Letzte-Hilfe-Kurs

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Letzte-Hilfe-Kurs
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Martin Prein

LETZTE HILFE

KURS

Weil der Tod

ein Thema ist

Aufgezeichnet von

Anita Groß


Für R.

Inhalt

Cover

Titel

X AUFTAKT

DIE GESCHICHTE DES „LETZTE-HILFE-KURSES“ – UND MEINE EIGENE

Vom Sanitäter zum Bestatter

Der Tod – ein Tabuthema?

Warum wir alle einen Letzte-Hilfe-Kurs brauchen

X HINFÜHRUNG

WAS MACHEN DIE TOTEN MIT UNS LEBENDEN?

Die Strahlkraft der Leiche

Das Leichentabu – eine Spurensuche

Gibt es ein Leichengift?

Die kulturelle Dimension: Mythen und Abwehrrituale

Unerwünschter Grenzverkehr: von Wiedergängern und Nachzehrern

Das Gesetz der Serie?

Wenn die Ratio versagt

Die Aura des Todes und ihre Macht über uns

Das widersprüchliche Empfinden im Angesicht des Todes

X PRAXISTEIL 1

SOLIDARITÄT UND SELBSTBESTIMMTHEIT FÜR BETROFFENE

Was löst der Leichnam in uns aus?

Wenn das Abschiednehmen verwehrt bleibt

Schon ganz oder doch nicht ganz begreifen können?

Die Bedeutung des emotionalen Teppichs

Zu Selbstermächtigung und Solidarität finden

Die Wucht des Todes

Die Seele weiß, was sie kann, wenn sie darf

Und was ist mit den Kindern?

X PRAXISTEIL 2

BEGEGNUNGEN MIT BETROFFENEN

Trauern läuft nicht nach Schema F

Vom Druck, „das Richtige“ sagen zu wollen

Die Kraft der Sprachlosigkeit

Religiöse und spirituelle Fragen

Die eigene innere Haltung in der Begegnung mit Trauernden finden

So wie du fühlst, ist es gut!

Viele erleben Schuldgefühle, obwohl sie keine Schuld haben

Wir können kein Gramm Schmerz wegnehmen

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll!“

X AUSKLANG

WIE AUS DEM „LETZTE-HILFE-KURS“ EIN BUCH WURDE

X RECHTLICHE UND PRAKTISCHE INFORMATIONEN

Der Weg des Verstorbenen

Was passiert unmittelbar nach dem Tod mit dem Verstorbenen?

Welche Formen der Verabschiedung und Trauerfeier sind möglich?

Wie kann der Bestatter Angehörigen helfen, die richtige Verabschiedung zu finden?

Der Leichnam in der österreichischen Rechtsordnung

Verfügungsrecht beziehungsweise Verfügungsbefugnis über den Leichnam

Die Obduktion

Die Quintessenz aus dem Rechtlichen rund um den Leichnam

X ANHANG

Anmerkungen

Literatur

Hilfreiche Links im Trauerfall

Das Autorenteam

Impressum

Auftakt
Die Geschichte des „Letzte-Hilfe-Kurses“ – und meine eigene
VOM SANITÄTER ZUM BESTATTER

Was machen wir Lebenden mit dem Leichnam? Aber vor allem, was macht der Leichnam mit uns? Diese Fragen führten mich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Daraus entstanden der Letzte-Hilfe-Kurs und meine berufliche Selbstentfaltung als Thanatologe. Zutiefst dankbar stehe ich vor beiden Resultaten. Ich stelle mich an dieser Stelle so ausführlich bei Ihnen vor, damit Sie Einblick bekommen, woher die zahlreichen Beispiele, Erkenntnisse und Vermutungen stammen, die ich Ihnen anbieten werde. Alle Erfahrungen, die ich in den Letzte-Hilfe-Kurs eingearbeitet habe, entspringen der langjährigen Begleitung betroffener Angehöriger als Bestatter und als Mitarbeiter in der Krisenintervention, aus den zahlreichen Fortbildungsseminaren mit Pflege- und Einsatzkräften sowie der Supervision mit diesen, aus der intensiven Forschung auf dem Feld der Leichenberufe, aus der Arbeit mit trauernden Angehörigen in der Nachsorge beziehungsweise meinem immer noch aktuellen Angebot der Entlastungsgespräche.

Meine ersten Berührungspunkte mit dem Tod hatte ich schon in jungen Jahren: Ich absolvierte meinen Zivildienst bei einer Rettungsorganisation und blieb danach dort auch ehrenamtlich tätig. Mein Brot verdiente ich in diesen Jahren als Lkw- und Busfahrer. Mein ursprünglich erlernter Beruf war allerdings Kaminkehrer gewesen. In der Rettungsorganisation war ich ab Ende der 1990er-Jahre zusätzlich als Mitarbeiter der Krisenintervention im Einsatz. Die Krisenintervention ist ein Hilfsangebot für akut Betroffene nach dem Tod eines geliebten Angehörigen in den ersten Stunden. Schlagartig wurde ich mit voller Wucht mit dem Tod konfrontiert. Dabei stand ich vor folgender Herausforderung: Hier der Verstorbene, da die hilflosen Angehörigen. In einer solchen Situation diesen sichtbar werdenden, ohnmächtigen Schmerz mitansehen und halten beziehungsweise aushalten zu müssen, dabei zu spüren, dass man für die Betroffenen nichts tun, mit keinem Wort diesen unsäglichen Schmerz erträglicher machen kann, bedeutet auch für den nicht unmittelbar Betroffenen eine Erschütterung bis in seine eigenen existenziellen Untiefen. Der Tod als die bedingungsloseste, unwiederbringliche Form, verlassen zu werden, bringt uns das Ausgeliefertsein auch im eigenen Leben mit brachialer Gewalt zur Kenntnis.

Bei der Krisenintervention kommt man unweigerlich in Kontakt mit den Bestattern, die den Verstorbenen vom Ort des Geschehens abholen. Sie faszinierten mich und ich dachte mir: „Das ist auch ein Beruf, Leichen abholen? Was sind das für Menschen, die tagtäglich mit dieser Unmittelbarkeit des Todes konfrontiert werden? Was geschieht nun mit den Angehörigen in den nächsten Tagen? Was passiert vor allem mit dem Leichnam?“ Meine Neugierde war geweckt. Die führte dazu, dass ich kurzerhand einem Bestattungsinstitut einen Besuch abstattete und fragte: Wie wird man eigentlich Bestatter? „Na ja“, bekam ich zur Antwort, „man fängt einfach an.“ Es gäbe keine spezielle Ausbildung. Also fragte ich, ob ich anfangen könnte. Zu meinem Glück wurden gerade Bestatter gesucht.

 

Während dieser ersten Erfahrungen im Bestattungsgewerbe wurde mir klar, dass ich eine weitere berufliche Ausbildung machen wollte. Ich absolvierte berufsbegleitend die Studienberechtigungsprüfung und ging dann in eine andere Stadt, um dort Psychologie zu studieren. Nach den ersten Wochen war ich auf der Suche nach einem Nebenjob. Wie es der Zufall wollte, führte mein täglicher Weg zur Universität an der städtischen Bestattung vorbei. Und wie schon früher zog es mich direkt hinein und ich fragte nach dem Chef. Der sah aus, wie man sich klischeehaft einen Bestatter vorstellt: schmale Statur, Hakennase, buschige Augenbrauen, eine Brille wie eine Eule, schwarzer Anzug. Ich bot mich als Aushilfskraft an und erhielt eine Abfuhr: „Wir haben unsere Leute, Aushilfskräfte haben wir noch nie gebraucht“, teilte mir der Uhu mit. Aber er notierte sich dann doch meine Daten. 14 Tage später klingelte mein Telefon und ich war engagiert. Daraus wurde ein richtiger Job, ich arbeitete hauptberuflich als Bestatter und studierte nebenbei. Zehn Jahre lang. Verstorbene abholen, wo immer sie auch versterben: auf der Straße, im Altersheim, zu Hause, im Krankenhaus. Dann die Tätigkeit mit den Hinterbliebenen – „den Trauerfall aufnehmen“, wie man in der Branche sagt. Mit den Angehörigen alles rund um den Trauerfall organisieren, wann und welche Bestattungsform, welcher Sarg und so weiter. Und die Bestattung selbst.

Es ergab sich, dass ich in ein modernes Bestattungsunternehmen wechselte, dessen Chef sehr engagiert war. Es war ihm ein Anliegen, dass wir die Hinterbliebenen über die üblichen Angebote hinaus bestens betreuen. Er ließ mir alle Freiheiten und meinte: „Mit deinen Erfahrungen im Rettungsdienst, in der Krisenintervention und in der Psychologie kannst du alles tun, was du für richtig hältst.“ Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Das Erste, wo ich mir sofort dachte, da müsste man etwas ändern, waren die sogenannten Haussterbefälle – also, wenn jemand daheim verstirbt. Meist verständigt dann ein Angehöriger den Bestatter. Dieser nimmt zwar den Anruf entgegen, fährt aber nicht sofort hin, sondern verständigt zuerst den Totenbeschauer. Denn ohne Totenbeschau dürfen die Bestatter den Verstorbenen nicht abholen. 1

In der Praxis lief es so ab, dass der Totenbeschauarzt uns die Uhrzeit nannte, wann er vor Ort sein werde, und wir dann ebenfalls um diese Zeit am Einsatzort waren. Sehr oft kam es aber vor, dass wir vor dem Totenbeschauarzt eintrafen, und dabei bot sich uns immer wieder folgendes Bild: Der Verstorbene lag im Schlafzimmer und seine Witwe saß alleine in der Küche und wartete, bis endlich Totenbeschauarzt oder Bestatter eintrafen. Dieser Zeitraum konnte zwei oder sogar mehr Stunden betragen. Da sagte ich mir: „Dass Menschen in den ersten Stunden nach Todeseintritt eines Angehörigen völlig alleine zu Hause sitzen, geht nicht, das muss uns Bestatter etwas angehen.“ In der Folge rief ich immer, wenn wir über einen Haussterbefall informiert wurden, gleich zurück und sagte: „Wir haben den Totenbeschauer verständigt, der kommt erst in frühestens zwei Stunden und wir auch, aber wenn Sie wollen, kann ich sofort vorbeikommen.“ Das wurde gerade von den Angehörigen, die in dieser Akutsituation alleine zu Hause waren, sehr gerne in Anspruch genommen.

Ein weiteres Angebot, das ich ins Leben rief, war ein persönlicher Brief etwa einen Monat nach der Bestattung. Darin stand, wie es den Betroffenen einen Monat nach dem Todesfall eines geliebten Menschen möglicherweise gehen kann und in dem ich die Möglichkeit eines Entlastungsgesprächs anbot. Viele Angehörige möchten sich „ausweinen“ können, ohne dass jemand aus dem Umfeld (aus Hilflosigkeit der Trauer gegenüber) ihren Schmerz negiert oder relativiert. Mein Angebot sollte den Betroffenen die Möglichkeit geben, über ihren Schmerz des Verlustes zu sprechen oder wortlos darüber zu weinen. Dies eben ohne Worte des „Trostes“, die meistens darauf abzielen, den Schmerzausdruck anzuhalten. Merkte ich bei diesen Entlastungsgesprächen, dass es um „mehr“ geht, für die Hinterbliebenen eine längere Begleitung durch Trauerexperten sinnvoll wäre, konnte ich auf ein gutes Netzwerk von Priestern, Psychotherapeuten und Hospizbegleiterinnen zurückgreifen. In solchen Fällen legte ich den Betroffenen nahe, sich mit einem dieser Experten in Verbindung zu setzen, oder ich stellte für sie den Kontakt her.

DER TOD – EIN TABUTHEMA?

Die bisherigen Schilderungen erklären aber noch nicht, wie ich zu meinem Letzte-Hilfe-Kurs kam, der nun in Buchform vor Ihnen liegt. Dazu trug etwas bei, das ich bei meiner Arbeit als Bestatter bemerkte und das meinen Forschergeist zu beschäftigen begann: die Reaktionen auf meinen Beruf. Ein Bestatter kommt ja auch mit anderen Berufsgruppen in Kontakt, mit Einsatzkräften, Pflegepersonal, Ärzten, Polizisten etc. Dabei nahm ich sehr bald wahr, dass viele auf uns mit einer vorsichtigen Distanz bis hin zu unverhohlener Abscheu reagierten. Aus den Gesichtern ließ sich regelrecht ablesen: „Ihr komischen Typen, die ihr die Toten holt, wer weiß, was ihr für welche seid …“

Immer wenn es um geheimnisvoll anmutende oder mit einem Tabu belegte Berufe geht, entstehen Mythen und Geschichten, die an der Wirklichkeit weit vorbeigehen. Ich wollte dem entgegenwirken, indem ich aktiv auf die Leute zuging. Wenn sie wüssten, was ein Bestatter eigentlich macht, würden sie sich vielleicht ein wenig leichter mit uns tun, war meine Überlegung. Es war mir ein Bedürfnis, unseren Beruf und alles, was dazugehört, „sichtbarer“ zu machen, um dieser Scheu ein wenig die Basis zu entziehen. So lud ich diese Berufsgruppen ins Bestattungsinstitut ein, um ihnen tiefere Einblicke zu geben. Die meisten sind meiner Einladung gerne gefolgt.

Und wieder passierte etwas sehr Interessantes, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Ich gestaltete die Besuche immer so, dass wir uns zuerst in der Aufbahrungshalle zusammensetzten und ich aus dem Berufsalltag erzählte. Wie wir da so saßen, waren wir uns immer alle einig und nickten uns gedankenschwer zu: „Ja, der Tod gehört zum Leben, die Gesellschaft verdrängt den Tod – aber wir nicht!“ Danach ging es in den Keller und ich zeigte den Besuchern das Sarglager, unseren Obduktionsraum und natürlich den Kühlraum, wo die Leichen aufbewahrt werden. Wenn wir in diesem Kühlraum standen, vor den vielen Türen zu den Kühlfächern, unterlegt vom Surren des Kühlaggregats, dem intensiven Desinfektionsmittelduft und einem Verdacht von Leichengeruch, wurde dieses zuvor in der Aufbahrungshalle geäußerte „der Tod gehört zum Leben“ plötzlich wackelig – ausgelöst durch das Moment der räumlichen Nähe zu den toten Körpern. Das erstaunte mich, und ich sagte den Pflege- oder Einsatzkräften: „Na ja, ihr habt ja auch mit Verstorbenen zu tun, ihr müsst mit den Toten umgehen.“ In den Gesprächen kam dann heraus, dass die direkte und unmittelbare Begegnung mit dem Leichnam doch noch einmal eine andere Nummer ist.

„Die Bewohner im Sterben zu begleiten, das geht“, hörte ich oft von Pflegekräften. Natürlich sei das schon eine große Herausforderung, aber das Thema Palliativtherapie und Hospiz sei mittlerweile gut in Aus- und Fortbildungen verankert. Aber, so der typische Nachsatz: „Hoffentlich stirbt niemand, wenn ich Nachtdienst habe.“ Womöglich in der ersten Nachthälfte, wenn die Leiche erst am Morgen abgeholt wird. Der Tote hinten im Zimmer ist dann doch eine Herausforderung. Erst diese Gespräche über die Begegnung und den Umgang mit dem toten Körper öffneten mir die Augen. Denn uns Bestattern ist das in Wahrheit ja auch nicht immer egal, legen wir doch auch die eine oder andere Bewältigungsstrategie an den Tag.

Mittlerweile hatte ich mein Studium beendet und konnte auch aus wissenschaftlicher Sicht an den Leichnam herantreten, konkreter an das psychologische Phänomen: Was macht der tote Körper eigentlich mit uns Lebenden? Auf der Suche nach Antworten war es ganz interessant, dass der Leichnam in unserer gegenwärtigen Kultur gleichsam nicht existiert. Er ist nahezu unsichtbar und wird relativ rasch dem Blickfeld der Lebenden entzogen. Vielleicht können sich die Betroffenen im Altersheim, im Krankenhaus noch verabschieden, je nachdem, wie es in der jeweiligen Institution gelebt wird. Und alles, was die Hinterbliebenen dann noch haben, sind Pfarrer, Sarg und Friedhof. Dazwischen ist es meistens finster, die Leiche liegt buchstäblich im Dunkeln.

Was ich besonders erstaunlich fand: Der Leichnam kommt in den Sozialwissenschaften und auch in der Psychologie kaum vor. Es gibt tonnenweise Arbeiten und Literatur zum „Vorher“ – zu den Themen Palliativ, Hospiz, Sterbebegleitung und allem, was dazugehört. Und zum „Nachher“, der Trauer. Aber für diesen kleinen Ausschnitt dazwischen, der Begegnung mit dem Körper gewordenen Tod und was er mit uns macht, gab es so gut wie nichts. Und so beschloss ich: Dann mache ich etwas. Ich meldete mich an der Universität für das Doktorat an. Eine Feldforschung, in deren Rahmen ich mir in drei Bundesländern über ein paar Jahre hinweg die sogenannten Leichenberufe näher ansah: Bestatter und Obduktionsassistenten („Kellerprimare“)2. Meine Arbeit ist mit der eines Ethnologen beziehungsweise Soziologen, der sich in eine bisher unerforschte, fremde Kultur begibt, vergleichbar. In diesem Forschungsfeld interessierte mich: Was machen diese Berufskräfte mit dem Leichnam? Aber noch viel interessanter war zu ergründen: Was macht der Leichnam mit ihnen?

2011, einige Monate nach dem Besuch einer Rettungsorganisation im Bestattungsinstitut, meldete sich deren Leiter bei mir. Er sagte, der Einblick ins Bestattungswesen habe seinen Mitarbeiterinnen aus dem Rettungs- und mobilen Pflegedienst gut gefallen und vor allem für ihre Arbeit sehr viel gebracht. Er fragte mich, ob ich nicht für sie ein Tagesseminar im Sinne einer Fortbildung veranstalten könnte. Ich entgegnete, dass ich keine Ahnung hätte, was ich einen Tag lang tun beziehungsweise was ich eventuellen Teilnehmerinnen anbieten sollte. Doch der Leiter blieb hartnäckig und ich stimmte letztendlich zu, entwickelte ein Konzept.

Das Seminar kam zu meiner Freude, aber auch zu meiner Verwunderung, sehr gut an. Daraufhin traute ich mich, es auch anderen Organisationen anzubieten. Ich konzipierte einen Flyer, nannte das Seminar „An der Seite der Toten“ und kontaktierte vornehmlich Berufsgruppen, welche in ihrer Tätigkeit sehr intensiv mit dem Tod in Berührung kommen, die mit dem Leichnam und in einem ersten Moment mit den hinterbliebenen Angehörigen umgehen müssen. Das Seminar stieß sehr rasch auf reges Interesse. Ich machte mich selbstständig, arbeitete aber zunächst nebenher immer noch in einer Bestattung.

Sehr schnell lud man mich auch zu Abendvorträgen in Gemeinden ein, wo ich vor einer interessierten Öffentlichkeit referieren durfte. Nach solchen Vorträgen kamen dann immer viele Zuhörerinnen zu mir und meinten: „Das, was du da erzählst, muss man einmal gehört haben, das braucht ja jeder!“ Und sie sagten, sie würden auch ein Tagesseminar absolvieren wollen. Anfangs winkte ich immer ab, denn das Seminar war in erster Linie für die genannten Berufsgruppen gedacht. Doch die Nachfrage wurde immer größer, und es war klar, ich musste ein Seminar für alle Interessierten anbieten. Doch dafür musste ein anderer Seminartitel erdacht werden: So entstand der „Letzte-Hilfe-Kurs“.

WARUM WIR ALLE EINEN LETZTE-HILFE-KURS BRAUCHEN

Dass wir alle einen Erste-Hilfe-Kurs brauchen, ist klar und wird kaum in Abrede gestellt. Auch wenn es gar nicht so unwahrscheinlich ist, dass man das darin Erlernte nie in seinem Leben anwenden muss. Aber, so mein Argument: Einen Letzte-Hilfe-Kurs brauchen wir zu hundert Prozent. Denn es kann gar nicht sein, dass man mit dem Thema Tod nicht konfrontiert wird. Weil man im eigenen Familienkreis geliebte Menschen an den Tod verliert oder Mitmenschen, die einen schweren Verlust zu betrauern haben, begegnet. Wir können überall auf akut Trauernde treffen: die beste Freundin, deren Bruder sich kürzlich das Leben nahm, der Nachbar, dessen Frau vor wenigen Tagen verstarb, die Arbeitskollegin, deren Sohn einen tödlichen Unfall hatte. Und wir begegnen ihm nicht erst irgendwann vielleicht einmal, sondern oft sogar täglich.

 

Ich bezeichne mich übrigens nicht als Psychologe oder Bestatter, sondern als Thanatologe. Die Thanatologie versteht sich als die Wissenschaft vom Tod, Sterben und von der Bestattung in ihren soziologischen und psychologischen Aspekten. Es handelt sich um kein eigenes Studienfach. Immer, wenn sich Sozial- oder Kulturwissenschaftler intensiv damit forschend und lehrend beschäftigen, kann man das als Thanatologie beziehungsweise diese als Thanatologen bezeichnen. Folgen Sie mir in die Welt des Letzte-Hilfe-Kurses. Ich hoffe sehr, dass Sie für sich vieles mitnehmen können – einfach nur, weil wir Menschen und vor allem Mitmenschen sind.

Dazu darf ich Sie gleich zum Leichnam hinführen, den wir mit mindestens zwei Brillen betrachten können. Die erste ist die rational-sachliche, die biologisch-medizinische: Wann ist überhaupt jemand tot? Ich möchte Sie aber einladen, zunächst die andere Brille aufzusetzen, die phänomenologisch-psychologische: Was macht der tote Körper mit uns Lebenden? Diese Brille ist notwendig, um uns und andere in der Begegnung mit dem konkreten Tod voller Verständnis betrachten zu können. Um schon eine erste Spur zu legen, was damit gemeint sein könnte: Manche kennen das Gefühl, dass man ganz anders in einen Raum hineingeht, in dem ein Verstorbener liegt. Viel ruhiger, leiser, andächtiger.

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