Der Gefangene im Kaukasus

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LUNATA

Der Gefangene im Kaukasus

Der Gefangene im Kaukasus

und andere russische Soldatengeschichten

© 1882 Lew Tolstoi

Originaltitel Kawkasski plennik

Aus dem Russischen von L. A. Hauff

Umschlagbild: Michael Sevier

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Der Gefangene im Kaukasus

Waldgefecht

Der Überfall

Bekannte aus Moskau beim Detachement

Der Gefangene im Kaukasus

I.

Im Kaukasus diente ein Offizier namens Schilin.

Eines Tages erhielt er einen Brief von Hause. Seine alte Mutter schrieb ihm:

»Ich bin jetzt schon sehr alt und schwach geworden und möchte vor meinem Tode noch einmal meinen lieben Sohn wiedersehen. Komm also, von mir Abschied zu nehmen und mich zu begraben, und dann magst Du in Gottes Namen wieder zu Deinem Regiment zurückkehren. Doch habe ich auch eine Braut für Dich ausgesucht, ein sehr kluges und hübsches Mädchen, auch nicht ohne Vermögen. Vielleicht wird sie Dir gefallen und Du wirst sie heiraten, Deinen Abschied nehmen und ganz zu Hause bleiben.« –

Schilin bedachte sich nicht lange.

»Wirklich, mit der alten Frau kann es bald zu Ende gehen. – Vielleicht werde ich sie gar nicht wiedersehen. – Also auf jeden Fall muß ich nach Hause! – Und ist die Braut hübsch, die sie mir ausgesucht hat, so kann ich ja am Ende auch heiraten!« –

Er ging zum Oberst, verschaffte sich einen Urlaub, nahm Abschied von den Kameraden und beschenkte seine Mannschaft mit vier Eimern Schnaps zum Lebewohl. Dann traf er rasch seine Vorbereitungen zur Reise.

Damals wütete der Krieg im Kaukasus und die Wege waren weder bei Nacht noch bei Tage sicher. Wenn jemand allein die Festung verließ, sei es zu Fuß oder im Wagen, so wurde er von den Tataren unterwegs überfallen und entweder getötet oder als Gefangener in die Berge entführt. Deshalb zogen zweimal wöchentlich von einer Festung zur anderen größere Heeresabteilungen, welche die Reisenden begleiteten.

Es war Sommer. Beim Morgengrauen sammelten sich die Wagen vor der Festung. Die zum Marsche kommandierten Soldaten rückten aus dem Tor, nahmen die Reisenden in ihre Mitte und machten sich auf den Weg.

Schilin war zu Pferde; sein Gepäck wurde im Wagenzug mitbefördert.

Bis zur nächsten Station waren es fünfundzwanzig Werst. Nur langsam bewegte sich der Wagenzug dahin. Bald machten die Soldaten halt, bald ging von einem der Wagen ein Rad los oder wurde ein Pferd störrisch, und jedesmal mußte der ganze Zug deshalb anhalten und warten.

Schon stand die Sonne hoch am Horizont; es war Mittag und kaum die Hälfte des Weges war vom Zug zurückgelegt. Hitze und Staub wurden sehr lästig, die Sonne brannte vom Himmel herab und nirgends war auf der baumlosen kahlen Steppe Schutz gegen ihre Strahlen zu finden. Kein Strauch war am Wege zu sehen.

Schilin ritt voraus und hielt dann und wann an, um den nachfolgenden Zug zu erwarten; aber wieder und wieder gab es neuen Aufenthalt. Voller Ungeduld sagte Schilin endlich zu sich selbst: »Könnte ich denn nicht allein weiterreiten ohne die Soldatenbegleitung? – Das Pferd unter mir ist flink; wenn ich Tataren begegnen sollte, werde ich ihnen leicht entkommen! – Oder soll ich doch lieber nicht allein weiterreiten?«

Er hielt an, um ruhig zu überlegen, als sich ein anderer Offizier zu Pferde und mit einem Gewehr bewaffnet, namens Kostylin, ihm näherte und zurief: »Komm, Schilin, wir reiten voraus! Ich komme hier um vor Hitze und Hunger!«

Kostylin war ein großer, starker Mann mit rotem Gesicht, das in diesem Moment ganz in Schweiß gebadet schien.

Nach kurzer Überlegung fragte Schilin: »Ist Dein Gewehr geladen?«

»Gewiß!«

»Nun, dann vorwärts! – Aber eine Bedingung: Wir trennen uns nicht, keiner verläßt den andern.«

Beide ritten also voraus über die Steppe, unterhielten sich miteinander und spähten dabei aufmerksam nach allen Seiten aus. Sie hatten einen weiten, freien Gesichtskreis vor sich; doch schließlich hörte die Steppe auf und der Weg führte sie zwischen zwei Bergen durch eine Schlucht weiter.

Schilin meinte: »Es ist nötig, auf den Berg hinaufzureiten, um Umschau zu halten; sonst können wir unversehens in der Schlucht überfallen werden!«

Doch Kostylin suchte seine Bedenken zu widerlegen: »Wozu Umschau halten? – Reiten wir nur immer vorwärts!«

Schilin aber wollte nichts davon hören.

»Nein«, entgegnete er. »warte hier unten; ich muß hinauf, um zu rekognoszieren!«

Und damit lenkte er sein Pferd links ab den Berg hinauf.

Schilins Stute war ein sogenanntes »Jagdpferd«, er hatte es vor kurzem für hundert Rubel vom Pferdezüchter gekauft; es war mutig und feurig. In kurzer Zeit hatte es den Berg erklommen. Kaum war der Reiter auf dem Gipfel angelangt und warf einen flüchtigen Blick in die Runde, so sah er in kurzer Entfernung vor sich tatarische Reiter – es mochten gegen dreißig sein. Schleunigst wandte er sein Pferd; doch schon hatten ihn auch die Tataren entdeckt und verfolgten ihn, indem sie im vollen Jagen die Gewehre aus den Futteralen nahmen.

Schilin galoppierte bergab, so schnell es sein Pferd nur vermochte, und rief Kostylin zu: »Mach Dein Gewehr schußfertig!«

Mit Schrecken dachte er an sein Pferd und ermahnte es: »Mütterchen, tummle dich und mache nur keinen Fehltritt! Wenn du stolperst, bin ich verloren! Wenn ich erst das Gewehr habe, werde ich mich nicht ergeben!«

Kostylin aber hatte nicht sobald die Tataren erblickt, als er, statt zu warten, davonsprengte, so schnell sein Pferd es nur vermochte, der Festung zu. Er hieb mit der Peitsche auf sein Pferd ein, bald auf die eine, bald auf die andere Seite. Durch den feinen Staub sah man, wie sein Pferd mit dem Schweife schlug.

Schilin sah, daß die Sache für ihn schlimm stand. Das Gewehr konnte er nicht mehr erreichen und mit dem Säbel allein ließ sich gegen den Feind nichts ausrichten. Er wandte sein Pferd nach dem Wagenzug, in der Hoffnung, auf diese Weise den Tataren zu entgehen. Doch bald bemerkte er, daß etwa sechs der feindlichen Reiter ihn überholten. Wohl hatte er ein prächtiges Pferd, aber die Gegner waren noch flinker und suchten ihm den Weg abzuschneiden. Er wollte ausweichen, doch war das Pferd schon in vollem Laufe und konnte dem Zügel nicht mehr gehorchen; es flog gerade auf die Tataren zu. Er sah einen derselben mit rotem Barte, auf einem grauen Pferde ihm immer näher kommen. Mit lautem Geschrei zeigte jener die Zähne und hielt sein Gewehr zum Schuß bereit.

»Nun«, dachte Schilin, »euch Teufel kenne ich. Wen ihr lebendig fangt, den werft ihr in eine Grube und peitscht ihn mit Knuten. Lebend werde ich mich euch nicht ergeben.«

Schilin war nicht von großem Wuchs, aber tapfer. Er zog seinen Säbel und wandte das Pferd gerade dem Tataren entgegen, indem er sich sagte: Entweder werde ich ihn überreiten oder mit dem Säbel vom Pferde herunterhauen!

Aber das Pferd brachte Schilin nicht mehr weiter. In seinem Rücken fielen Schüsse, sein Pferd wurde getroffen, stürzte nieder und Schilin lag mit einem Fuß unter dem Pferd.

Bevor er sich erheben konnte, hatten ihn schon zwei Tataren ergriffen und hielten ihm die Hände auf den Rücken. Er raffte sich auf und warf die beiden zurück. Inzwischen aber waren noch drei der Feinde herangekommen, welche ihn mit Kolbenstößen auf den Kopf niederschlugen. Es wurde ihm dunkel vor den Augen und er taumelte. Jene nahmen von ihren Sätteln Stricke, mit denen sie ihm die Hände auf den Rücken mit einem tatarischen Knoten banden. Die Stricke befestigten sie dann an einem Sattel. Seine Mütze wurde ihm vom Kopf gerissen, die Stiefel ausgezogen, alle Taschen durchsucht, Geld und Uhr ihm abgenommen und die Kleider zerrissen. Schilin sah sich nach seinem Pferde um. Dasselbe war vergeblich bemüht, sich aufzurichten; es fiel auf die Seite und blieb liegen. Die Stirn zeigte eine Wunde, aus der sich ein Strom von Blut ergoß; eine Arschina im Umkreis war der Staub des Weges von dem Blut gerötet.

Einer der Tataren ging zu dem gefallenen Pferde und machte sich daran, den Sattel abzunehmen. Das Pferd schlug noch immer um sich. Da ergriff er seinen Dolch und stieß ihn dem Tier in die Kehle. Keuchend streckte das Pferd die Beine von sich und lag regungslos da.

Sattel und Riemenzeug nahmen die Tataren mit sich. Der Rotbärtige bestieg wieder sein Pferd, die anderen hoben Schilin hinter jenem in den Sattel und banden ihn an demselben fest, damit er nicht herabfallen konnte. Dann ging's fort in die Berge.

Während Schilin hinter dem Tataren saß, fiel sein Gesicht jeden Augenblick auf dessen breiten Rücken. Er vermochte nur diesen und den kräftigen glattrasierten bläulichen Nacken des Feindes zu sehen unter einer braunen Mütze von Lammfell. Schilin war am Kopfe verwundet, das Blut floß ihm über die Augen herab; er vermochte weder seinen Sitz zu verändern noch das Blut abzuwischen, so fest waren ihm die Hände gebunden, daß ihn die Gelenke schmerzten.

Lange währte dieser Ritt von Berg zu Berg. Sie passierten ein angeschwollenes Flüsschen und gelangten dann auf eine Straße, welche zwischen zwei Hügeln dahinführte. Schilin versuchte, sich den Weg zu merken, auf welchem er entführt wurde; doch seine Augen waren mit Blut überschwemmt und er vermochte nicht, sich zu rühren. Schon begann es zu dunkeln; wieder setzten sie über einen Fluß, dann ging es einen steinigen Berg hinan, und Rauch stieg auf, Hunde bellten, sie hatten einen Tatarenaul erreicht.

 

Man hob Schilin vom Pferde herab; ein Haufen von Kindern sammelte sich und umringte neugierig den Gefangenen, den sie unter Triumphgeschrei mit Steinen bewarfen. Der rotbärtige Krieger jagte die Kinder fort und rief nach einem Knecht. Ein Nogajer mit hervortretenden Backenknochen zeigte sich in blauem Hemd, welches zerrissen war und seine ganze Brust entblößt ließ. Auf einen Befehl seines Herrn brachte der Nogajer einen Fußblock herbei, einen Holzklotz mit zwei eisernen Ringen, an deren einem ein Schloss angebracht war.

Schilin wurden die Hände losgebunden, dafür aber der Fußblock angelegt und er danach in eine Scheune gebracht, deren Tür man hinter ihm verschloss. Er fiel auf Pferdedünger. Eine Zeitlang lag er unbeweglich wie besinnungslos, dann suchte er, in der Dunkelheit umhertastend, sich einen besseren Platz, auf dem er sich ausstreckte.

II.

Fast während der ganzen Nacht fand Schilin keinen Schlaf. Die Nacht war kurz in dieser Jahreszeit. Durch eine Ritze gewahrte er, wie der Tag anbrach; er stand auf, stellte sich dicht an die Spalte und blickte hinaus. Er entdeckte einen Weg, der längs des Berges hinführte, an demselben eine tatarische Saklja1, neben welcher zwei Bäume hervorragten. Ein schwarzer Hund lag auf dem Wege und eine Ziege sprang mit ihren beiden Jungen schweifwedelnd vorüber. Weiterhin sah er eine junge Tatarin den Berg herabsteigen. Sie trug ein buntes Hemd, mit Gürtel, Beinkleider und Stiefel und auf dem Kopf ein großes, blechernes Wassergefäß. Mit raschen tänzelnden Schritten kam sie näher und führte an der Hand einen kleinen Knaben in rotem Hemd, mit geschorenem Kopf. Sie trug das Wasser in die Hütte, aus welcher gleich darauf der von gestern her bekannte rotbärtige Tatar trat. Dieser trug jetzt einen seidenen Halbrock und an einem Riemen einen silbernen Dolch, Schuhe an den bloßen Füßen, auf dem Kopf eine hohe schwarze Lammfellmütze, welche sich nach hinten zurückbog. Er gähnte, strich sich den roten Bart, gab seinem Diener verschiedene Aufträge und entfernte sich. Dann ritten zwei Knaben auf Pferden vorbei in die Schwemme. Noch einige Knaben liefen vorbei mit geschorenem Kopfhaar und nur mit einem Hemd bekleidet. Der ganze Trupp näherte sich der Scheune, dann nahmen sie eine Stange und stießen diese durch die in der Wand befindliche Ritze. Schilin antwortete mit einem drohenden Brummen, worauf sie eiligst davonliefen und dabei ihre glänzenden nackten Knie zeigten.

Schilin empfand heftigen Durst; seine Kehle war wie ausgetrocknet, und mit Ungeduld wartete er, daß jemand käme, um nach ihm zu sehen. Endlich vernahm er, wie die Scheune aufgeschlossen wurde. Der rotbärtige Tatar erschien in der Tür und neben ihm ein anderer von kleinerer Gestalt und dunkler Gesichtsfarbe. Er hatte glänzende schwarze Augen, einen schwarzen kurzgeschorenen Bart und ein heiter lachendes Gesicht. Der Dunkle war auch besser gekleidet, er trug einen blauseidenen Halbrock mit Goldborten verziert; im Gürtel führte er einen großen silbernen Dolch, die Füße waren mit roten silbergestickten Saffianschuhen bekleidet, über welche andere dickere Schuhe gezogen waren, und der Kopf war mit einer hohen weißen Lammfellmütze bedeckt.

Der Rotbärtige trat ein, sprach einige Worte, die wie Schimpfworte lauteten, und blieb stehen; auf einen Querbalken gestützt und mit seinem Dolche spielend, sah er mit bösem Wolfsblick nach dem Gefangenen.

Der Dunkle aber, welcher sich beständig lebhaft und so beweglich zeigte, als wenn er Sprungfedern in sich hätte, trat auf Schilin zu, ließ sich neben ihm auf die Fersen nieder und klopfte ihm unter breitem Lachen auf die Schulter, indem er einige Worte in seiner Sprache wiederholte. Er kniff die Augen zu, schnalzte mit der Zunge und sagte: »Gut Uruss, gut Uruss!«

Schilin, der nichts davon verstand, entgegnete nur: »Trinken! Gebt mir Wasser zu trinken!«

Der Schwarzäugige lachte und wiederholte sein »Gut Uruss!«

Schilin versuchte durch Bewegung von Lippen und Händen anzudeuten, man möge ihm zu trinken geben. Jetzt verstand ihn der Schwarze, er sah zur Tür hinaus und rief laut: »Dina!«

Ein Mädchen kam auf diesen Ruf herbeigelaufen, es war noch kindlich, zart und schwächlich, etwa dreizehn Jahre alt, und seine Gesichtszüge glichen außerordentlich denen des Schwarzen; man sah, es war seine Tochter. Auch sie hatte glänzende schwarze Augen und ein sehr hübsches Gesicht. Ihre Kleidung bestand aus einem langen blauen Hemd mit breiten Ärmeln, aber ohne Gürtel, Bruststück und Ärmel desselben waren mit roter Stickerei verziert; außerdem trug sie Beinkleider und Schuhe und über den letzteren Überschuhe mit hohen Absätzen, um den Hals einen ganz aus russischen Silberrubelstücken gebildeten Schmuck. Ihr Kopf war unbedeckt, die schwarzen Zöpfe waren mit einem Band umwunden, an welchem Verzierungen aus Metallblech und ein russischer Silberrubel befestigt waren.

Der Vater richtete einige Worte an sie; sie eilte hinaus, erschien aber bald wieder mit einem Blechgefäß, aus dem sie Schilin zu trinken gab, indem sie sich gleichfalls neben ihn auf die Erde hockte, so daß ihre Knie die Schultern überragten. So saß sie regungslos und riß verwundert die Augen weit auf, mit denen sie Schilin, während er trank, wie ein fremdartiges Tier anstarrte.

Als ihr Schilin das Gefäß zurückreichte, tat sie einen Sprung zur Seite wie eine wilde Ziege. Der Vater brach in ein unbändiges Lachen aus und sprach dann einige Worte zu ihr. Sie nahm das Blechgefäß, lief damit hinaus und brachte ungesäuertes Brot auf einem Holzteller herbei. Dann kauerte sie sich wieder hin und verwandte kein Auge von Schilin.

Endlich entfernten sich die Tataren, indem sie die Tür hinter sich verschlossen. Einige Zeit danach kam der Nogajskische Diener zu Schilin und sprach ihn an: »Ei da, Mann, ei da!«

Auch dieser sprach nicht Russisch; doch begriff Schilin, daß er ihm folgen sollte.

Er gehorchte; doch verhinderte ihn der Fußblock gerade zu gehen. Indem er dem Diener folgte, sah er ein Tatarendorf von etwa zehn Häusern und in deren Mitte eine Moschee mit einem Türmchen. Vor einem Hause standen gesattelte Pferde, welche ein Knabe an den Zügeln hielt.

Aus diesem Hause trat der dunkelhaarige Tatar heraus und winkte Schilin zu, näher zu kommen. Lachend äußerte er einige Worte in seiner Sprache und kehrte in das Haus zurück. Schilin folgte ihm und trat in ein großes Wohngemach, dessen Wände mit Lehm glatt gestrichen waren. An der ihm gegenüberliegenden Wand lagen bunte Federkissen, an der Seitenwand hingen wertvolle Teppiche und auf diesen Geweihe, Pistolen, Säbel, alles mit Silber ausgelegt. An der anderen Seitenwand stand auf dem Erdboden ein kleiner Ofen, der Fußboden bestand aus festgestampfter Erde und war außerordentlich rein gehalten. Die eine Ecke war mit Filzdecken belegt, auf diesen lagen Teppiche und auf den Teppichen Federkissen.

Dort saßen Tataren in dünnen Schuhen; neben dem Roten und dem Dunklen drei fremde Gäste, den Rücken an die Federkissen gelehnt. Vor ihnen standen auf runden Brettchen Pfannkuchen und zerlassene Butter in einer Tasse, sowie auch in Trinkgeschirren ihr tatarisches Bier, »Busa« genannt. Sie aßen mit den Händen, die schon ganz mit Butter beschmiert waren.

Der Dunkelbraune sprang auf, befahl Schilin, sich zur Seite zu setzen, nicht auf den Teppich, sondern auf den kahlen Fußboden; dann nahm er selbst wieder seinen früheren Platz auf dem Teppich ein und bewirtete seine Gäste mit den Pfannkuchen und Busa. Der Diener wies Schilin seinen Platz an, zog selbst seine Überschuhe aus, die er neben die andern an die Tür stellte und setzte sich auf die Pelzdecke in der Nähe der Gäste, denen er mit wässerigem Munde beim Essen zuschaute. Als die Fladen verzehrt waren, kam eine Tatarin herein, bekleidet mit einem ebensolchen Hemd wie jenes Mädchen, und in Beinkleidern, den Kopf mit einem Tuch umwunden. Sie nahm Brot und Butter fort und brachte ein niedliches, kleines Waschbecken nebst einer Kanne mit kleiner Ausgussröhre.

Die Tataren wuschen sich die Hände, dann falteten sie sie, ließen sich auf die Knie nieder, bliesen nach allen Seiten und sprachen Gebete.

Sie berieten sich einige Zeit, dann wandte sich einer von ihnen an Schilin und redete ihn russisch an: »Dich hat Kasi Muhamed gefangengenommen«, sagte er, auf den rotbärtigen Tataren deutend, »und hat Dich an Abdul Murad abgetreten.« Dabei zeigte er mit einer Handbewegung auf den dunkelbraunen Tataren. »Abdul Murad ist jetzt Dein Herr!«

Schilin schwieg.

Abdul Murad sprach etwas, indem er auf Schilin deutete und lachend hinzufügte: »Soldat Uruss, gut Uruss.«

Der Dolmetscher übertrug das eben Gehörte.

»Er befiehlt Dir, nach Hause zu schreiben, daß man ein Lösegeld für Dich einsende. Sobald das Geld ankommt, wird man Dich freilassen.«

Nach einigem Nachdenken fragte Schilin: »Verlangt er viel Lösegeld?«

Die Tataren besprachen sich untereinander und der Dolmetscher sagte dann: »Dreitausend Rubel.«

»Nein«, erwiderte Schilin, »so viel kann ich nicht zahlen.«

Abdul sprang auf, nachdem ihm diese Erklärung übersetzt war, und focht mit den Armen in die Luft, indem er zu Schilin sprach, als wenn dieser ihn verstehen könnte.

»Wieviel gibst Du?« fragte der Dolmetscher. Schilin dachte nach und erklärte dann: »Fünfhundert Rubel.«

Darauf sprachen die Tataren wieder eifrig miteinander, alle auf einmal. Abdul begann den Rotbärtigen anzuschreien und wurde dabei so erregt, daß ihm der Speichel aus dem Munde floß.

Gleichmütig aber schloss der Rote die Augen und schnalzte mit der Zunge. Endlich schwiegen sie und der Dolmetscher sagte zu Schilin: »Fünfhundert Rubel sind zu wenig. Dein Herr hat selbst zweihundert Rubel für Dich bezahlt. Kasi Muhamed war ihm schuldig, und für diese Schuld hat Abdul Dich übernommen. Er kann Dich nicht um weniger als dreitausend Rubel freigeben, und willst Du nicht um diese Summe schreiben, so wird man Dich in eine Grube werfen und mit Knuten peitschen.«

»Oho«, dachte Schilin, »läßt man sich von diesen einschüchtern, so wird es nur noch schlimmer.« Laut erwiderte er dem Dolmetscher: »Sag ihm, wenn er mich schrecken will, so werde ich ihm keinen Kopeken geben und auch nicht darum schreiben. Ich habe mich vor euch nie gefürchtet und werde euch auch niemals fürchten.«

Der Dolmetscher teilte den Tataren diese Worte mit, worauf sie wieder eifrig miteinander verhandelten. Nach langem Reden in ihrer für Schilin unverständlichen Sprache sprang der Dunkelbraune auf, trat an Schilin heran und redete ihn an: »Uruss dschigit, dschigit Uruss.«

»Dschigit« bedeutet in ihrer Sprache »tapfer«. Dabei lachte er und richtete an den Dolmetscher einige Worte, welcher zu Schilin sagte: »Gib tausend Rubel.«

Schilin aber blieb hartnäckig.

»Mehr als fünfhundert Rubel werde ich auf keinen Fall geben. Schlagt mich tot, dann bekommt ihr gar nichts!«

Wieder traten die Tataren in Beratung, schickten den Diener mit einem Auftrag fort und sahen erwartungsvoll bald nach der Tür, bald nach Schilin. Der Diener trat wieder ein und ihm folgte ein ziemlich dicker Mann, barfuß und zerlumpt, gleichfalls mit einem Fußblock an den Beinen.

Schilin konnte einen Ausruf der Überraschung nicht unterdrücken, als er Kostylin erkannte. Also auch ihn hatten die Tataren gefangengenommen.

Beide wurden nebeneinander gesetzt und teilten sich ihre letzten Erlebnisse mit, während die Tataren schweigend nach ihnen hinüberblickten. Schilin erzählte, wie es ihm ergangen, und dann teilte Kostylin dem Genossen mit, wie sein Pferd störrisch geworden und sein Gewehr versagt habe, und daß dieser selbe Abdul auch ihn eingeholt und gefangengenommen habe.

Abdul erhob sich nun und wendete sich mit einigen Worten an den Dolmetscher, welcher den Russen ankündigte, daß sie jetzt beide Abdul gehörten, und daß derjenige von ihnen zuerst freigelassen werde, für den zuerst das Lösegeld eingesandt werde.

»Siehst Du«, fügte er, zu Schilin gewendet, hinzu, »Du bist gleich so auffahrend; Dein Kamerad ist viel vernünftiger. Er hat in einem Brief nach Hause geschrieben, man soll ihm fünftausend Rubel schicken. Darum wird man ihn auch gut ernähren und niemals schlecht behandeln.«

Schilin erwiderte kurz: »Mein Kamerad mag tun, was er will. Vielleicht ist er reich; ich aber bin nicht reich, und was ich gesagt habe, dabei bleibt es. Schlagt mich meinetwegen tot; ihr werdet keinen Vorteil davon haben; aber um mehr als fünfhundert Rubel schreibe ich nicht!«

 

Alle schwiegen. Erst nach längerer Pause griff Abdul nach einem kleinen Köfferchen, nahm daraus Feder, ein Stück Papier und Tinte, reichte alles Schilin, und indem er ihm auf die Schulter klopfte, deutete er ihm durch Zeichen an, er solle schreiben.

Er war mit dem Lösegeld von fünfhundert Rubeln zufrieden.

»Warte noch ein wenig«, wandte sich Schilin an den Dolmetscher, »sag' ihm, er soll uns gut nähren und kleiden, und daß wir beide zusammen zu bleiben wünschen; denn so ist es kurzweiliger – endlich auch, daß er uns die Fußblöcke abnehmen solle.«

Während er diesen Auftrag erteilte, blickte er selbst lachend den Tataren an. Auch dieser brach in Lachen aus, als ihm Schilins Antwort übersetzt wurde, und ließ ihm antworten: »Ich werde euch die beste Kleidung geben, auch eine Tscherkeska und Stiefel wie zur Hochzeit; ich will euch beköstigen wie Fürsten, und wenn ihr beisammen bleiben wollt, könnt ihr meinetwegen beide in der Scheune wohnen; aber die Fußblöcke kann ich euch nicht abnehmen; sonst lauft ihr mir davon! Nur in der Nacht sollt ihr davon befreit werden.«

Er näherte sich Schilin und klopfte ihm freundlich die Schultern.

»Du bist gut, schreibe! Ich auch gut!«

Schilin schrieb den Brief, wie er von ihm verlangt wurde. Dann führte man ihn zugleich mit Kostylin in die Scheune zurück, brachte ihnen dann Kukurusstroh, ein Gefäß mit Wasser, Brot, zwei abgetragene Tscherkesken und Soldatenstiefel, welche sie wahrscheinlich gefallenen Russen nach einem Gefecht abgezogen hatten. Während der Nacht nahm man ihnen die Fußblöcke ab, schloss sie dann aber in die Scheune ein.

III.

So verlebte Schilin mit seinem Kameraden einen vollen Monat. Sein Gebieter lachte stets, wenn er ihn ansah, und sagte: »Du bist gut, Iwan, ich, Abdul, bin auch gut.« Aber die Nahrung war schlecht, sie bestand nur aus ungesäuertem Brot von Hirsemehl, welches in Fladen oder Pfannkuchen gebacken und ungenügend ausgebacken war.

Kostylin schrieb noch einmal nach Hause und wartete auf die Einsendung des Lösegeldes mit Ungeduld und Langeweile. Acht Tage lang saß er in der Scheune und zählte die Tage, bis wann der Brief ankommen könne, manchmal schlief er den ganzen Tag durch.

»Wie wird meine Mutter so viel Geld für mich zusammenbringen«, fragte sich Schilin, »da sie doch lediglich von dem gelebt hat, was ich ihr schickte? Wenn sie auch wirklich fünfhundert Rubel auftreiben könnte, so wäre sie vollständig ruiniert. Gott wird mir helfen, daß ich mich selbst befreien kann.« Müßig ging er im Dorfe spazieren, indem er sich etwas vorpfiff, oder er saß irgendwo, mit einer Handarbeit beschäftigt; entweder formte er Puppen aus Ton oder flocht Körbe aus Zweigen, denn in allen solchen Kunstfertigkeiten war Schilin Meister.

Einmal hatte er wieder eine Puppe aus Ton modelliert mit einer Nase, mit Händen und Beinen in tatarischem Hemd. Diese Puppe stellte er aufs Dach.

Als die Tatarinnen zum Wasserholen kamen, sah Dina, die Tochter des Hausherrn, die Puppe und rief ihre Freundinnen herbei. Alle stellten ihre Eimer beiseite und beguckten lachend die Puppe. Schilin nahm sie herab und reichte sie ihnen. Die Mädchen lachten und freuten sich über die Puppe, wagten aber nicht, sie anzunehmen; deshalb stellte er sein Machwerk am Hause auf, zog sich in die Scheune zurück und wartete dort ab, was nun weiter erfolgen werde.

Nach kurzer Zeit kam Dina wieder herbei, blickte sich scheu nach allen Seiten um, ergriff rasch die Puppe und lief mit derselben davon.

Als Schilin am nächsten Morgen durch die Spalte der Scheunenwand blickte, sah er, wie um die Morgenröte Dina aus dem Hause trat, mit der Puppe im Arm, die sie mit bunten Lappen geschmückt hatte. Sie wiegte dieselbe wie ein Kind, das eingeschläfert wird.

Da kam eine alte Frau scheltend aus dem Hause, nahm ihr die Puppe weg, zerschlug sie und schickte Dina an die Arbeit.

Schilin verfertigte eine andere, noch reizendere Puppe und gab sie Dina.

Einmal brachte Dina ein Blechgefäß, stellte es vor Schilin hin, setzte sich daneben und blickte ihn an, lächelnd auf das Gefäß deutend.

»Was macht sie denn so heiter?« fragte sich Schilin, ergriff das Gefäß und trank daraus, in der Meinung, daß es Wasser enthalte: es war aber mit Milch gefüllt. Mit Vergnügen trank er sie vollends aus und sagte: »Charascho!« Gut.

Darüber war Dina sehr erfreut. »Charascho, Ivan, charascho!« sagte sie und in die Hände klatschend sprang sie auf, entriß ihm das Gefäß und lief davon.

Seit jener Zeit brachte sie jeden Tag ein Kännchen mit Milch, die sie heimlich entwendet hatte.

Die Tataren bereiten aus Ziegenmilch eine Art Käse in Fladen, die sie auf die Dächer in freier Luft trocknen. Auch solche Fladen brachte sie ihm heimlich. Als einmal ein Hammel geschlachtet wurde, brachte sie ihm auch ein Stück von dem Hammelfleisch im Ärmel, warf es ihm hin und lief rasch davon.

Ein anderes Mal erhob sich ein großer Sturm und es regnete den ganzen Tag über wie aus Eimern; alle Flüsschen schwollen an, wo vorher eine Furt gewesen, strömte jetzt das Wasser drei Arschinen tief und riß große Steine mit sich fort, überall strömten reißende Wassermassen dahin und von den Bergen herab hörte man ihr Brausen.

Als endlich das Unwetter vorüber war, rieselten kleine Bäche von allen Seiten durch das Dorf. Schilin erbat sich ein kleines Messer, schnitzte damit eine Walze und ein Brettchen aus und fertigte ein kleines Schiffchen mit einem Rad. An beiden Enden desselben stellte er Püppchen auf und schmückte diese mit bunten Läppchen, welche die Mädchen ihm zutrugen. Die eine der Puppen stellte einen Muschik2 vor, die andere eine Baba3. Er befestigte sie so, daß sie bei jeder Bewegung des Schiffchens zu tanzen schienen.

Das ganze Dorf kam herbeigelaufen, Knaben, Mädchen, Weiber und Männer, mit der Zunge schnalzend: »Ai, Uruss! – Ai, Iwan!« –

Abdul besaß eine zerbrochene russische Uhr. Er rief Schilin zu sich und zeigte sie ihm unter Zungenschnalzen.

»Gib sie her«, sagte dieser, »ich werde sie zurechtmachen.«

Er nahm sie, zerlegte sie mit Hilfe eines kleinen Messers und setzte sie wieder zusammen. Die Uhr ging wieder.

Der Tatar war darüber hoch erfreut; er schenkte dem Künstler seinen alten ganz zerlumpten Beschmet4. Schilin konnte nichts besseres tun als ihn annehmen. Er war immerhin noch gut genug, um sich damit während der Nacht zuzudecken.

Seit dieser Zeit, wo Schilin sich als Meister erprobt hatte, hatte er bessere Tage. Aus entfernten Dörfern kam man, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Einer brachte ein Schloss von einer Flinte oder Pistole zur Reparatur, ein anderer seine Uhr. Sein Gebieter gab ihm etwas Handwerkszeug, eine kleine Zange, eine Feile, einen Bohrer.

Schilin lernte mit der Zeit ihre Sprache einigermaßen verstehen, und manche von den Tataren gewöhnten sich an ihn und riefen ihn an mit »Iwan!« wenn sie irgendein Anliegen hatten.

Andere aber sahen ihn mit bösen Blicken an wie ein gefährliches Tier. Namentlich der rote Tatar war Schilin feindlich gesinnt. Wenn er ihn sah, so verfinsterte sich sein Gesicht, er wandte sich dann ab und stieß Schimpfworte aus.

Da war auch ein Greis, welcher nicht im Dorfe selbst wohnte, aber häufig von den Bergen herabkam. Schilin sah ihn nur, wenn er vorüberging, um in der Moschee zu beten. Er war von kleinem Wuchs. Seine Mütze war mit einem weißen Tuch umwunden, sein kurz gestutzter Bart war weiß wie Flaum, sein Gesicht ziegelrot und faltig, die Nase hakenförmig gebogen, wie der Schnabel eines Raubvogels zwischen seinen grauen stechenden Augen, der Mund zahnlos. Zuweilen ging er mit seinem Turban, auf einen Krückstock gestützt, vorbei, indem er sich mit bösen Blicken wie ein Wolf umsah. Wenn er Schilin sah, murmelte er Schimpfworte und wandte sich ab.

Einmal stieg Schilin den Berg hinan, um zu sehen, wo der Alte wohnte. Einen schmalen Pfad entlang gehend, stieß er auf einen kleinen Garten von einer Steinmauer umgeben, hinter welcher Kirschen- und Aprikosenbäume sichtbar wurden sowie auch eine kleine Hütte mit flachem Dach. Als er näher trat, entdeckte er einen Bienenkorb aus Strohgeflecht. Die Bienen schwärmten summend umher. Der Alte kauerte davor und war mit dem Bienenstock beschäftigt. Schilin beugte sich etwas vor, um genauer zu sehen und rasselte dabei unwillkürlich mit seinem Fußblock. Der Alte hörte das Geräusch, blickte sich um, schrie erschrocken auf, riß aus dem Gürtel eine Pistole und feuerte sie auf Schilin ab, welcher kaum Zeit hatte, hinter der Mauer Deckung zu suchen.

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