Das Tagebuch eines Irren

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Inhaltsverzeichnis

Über den Autoren

Das Tagebuch eines Irren

Impressum

Das Tagebuch eines Irren

Walther Kabel

Über den Autoren

Walther August Gottfried Kabel war ein deutscher Unterhaltungsschriftsteller. Er gilt als einer der meistgelesenen deutschen Volks-Schriftsteller der 1920er Jahre.

Das Tagebuch eines Irren

Am Abend des 19. Oktober 1827 spannte sich über dem altberühmten, an der Westküste der griechischen Halbinsel Morea gelegenen Hafen von Navarino ein wolkenloser, sternbesäter Himmel aus, der sich in der kaum bewegten See mit flimmernden, hin und her schießenden Pünktchen widerspiegelte und die dort ankernde ägyptisch-türkische Flotte in ein ungewisses Dämmerlicht eintauchte. Nur eine in weitem Bogen aufgestellte stattliche Anzahl von hochbordigen Schiffsrümpfen war zu erkennen – die Linienschiffe, vor denen in größeren Abständen wieder eine zweite Reihe kleinerer Schoner als Vorposten an ihren Ankerketten träge schaukelte. Die abendliche Stille wurde nur selten durch die taktmäßigen Ruderschläge eines den Verkehr mit dem Lande unterhaltenden Bootes, die leisen Klänge eines Matrosenliedes oder das Knarren der Rahen unterbrochen.

Der warme Küstenwind trug vom Strande die berauschenden Düfte der schon im Altertum bekannten Rosengärten von Pylos bis zur Flotte hinüber, jenes Pylos, das zwar im Mittelalter seit der Ansiedlung der Navarresen den Namen gewechselt, damit aber weder sein wunderbar mildes Klima noch den Reichtum einer üppig wuchernden, halbtropischen Pflanzenwelt verloren hatte. Von dem kleinen Städtchen selbst waren in dem Abenddunkel nur die Umrisse der meist weiß gestrichenen, niedrigen Häuschen und einige größere, dicht am Hafen gelegene Lagerschuppen englischer und Hamburger Handelsfirmen zu sehen.

Dieses Bild heiteren Friedens störte jedoch bald der landeinwärts am nächtlichen Horizont hie und da aufzuckende rötliche Feuerschein, der seiner Helle nach nur von dem Brande ganzer Dörfer und Gehöfte herrühren konnte. Bisweilen durchzitterte die Luft auch der ferne Schall von Kanonenschüssen wie das Grollen eines heraufziehenden Gewitters.

Soeben war vor einem der in der vordersten Linie liegenden türkischen Wachtschiffe von See aus ein Kutter aufgetaucht, worin neben dem das Steuer führenden Midshipman ein höherer englischer Marineoffizier in großer Uniform saß. Das Boot wurde rechtzeitig angerufen, legte sich für wenige Minuten langseit des Türken und setzte dann seine Fahrt nach dem Linienschiff »Alexandria« fort, auf dem der Kapudan-Bei, der Oberbefehlshaber der ägyptisch-türkischen Flotte, seine Flagge gehißt hatte.

Bald darauf stand der Engländer in der mit echt orientalischem Prunk ausgestatteten Kapitänskajüte der »Alexandria« dem Bei gegenüber. Der geschmeidige Türke bot dem Besucher mit etwas übertriebener Höflichkeit einen Sitz auf einem der niedrigen Diwans an, den dieser jedoch mit kühler Verbeugung ausschlug, um sofort ohne Zögern sich seines Auftrags zu entledigen.

»Auf Befehl des Admirals Sir Codrington, des Höchstkommandierenden der vereinigten französischen, russischen und englischen Geschwader, habe ich Eurer Exzellenz folgendes zu melden: Nachdem die drei verbündeten Regierungen sich in dem Londoner Vertrage dahin geeinigt hatten, daß aus dem seit Jahren um seine Freiheit kämpfenden Griechenland fortan ein Vasallenstaat der Türkei mit autonomer Verwaltung zu bilden sei, ist diese Abmachung der Pforte zur Erklärung unterbreitet worden. Bis zum Eintreffen der Entscheidung Ihrer Regierung auf diese wohlgemeinten Vorschläge sollten, wie zwischen dem Oberbefehlshaber der türkischen Land- und Seestreitkräfte, Ibrahim Pascha, und Sir Codrington vereinbart wurde, alle Feindseligkeiten eingestellt werden. Dieser Waffenstillstand ist von türkischer Seite nicht beachtet worden. Nach uns zugegangenen sicheren Meldungen hat man vielmehr die Verwüstung des Landes, das Niederbrennen von Ortschaften und Hinschlachten wehrloser Bewohner fortgesetzt.«

Der Kapudan-Bei hatte bisher mit stoischer Ruhe zugehört. Nur aus seinen kleinen, halbzugekniffenen Augen traf den Engländer zuweilen ein prüfender Blick. Jetzt erhob er aber, als wollte er diese Anschuldigung entrüstet von sich weisen, abwehrend die Hände.

Doch der andere ließ ihn nicht zu Wort kommen. Mit erhobener Stimme sprach er weiter: »Oder wollen Exzellenz etwa behaupten, daß der am nördlichen Horizont deutlich sichtbare Feuerschein und der herüberklingende Geschützdonner von Freudenfesten herrühre, die die Bewohner dieses armen Landes aus Anlaß der endlichen Waffenruhe feiern?«

Der Türke schwieg verlegen, und ehe er sich zu einer Erwiderung aufraffen konnte, hatte der englische Offizier schon ein versiegeltes Schreiben hervorgezogen und hielt es dem Kapudan-Bei jetzt dicht vor das verlegene Gesicht.

»Dieses Schreiben,« erklärte er schneidend, »enthält folgendes Ultimatum: Sollte Ibrahim Pascha bis morgen mittag zwölf Uhr meinem Admiral nicht den Beweis dafür erbracht haben, daß die strengsten Befehle gegeben sind, um den bestehenden Waffenstillstand auch tatsächlich durchzuführen, so werden die drei verbündeten Mächte sich genötigt sehen, ihrem Willen durch Zwangsmaßregeln Geltung zu verschaffen. Dieses Ultimatum bitte ich Ihrem Oberbefehlshaber, dessen Hauptquartier sich wohl noch in Navarino befindet, möglichst umgehend zukommen lassen zu wollen.«

Darauf verließ der Engländer nach kurzer Verbeugung die Kajüte, durchschritt das nur schwach beleuchtete Batteriedeck und stieg das Fallreep hinunter in sein Boot, ohne von dem ihn begleitenden türkischen Admiral und der präsentierenden Schiffswache irgendwelche Notiz zu nehmen. Dann ein helles Kommando, die Ruder tauchten ein, und der Kutter mit der stolzen Flagge am Heck war bald in der Richtung nach der Hafeneinfahrt in der Dunkelheit verschwunden.

Der Kapudan-Bei eilte jetzt hastig auf das Achterdeck, wo ein Mann, eingehüllt in einen dunkelbraunen Burnus, der offenbar seine reichgestickte Uniform verdecken sollte, an der Reling lehnte. Dieser Mann mit dem gebräunten, scharfgeschnittenen Gesicht war niemand anders als Ibrahim Pascha, der Stiefsohn des Vizekönigs Mehemed Ali von Ägypten, der Erstürmer von Missolunghi, des Bollwerkes von Westhellas, und der gefährlichste Gegner des griechischen Freiheitsgedankens.

Eine ganze Weile sprachen die beiden flüsternd miteinander. Als sich Ibrahim Pascha dann wieder an Land rudern ließ, hatte sich die Stirn des Beis sehr nachdenklich gekraust.

In seine Kajüte zurückgekehrt, riß er mehrmals ungeduldig an einer Klingelschnur, die neben der leise hin und her pendelnden Deckenlampe hing. Wenige Sekunden später wurde der schwere, golddurchwirkte Vorhang vor der in den Nebenraum führenden Tür beiseite geschoben und lautlos glitt ein in weite seidene Gewänder gekleidetes Männlein herein, dessen intelligentes Gesicht das Groteske seiner knabenhaften, verkrümmten Gestalt mit dem übergroßen Kopf fast übersehen ließ.

Dieser Zwerg, der in seinen bunten Kleidern an einen jener Possenreißer erinnerte, wie sie im Mittelalter an Fürstenhöfen gern gehalten wurden, war der Geheimsekretär und vertraute Ratgeber des Kapudan-Beis. Er hieß Joseph Meinert, stammte aus der alten Hansestadt Danzig und war, seines Zeichens eigentlich Barbier, nach abenteuerlichen Irrfahrten nach Konstantinopel gekommen, wo er zum Islam übertrat und so aus einem Joseph ein Jussuf wurde. Nachdem er sich als Arzt, Teppichhändler und in mehreren anderen Berufen versucht hatte, nahm er bei dem Bei zuerst als Koch Dienste, um bald infolge seines Scharfsinns und seiner Sprachkenntnisse bis zu seiner jetzigen Stellung aufzurücken. Sein Alter zu bestimmen war schwer, denn sein farbloses, faltiges Gesicht mit dem spärlichen grauen Schnurrbart und den stets halb verschleierten Schlitzäuglein machte einen fast greisenhaften Eindruck, während die geschmeidige Beweglichkeit der kleinen Gestalt noch jugendlich wirkte.

Der Kapudan-Bei hatte sich nach dem Eintritt seines Sekretärs aufseufzend auf einen Diwan fallen lassen und strich jetzt mit der Hand nervös durch den dunklen Vollbart, wobei er den Kleinen ebenso lauernd musterte wie vorher den englischen Offizier.

»Was sagst du zu der Botschaft Codringtons?« begann er dann mißmutig. – »Du hast doch sicher gehorcht!« setzte er spöttisch hinzu.

»Nicht gehorcht, aber doch alles gehört, da ich nebenan den Bericht an den Padischah schrieb und der Engländer laut genug sprach!« erwiderte der Bucklige ohne die geringste Unterwürfigkeit, eher etwas gereizt, und kreuzte nachlässig die langen Arme über der Brust. Er verstand es schon, mit seinem Herrn umzugehen.

Der Bei lenkte auch schnell begütigend ein. »Du weißt, ich habe kein Geheimnis vor dir, Jussuf. Daß du neugierig bist, verüble ich dir keineswegs. Nur mich brauchtest du nicht gerade zu belauern! Du erfährst ja doch alles von mir. Und nun sage mir, was du von unserer Lage denkst.«

Der Kleine schien zu überlegen. In Wirklichkeit war er schon wenige Minuten, nachdem der englische Marineoffizier die »Alexandria« verlassen hatte, über seine Stellungnahme zu der jetzt drohenden Katastrophe mit sich ins Klare gekommen. Daß er seine genaue Kenntnis der politischen Absichten der Pforte, die er hauptsächlich der Vertrauensseligkeit seines Herrn verdankte, schon seit Jahren noch in anderer Weise ausnutzte, ahnte niemand. Er hatte an dem gefährlichen Spiel, das ihn schon mehrmals korrigierend in das Getriebe der Weltgeschichte eingreifen ließ, Gefallen gefunden und wollte auch jetzt gemäß den Instruktionen, mit denen ihn der von ihm bediente Staat fortlaufend versah, nach Möglichkeit den Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen den Verbündeten und der Türkei verhindern.

 

So sagte er denn eindringlich, indem er noch einen Schritt näher auf den ihn erwartungsvoll anblickenden Bei zutrat: »Ich habe schon immer davor gewarnt, den europäischen Mächten Gelegenheit zu geben, sich in unsere Verhältnisse einzumischen. Als unsere Kriegführung gegen die aufrührerischen Griechen im Abendlande stets wachsende Entrüstung hervorrief, als die philhellenische Begeisterung dann durch Könige und Gelehrte angefacht wurde und sich nicht allein in reichlichen Geldunterstützungen betätigte, da sah ich bereits diese sogenannte Hilfsaktion der Staaten Europas wie ein drohendes Gespenst auftauchen. Sie nennen’s Hilfsaktion! In Wahrheit sehnen sie nur den Augenblick herbei, wo sie von dem Reiche des Sultans wieder ein Stück abtrennen und die Kraft des einst so gefürchteten Riesen noch mehr schwächen können. Und diese Gelegenheit hat Ibrahim Pascha ihnen jetzt gegeben! Ich bin fest überzeugt, wenn er nicht bis morgen mittag eine ausreichende Erklärung an Bord des englischen Flaggschiffes sendet, so werden wir für unseren Bruch des Waffenstillstandes einen unangenehmen Denkzettel in Form einiger hundert gutgezielter Kanonenschüsse erhalten.«

Der Bei hatte sich erschreckt aufgerichtet. »Du meinst also wirklich, daß sie Ernst machen werden?« fragte er.

»Bin ich jemals ein schlechter Prophet gewesen?« gab Jussuf achselzuckend zurück. »Was jetzt kommen wird, weiß ich genau, da ich des Paschas übermütigen Leichtsinn kenne. Er wird seine Erwiderung auf das ihm gestellte Ultimatum in eine Form fassen, die den Verbündeten nicht genügt, und dann haben wir morgen den Kampf. Die feindliche Flotte ist uns in jeder Hinsicht überlegen, also kann der Ausgang kaum zweifelhaft sein. Mit dieser Niederlage geht dem Sultan aber auch Griechenland verloren, und all die Opfer an Geld und Menschen sind vergeblich gebracht!«

Der Kapudan-Bei sprang auf und durchmaß erregt die geräumige Kajüte. Meinert verfolgte ihn jetzt mit Blicken, in denen deutlich eine spöttische Geringschätzung zu lesen war.

Sein Herr bemerkte davon nichts. Doch nicht die Sorge um das Wohl seines Vaterlandes ließ den Bei unruhig hin und her gehen. Seine habgierigen Gedanken suchten nur einen Plan, wie er am besten die aufgestapelten Schätze in Sicherheit bringen konnte.

Endlich schien er zu einem Entschluß gekommen zu sein. Er blieb vor seinem Vertrauten stehen und sagte mit unterdrückter Stimme: »Du hast recht, Jussuf! Ibrahim Pascha verkennt die Gefahr. Vergeblich habe ich heute wieder auf ihn eingeredet. Er glaubt nicht daran, daß das Ultimatum ernst gemeint ist, hält es für eine bloße Drohung, die für uns ohne Folgen bleiben wird. Und ich muß seinem Befehle gehorchen und morgen früh einen meiner Offiziere zu Sir Codrington mit der Nachricht schicken, daß das Schreiben dem Pascha nicht hat zugestellt werden können, da er sein Hauptquartier inzwischen verlegt habe und nicht so schnell zu erreichen sei. So gedenkt Ibrahim die Verbündeten hinzuhalten.«

Da lachte der Bucklige ärgerlich auf. »Als ob der schlaue Engländer solchen Ausflüchten Glauben schenken würde! Seine Antwort gibt er uns mit seinen Geschützen!«

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