Auferstehung

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Auferstehung

Leo Tolstoi

Inhaltsverzeichnis

IMPRESSUM

Erster Band.

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel,

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vierunddreißigstes Kapitel.

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Sechsunddreißigstes Kapitel.

Siebenunddreißigstes Kapitel.

Achtunddreißigstes Kapitel.

Neununddreißigstes Kapitel.

Vierzigstes Kapitel.

Einundvierzigstes Kapitel.

Zweiundvierzigstes Kapitel.

Dreiundvierzigstes Kapitel.

Vierundvierzigstes Kapitel.

Fünfundvierzigstes Kapitel.

Sechsundvierzigstes Kapitel.

Siebenundvierzigstes Kapitel.

Achtundvierzigstes Kapitel.

Neunundvierzigstes Kapitel.

Fünfzigstes Kapitel.

Einundfünfzigstes Kapitel.

Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Vierundfünfzigstes Kapitel.

Fünfundfünfzigstes Kapitel.

Sechsundfünfzigstes Kapitel.

Siebenundfünfzigstes Kapitel.

Achtundfünfzigstes Kapitel.

Neunundfünfzigstes Kapitel.

Zweiter Band

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vierunddreißigstes Kapitel.

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Sechsunddreißigstes Kapitel.

Siebenunddreißigstes Kapitel.

Achtunddreißigstes Kapitel.

 

Neununddreißigstes Kapitel.

Vierzigstes Kapitel.

Einundvierzigstes Kapitel.

Zweiundvierzigstes Kapitel.

Dritter Band.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Zwei Fragmente zur »Auferstehung«

I. Die Exekution.

II. In den Kasematten.

In den Kasematten.

IMPRESSUM

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Erster Band.

Dieser neue Roman Tolstois ist der schlechteste, den der berühmte Autor geschrieben hat, — insofern ein Roman uns leichte, leere Unterhaltung bieten soll. Und er ist der beste Roman Tolstois, einer der besten Romane, die die Welt überhaupt gesehen hat, — insofern der Roman, neben dem Theater, das modernste und erhabenste Mittel der Kunst ist, auf die Menschheit zu wirken, sie zu erziehen, zu veredeln. Wir sagen nicht zu viel, und die Zukunft wird uns Recht geben, wenn wir behaupten, daß nur sehr wenige Romane der Weltliteratur von so großem Einfluß auf ihre Zeit gewesen sind, wie dieser es für die seinige werden wird.

Das Lügengespinnst, daß das moderne soziale Leben umwoben, zerreißt der große Philosoph Tolstoi mit starker, rücksichtsloser Hand, um dem noch größeren Künstler Tolstoi Raum zum Aufbau einer neuen Weltordnung zu geben, die aus den Trümmern der alten in hinreißender, fast greifbarer Schönheit ersteht.

In der »Auferstehung« ist Tolstoi dem in seinem letzten Werke (Was ist Kunst?) aufgestellten Prinzip, daß wahre Kunst auf alle wirken müsse, treu geblieben. In der That wird dieser Roman alle gleich stark ergreifen, den Greis und die Jungfrau, den Mann aus dem Volk und den von den »Zehntausend«, — freilich in ganz verschiedener Weise. Aber alle werden sie dem, allein durch die Liebe bezwingenden Worte des Dichters unterthan werden, und niemand wird das Buch aus der Hand legen können, ohne daß es für sein Leben die Bedeutung einer Epoche gewonnen hätte.

In Bezug auf den Dichter selbst darf man wohl sagen, daß »Anna Karenina« und »Auferstehung« die beiden Grenzpunkte in seiner Entwickelung, in seinem eigenen Leben geworden sind. Darum wird auch der, den der gleißende Zauber des ersten Buches bestrickt hat, unentrinnbar der qualvoll-süßen Erkenntnis des letzten verfallen.

Die Übersetzung geschieht nach der zensurfreien, außer halb Rußlands erscheinenden Ausgabe und ist daher unverkürzt. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, die längeren Perioden des russischen Originals in kürzere, leicht verständliche Sätze aufzulösen und somit ein gutes, lesbares Deutsch zu bieten.

Matthäus 18,21. Da trat Petrus zu ihm und sprach:

Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der

an mir sündiget, vergeben? Ist es genug siebenmal?

22. Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir, nicht siebenmal,

sondern siebenzig siebenmal.

Matthäus 7,3. Was stehest du aber den Splitter in

deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des

Balkens in deinem Auge?

Johannes 8,7 . . . Wer unter euch ohne Sünde ist, der

werfe den ersten Stein auf sie.

Lucas 6,40. Der Jünger ist nicht über seinem Meister;

wenn der Jünger ist wie sein Meister, so ist er

vollkommen.


Erstes Kapitel

Wohl gaben sich die zu Hunderttausenden zusammengepferchten Menschen auch jetzt die erdenklichste Mühe, die Erde zu verunstalten. Sie pflasterten sie mit Steinen, damit nichts auf ihr wüchse, und vernichteten jeden Grashalm, der sich dennoch hervorwagte. Sie verpesteten die Luft mit Steinkohlen- und Petroleumqualm. Sie verschnitten die Bäume und verscheuchten alle Tiere und Vögel. Aber der Frühling blieb Frühling sogar in der Stadt. Die Sonne strahlte und wärmte. Das Gras belebte sich und begann nicht nur auf den Rasenflächen der Boulevards, sondern auch zwischen den Steinen zu grünen, überall da, wo es nicht ausgerottet wurde. Birken, Pappeln und Faulbeerbäume entfalteten ihre klebrigen, duftenden Blättchen, die Linden schwellten ihre berstenden Knospen. Die Dohlen, die Sperlinge und Tauben gingen lenzesfreudig ans Nesterbauen. An den Mauern summten sonnendurchwärmt die Bienen und Fliegen. Pflanzen und Vögel und Insekten und Kinder jubelten in glücklichem Einklang.

Nur die Menschen, die großen, erwachsenen Menschen hörten nicht auf, sich selbst und einander zu hintergehen, zu quälen. Ihnen war nicht dieser Frühlingsmorgen das Heiligste und Wesentlichste, nicht die zum Wohle Aller offenbarte Schönheit von Gottes Natur — eine Schönheit, die nur zum Frieden, zu Einheit und Liebe mahnte, nein, den Menschen erschien das, was sie sich selbst erdacht und erschaffen, um über einander herrschen zu können, viel heiliger und wesentlicher.

So hielt man auch im Bureau des Gouvernementgefängnisses nicht das für heilig und wesentlich, daß alle Menschen und Tiere in Frühlingsfreudigkeit vergingen, sondern daß am Tage vorher ein mit Nummer, Siegel und Titelkopf versehenes Schreiben eingegangen war, demzufolge am heutigen Tage, am 28. April um neun Uhr morgens, drei in Untersuchungshaft befindliche Arrestanten — zwei Frauen und ein Mann, dem Gerichtshof vorgeführt werden sollten, und zwar die eine der beiden Frauen, als besonders schwere Verbrecherin, apart von den anderen. Und nun trat, auf Grund dieser Vorschrift, am 28. April um acht Uhr morgens, in den stinkenden Korridor der Frauenabteilung der Oberaufseher ein. Hinter ihm her schritt eine Frau mit abgehärmtem Gesicht und grauem, sich kräuselnden Haar, die eine Jacke mit betreßten Ärmeln anhatte und um die Taille einen blaugekanteten Gurt. Das war die Aufseherin.

»Sie wollen die Maslowa?« fragte sie, mit dem wachthabenden Aufseher an die Thür einer der am Korridor liegenden Zellen herantretend.

Der Aufseher öffnete rasselnd das Schloß und rief, indem er die Thür der Zelle, aus welcher ihm eine noch übelriechendere Luft entgegenflutete, aufsperrte:

»Maslowa, vor Gericht!« Dann machte er die Thür wieder zu und wartete.

Sogar auf dem Gefängnishof spürte man den frischen, belebenden Odem der Felder, den der Wind in die Stadt geweht hatte. Aber im Korridor war eine deprimierende, typhöse Luft, von Teer und Fäulnis gesättigt, die jeden Neuankommenden sofort mit Betrübnis und Trauer erfüllte. Auch die Aufseherin, die eben vom Hofe kam, spürte dieses, obgleich sie an schlechte Luft gewöhnt war. Sie fühlte sich plötzlich, als sie in den Korridor ein trat, müde und schläfrig.

In der Zelle hörte man Hasten und Gehen, weibliche Stimmen und das Auftreten nackter Füße.

»Nun, schneller, Maslowa, rühr’ dich!« — schrie der Oberaufseher zur Thür hinein.

Zwei Minuten später trat aus der Zelle ein junges, mittelgroßes Weib, mit sehr vollem Busen, in einem grauen, über eine weiße Nachtjacke und weißen Unterrock angezogenen Schlafrock. Sie drehte sich rasch um und stellte sich neben den Aufseher.

An den Füßen hatte sie leinene Strümpfe und darüber die Gefängnispantoffeln, um den Kopf hatte sie ein weißes Tuch, unter welchem sie, offen bar nicht ohne Absicht, einige Löckchen des krausen, schwarzen Haares hervorscheinen ließ. Das ganze Gesicht des jungen Weibes zeigte jene besondere Blässe, welche Leuten, die sehr lange nicht an der frischen Luft waren, eigen ist, und die an die farblosen Kellerschößlinge der Kartoffeln erinnert. Ebenso blaß waren auch die zwar nicht großen, aber etwas breiten Hände und der weiße, volle Hals, der unter dem weiten Schlafrockkragen hervorsah. Bei der matten Blässe des Gesichts fielen die tief schwarzen, glänzenden, von etwas geschwollenen Lidern umrandeten Augen besonders auf. Sie waren sehr lebhaft und das eine schielte ein wenig. Das junge Weib hielt sich aufrecht, indem sie die volle Brust herausdrückte. Mit einwenig zurückgeworfenem Kopf sah sie dem Aufseher gerade in die Augen und blieb stehen, bereit, alles, was man von ihr verlangen würde, zu erfüllen. Der Aufseher wollte bereits die Thür verschließen, als sich aus der Zelle das bleiche, strenge und faltige Gesicht einer barhäuptigen, alten Frau herausstreckte. Die Alte wollte der Maslowa etwas sagen, aber der Aufseher warf ihr die Thür vor der Nase zu und der Kopf verschwand. In der Zelle erscholl das Gelächter einer Frauenstimme. Auch die Maslowa lächelte und wandte sich zu dem kleinen, in der Thür befindlichem Gitterfenster. Die Alte drückte sich von innen an das Fensterchen und sagte mit heiserer Stimme:

»Vor allem: red’ nicht zuviel. Und bleib bei dem Einen und damit basta.«

»Ach, wenn’s nur ein Ende nähme, schlimmer kann’s nicht werden«, sagte die Maslowa.

»Natürlich, eins und nicht zwei«, sagte der Oberaufseher, überzeugt von der Trefflichkeit seines Vorgesetztenwitzes. — »Na, marsch, mir nach!«

Das durch das Fensterchen blitzende Auge der Alten verschwand und die Maslowa folgte in der Mitte des Korridors mit kleinen Schritten dem Oberaufseher. Sie stiegen eine steinerne Treppe hinunter und gingen an den Zellen der Männerabteilung vorüber, in der es noch viel übler roch und lärmender war. Hinter all den Guckfensterchen heraus schauten ihnen Augen nach. Als sie in das Bureau traten, standen dort schon zwei Eskorte Soldaten mit Gewehren. Ein Schreiber gab einem der Soldaten das von Tabakrauch durchdrungene Begleitschreiben und sagte, auf die Gefangene weisend: »Nimm sie in Empfang.« Der Soldat, ein Bauer aus dem Gouvernement Nishnij-Nowgorod, mit einem roten, pockennarbigen Gesicht, steckte das Papier hinter den Ärmelaufschlag und blinzelte, die Arrestantin anlächelnd, seinem Kameraden, einem Tschuwaschen mit starken Backenknochen, zu. Die Soldaten gingen mit der Gefangenen die Treppe hinunter und schritten dem Haupthaus gang zu.

 

In dem Hauptthor öffnete sich ein Pförtchen. Die Soldaten und die Gefangene traten über die Schwelle des Pförtchens in den Hof, verließen das Areal des Gefängnisses und marschierten durch die Stadt, in der Mitte der gepflasterten Straßen.

Droschkenkutscher, Krämer, Köchinnen, Arbeiter und Beamte blieben stehen und betrachteten neugierig die Gefangene. Einige schüttelten die Köpfe und dachten: »Dazu also führt ein schlechter Lebenswandel, ein anderer, als der unserige.« Die Kinder schauten voll Entsetzen auf die Räuberin und beruhigten sich nur damit, daß hinter ihr her die Soldaten gingen und sie jetzt niemand mehr was anthun könnte. Ein Bauer vom Lande, der seine Kohlen verkauft hatte und eben aus einem Theehaus herauskam, trat auf sie zu, bekreuzigte sich und reichte ihr einen Kopeken. Die Gefangene errötete, neigte den Kopf und murmelte etwas.

Sie fühlte die auf sie gerichteten Blicke und suchte unbemerkt, ohne den Kopf zu wenden, zu denen, die sie ansahen, hinüberzuschielen. Das Aufsehen, das sie erregte, freute sie. Auch an der, im Vergleich zu der Gefängnisatmosphäre, reinen Frühlingsluft empfand sie Freude, aber das Auftreten auf die Steine mit den des Gehens entwöhnten, mit plumpen Pantoffeln beschuhten Füßen that ihr weh und sie sah auf den Weg und bemühte sich, vorsichtig aufzutreten. Als sie an einer Mehlhandlung vorbeiging, vor welcher Tauben sorglos mit ihren wiegenden Schrittchen umherspazierten, streifte die Gefangene beinahe mit dem Fuß eine blaugraue Taube. Der Vogel flatterte auf, flog mit bebendem Flügelschlag hart am Ohre der Arrestantin vorbei und überschauerte sie mit Wind. Sie lächelte. Dann aber kam ihr ihre jetzige Lage in den Sinn und sie seufzte tief auf.


Zweites Kapitel

Die Geschichte der Arrestantin Maslowa war eine sehr gewöhnliche Geschichte. Die Maslowa war die Tochter einer unverheirateten Viehmagd, die mit ihrer Mutter auf dem Lande bei zwei Gutsbesitzerinnen, zwei Fräulein, lebte. Dieses unverehelichte Weib kam jedes Jahr nieder, das Kind wurde getauft, dann aber, wie das so häufig auf dem Lande zu geschehen pflegt, nährte die Mutter das unerwünschte, lästige und an der Arbeit behindernde Kind nicht mehr genügend, sodaß es bald vor Hunger zu sterben pflegte.

So starben fünf Kinder. Sie wurden alle getauft, nicht mehr genährt und starben. Das sechste Kind, das sie von einem vagabundierenden Zigeuner hatte, war ein Mädchen, und sein Schicksal wäre wohl dasselbe gewesen, wie das seiner Geschwister. Aber es geschah, daß das eine der alten Fräulein in den Viehhof kam, um den Viehmägden, wegen der nach der Kuh riechenden Sahne einen Verweis zu erteilen. Auf dem Viehhofe lag gerade die Wöchnerin mit dem hübschen, gesunden Kinde. Das alte Fräulein äußerte ihren Unwillen sowohl bezüglich der Sahne, als auch darüber, daß man eine Wöchnerin in den Viehhof gelassen hatte, und sie wollte schon gehen, als sie das Kind erblickte und von einer momentanen Rührung erfaßt, sich erbot, das Kind zur Taufe zu halten. Das Fräulein hielt dann auch das Kind zur Taufe und gab später, aus Mitleid für ihr Patenkind, der Mutter Milch und Geld. Und so blieb das Mädchen am Leben und wurde von den alten Fräulein mit Recht die »Gerettete« genannt.

Das Kind war drei Jahr alt, als die Mutter erkrankte und starb. Seiner Großmutter, der Viehmagd, war es zur Last, und so nahmen es die alten Fräulein zu sich. Das schwarzäugige Mädchen wurde ungewöhnlich lebhaft und nett, und die alten Fräulein hatten ihre Freude an ihm.

Von den beiden Fräulein hatte die jüngere und gutmütigere, Sofja Iwanowna, das Kind zur Taufe gehalten, es später geputzt und lesen gelehrt, um aus ihm eine Ziehtochter zu machen. Das ältere, strengere Fräulein, Marja Iwanowna, sagte, daß man aus dem Mädchen eine Arbeiterin, ein tüchtiges Stubenmädchen machen müsse, und war daher dem Mädchen gegenüber anspruchsvoll, strafte und schlug es sogar zuweilen bei übler Laune. So wuchs denn das Kind unter diesen beiden Einflüssen halb als Stubenmädchen, halb als Ziehkind heran. Es wurde daher auch weder Katharine, noch Käthchen genannt, sondern mit einem mittleren Namen — Käthe oder Katjuscha. Katjuscha nähte, räumte die Zimmer auf, putzte mit Kreide die Metallverkleidungen der Heiligenbilder, röstete, mahlte und servierte den Kaffee, besorgte die kleine Wäsche, und saß bis weilen mit den Fräulein und las ihnen vor.

Es fehlte ihr nicht an Freiern, aber sie wollte keinen nehmen. Sie fühlte, daß das Zusammen leben mit jenen Arbeitsleuten, die bei ihr anhielten, für sie, die durch die Süße des herrschaftlichen Lebens, bereits verwöhnt war, zu schwer fallen würde.

So lebte sie bis zum sechzehnten Jahr. Als sie aber sechzehn Jahr alt geworden war, kam zu den alten Fräulein ihr Neffe, ein reicher Fürst, der Student war, auf Besuch. Und Katjuscha verliebte sich in ihn, ohne es zu wagen, sich selbst, geschweige denn ihm dieses Geständnis zu machen.

Zwei Jahre später besuchte derselbe Neffe seine Tanten auf der Durchreise zum Kriegsschauplatz und blieb vier Tage bei ihnen. Er verführte und betrog Katjuscha, steckte ihr dann am letzten Tage einen Hundertrubelschein zu und reiste weiter. Fünf Monate nach seiner Abfahrt wußte sie genau, daß sie in anderen Umständen sei.

Von der Zeit an ward ihr alles gleichgültig, und sie dachte nur daran, wie sie der Schande, die ihr bevorstand, entgehen könnte. Sie bediente die Fräulein widerwillig und schlecht, und einmal — sie wußte selbst nicht, wie es gekommen war — platzte sie los, sagte den alten Fräulein Unverschämtheiten, die sie selbst später bereute, und bat um ihre Entlassung.

Und die Fräulein, die sehr unzufrieden mit ihr geworden, entließen sie. Von ihnen kam sie als Stubenmädchen zu einem Landpolizeimeister, aber konnte dort nur drei Monate bleiben, da der Polizeimeister, ein Mann von bereits 5O Jahren, ihr nachzustellen begann. Einmal, als er besonders unternehmungslustig war, brauste sie auf, nannte ihn einen Narren und alten Teufel und stieß ihn so vor die Brust, daß er hinfiel. Sie wurde wegen Grobheit entlassen. Eine neue Stellung anzunehmen hatte keinen Zweck, da sie bald niederkommen mußte, und so mietete sie sich bei einer Dorfhebamme ein, die nebenbei einen Branntweinhandel betrieb. Die Geburt war eine leichte. Aber die Hebamme, die vorher im Dorf bei einer kranken Wöchnerin gewesen war, infizierte sie mit dem Kindbettfieber. So wurde das Kind in das Findelhaus gebracht, wo der Knabe, wie die Alte, die ihn hingebracht hatte, erzählte, sofort nach seiner Ankunft verstarb.

Geld hatte Katjuscha, als sie sich bei der Hebamme einmietete, im ganzen hundert und sieben und zwanzig Rubel: sieben und zwanzig Lohn und hundert Rubel, die ihr damals ihr Verführer gegeben hatte. Als sie aber die Hebamme verließ, behielt sie nur sechs Rubel. Sie verstand das Geld nicht zu sparen, verausgabte selbst viel und lieh jedem, der sie darum bat. Die Hebamme nahm von ihr für Kost und Logis für zwei Monate vierzig Rubel, fünf und zwanzig Rubel kostete die Expedierung des Kindes ins Findelhaus, vierzig Rubel bat sich die Hebamme leihweise zur Anschaffung einer Kuh aus, gegen zwanzig Rubel gingen so, für Kleider, für Geschenke u. s. w. darauf. Auf diese Weise also hatte Katjuscha, als sie gesund wurde, kein Geld mehr und mußte sich nach einer Stellung umsehen. Sie fand dieselbe bei einem Förster. Der Förster war ein verheirateter Mann, aber auch er begann ihr, ebenso wie der Polizeimeister, vom ersten Tage an nachzustellen. Er war ihr widerwärtig und sie ging ihm aus dem Wege. Aber er war erfahrener und schlauer, als sie, und vor allem ihr Herr, der sie schicken konnte, wohin er wollte. So bemächtigte er sich denn ihrer in einem günstigen Augenblick. Die Frau erfuhr es, und als sie einmal ihren Mann mit dem Mädchen allein im Zimmer traf, stürzte sie auf Katjuscha los und wollte sie schlagen. Aber Katjuscha ergab sich nicht und so entstand eine Prügelei. Infolge dessen jagte man Katjuscha aus dem Hause, ohne ihr auch nur den Lohn auszuzahlen.

Da fuhr Katjuscha in die Stadt und stieg dort bei ihrer Tante ab. Der Mann der Tante war Buchbinder und lebte früher gut. Um die Zeit aber hatte er bereits alle seine Kunden verloren, ergab sich dem Trunke und vertrank alles, was ihm nur in die Hände kam.

Die Tante hielt eine kleine Waschanstalt und ernährte damit sich, ihre Kinder und den verlorenen Mann. Sie bot Katjuscha an, bei ihr als Wäscherin einzutreten. Aber da die Maslowa das schwere Leben, das die bei der Tante wohnenden Frauen, die Wäscherinnen, hatten, sah, so zögerte sie und suchte unterdes in den Bureaux nach einer Stellung als Dienstmädchen. Und so eine Stelle fand sich bei einer Dame, die mit ihren zwei Söhnen, Gymnasiasten, lebte. Eine Woche nach ihrem Eintritt hörte der ältere, ein schnurrbärtiger Tertianer, zu lernen auf und ließ ihr keine Ruhe. Die Mutter gab an allem der Maslowa Schuld und kündigte ihr. Eine neue Stelle fand sich nicht, aber es traf sich, daß die Maslowa in einem Stellenvermittelungsbureau einer Dame mit beringten Fingern und vielen Spangen an den vollen, nackten Armen begegnete. Diese Dame gab der Maslowa, als sie von ihrer Stellenlosigkeit hörte, ihre Adresse und lud sie zu sich ein. Die Maslowa ging hin. Die Dame empfing sie freundlich, bewirtete sie mit Pastetchen und süßem Wein, und schickte unterdes ihr Mädchen irgendwohin mit einem Briefchen. Abends trat in das Zimmer ein hochgewachsener Herr mit langem ergrauenden Haar und grauem Barte. Der alte Herr setzte sich sofort zu der Maslowa heran, begann sie mit glänzenden Augen zu betrachten und mit ihr zu scherzen. Die Hausfrau rief ihn ins Nebenzimmer, und die Maslowa hörte, wie sie ihm sagte: ein frisches Ding, vom Lande. Dann rief die Frau die Maslowa heraus und sagte ihr, daß der Herr ein Schriftsteller sei, der sehr viel Geld habe und der, wenn sie ihm gefiele, nicht knauserig sein würde. Sie gefiel ihm und der Schriftsteller gab ihr fünf und zwanzig Rubel und versprach, sie häufiger wiederzusehen. Das Geld verausgabte sich schnell zur Bezahlung der Schuld an die Tante, für ein neues Kleid, einen Hut, für Bänder. Nach einigen Tagen schickte der Schriftsteller wieder nach ihr und sie ging. Er gab ihr noch fünf und zwanzig Rubel und schlug ihr vor, in eine aparte Wohnung überzusiedeln.

Während die Maslowa in der vom Schriftsteller gemieteten Wohnung lebte, verliebte sie sich in einen lustigen Kommis, der auf demselben Hof logierte. Sie sagte das selbst dem Schriftsteller und zog in eine kleinere Wohnung hinüber. Der Kommis aber, der ihr versprochen hatte, sie zu heiraten, reiste, ohne ihr was zu sagen und mit der offenbaren Absicht, sie zu verlassen, nach Nishnij ab, und die Maslowa blieb allein. Sie wollte anfangs die Wohnung behalten, aber das wurde ihr nicht gestattet. Der Revieraufseher sagte ihr, daß sie nur dann so wohnen könnte, wenn sie eine gelbe Karte nehmen und sich der Kontrolle unterwerfen würde. Da ging sie wieder zur Tante.

Als die Tante sie jetzt in moderner Toilette, mit Mantelet und Hut wiedersah, empfing sie sie mit Respekt und wagte ihr nicht mehr eine Wäscherinnenstelle anzubieten, denn ihrer Meinung nach stand ihre Nichte jetzt auf einer höheren Lebensstufe. Auch für die Maslowa existierte die Frage, ob sie Wäscherin werden sollte, nicht mehr. Sie blickte voll Mitleid auf das Galeeren leben, das in den Vorderzimmern die bleichen, abgemagerten Wäscherinnen, von denen einige bereits schwindsüchtig waren, führten. Bei im Sommer und Winter geöffneten Fenstern wuschen und plätteten sie im Seifendampf, in einer Temperatur von dreißig Grad. Die Maslowa schauderte bei dem Gedanken, daß auch sie zu diesem elenden Sklavenleben hätte herabsinken können. Eben in dieser, für die Maslowa besonders trüben Zeit, wo sie keinen Beschützer finden konnte, wurde sie von einer Agentin aufgesucht, die für die öffentlichen Häuser junge Mädchen lieferte.

Die Maslowa rauchte schon seit langem, aber in der letzten Zeit ihres Verhältnisses mit dem Kommis, und besonders seitdem er sie verlassen hatte, gewöhnte sie sich immer mehr an das Trinken. Der Wein zog sie nicht nur darum an, weil er ihr schmeckte, sondern noch viel mehr, weil er sie all das Schwere, was sie durchlebt hatte, vergessen machte; er verlieh ihr jene Ungezwungenheit des Auftretens, jene selbstbewußte Sicherheit, die ihr sonst mangelten. Ohne Wein schämte sie sich ihrer selbst und war traurig.

Die Agentin bewirtete zuerst die Tante und machte die Maslowa betrunken. Dann proponierte sie der letzteren, in eine gute Anstalt, die erste der Stadt, einzutreten, indem sie ihr alle Vorzüge einer solchen Lage erklärte. Sie stand jetzt vor der Wahl: entweder die erniedrigende Stellung einer Dienstmagd, die sie sicher den Nachstellungen der Männer aussetzte und zu periodischem, heimlichen Ehebruch verführte, oder eine sorgenlose, ruhige, durch das Gesetz beschirmte Lage und offener, chronischer, vom Gesetze geduldeter, gut bezahlter Ehebruch. Sie wählte das letztere. Da durch glaubte sie sich auch an ihrem Verführer, am Kommis und an allen Menschen, die ihr Böses gethan, zu rächen. Außerdem verführte sie und war für ihren endgültigen Entschluß der Umstand ausschlaggebend, daß, wie die Agentin ihr sagte, sie sich Kleider, soviel und welche sie wollte, bestellen konnte: samtene, seidene, Ballkleider mit bloßem Halse und Armen. Und als sich die Maslowa sich im grellen gelben Seidenkleide mit schwarzem samtenen Besatz vorstellte, decolletiert, da konnte sie der Versuchung nicht mehr wider stehen. Am selben Tage nahm die Agentin eine Droschke und brachte das Mädchen in die berühmte Anstalt der Kitajewa.

Von der Zeit an begann für die Maslowa jenes, in der chronischen Übertretung menschlicher und göttlicher Gesetze bestehende Leben, das hundert und aberhundert Tausende von Frauen, nicht nur unter der Duldung, sondern auch unter dem Schutze der Regierung, die für das Wohl der Bürger zu sorgen hat, führen. Von zehn Frauen bezahlen es neun mit qualvollen Krankheiten, früh zeitiger Altersschwäche und frühzeitigem Tode.

Des Morgens und am Tage ein schwerer Schlummer nach den Orgien der Nacht. Um drei, vier Uhr ein mattes Aufstehen aus dem schmutzigen Bett; dann Selterwasser gegen den Brand, Kaffee trinken, ein müßiges Umherschlendern in den Zimmern im Nachtjäckchen, Peignoir oder Schlafrock, das Hinausgucken zu den Fenstern hinter den Gardinen her vor, lässiges Wortgeplänkel; dann das Waschen, Ein reiben und Parfümieren des Körpers und der Haare,das Anpassen der Kleider und der Streit um dieselben mit der Wirtin; dann das Stehen vor dem Spiegel, das Schminken; dann ein süßes und fettes Essen, das Anziehen einer grellen Seidentoilette; endlich der Eintritt in den geputzten, hellerleuchteten Saal, die Ankunft der Gäste, Musik, Tanz, Süßigkeiten, Wein, Cigaretten. Dann Ehebruch mit Jünglingen und Männern, mit halben Kindern und verfallenen Greisen, mit Junggesellen und Ehemännern, mit Kaufleuten, Kommis, Armeniern, Juden, Tataren, mit Reichen, Armen, Gesunden, Kranken, Betrunkenen, Nüchternen, Rohen und Zärtlichen, mit Militärs, Zivilisten, Studenten, Gymnasiasten — mit Leuten jeden Standes, Alters und Charakters.

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