Krieg und Frieden

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Krieg und Frieden
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LUNATA

Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

© 1869 Lew Tolstoi

Originaltitel Woina i mir

Aus dem Russischen von L. A. Hauff

Umschlagbild: Illarion Pryanishnikov Warand

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Erstes Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Zweites Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

 

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Drittes Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Viertes Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

 

Kapitel 52

Epilog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Erstes Buch

1

»Nun, Fürst, hat die Familie Bonaparte auch Genua und Lucca in Besitz genommen? Ich sage Ihnen, Sie sind nicht mehr mein Freund, mein getreuer Sklave, wie Sie sagen, wenn Sie noch ferner die Notwendigkeit des Krieges leugnen und noch länger die Gräuel verteidigen wollen, welche dieser Antichrist begeht, denn es ist der Antichrist selbst, davon bin ich überzeugt. Setzen Sie sich hierher und erzählen Sie.«

Es war im Juni 1805, als Anna Pawlowna Scherer diese Worte sprach. Sie war Hofdame der Kaiserin Maria Feodorowna und gehörte sogar zu dem vertrauten Kreis Ihrer Majestät. Sie sprach mit dem Fürsten Wassil, welcher zuerst zu ihrer Abendgesellschaft eingetroffen war.

Ein Diener in roter, kaiserlicher Livree hatte am Morgen in der ganzen Stadt Einladungsbriefe zu dieser Abendgesellschaft umhergetragen.

»O Himmel, welch heftiger Überfall!« erwiderte der Fürst, ohne durch diesen Empfang in Aufregung zu geraten. Der Fürst trug die goldgestickte Uniform des Hofes mit Ordenssternen, seidene Strümpfe und Schnallenschuhe. Sein Gesicht zeigte beständig ein liebenswürdiges Lächeln. Er sprach Französisch, jenes gewählte Französisch, in dem unsere Großväter nicht nur sprachen, sondern auch dachten, und in dem gemessenen, herablassenden Ton eines einflußreichen Würdenträgers, der am Hofe alt geworden ist. Er näherte sich Anna Pawlowna, küßte ihr die Hand, indem er sein kahles, parfümiertes Haupt neigte, und ließ sich dann bequem auf einem Sofa nieder.

»Vor allem, verehrte Freundin, beruhigen Sie mich über den Zustand Ihrer Gesundheit«, fuhr er in galantem Tone fort, der aber nicht frei von Spott war.

»Wie könnte ich mich wohl befinden bei solchen Aufregungen? Sie bleiben den ganzen Abend, hoffe ich?«

»Nein, heute nicht. Der englische Gesandte gibt ein großes Fest, auf dem ich erscheinen muß; meine Tochter wird mich abholen.«

»Ich glaubte, das Fest sei verschoben worden, und ich gestehe Ihnen sogar, daß alle diese Festlichkeiten mich nachgerade schrecklich langweilen.«

»Hätte man Ihren Wunsch ahnen können, so hätte man sie gewiß verlegt«, erwiderte der Fürst maschinenmäßig, wie eine gut gehaltene Uhr, ohne den geringsten Anspruch darauf, daß man seine Worte ernst nehme.

»Spotten Sie nicht, und nun, da Sie alles wissen, sagen Sie mir, was ist beschlossen worden über die Depesche von Nowosilzow?«

»Was soll ich Ihnen sagen?« erwiderte der Fürst mit dem Ausdruck der Langeweile. »Sie wollen wissen, was man beschlossen hat? Nun, man hat entschieden, daß Bonaparte seine Schiffe hinter sich verbrannt habe, und es scheint, daß wir im Begriff sind, dasselbe zu tun.«

Der Fürst Wassil sprach immer mit einer gewissen Nachlässigkeit, wie ein Schauspieler, der eine alte Rolle spielt. Fräulein Scherer dagegen zeigte trotz ihrer vierzig Jahre eine große Lebhaftigkeit. Ihre soziale Stellung beruhte darauf, für eine enthusiastische Dame zu gelten. Das politische Gespräch, das sich entwickelte, brachte sie nach und nach in Aufregung.

»Ach, sprechen Sie mir nicht von diesem Österreich! Es ist möglich, daß ich nicht alles richtig verstehe, aber nach meiner Ansicht will es nicht den Krieg und hat ihn nie gewollt. Es verrät uns. Russland allein muß Europa befreien. Unser Herr und Wohltäter ist durchdrungen von seiner hohen Mission und wird sich ihr gewachsen zeigen. Gott wird ihn nicht verlassen, er wird seine Aufgabe erfüllen und die Hydra der Revolution zerschmettern. Aber wem können wir vertrauen, frage ich Sie! England hat zu viel Krämergeist, um den hohen Flug der Seele des Kaisers Alexander zu begreifen, es weigert sich, Malta zu räumen, es wartet und argwöhnt Hintergedanken bei uns. Was haben die Engländer zu Nowosilzow gesagt? Nichts, denn sie begreifen nicht die Selbstverleugnung unseres Kaisers, welcher nichts für sich selbst, sondern nur das allgemeine Wohl will. Was haben sie versprochen? Nichts. Und Preußen? Hat es nicht erklärt, Bonaparte sei unüberwindlich und England ohnmächtig, ihn zu bekämpfen? Ich glaube nicht an Hardenberg, noch an Haugwitz, diese berühmte preußische Neutralität ist nur eine Schlinge! Aber ich glaube an Gott und an die höchste Bestimmung unseres Kaisers.« Sie schloss mit einem Lächeln über ihren eigenen Enthusiasmus.

»Wie schade, daß Sie nicht an der Stelle unseres liebenswürdigen Winzingerode stehen. Sie hätten den König von Preußen im Sturm erobert. Aber werden Sie mir Tee reichen lassen?«

»Sogleich! … Apropos«, fügte sie ruhiger hinzu, »ich erwarte heute Abend zwei sehr interessante Herren, den Grafen Mortemart, einen der Emigranten, und den Abbé Morio, diesen eminenten Geist. Sie wissen ja, daß er vom Kaiser empfangen wurde. Aber sprechen wir ein wenig von den Ihrigen. Wissen Sie, daß die ganze Gesellschaft über Ihre Tochter entzückt ist seit ihrem Erscheinen in der Welt? Man findet sie schön wie der Tag!«

Der Fürst verbeugte sich.

»Wie oft habe ich daran gedacht, wie ungleich die Glücksgüter in unserem Leben verteilt sind! Warum hat das Schicksal Ihnen so reizende Kinder gegeben, mit Ausnahme von Anatol, Ihrem Jüngsten, den ich nicht liebe«, fügte sie mit der Bestimmtheit eines unerbittlichen Urteils hinzu, indem sie die Augenbrauen in die Höhe zog. »Sie wissen Ihr Glück nicht zu schätzen, also verdienen Sie es auch nicht.«

Sie begleitete diese Worte mit einem enthusiastischen Lächeln.

»Was wollen Sie?« erwiderte der Fürst. »Lavater hätte wahrscheinlich entdeckt, daß auf meinem Schädel der Höcker, der die Liebe zu den Kindern andeutet, fehlt.«

»Hören Sie auf zu scherzen. Ich muß ernsthaft mit Ihnen sprechen. Ich bin sehr unzufrieden über Ihren Jüngsten! Unter uns gesagt, man hat bei Seiner Majestät über ihn gesprochen, und man bedauert Sie!« Bei diesen Worten nahm sie eine betrübte Miene an.

»Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll«, erwiderte der Fürst entmutigt. »Ich habe als Vater für ihre Erziehung alles getan, was ich konnte, und doch ist aus beiden nichts geworden. Hippolyt ist wenigstens ein friedlicher Dummkopf, während Anatol ein Tollkopf ist. Das ist der einzige Unterschied zwischen ihnen.« Es lag ein unangenehmer Ausdruck in den Winkeln seines faltigen Mundes, während er lächelte.

»Leute wie Sie sollten gar keine Kinder haben! Wenn Sie nicht Vater wären, so hätte ich Ihnen gar nichts vorzuwerfen«, bemerkte Fräulein Scherer nachdenklich.

»Ich bin Ihr treuer Sklave, wie Sie wissen, und Ihnen allein kann ich mich anvertrauen. Meine Kinder sind für mich nur eine schwere Last, aber was ist zu machen?« Er schwieg und drückte durch eine Gebärde seine Unterwerfung unter das Schicksal aus.

Fräulein Scherer schien nachzudenken. »Haben Sie nie daran gedacht, Ihren verschwenderischen Sohn Anatol zu verheiraten? Alte Jungfern, sagt man, haben die Manie, Heiraten zu stiften, ich glaube mich frei von dieser Schwachheit, aber dennoch habe ich ein junges Mädchen für ihn in Aussicht, eine Verwandte von uns, die Fürstin Bolkonska, welche bei ihrem Vater sehr unglücklich ist.«

Der Fürst Wassil gab keine Antwort, aber eine leichte Bewegung seines Kopfes zeigte an, daß er diese Mitteilungen zu schätzen wisse. »Wissen Sie, daß dieser Anatol mich jährlich vierzigtausend Rubel kostet?« seufzte er. »Was soll das in fünf Jahren werden, wenn es so fort geht? Sehen Sie, was für ein Glück es ist, Papa zu sein! Ist sie reich, die junge Fürstin?«

»Ihr Vater ist sehr reich und sehr geizig und lebt immer zu Hause, auf dem Lande. Es ist dieser berühmte Fürst Bolkonsky, welcher noch bei Lebzeiten des verstorbenen Kaisers veranlaßt worden war, den Dienst zu verlassen und welchem man den Beinamen ›der König von Preußen‹ gab. Er ist sehr interessant, sehr originell und es ist schrecklich schwer, mit ihm auszukommen. Die arme Kleine ist schrecklich unglücklich. Sie hat nur einen Bruder, welcher vor kurzem Lisa Meynen heiratete und welcher Adjutant bei Kutusow ist. Sie werden ihn heute Abend sehen.«

»Ich bitte Sie, teuerste Anna Pawlowna«, sagte der Fürst, indem er plötzlich die Hand des Fräulein Scherer ergriff, »bringen Sie mir diese Sache zustande und ich will für ewig der treueste Ihrer Sklaven sein! Sie ist von guter Familie und reich, das ist alles, was ich wünsche.«

»Gut, gut«, erwiderte Anna Pawlowna, »ich werde noch diesen Abend mit Lisa Bolkonska sprechen. Vielleicht läßt sich die Sache machen. Ich werde im Interesse Ihrer Familie mein Probestück als alte Jungfer machen.«

2

Der Salon füllte sich mehr und mehr. Die Blüte der vornehmen Welt Petersburgs versammelte sich. Die Gesellschaft bestand aus Personen, welche zwar von sehr verschiedenem Charakter und Alter, aber alle aus denselben Kreisen waren.

Die Tochter des Fürsten Wassil, die schöne Helene, kam, um ihren Vater abzuholen und mit ihm die Festlichkeit beim englischen Gesandten zu besuchen. Sie war in Balltoilette und trug das Zeichen der Hofdamen auf der Brust. Die reizendste Frau Petersburgs, die junge, niedliche Fürstin Bolkonska, war gleichfalls zugegen. Sie war seit dem letzten Winter verheiratet und ihre interessanten Umstände, welche ihr den Besuch der »großen Welt« verboten, erlaubten ihr doch, an kleineren Zirkeln teilzunehmen.

»Haben Sie meine Tante gesehen?« Oder: »Kennen Sie meine Tante noch nicht?« wiederholte Anna Pawlowna jedem ihrer Gäste. Darauf führte sie ihn zu einer kleinen alten Dame mit auffallender Frisur. Fräulein Scherer erhob langsam den Blick von dem Neuangekommenen auf »ihre Tante« und verließ sie sogleich nach der Vorstellung wieder. Alle erfüllten dieselbe Zeremonie bei dieser unbekannten, überflüssigen Tante, welche niemand interessierte. Sie gebrauchte immer dieselben Ausdrücke, indem sie jeden nach seinem Befinden fragte, von dem ihrigen und dem Ihrer Majestät der Kaiserin sprach, »welches Gott sei Dank sich gebessert« habe. Aus Höflichkeit suchte man zu vermeiden, sich mit zu auffallender Hast zu entfernen, hütete sich aber wohl, der alten Dame während des Abends zum zweiten Mal nahezukommen.

Die junge Fürstin Bolkonska hatte ihre Arbeit in einem »Ridikül« von Samt mit Goldstickerei mitgebracht. Ihre reizende kleine Oberlippe, welche mit zartem Flaum beschattet war, erreichte niemals ganz die Unterlippe. Aber trotz der sichtbaren Anstrengung, mit der sie sich niederzulassen oder zu erheben suchte, gab es nichts Graziöseres, ungeachtet dieses leichten und originellen Fehlers, ein Vorrecht der wirklich anziehenden Damen; denn dieser halb offene Mund verlieh ihr einen eigentümlichen Reiz. Jeder bewunderte diese junge Dame voll Leben und Gesundheit, welche bald Mutter werden sollte und noch so leicht ihre Last trug.

Die kleine Fürstin ging mit leichten Schritten um den Tisch, ordnete die Falten ihres Kleides und setzte sich auf das Sofa, beim Samowar.

»Ich habe meine Arbeit mitgebracht«, sagte sie, indem sie ihren Ridikül öffnete, zu der Gesellschaft im allgemeinen. »Nehmen Sie sich in acht, Anna, spielen Sie mir keinen Streich! Sie haben mir geschrieben, Ihre Gesellschaft werde ganz klein sein, und nun sehen Sie, in welchem Aufzug ich bin!« Sie breitete die Arme aus, um ihr elegantes, graues, mit Spitzen besetztes Kleid deutlicher zu zeigen.

»Seien Sie unbesorgt, Lisa, Sie werden doch die Hübscheste sein.«

»Wissen Sie auch, daß mein Mann mich verläßt?« fuhr sie fort. »Er wird sich den Tod holen. Wozu dieser schreckliche Krieg?« sagte sie zum Fürsten Wassil, und ohne seine Antwort abzuwarten, plauderte sie mit seiner Tochter, der schönen Helene.

Bald darauf erschien ein großer, plumper, junger Mann mit kurz geschorenen Haaren im Salon. Er trug eine Brille, ein helles Beinkleid nach der Mode, eine ungeheure Hemdkrause und einen braunen Rock. Er war der natürliche Sohn Peter des Grafen Besuchow, eines großen Herrn, der zu Zeiten Katharinas sehr bekannt war, jetzt aber in Moskau dem Tode nahe war. Der junge Mann hatte sich noch keine Laufbahn ausgewählt; er kam aus dem Ausland, wo er erzogen worden war, und erschien zum erstenmal in der vornehmen Welt. Fräulein Scherer begrüßte ihn mit einem Lächeln, dabei drückte ihre Miene aber eine Unruhe aus, wie man sie beim Erblicken eines kolossalen Gegenstandes, der nicht am rechten Platze ist, empfindet. Peters Gestalt war viel höher als die der anderen Gäste, aber die Unruhe der Dame hatte eine andere Ursache, sie bezog sich auf seinen guten, schüchternen, dabei forschenden Blick.

»Höchst liebenswürdig von Ihnen, Monsieur Pierre, daß Sie zu einer armen Kranken kommen«, sagte sie. Peter stotterte einige unverständliche Worte, indem er seine Augen umherschweifen ließ. Plötzlich lächelte er heiter und grüßte die kleine Fürstin wie eine gute Bekannte. Dann verbeugte er sich vor der »Tante«. Fräulein Scherer hatte wohl Grund zur Unruhe und zur Besorgnis; denn Peter verließ die Tante plötzlich, ohne das Ende der Phrase über die Gesundheit Ihrer Majestät abzuwarten. Erschrocken hielt sie ihn an.

»Kennen Sie den Abbé Morio?« fragte sie. »Ein sehr interessanter Mann!« »Ja, ich habe von seinem Projekt des ewigen Friedens gehört. Sehr geistreich … aber unausführbar.«

»Glauben Sie?« fragte Fräulein Scherer, nur um als Dame des Hauses etwas zu sagen.

Peter aber machte sich einer zweiten Unhöflichkeit schuldig. Er hatte eben eine Dame plötzlich verlassen, ohne das Ende ihrer Phrase anzuhören und jetzt hielt er die andere zurück, die sich entfernen wollte, und begann ihr zu erklären, warum das Projekt des Abbé Morio nur ein Hirngespinst sei.

»Wir werden noch später darüber sprechen«, sagte Fräulein Scherer.

Nachdem sie sich von dem jungen Mann losgemacht hatte, der keine Lebensart besaß, kehrte sie zu ihren Pflichten als Wirtin zurück und hielt sich bereit, auf schwachen Punkten einzugreifen und eine stockende Unterhaltung wieder in Fluß zu bringen. Bald näherte sie sich einer schweigenden Gruppe, bald trat sie zu einem schwatzhaften Kreis, ein Wort oder eine geschickt vorgenommene Versetzung einer Person brachte die Gesprächsmaschine wieder in leichten, regelmäßigen Gang. Peter erschien zum erstenmal in einer Gesellschaft in Russland. Er wußte, daß alles versammelt war, was Petersburg an Intelligenz besaß, und seine Blicke schweiften von einer Seite zur anderen. Immer befürchtete er, ein geistreiches Wort von diesen vornehmen, selbstbewußten Persönlichkeiten zu überhören, und dann suchte er nach einer Gelegenheit, seine Meinung auszusprechen. Denn das ist die Schwachheit aller jungen Leute.

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