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Die Mohicaner von Paris

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»Amen!« sprach die Menge.

Der Abbé schüttelte aufs Neue den Fichtenzweig und reichte ihn sodann dem Grafen von Penhoël.

Am Rande des Grabes stehend, empfing dieser den Zweig aus den Händen des Mönches, und ließ um sich her einen erhabenen Blick der Traurigkeit, des Stolzes und der Verachtung lausen; dann sprach er mit Anfangs dumpfer, allmählich aber zu den höchsten Noten emporsteigender Stimme:

»O meine Ahnen! Ihr, die Ihr in Euren Riesenkämpfen mit Eurem edlen Blute jedes Körnchen von diesem Sande besprengt habt, was sagt Ihr hierzu, o meine Ahnen? War es der Mühe werth, ein Geschlecht von Eroberern zu sein, Jerusalem mit Gottfried von Bouillon, Constantinopel mit Baudouin, Damiette mit dem heiligen Ludwig zu nehmen; war es der Mühe werth, Eure Leichname auf allen Straßen auszustreuen, welche nach der Schädelstätte führen, damit ein christliches Begräbniß von christlichen Priestern Eurem letzten Abkömmling verweigert werde? . . . O meine Ahnen, mit dem Schatten Eurer Tugenden, wie eine große Eiche mit dem Schatten ihrer ungeheuren Aeste, habt Ihr die ganze Bretagne bedeckt, und nun verweigert man Eurem Sprößling einen Winkel von dieser Erde, die Ihr beschattetet! . . . O meine Ahnen! ist es nicht eine große Traurigkeit und ein jämmerliches Ding, diesem edlen Kinde, das mein einziger und vielgeliebter Sohn war, den Eingang in die Gruft seiner Väter verweigern zu sehen, während Gott, vielleicht minder streng als die Menschen, ihm den Eintritt in den Himmel nicht verweigern wird? . . . O meine Ahnen! Euch beschwöre ich! Entscheidet, ob dieser letzte Penhoël unwürdig ist, an der Seite der übrigen Familie zu ruhen. Versammelt Euch im Rathe, erhabene, reine Schatten; in der Welt, die Ihr bewohnt, ruft Euch bei Euren Namen, von Colombau dem Starken, der aus der Ebene von Poitiers, die Saracenen zurückschlagend, im Jahre 732 getödtet wurde, bis aus Colombau den Loyalen, der 1793 seinen Kopf aufs Schaffot trug und mit dem Ausrufe starb: ›Ehre sei Gott im Himmel! Friede den Menschen von gutem Willen aus der Erde!‹ versammelt Euch und richtet ihn, Ihr, die einzigen Richter, die ich anerkenne. Richtet denjenigen, dessen Grab ich so eben gegraben habe, denjenigen, welchen ich in diese Erde niedergelegt habe, denjenigen endlich, dessen Sarg ich mit dem Wasser des Himmels besprenge, das vom Herrn in der Höhlung eines Felsens aufbewahrt worden ist! – Ich, der ich nicht sein Richter bin, ich, der ich sein Vater bin, verzeihe ihm und segne ihn!«

Und diese Worte vollendend, schüttelte er den Fichtenzweig über dem Grabe, und wollte ihn sodann Hervey reichen; doch das war mehr, als der arme Vater ertragen konnte: sein Gesicht bedeckte sich mit einer Todesblässe, seine Stimme verschied in seiner Kehle, ein herzzerreißender Schrei drang aus seiner Brust hervor, und er sank auf den Sand wie eine durch einen Wetterstrahl gebrochene Eiche.

CXLVI
Das Leichenmahl

Eine Viertelstunde nach der Scene, die wir so eben erzählt, ohne die Prätension zu haben, sie malen zu wollen, ließ Hervey alle Personen, welche dem Leichenbegängnisse gefolgt waren, in das eintreten, was einst der Saal der Wachen war, ein ungeheures kreisförmiges, durch farbige Scheiben erleuchtetes Gemach, in welchem im Schatten die Wappen, die Schilde, die Rüstungen, die Banner und die Schwerter der ehemaligen Herren von Penhoël glänzten.

Der Mönch fehlte allein: man begreift, daß er beim alten Grafen geblieben war, weniger vielleicht, um Sorge für ihn zu tragen, als um mit ihm von Colombau zu sprechen und ihm über den Tod seines Sohnes Einzelheiten zu geben, die er nicht kannte.

Jeder setzte sich an die Wand.

Das Gespräch fand Anfangs mit leiser Stimme, bald aber ein wenig lauter statt. Der Aelteste der Gesellschaft, ein Greis mit weißen Haaren, der neunzig Jahre alt sein mochte und die fünf letzten Grafen von Penhoël gekannt hatte, erzählte sodann das, was er seine Vorfahren hatte erzählen hören, und was seine Vorfahren von ihren Altvorderen wußten, nämlich die Thaten der zehn letzten Grafen. Dann nahm eine alte Frau das Wort, und wie der Mann die Thaten der Grafen erzählt hatte, zählte sie die Tugenden der Gräfinnen aus.

In Erwartung des Herrn, über dessen Gesundheit sie die Gegenwart von Hervey beruhigte, that so Jeder sein Bestes, um gewaltig diese Vergangenheit von zehn Jahrhunderten zu loben, von deren Größe die Gegenwart geerbt hatte, und jede Erzählung machte, wie eine Elektrisirmaschine, einen Funken aus allen Herzen, eine Thräne aus allen Augen springen.

Der alte Hervey ging von Einem zum Andern, drückte herzlich den Anwesenden die Hand, und theilte, eine Erzählung an die andere anknüpfend, ebenfalls die Ereignisse mit, die er hatte erzählen hören, und deren Zeuge er gewesen war. Als er aber zu seinem jungen Herrn kam, als er, von seinem ersten Stammeln bis zu seinem letzten Seufzen, die reine, heilere Kindheit, die stürmische, bewegte Jugend des armen Colombau zu erzählen versuchte, da brach ein Schluchzen aus jeder Brust hervor.

Es war erst kurze Zeit, daß er nach Penhoël gekommen, daß Jeder ihn gesehen, ihn gegrüßt, ihm die Hand gedrückt, mit ihm gesprochen hatte! Allerdings hatte er Jedermann traurig geschienen! Doch wie weit war man davon entfernt, zu vermuthen, diese Traurigkeit sei tödlich!

Es ist eine Race, welche geht, die dieser großen Grafen mit den breiten Schultern, mit Beinen gebogen durch die Gewohnheit, zu reiten, mit einem in die Schultern, durch die Helme, welche aus dem Haupte ihrer Ahnen lasteten^ eingedrückten Kopfe; doch es ist eine Race, die auch geht, die dieser alten ergebenen Diener, welche beim Großvater geboren werden und beim Enkel sterben: mit solchen Menschen ließ der Vater, wenn er seiner Frau ins Grab folgte, seinen Sohn nicht allein im Hause.

Die Ehrfurcht, die man für den hingeschiedenen Greis gehabt hatte, ging in eine fromme Liebe für das verwaiste Kind über. Oft habe ich die gegenwärtige Generation diese achtungsvolle Zärtlichkeit der alten Diener, diese unbegränzte Ergebenheit dieser früheren Diener, die man, wie sie behauptet, nur noch aus dem Theater sieht, verspotten oder leugnen hören. Es ist Wahres hieran: die Gesellschaft, so wie sie uns die zehn Revolutionen gemacht haben, durch welche wir gegangen sind, ist nicht conservativ für solche Tugenden; vielleicht ist es aber eben so der Fehler der Herren, wie der der Diener, wenn sich die Dinge geändert haben. Diese Treue hatte viel von der des Hundes: die früheren Herren schlugen, streichelten jedoch. Heute schlägt man nicht mehr, man streichelt aber auch nicht mehr; man bezahlt, und man ist, gut oder schlecht, bedient.

Oh! die alten Hunde und die alten Diener, das sind noch die besten Freunde der stürmischen Tage! Welcher Freund ist so viel werth als ein Hund, wenn man traurig ist, ein Hund, der sich uns gegenüber setzt, der uns anschaut, der seufzt, der uns leckt?

Denken Sie sich unter einem großen Schmerze, an der Stelle dieses Hundes, der Sie so gut zu verstehen weiß, einen Freund, Ihren besten Freund: welche alltägliche Tröstungen, welche Rathschläge, die sich unmöglich befolgen lassen, welche endlose Raisonnements, welche hartnäckige Discussionen werden Sie nicht auszustehen gezwungen sein? In die redlichste und zarteste Sympathie eines Freundes für Ihren Schmerz schleicht sich immer eine Nuance von Egoismus ein; an Ihrer Stelle würde er nicht gehandelt haben wie Sie: er hätte Geduld gefaßt, temporisiert, widerstanden, was weiß ich? in jedem Falle aber hätte er sich anders benommen, als Sie sich benommen haben; mit einem Worte, er klagt Sie an, und während er Sie zu bemitleiden und zu trösten sucht, tadelt er Sie.

Doch die alten Hunde, doch die alten Diener, treue Echos Ihrer innersten Leiden, sie wiederholen dieselben, ohne sie zu erörtern, lachen und weinen, freuen sich und leiden mit Ihnen und wie Sie, und Sie sind ihnen nie etwas aus ihr Lächeln und aus ihre Thränen schuldig.

Die Generation, die uns vorhergeht, leugnet sie; die Generation, die uns folgt, wird nicht einmal davon haben sprechen hören. Die Hunde unserer Tage spielen Domino, und die Diener unserer Epoche aus Hausse und Baisse.

Wir bestehen hierauf, wie wir, seiner Zeit und gehörigen Ortes, aus den Mühlen bestanden haben; das ist auch ein Gebrauch, der geht, und den wir gern zurückhalten möchten, wie Alles, was es Gutes, Poetisches oder Großes in der Vergangenheit gab.

Der arme Hervey hatte nicht nur die Treue und die Ergebenheit dieser Hunde, mit welchen sie zu vergleichen wir einigen Menschen die Ehre anthun, sondern er hatte auch ihre Fähigkeiten.

Er hörte und erkannte den Tritt seines Herrn, der dumpf aus den sonoren Stufen der Treppe ertönte.

Bleich, das Gesicht von den Thränen durchfurcht, die er wieder zu sich kommend vergossen hatte, aber fest und ruhig, als wäre er nicht, wie Jacob, vom Engel des Schmerzes besiegt worden. erschien der Graf aus der Schwelle.

Der Abbé Dominique trat hinter ihm ein.

Der Graf grüßte diese Versammlung, wie er es bei einer Versammlung von Fürsten gethan hätte.

»Letzte Freunde meines Sohnes,« sprach er, »Ihr, die Ihr zu seinem Grabe den Namen der Penhoël geleitet habt, ich bedaure, Euch nicht würdiger in dem Schlosse meiner Väter empfangen zu können. Wir waren so betrübt, Hervey und ich, daß wir vielleicht nicht hinreichend für Eure Bedürfnisse gesorgt haben. Wollt gleichwohl in den Speisesaal eintreten und nach dem Gebrauche unserer alten Bretagne, von gutem Herzen und wie ich es Euch anbiete, das Leichenmahl annehmen.«

Hiernach ging er mit festem Schritte durch den Saal, ließ von Harvey beide Flügel der Thüre öffnen, die sich der gegenüber fand, durch welche er eingetreten war, und lud alle Anwesende, vom Pächter bis zum Ziegenhirten, ein, in den Speisesaal zu gehen.

Auf Gestellen lagen hier ungeheure eichene Bretter, welche einen Tisch bildeten und ein homerisches Mahl trugen. Es war an dem Tische weder ein oberes, noch ein unteres Ende. Man fühlte, daß die Gleichheit des Todes darüber hingegangen.

 

Der alte Graf setzte sich mitten an den Tisch und bedeutete dem Abbé Dominique durch einen Wink, er möge sich ihm gegenüber setzen.

Die Aeltesten stellten sich an seine Rechte und an seine Linke, und je nach dem Alter nahm jeder seinen Platz, blieb aber stehen.

Der Abbé Dominique sprach unter dem tiefsten Stillschweigen das »Benedicite, das im Chore von allen Anwesenden wiederholt wurde.

Dann sagte der Graf von Penhoël mit einer antiken Einfachheit:

»Meine Freunde, nehmet Platz bei diesem Mahle zu Ehren des Vicomte von Penhoël, mit demselben Gesichte, als ob er es wäre, der es Euch anböte.«

Hiernach reichte er sein Glas Hervey, der es füllte, hob es über den Kopf von Allen empor, und sprach:

»Ich trinke aus die Ruhe der Seele des Vicomte Colombau von Penhoël!«

Und Alle wiederholten:

»Wir trinken aus die Ruhe der Seele des Vicomte Colombau von Penhoël!«

Und das Mahl begann.

Für Jeden, der diesen alterthümlichen Gebrauch, welcher sich nicht nur in der Bretagne, sondern auch in einigen anderen Provinzen Frankreichs88 erhalten hat, nicht kennt, ist das Leichenmahl eine der rührendsten Scenen, an denen man Theil nehmen, oder die man erzählen hören kann. Die mächtige Resignation, mit der sich bei dieser Veranlassung wie mit einem Harnische die Familie des Todten waffnet, ist wahrhaft furchtbar. Man kann kaum begreifen, wie, – wahrend die Einsamkeit, diese natürliche Zuflucht der großen Schmerzen, ein paar Schritte von da ist, – die Familie sich die grausame Marter, ihre Thränen zurückzudrängen und die Schläge ihres Herzens zu unterdrücken, aufzuerlegen vermag; und dennoch ist die Zahl dieser freiwilligen Märtyrthümer groß, und in Bretagne besonders würde es sehr mißliebig angesehen, wollte man den unglücklichen Familien diesen Gebrauch, einen Ueberrest aus barbarischen Zeiten, der selbst in den entferntesten Tagen unerklärbar, streitig machen.

Nachdem das Mahl beendigt war, sprach der Abbé Dominique das Dankgebet, und Jedermann stand auf.

Der Graf von Penhoël ging auf die Thüre zu, deren zwei Flügel Hervey, – welcher, wohlverstanden, mit aller Welt am Tische gespeist hatte, – rasch öffnete.

Dann trat er zuerst hinaus, blieb aber an der Thüre stehen und lehnte sich an die Wand an.

Und als der erste Bauer aus dem Saale herauskam und an ihm vorüberging, sagte er zu ihm, indem er zum Zeichen der Dankbarkeit den Kopf neigte:

»Ich danke Dir So und so, daß Du meinen Sohn zu seinem Grabe begleitet hast.«

Und so fort bis zum letzten Anwesenden.

Der Letzte war der Abbé Dominique.

Der Graf von Penhoël verbeugte sich vor ihm, wie er es bei den Anderen gethan hatte, und wie er den Anderen gedankt hatte, so dankte er auch ihm; als aber diese Pflicht erfüllt war, legte er seine Hand aus die Schulter des Mönches, heftete einen flehenden Blick aus ihn und sprach nur die zwei Worte:

»Mein Vater . . . «

Der Mönch verstand besser noch als die zwei Worte den Blick.

»Ich werde die Ehre haben, einige Zeit bei Ihnen zu bleiben, Herr Graf, wenn Sie es wünschen,« sagte er.

»Ich danke, mein Vater,« antwortete der alte Edelmann. Und nachdem er zum letzten Male den Anwesenden, welche von Hervey zurückgeleitet wurden, mit der Hand zum Abschiede zugewinkt hatte, zog er den Mönch nach einem Zimmer fort, das zugleich den Anblick eines Arbeitscabinets und eines Schlafzimmers hatte.

Hier bot er dem Abbé einen Stuhl an, nahm selbst einen andern und sprach:

»Das war sein Zimmer, wenn er hierher kam . . . Das wird das Ihrige sein, mein Vater, wahrend der ganzen Zeit, die Sie im Thurme von Penhoël zu bleiben die Güte haben wollen.«

CXLVII
Die Reliquie des Vaters

Ein Anderer als wir würde es versuchen, eine Idee von dem zu geben, was zwischen diesem seinen einzigen Sohn beweinenden Vater und diesem Mönche vorging, der ihm die letzten Augenblicke von seinem Sohne erzählte; doch uns behüte Gott, daß wir das unmögliche Werk versuchen, vom Schmerze eines Vaters, der seinen Sohn verloren, oder eines Sohnes, der seinen Vater verloren, Rechenschaft zu geben.

Nach einer Stunde düsterer Blicke auf die letzten Stunden von Colombau geworfen, führte der Graf von Penhoël, so sehr der Mönch in ihn drang, um in einem andern Theile des Schlosses einquartiert zu werden, Dominique in das Zimmer seines Sohnes ein und zog sich dann zurück, um ihn ausruhen zu lassen.

Befürchtend, sein Anblick werde die Traurigkeit des unglücklichen Vaters nur vermehren, statt sie zu besänftigen, kündigte der Mönch am andern Morgen dem Grafen von Penhoël an, er werde noch an demselben Tage wieder abreisen.

»Das steht Ihnen frei, mein Vater,« antwortete der Graf, und Sie haben schon so viel für mich gethan, daß ich es nicht wage, mehr zu verlangen. Ruft Sie indessen keine dringende Pflicht nach Paris zurück, so bitte ich Sie inständig, noch einige Tage bei mir zuzubringen; weit entfernt, mich noch trauriger zu machen, könnte mich der Anblick des Freundes meines Sohnes nur trösten, wenn ich getröstet werden könnte.«

»Herr Graf, ich werde so lange, als Sie es wünschen, bei Ihnen bleiben,« antwortete der Abbé.

Und sie brachten einen ganzen Monat mit einander zu.

Wie verlief jeder Tag? Wie der vorhergehende verlaufen war: indem man von Colombau sprach, indem man den Himmel anschaute, indem man die Ausdehnung des Oceans maß, indem man von jenen erhabenen Worten und jenen ernsten Gedanken austauschte, wie sie die Engel im Himmel austauschen. – Einer von diesen Tagen wird sie alle sagen.

Am Morgen kam der Graf zum Abbé; er reichte ihm stillschweigend die Hand, grüßte ihn mit dem Kopfe nickend, setzte sich aus einen großen Schämel von geschnitztem Eichenholze, und deutete mit seiner langen, bleichen Hand aus die Wogen, die sich aus der weiten Ebene des Oceans erhoben.

»Hier saß er,« murmelte der alte Vater, ewig einem und demselben Gedanken preisgegeben, »und von diesem Platze aus, wo ich bin, tauchte sein Auge in die Tiefe des Horizonts, wie es das meinige thut. Er begriff besser die Größe Gottes beim Anblicke des mächtigen Schauspiels der See; oft nahm er seine Weltkarte und legte sie hierher, aus den Rand des Fensters, und vom Ocean zur Erde, von der Erde zum Himmel übergehend, suchte sein Blick den dichten Schleier zu durchdringen, den Gott ganz mit Sternen besäet zwischen der Erde und sich ausbreitet . . . »Mein Vater« fuhr der Graf fort, ohne seinen Platz zu verlassen und mit dem Finger aus das Instrument deutend, »hier ist sein Planiglob, ich sehe noch seine auf diesen unbekannten Welten umherirrende Hand . . . Hier sind seine Rechtsbücher, seine Bücher über Medicin, Physik, Chemie, Botanik. . . . Hier sind seine Flinte, seine Büchse, seine Rappiere . . . Hier sind seine Zeichnungscartons, sein Klavier, sein Virgil, sein Homer, sein Dante, sein Shakespeare, seine Bibel; denn, heilig oder profan, er bewunderte Alles, was schön war, er verehrte Alles, was groß war! Sollte man nicht glauben, wenn man dieses Zimmer sieht, er werde sogleich eintreten, uns zulächeln, sich setzen und mit uns sprechen?«

Der Greis ließ seinen Kopf aus seine Hand fallen, dann fügte er, diesmal wie mit sich selbst sprechend, bei:

»Eine von den letzten Nächten, die er hier zugebracht hat, – es war eine Sturmnacht, – es herrschte eine erstickende Hitze; ich konnte in meinem Zimmer nicht athmen; ich war traurig, als ob sich ein Todtenvogel um mein Haupt gedreht hätte. Ich erblickte Licht an seinem Fenster, und erstaunt, ihn um drei Uhr Morgens noch wach zu sehen, ging ich zu ihm. Wissen Sie, was er that, mein Vater? Er lernte eine neue Sprache, mein Vater: er studierte das Hebräische. Es war in der That eine wunderbare Organisation, eine erhabene Intelligenz. Die andern Menschen haben besondere Tendenzen, ein specielles Genie für dieses oder jenes Studium, für diese oder jene Wissenschaft. Er hatte das Verlangen, Alles zu wissen, den Ehrgeiz, Alles zu lernen, die Fähigkeit, Alles zu ergründen. Glauben Sie mir, es ist nicht meine Liebe für ihn, die mich verblendet; es ist nicht mein Vaterstolz, der mich so sprechen macht. Fragen Sie alle diejenigen, welche ihn gekannt haben, seine Lehrer, seine Kameraden, Sie selbst, denn ich vergesse, daß er Ihr Freund war . . . Und wenn man bedenkt, daß ein paar Pfund Kohlen, träge Materie, diesen nach dem Ebenbilde Gottes geschaffenen Menschen zerstört haben! Mit ein wenig Rauch! ist das möglich, und gleicht das nicht wahrhaftig einem Hohne? . . . «

Dominique stand auf, ging aus den Grafen zu und reichte ihm stillschweigend die Hand.

»Wovon sprachen Sie, wenn Sie beisammen waren?« fragte der arme Vater.

»Von Gott und von Ihnen.«

»Von mir?«

»Er liebte Sie so sehr!«

»Er hat eine Frau mehr geliebt, als er mich liebte, da seine Liebe für mich ihn nicht abgehalten hat, für diese Frau zu sterben.«

Sodann, indem er wieder daraus zurückkam, daß er mit seinen eigenen Gedanken sprach, sagte er:

»Ja, es ist so, und beim Gleichgewichte der Natur muß es so seyn. Der junge Mann muß die Frau mehr lieben, die seinen Kindern das Leben geben wird, als er die Eltern liebt, die ihm das Leben gegeben haben. Hat nicht der Herr zum Weibe gesagt: ›Du wirst Deinen Vater und Deine Mutter verlassen, um Deinem Manne zu folgen?‹ Er hat uns verlassen, um der Frau zu folgen, und die Frau hat ihn in das unbekannte Land geführt, das man den Tod nennt.«

»Sie werden ihn dort eines Tages wiederfinden, Herr Graf.«

»Glauben Sie das, mein Vater?« fragte der Graf seine durchdringenden Augen aus die von Dominique heftend.

»Ich hoffe es, mein Herr!« antwortete dieser.

»Sie haben ihn von seinem Verbrechen losgesprochen, nicht wahr?«

»Aus Herzensgrunde, mein Herr!«

»Ihre Absolution erschreckt mich für die anderen Väter. Welche entsetzliche Ermunterung zum Selbstmorde, wenn die Selbstmörder losgesprochen werden!«

»Oh! Herr Graf, der Tod Ihres Sohnes ist kein Selbstmord, es ist ein Märthrthum. Denjenigen, welcher sich, um sein Vaterland zu retten, freiwillig in den Abgrund stürzt, absolviere ich. Es wird ein Tag kommen, Herr Graf, wo die Gesellschaften, gründlicher gesichert, mit kaltem Blute die Verbrechen der Gesellschaft richten können, wie man das Verbrechen des einzelnen Menschen richtet; es wird ein Tag kommen, wo der Code;, der ein Werk der Menschen ist, mit den Sympathien harmoniert, welche aus Gott entspringen. Das Kind, das wir beweinen, Herr Graf, Sie als ein Vater, ich als ein Bruder, ist als Opfer von einer dieser himmlischen Sympathien gestorben, welcher die Sitten einer barbarischen Gesellschaft Fesseln anlegen. Ein Mensch hat sich seinen Freund genannt und ihn abscheulich betrogen! Würde das Gesetz die Lüge bestrafen, so wäre der Tod nicht mehr die Zuflucht der ehrlichen Leute!«

»Ich danke, mein Vater,« sprach der Graf; »ich danke Ihnen für Ihre guten Worte. Sie geben mir die Hoffnung, daß ich mich, wenn er von mir aus einige Zeit getrennt ist, in der Ewigkeit mit ihm wiedervereinigen werde.«

Sodann aufstehend:

»Wir wollen ihn besuchen.«

Beide gingen hinaus und wanderten nach dem Grabe.

Hier angelangt, bemerkte der Mönch, daß der Graf diesen Platz gewählt hatte, weil er ihn vom Fenster seines Zimmers aus sehen konnte. Dieses offene Fenster deutete an, ehe er Dominique ausgesucht, habe der Graf schon dieses Grab begrüßt.

Beide setzten sich aus den Felsen, wo Dominique das Wasser geschöpft hatte, um den Sarg zu besprengen.

Es herrschte einen Augenblick ein tiefes Stillschweigen.

»Also,« fragte der Graf, wie wenn er ein angefangenes Gespräch wiederaufnehmen würde, »Sie glauben fest an ein anderes Leben?«

Der Mönch brach einen Zweig von einer verkrüppelten Eiche ab, riß eine Knospe davon los, welche völlig todt zu sein schien, und zeigte dem Grafen im Herzen der Knospe den Keim der zukünftigen Knospe.

»Ja, ich begreife,« sagte der Graf, »selbst der Tod hat seinen Lebenskeim; hier zeigen Sie mir aber nur den jährlichen Tod, das heißt den Schlaf. Der Baum, der dreihundert Jahre lebt, hat seine letzte Stunde wie der Mensch; der Winter ist nicht der Tod der Natur, es ist ihr Schlaf.«

»Der Baum vegetiert aber, und lebt nicht,« erwiderte Dominique. »Er spricht nicht, er denkt nicht, er hat keine Seele.«

 

Der Graf antwortete nicht.

Im Zimmer von Colombau hatte sich seine Hand aus ein Buch gelegt, und aus Zerstreuung oder absichtlich, hatte er es mitgenommen.

Es war ein Band des großen Philosophen, den man Shakespeare nennt.

Er war aus folgende Stelle von König Lear gerathen, und ohne Zweifel fand er darin mit den Traurigkeiten seines Herzens schmerzliche, obgleich unbestimmte, entfernte Ähnlichkeiten.

Derjenige, dessen Seele einem großen Schmerze preisgegeben ist, ist beinahe unempfindlich für eine reichte Pein. Es verfolge Dich ein wildes Thier, und Du wirst fliehen; stößt aber Deine Flucht vor sich aus das Hindernis eines brüllenden Meeres, so wirst Du umkehren und dem wilden Thiere die Stirne bieten. Ist die Seele frei, so ist der Körper zartfühlend und für den Schmerz empfindlich.

Und, als sollte das Beispiel neben die Lehre gesetzt werden, fing einer der kältesten Winde, welche je aus dem Marmorrachen des Westen hervorgekommen sind, an zu wehen und schien, den Grafen und Dominique überfallend, die Worte im Munde des Grafen und die Thränen in den Augen des Mönches in Eis verwandeln zu wollen.

Der junge Mann fühlte einen Schauer seinen ganzen Leib durchziehen und forderte den Grafen aus, ins Schloß zurückzukehren.

Er aber schien mit Shakespeare den Beweis geben zu wollen, daß bei den großen Leiden der Seele der Körper für den Schmerz unempfindlich ist; er blieb unbeweglich sitzen und fuhr in seiner Lesung mit sonorer Stimme fort.

So auf der Küste des Meeres sitzend, das anschwoll und brüllend sich zu seinen Füßen brach, glich der alte Graf wahrhaft dem Riesen der Schmerzen, den man den König Lear nennt. – Seine flatternden Haare, deren silberne Locken der Wind aushob, vervollständigten die Aehnlichkeit; nur beweinte der Eine den Undank seiner Töchter, der Andere den Tod seines Sohnes.

Es ist an den Vätern, zu sagen, ob es nicht besser ist, ein todtes Kind zu beweinen, als ein undankbares Kind.

Der Graf war zu den schmerzlichen Klagen und zu dem düsteren Anathem gekommen, das der englische Aeschylos dem Vater von Goneril, von Regan und von Cordelia auf die Lippen legt.

Wehet. Winde, entfesselt euch! Stürme, entfaltet eure ganze Wuth! Katarakte, Orkane, Gewitter gießt eure Ströme auf die Erde, begrabt unter eurem Gewässer die Spitze unserer Thürme! schwefelige Blitze, schnell wie der Gedanke, versengt meine weißen Haare! Unversöhnlicher Donner, der du das Weltall aus seiner Achse erschütterst, zerschmettere die Welt! zerbrich die Formen der Natur! vertilge alle Keime, welche den undankbaren Menschen hervorbringen!

Erschöpfet eure Flanken, Stürme; erschöpfet die Ströme von Regen und von Flamme, Winden, Donner und Gewitter; ihr seid nicht meine Kinder, ich klage euch nicht des Undanks an, ihr seid mir keinen Gehorsam schuldig. Uebet also an mir, nach eurem Belieben, alle wüthende Launen eurer grausamen Spiele: ich bin euer unterthäniger Sklave, ein armer, schwacher Greis, niedergebeugt unter der Last der Gebrechen und der Verachtung, und dennoch habe ich das Recht, euch feige Diener zu nennen, euch, die ihr euch vom Himmel herab mit undankbaren Kindern verbindet, um mir den Krieg zu erklären, euch, die ihr zum Ziele für eure Streiche ein alles, mit weißen Haaren bedecktes Haupt wählt . . . Oh! das ist von euch eine schmähliche Feigheit!

Und das Gesicht und die Geberden des Grafen von Penhoël stimmten ganz mit denen vom armen König Lear überein. Wie dieser, raufte er sich die Haare aus, und der Wind, der aus den ungeheuren Ocean zurücksprang, machte sie, Schneeflocken ähnlich, in der Luft wirbeln.

Andere Male, wenn der Morgennebel oder der Sturm der Nacht den Fußpfad, der sich längs dem Meere hinzog, ganz unbenutzbar gemacht hatte, oder wenn die eisigen Märzregen wie scharfe Lanzenspitzen von einem bewölkten Himmel herabfielen, stieg der Graf, gefolgt von Dominique, entweder aus die Plattform, wo wir ihn den Leichnam seines Sohnes haben erwarten sehen, oder in das höchste Zimmer des Thurmes hinaus, das zur Zeit der Kriege von Provinz gegen Provinz oder von Herren gegen Herren zu einer Wachstube dienen mußte.

Hier, wie Priamus, der von den Thürmen Trojas herab den Leichnam seines Sohnes siebenmal um das Grab von Patroklus schleppen sieht, rief er sein Kind und recitirte die Wehklagen, welche der göttliche Homer dem alten König in den Mund legt.

Priamus der Große trat ein, ohne bemerkt zu werden, näherte sich Achilles, nahm in seine Arme die Kniee des Helden und küßte diese mörderischen Hände, diese entsetzlichen Hände, die ihm so viel Sötme tödteten. So, wenn das Geschick einen Menschen, der in seinem Vaterlande einen andern Menschen getödtet, erfaßt und zu einem fremden Volke hinausgestoßen hat, wenn dieser Mensch in das Haus eines reichen Mannes eintritt, wo er eine Zuflucht sucht, werden alle diejenigen, welche ihn sehen, von Erstaunen ergriffen, so war Achilles erstaunt, als er Priamus sah, einen, Gotte ähnlich, und nicht minder erstaunt als Achilles, schauten die Anwesenden einander an.

Da richtete Priamus flehend folgende Rede an ihn:

»Den Göttern gleicher Achilles, erinnerst Du Dich Deines Vaters; er ist von demselben Alter wie ich und auf der tödtlichen Schwelle des Greisenthums. Vielleicht bedrängen ihn benachbarte Feinde und er hat Niemand, um weit von ihm den Krieg und den Tod zurückzuschlagen; doch dieser, da er von Dir sprechen hört und weiß, daß Du lebst, freut sich wenigstens in seinem Herzen, und hofft überdies alle Tage, er werde seinen theuren Sohn von Troja zurückkommen sehen. Ich aber bin ganz und gar unglücklich, da ich so viele tapfere Sohne im weiten Troja erzeugte, und keiner von diesen Söhnen mir gelassen worden ist . . . Ich zählte fünfzig, als die Achäer kamen; neunzehn waren aus demselben Schooße hervorgegangen, und meine Frauen hatten die anderen in meinen Palästen zur Welt gebracht . . . Der ungestüme Mars hat ihnen die Kniee gebrochen, und derjenige, welcher allein bei mir war, der die Stadt und uns vertheidigte. Du hast ihn kürzlich in dem Augenblicke getödtet, wo er für das Vaterland kämpfte . . . armer Hector!

»Und ich, ich komme nun um seinetwillen zum Schiffe der Achäer, um ihn loszukaufen, und ich bringe ungeheures Lösegeld, Achte die Götter. Achilles, und habe Mitleid mit mir; und Deines Vaters Dich erinnernd, bedenke, daß ich viel mehr zu beklagen bin als er, denn ich habe Dinge ertragen, wie sie noch kein anderer lebender Mensch aus Erden ertragen hat: das, die Hand gegen den Mund des Mannes auszustrecken, der meinen Sohn getödtet hat!«

An einem andern Tage war es der zehnte Gesang von Dante, der in den Geist des armen Vaters zurückkehrte. Was er aber in diesem zehnten Gesange sah, war nicht Farinata di Uberti, welcher mehr durch die Niederlage der Seinigen, als durch sein Feuerbett gequält würde! Nein, es war die angstvolle Gestalt von Cavalcanti, diesem väterlichen Schatten, der an der Seite von Dante seinen Sohn sucht.

Und in der Sprache, in der sie gedichtet worden, wiederholte er die schönen Verse des florentinischen Verbannten,

Damals erhob sich von dem Theile, wo das Grab entdeckt worden war, der Kopf eines andern Schattens, der sich auf seinen Schooß gesetzt zu haben schien.

Das Gespenst schaute umher, als suchte es Jemand, und als seine Hoffnung verschwunden war, sagte es zu mir in Thränen zerfließend:

»Die Macht des Genius wird Dir dieses schwarze Gefängniß geöffnet haben. Wo ist mein Sohn, und warum erblicke ich ihn nicht an Deiner Seite?«

Und ich erwiderte ihm:

»Ich komme nicht durch meine Gewalt allein. Der Weise, der mich führt, ist hier bei uns . . . Vielleicht verachtete Euer Führer zu sehr diesen erhabenen Meister.«

Seine Worte und die Art seiner Strafe hatten mir den Namen dieses Schattens geoffenbart. Meine Antwort war also genau.

Doch plötzlich sich aufrichtend, rief das Gespenst:

»Wie hast Du gesagt? Verachtete!.. Hat er aufgehört, zu athmen. und erfreut das sanfte Sonnenlicht seine Augen nicht mehr?«

Und da ich zu antworten zögerte, fiel er rücklings in seinen Sarg und zeigte sich nicht mehr.

Und den Kopf schüttelnd, pflegte er zu sagen, der arme Graf, der sich auf die Schmerzen verstand:

88auch in Deutschland. D. Uebers.
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