtige und eigentlich überflüssig.

Einige Mal machten sie krampfhafte Versuche, die Stimmung zu heben, aber die erkünstelte Ausgelassenheit war noch schlimmer als Langeweile.

Einer von den Fünfen, der mehr als die anderen mit sich, mit den anderen und mit dem Abend unzufrieden war, stand angeekelt auf, nahm seinen Hut und verließ den Saal in der Absicht, sich unbemerkt davon zu machen.

Im Vorzimmer war niemand, doch aus einem Nebenzimmer hörte man durch die Tür zwei Stimmen, die miteinander stritten. Der junge Mann blieb stehen und horchte.

»Sie dürfen nicht hinein, es sind Gäste da,« sagte eine weibliche Stimme.

»Lassen Sie mich doch, bitte, ich tu ja nichts!« flehte eine schwache männliche Stimme.

»Nein, ich kann Sie ohne Erlaubnis von Madame nicht hineinlassen!« sagte die Frau. »Wo wollen Sie denn hin? Sie sind aber einer! ...«

Die Türe ging auf, und auf der Schwelle erschien eine seltsame männliche Gestalt. Als das Dienstmädchen den Gast erblickte, hielt es den Mann nicht länger zurück; die seltsame Gestalt machte eine schüchterne Verbeugung und trat schwankend, mit schlotternden Knien, ins Vorzimmer. Es war ein Mann von mittlerem Wuchs mit einem schmalen, gekrümmten Rücken und langem zerzausten Haar. Er trug einen kurzen Überzieher, ausgefranste enge Beinkleider und grobe ungewichste Stiefel. Um den schlanken weißen Hals trug er eine zu einem Strick zusammengedrehte Halsbinde. Die Ärmel waren zu kurz und ließen das schmutzige Hemd sehen. Trotz der auffallenden Magerkeit des Körpers war das Gesicht von einer zarten, frischen Farbe, und die von einem dünnen schwarzen Backenbart eingefaßten Wangen waren sogar rosig. Das ungekämmte Haar fiel nach rückwärts und ließ die nicht sehr hohe, doch außerordentlich reine Stirne frei. Die dunklen müden Augen blickten weich, suchend und zugleich selbstbewußt. Ihr Ausdruck wurde durch den Ausdruck der frischen, in den Mundwinkeln etwas gekrümmten Lippen, die von dem spärlichen Schnurrbart kaum verdeckt waren, wunderbar ergänzt.

Er machte einige Schritte, blieb dann stehen und lächelte dem jungen Mann zu. Das Lächeln schien ihm einige Mühe zu kosten, doch sein Gesicht erstrahlte dabei so anmutig, daß der junge Mann ihm gleichfalls, ohne selbst zu wissen warum, zulächelte.

»Wer ist das?« fragte er leise das Dienstmädchen, als die seltsame Gestalt im Tanzsaal verschwunden war.

»Ein verrückter Musiker vom Theater,« antwortete das Dienstmädchen, »er kommt manchmal zur Wirtin.«

»Delessow, wo steckst du denn?« rief man aus dem Saal.

Der junge Mann, der Delessow hieß, kehrte in den Saal zurück.

Der Musiker stand an der Türe und sah den Tanzenden zu. Er lächelte, schlug mit der Fußspitze den Takt und hatte offenbar an diesem Schauspiel große Freude.

»Tanzen Sie doch mit!« sagte ihm einer der Gäste.

Der Musiker verbeugte sich und warf der Wirtin einen fragenden Blick zu.

»Tanzen Sie doch, wenn die Herren Sie auffordern ...« ermunterte ihn die Wirtin.

In die mageren und kraftlosen Glieder des Musikers kam auf einmal lebhafte Bewegung; er begann lächelnd, mit den Augen zwinkernd und am ganzen Leibe zuckend, schwerfällig durch den Saal zu hüpfen. Ein lustiger Offizier, der sehr schön und temperamentvoll tanzte, stieß ihn mitten in der Quadrille aus Versehen in den Rücken. Die schwachen, dünnen Beine des Musikers konnten das Gleichgewicht nicht bewahren, er machte einige schwankende Bewegungen zur Seite und fiel seiner ganzen Länge nach auf den Boden. Trotz des harten, trockenen Lautes, mit dem sein Körper am Boden anschlug, lachten fast alle Gäste im ersten Augenblick auf.

Doch der Musiker blieb liegen. Die Gäste verstummten, selbst das Klavier hörte auf zu spielen; Delessow und die Wirtin eilten zuerst zu dem Gestürzten. Er lag auf einem Ellbogen und blickte trüb zu Boden. Als man ihn aufgehoben und auf einen Stuhl gesetzt hatte, strich er sich mit einer raschen Bewegung seiner knochigen Hand das Haar aus der Stirne und begann wieder zu lächeln, ohne auf die an ihn gerichteten Fragen zu antworten.

»Herr Albert! Herr Albert!« sagte die Wirtin. »Haben Sie sich weh getan? Wo denn? Ich habe ja gesagt, Sie sollten nicht tanzen. Er ist ja zu schwach!« fuhr sie fort, sich an die Gäste wendend. »Er hält sich kaum auf den Beinen! Wie soll er da noch tanzen können?«

»Wer ist er denn?« fragte man die Wirtin.

»Ein armer Mensch, ein Künstler. Ein braver Bursche, aber sehr heruntergekommen, wie Sie sehen.«

Sie sagte das, ohne auf die Anwesenheit des Musikers irgendwelche Rücksicht zu nehmen. Dieser kam inzwischen zu sich, krümmte sich, wie erschreckend, zusammen und stieß alle von sich weg.

»Macht nichts!« sagte er plötzlich, sich mit sichtbarer Anstrengung vom Stuhle erhebend.

Um zu zeigen, daß er sich nicht weh getan habe, trat er mitten in den Saal und schickte sich an, in seinem Hüpfen fortzufahren. Er verlor aber wieder das Gleichgewicht und wäre wohl wieder gestürzt, wenn man ihn nicht rechtzeitig aufgehalten hätte.

Alle wurden verlegen und schwiegen bei diesem Anblick.

Die Augen des Musikers wurden wieder leblos, er schien die Leute nicht mehr zu beachten und rieb sich mit der Hand das Knie. Dann warf er plötzlich den Kopf zurück, setzte seinen zitternden Fuß vor, strich sich mit der gleichen banalen Bewegung das Haar aus der Stirne, ging auf den Geiger zu und nahm ihm sein Instrument aus der Hand.

»Macht nichts!« wiederholte er noch einmal, die Geige hin- und herschwingend. »Wollen ein wenig musizieren, meine Herren!«

»Ein merkwürdiges Gesicht hat er!« bemerkten die Gäste.

»Vielleicht geht in diesem unglücklichen Geschöpf ein großer Künstler zugrunde!« sagte einer.

»Aber so elend und heruntergekommen!« meinte ein anderer.

»Welch ein schönes Gesicht! Es steckt wohl sicher etwas Außergewöhnliches in ihm,« sagte Delessow, »wir werden es ja gleich sehen ...«

2

Albert ging inzwischen, ohne jemand weiter zu beachten, langsam vor dem Klavier auf und ab und stimmte die Geige, die er an die Schulter gelegt hatte. Seine Lippen schienen nun leidenschaftslos, seine Augen konnte man nicht sehen, aber sein schmaler hagerer Rücken, der schlanke weiße Hals, die krummen Beine und das zerzauste schwarze Haar gewährten einen eigenartigen, doch unbegreiflicher Weise keineswegs komischen Anblick. Als er die Geige gestimmt hatte, gab er einen eleganten Akkord an, warf den Kopf zurück und wandte sich zum Klavierspieler, der sich anschickte, ihn zu begleiten.

»Mélancolie G-Dur!« sagte er ihm mit einer befehlenden Gebärde.

Als ob er wegen dieser Gebärde um Entschuldigung bitten wollte, lächelte er dem Publikum ungewöhnlich sanft zu. Mit der Hand, in der er den Bogen hielt, fuhr er sich noch einmal durch das Haar, stellte sich an einer Ecke des Klaviers auf und strich langsam und weich über die Saiten. Ein reiner jubelnder Ton zog durch den Saal. Alle verstummten.

Das Thema entwickelte sich frei und elegant, das Seeleninnerste der Zuhörer mit einem unerwartet reinen, beruhigenden Lichte erhellend. Kein falscher oder übermäßig lauter Ton störte die Andacht der Zuhörer; alle Töne waren gleich klar, rein, schön und bedeutungsvoll. Alle folgten stumm, vor Hoffnung zitternd, der Entwicklung der Melodie. Aus dem Zustande der Langeweile, der lärmenden Ausgelassenheit und des seelischen Schlafes, in dem sich alle diese Menschen noch eben befunden hatten, waren sie plötzlich unbemerkt in eine ganz andere, längst vergessene Welt versetzt. Bald versank man in eine stille, beschauliche Betrachtung des Vergangenen, bald gab man sich der leidenschaftlichen Erinnerung an ein entschwundenes Glück hin, bald spürte man ein grenzenloses Verlangen nach Macht und Glanz, bald ein Gefühl von Demut, Trauer und unerwiderter Liebe. Die bald zärtlich-traurigen, bald ungestüm-kühnen Töne vermengten sich miteinander und flossen so schön, so stark und so unbewußt dahin, daß man sie nicht mehr als Töne, sondern als einen in die Seelen dringenden herrlichen Strom einer längst bekannten, doch zum ersten Male ausgesprochenen Poesie empfand. Mit jeder Note schien Albert höher zu steigen. Er schien jetzt weder grotesk noch sonderbar. Er drückte sein Kinn hart an die Geige, lauschte mit dem Ausdrucke leidenschaftlicher Aufmerksamkeit seinen eigenen Tönen und bewegte krampfartig die Beine. Bald reckte er sich in die Höhe, bald krümmte er wie vor Anstrengung den Rücken. Die gespannte Linke schien in ihrer gekrümmten Lage erstarrt zu sein, und nur ihre knochigen Finger griffen zitternd in die Saiten. Die Rechte bewegte sich elegant, fließend und kaum merklich. Das Gesicht strahlte in ununterbrochener Begeisterung und Freude. In den Augen brannte ein helles trockenes Feuer, die Nüstern blähten sich, die roten Lippen waren wollüstig geöffnet.

 

Zuweilen neigte sich der Kopf tiefer über die Geige, die Augen schlossen sich, und das vom langen Haar halb verdeckte Gesicht strahlte in einem milden und glückseligen Lächeln. Zuweilen reckte er sich empor, stellte einen Fuß vor, und dann leuchtete seine reine Stirne und sein strahlender Blick, den er im Saale umherschweifen ließ, stolz, majestätisch und machtbewusst. An einer Stelle machte der Klavierspieler einen Fehler. Das Gesicht und die ganze Gestalt des Musikers verzerrten sich in unsagbarer Qual. Er hielt eine Sekunde inne, stampfte mit dem Fuß und rief mit dem Ausdruck eines beleidigten Kindes: »Moll, C-Moll!« Der Klavierspieler verbesserte sich. Albert schloß die Augen, lächelte, vergaß sich, seine Zuhörer und die ganze Welt und gab sich wieder ganz seinem Spiele hin.

Alle, die im Saal waren, schwiegen, solange Albert spielte, in tiefer Ehrfurcht; alle schienen nur in diesen Tönen zu leben und zu atmen.

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