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Die Mohicaner von Paris

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CXXXVIII
Stabat mater dolorosa

Salvator, als er die Rue d’Ulm verließ, ging durch die Rue des Ursulines, die Rue Saint-Jacques, und erreichte die Vorstadt.

Der Leser hat errathen, wohin er ging.

Vor der Thüre des Schulmeisters angelangt, klingelte er.

Die Klingel stand in Verbindung mit dem ersten Stocke, damit die Besuche Justin nicht in seinen Klassen störten. Es war Schwester Céleste, welche öffnete.

Das bleiche Gesicht des Mädchens färbte sich rosenroth, als sie Salvator sah.

»Ist Herr Justin zu Hause?« fragte der junge Mann.

»Ja,« antwortete Schwester Céleste.

»In seiner Klasse oder in seinem Zimmer?«

»Bei meiner Mutter; gehen Sie hinauf. Wir sprachen von Ihnen, als Sie klingelten.«

Es begegnete der armen Familie oft, daß sie von Salvator sprach.

Sie gingen die Treppe hinaus, ließen das leere Zimmer von Mina links, und traten bei Madame Corbin ein.

Um den Ofen, der der Familie als Vereinigungspunkt diente, waren die alte Blinde, der gute Müller und Justin.

Nichts hatte sich verändert, wenn nicht, daß alle Gesichter in sechs Wochen um zehn Jahre älter geworden waren.

Die Mutter Corbin besonders war erschrecklich anzuschauen: ihr Gesicht war gelb wie Wachs; ihre Haare waren silberweiß. Sie hielt sich gegen die Erde gebeugt und suchte, wie es schien, nicht einmal denjenigen, welcher ankam, zu erkennen.

Das war die Verkörperung des stummen, unbeweglichen und tauben Schmerzes, mit seinem erhabenen Ausdrucke von Geduld und Selbstverleugnung.

Sie neigte so schwach den Kopf, als sie Salvator eintreten hörte und seine Stimme erkannte, daß sie Salvator für eine steinerne Statue der Jungfrau am Fuße des Kreuzes hätte halten können.

Der gute Müller glich auch einer Versteinerung des Kummers. Der wackere Mann, der die erste Idee des Pensionnats gehabt und die Adresse von Madame Desmarets gegeben hatte, hielt sich beharrlich für den alleinigen Urheber des Uebels, und er empfing die Tröstungen von Justin, statt ihm solche zu geben.

Er, Justin, war nicht so niedergeschlagen, als man hätte glauben sollen. Die ersten Tage, während der ganzen Zeit, da er nicht seine Klassen gegeben, war er, völlig vernichtet, in seinem Zimmer geblieben. Nachdem er aber verzweifelt war, nachdem er das Bewußtsein der Unermeßlichkeit seines Schmerzes gehabt hatte, war es sein Schmerz selbst, der ihn, so zu sagen, regenerierte; er stärkte sich wieder darin, wie in einem Bade von bitteren Pflanzen, und er, der von Ansang der Empfindlichste der Familie zu sein schien, war derjenige, welcher durch eine kräftige Reaction auf sich selbst wieder Stärke erlangte und Jedem davon gab.

Als er Salvator eintreten sah, stand er auf und ging ihm entgegen.

Der gute Müller bot ihm einen Stuhl an und richtete dabei mehr zu Befreiung seines Gewissens, als in der Hoffnung, eine günstige Antwort zu erhalten, an ihn die sacramentliche Frage:

»Haben Sie Nachrichten?«

Das war übrigens seit dem Abgange von Mina das Wort, mit dem Jeder den Andern anredete.

Machte Céleste einen Gang im Quartier, so fragten sie Justin und seine Mutter:

»Welche Nachrichten?«

Kam Justin nach einem Ausgange, so kurz er war, nach Hause, so richteten die Mutter und Céleste dieselbe Frage an ihn.

Und eben so war es jeden Tag bei Müller, wenn Müller seinen täglichen Besuch machte.

Die Familien, welche hundert Schritte von den Schlachtfeldern wohnen und für die Wesen zittern, die ihnen theuer sind, erkundigen sich nicht mit einer mehr fieberhaften Angst nach dem Kriege.

An diesem Tage war es, wie gesagt, Müller, der die sacramentliche Frage an Salvator richtete.

»Ja!« antwortete dieser laconisch.«

Céleste lehnte sich an die Wand; die Mutter stand plötzlich wie durch eine Federkraft emporgehoben; Justin fiel aus einen Stuhl; Müller zitterte an allen Gliedern.

»Aber gute Nachrichten?« fragte Müller.

Keines von den Andern hatte die Kraft, zu sprechen.

»Ja!« antwortete abermals der junge Mann.

»Sprechen Sie! sprechen Sie!« sagten gleichzeitig alle Stimmen.

»Oh! erwarten Sie nicht zu viel Glück,« erwiderte Salvator: »Sie könnten getäuscht werden. Was ich Ihnen mitzutheilen habe, ist fast so traurig, als freudig, fast so bitter, als süß. Gleichviel, ich will Sie nicht einer Freude berauben, und wäre diese Freude auch von einem Kummer begleitet.«

»Reden Sie!« rief Justin.

»Reden Sie!« wiederholten die Anderen.

Salvator zog aus seiner Tasche das Uehrchen. reichte es Justin und sagte:

»Vor Allem, mein Freund: erkennen Sie das?«

Justin stürzte auf die Uhr zu.

»Die Uhr von Mina!« rief er, indem er sie mit Küssen bedeckte; »die Uhr, die ich ihr an ihrem letzten Geburtstage gegeben habe! die Uhr, die sie so sehr liebte, wie sie mir sagte, daß sie sich weder bei Tage, noch bei Nacht von ihr trennen werde; sie hat sich von ihr getrennt! Oh! sagen Sie, sagen Sie, wie hat sie sich von ihr getrennt?«

Die Mutter hatte sich wieder gesetzt.

Sie machte ein Zeichen mit dem Kopfe, das gleichbedeutend mit dem Ausrufe von Jacob beim Anblicke des blutigen Rockes von Joseph war: »Ein böses Thier hat meinen Sohn gefressen,«

»Nein! nein!« entgegnete lebhaft Salvator, der diese Geberde begriff, »nein, seien Sie ruhig. Ihr Kind ist nicht todt! Mina lebt!«

Das war ein Freudenschrei unter allen Anwesenden.

»Ich habe sie gesehen!« fuhr Salvator fort.

»Sie!« rief Justin, indem er dem jungen Manne um den Hals fiel und ihn mit seinen Armen umschlang; »Sie haben Mina gesehen?«

»Ja, mein lieber Justin.«

»Wo? . . . wann? . . . Liebt mich Mina noch?«

»Sie liebt Sie immer, sie liebt Sie mehr als je,« antwortete der junge Mann, der Justin zu besänftigen und seine Kaltblütigkeit zu bewahren suchte.

»Sie hat Ihnen das gesagt?«

»Sie hat es mir gesagt, wiederholt, versichert.«

»Wann?«

»Heute Nacht.«

»Aber sagen Sie mir doch geschwinde, wo Sie sie gesehen haben?«’

»Und Sie, mein lieber Justin, lassen Sie mir Zeit, es zu sagen.«

»Das ist wahr,« sprach der gute Müller, während er aus seiner Tasche ein Foulard zog, um die Thränen abzuwischen, die seinen Augen entstürzten, »das ist wahr, Du willst, daß Salvator sprechen soll, und lassest ihm nicht Zeit, zu sprechen.«

»Er hätte schon gesprochen, wenn er es thun könnte,« sagte Madame Corbin den Kopf schüttelnd.

»Nun wohl,« sprach Justin, der sich wieder setzte, »ich frage Sie nicht mehr, mein lieber Salvator; ich höre.«

»Hören Sie also, und zwar geduldig. In einer Absicht, mit der Sie bekannt zu machen unnötig ist, ging ich gestern Abend ein paar Stunden von Paris, zwischen elf Uhr und Mitternacht, spazieren. Ich war in einem Parke. Dort, beim Mondscheine, sah ich durch die Bäume ein Mädchen herbeikommen, das sich aus eine Bank, vier Schritte von dem Platze, wo ich verborgen war, setzte.«

»Das war Mina? . . . « rief Justin, unfähig, sich zu mäßigen.

»Das war Mina.«

»Und Sie haben nicht mit ihr gesprochen?«

»Ich habe mit ihr gesprochen, da sie mir geantwortet hat, sie liebe Sie immer.«

»Das ist richtig.«

»Aber lassen Sie ihn doch reden!« rief Müller ungeduldig.

»Mein Bruder!« bat Schwester Céleste.

Die Mutter war wieder in ihre Unbeweglichkeit und ihre Stummheit versunken.

»Einen Augenblick nachher,« fuhr Salvator fort, »erschien ein junger Mann und setzte sich zu ihr.«

»Oh!« machte Justin.

»Ich irre mich, er setzte sich nicht,« sagte Salvator: »Mina hielt ihn stehend und ehrfurchtsvoll vor sich.«

»Und dieser junge Mann, nicht wahr, es war der Graf Loredan von Valgeneuse?«

»Es war der Graf Loredan von Valgeneuse,« wiederholte Salvator.

»Oh! der Elende,« sagte Justin mit den Zähnen knirschend; »fällt mir dieser je in die Hände . . . «

»Stille, Justin!« rief Müller.

»Wenn Sie mich nicht ruhig anhören, Justin, so schweige ich,« sprach Salvator.

»Oh! nein, nein, mein Freund, ich bitte Sie inständig.«

»Ich hörte ihr Gespräch von Ansang bis zu Ende, und aus diesem Gespräche, dessen Einzelheiten ich Ihnen nicht mittheilen will, ging für mich hervor, daß Herr Loredan von Valgeneuse gegen Sie einen Vorführungsbefehl erlangt hat.«

»Einen Vorführungsbefehl!« riefen alle Anwesende.

Nur Madame Corbin blieb stumm,

»Worüber klagt man ihn aber an?« fragte Herr Müller.

»Ja, worüber klagt man mich an?« wiederholte Justin.

»Man bezichtigt Sie des Verbrechens der Entführung und der Sequestrirung einer Minderjährigen, ein Verbrechen, für das durch die Artikel 855 und 355 des Strafcodex vorhergesehen ist.«

»Oh! der Elende!« rief unwillkürlich der gute Müller.

Justin schwieg; unbeweglich hatte die Mutter, wie gesagt, kein Wort gesprochen und keine Miene verändert.

»Ja, es ist ein großer Schurke,« sagte Salvator, doch es ist ein allmächtiger Schurke und so hoch gestellt, daß wir ihn nicht erreichen können!«

»Und dennoch! . . . « rief Justin energisch.

»Ja, und dennoch müssen wir ihn erreichen, nicht wahr?« fuhr Salvator fort; »das ist Ihr Gedanke, das ist auch der meinige.«

»Wenn ich diesen Menschen aufsuchen würde!« rief Justin, indem er, wie bereit, abzugehen, aufstand.

»Wenn Sie ihn aussuchen würden, Justin,« erwiderte Salvator, »er ließe Sie durch seinen Portier verhaften und nach der Conciergerie führen.«

»Wenn aber ich ginge, ich, ein Greis . . . ?« fragt« Müller.

»Sie, Herr Müller, würde er durch seine Bedienten packen und nach Bicêtre bringen lassen.«

»Was ist denn zu thun?« rief Justin.

»Man muß thun, was unsere Mutter thut: beten . . . « sprach Schwester Céleste.

Die Mutter betete in der That leise.

»Sie haben aber mit ihr gesprochen,« rief Justin, »Sie haben uns also etwas zu sagen.«

 

»Ja, ich habe meine Erzählung zu vollenden. Mina war herrlich vor Scham und Würde! . . . Justin, das ist eine heilige Jungfrau! lieben Sie sie mit ganzer Seele.«

»Oh!« rief der junge Mann, »ich liebe sie, ich liebe sie!«

»Herr Loredan entfernte sich und ließ Mina allein. Da dachte ich, es sei Zeit, mich zu zeigen. Ich näherte mich dem armen Kinde, das, aus dem Sande knieend, Gott um Rath und um Hilfe bat. Es genügte, Ihren Namen auszusprechen, um mich zu erkennen zu geben. Sie fragte mich wie Sie: ›Was ist denn zu thun?‹ und, wie Ihnen, antwortete ich ihr: ›Warten und hoffen!‹ Da erzählte sie mir in allen Einzelheiten die Entführung und ihre Folgen; wie sie, in einem Wagen durch die Straßen von Paris fortgeführt, genötigt war, um Ihnen Ihren Brief zukommen zu machen, ihre Uhr damit zu umwickeln . . . Die Uhr mußte bei der Frau sein, die Ihnen den Brief geschickt hatte; ich ging dahin, ich forderte sie zurück. Die Brocante leugnete, Rose-de-Noël gab sie mir.«

Justin küßte aufs Neue die kleine Uhr.

»Sie wissen das Uebrige,« sprach Salvator, »und sehr bald werde ich Ihnen sagen, was mir zu thun zweckmäßig scheint.«

Und nachdem er diese Worte gesagt, grüßte er, und während er grüßte, winkte er Justin, ihn zurückzubegleiten.

Justin verstand das Zeichen und folgte ihm.

Madame Corbin blieb so unbeweglich beim Abgange von Salvator, als sie bei seinem Eintritte unbeweglich geblieben war.

CXXXIX
Einweihung

Die beiden jungen Leute gingen in das Schlafzimmer von Justin, das heißt in die Stube hinab, wo er seine Schule hielt.

Die Schule war aber leer, weil die Kinder, in Betracht der Feierlichkeit des Tages, der ein Sonntag war, Vacanz hatten.

Salvator bedeutete Justin durch einen Wink, er möge sich setzen.

Justin nahm einen Stuhl; Salvator setzte sich aus einen Tisch.

»Mein lieber Freund,« sprach Salvator. indem er mit der Hand Justin über die Schulter strich, »schenken Sie mir nun Ihre ganze Aufmerksamkeit und verlieren Sie nicht ein Wort von dem, was ich Ihnen sagen werde.«

»Ich höre, denn ich vermuthete wohl, Sie haben nicht Alles vor einer Mutter und einer Schwester gesagt,«

»Und Sie hatten Recht. Es gibt Dinge, die man vor einer Mutter und vor einer Schwester nicht sagt.«

»Sprechen Sie; ich höre.«

»Justin, Sie werden Mina durch die gewöhnlichen Mittel nicht wiederfinden.«

»Ja. doch durch Ihre Vermittlung werde ich sie wiedersehen, nicht wahr?«

»Es mag sein, nur muß Alles unter uns genau festgesetzt werden.«

»Wenn ich sie nur wiedersehe, wenn ich nur weiß, wo sie ist, – das Uebrige ist meine Sache.«

»Sie täuschen sich, Justin. Von diesem Augenblicke geht Alles mich an Ja, Sie werden sie wiedersehen, da ich es Ihnen verspreche; ja, Sie werden sie entführen, das ist möglich, leicht sogar; ja. Sie werden sie verbergen, daß man sie nicht wiederfindet: doch man wird Sie finden!«

»Nun, was dann?«

»Hat man Sie gefunden, so werden Sie verhaftet, eingekerkert!«

»Was liegt mir daran? es gibt eine Gerechtigkeit in Frankreich; man wird früher oder später meine Unschuld erkennen, und Mina wird gerettet sein.«

»Früher oder später, haben Sie gesagt? Ich gebe das früher oder später zu, obschon ich über diesen Punkt nicht Ihrer Ansicht bin; nur muß ich den schlimmsten Fall setzen. Nehmen wir an, Ihre Unschuld werde erkannt . . . doch spät, – glauben Sie mir, ich räume Ihnen viel ein, – nach einem Jahre, zum Beispiel. Nun wohl, was wird während dieses Jahres mit Ihrer Familie geschehen? Das Elend wird durch die Thüre eintreten, die Ihr Abgang, offen gelassen hat; Ihre Mutter und Ihre Schwester werden Hungers sterben.«

»Nein! denn die guten Herzen werden ihnen zu Hilfe kommen.«

»Ah! wie irren Sie sich, mein armer Justin! Die Valgeneuse haben die hundert Arme des Briareus. Wie es für sie genügt haben wird, einen von diesen Armen auszustrecken, um die Thüre eines Kerkers zu öffnen, so werden sie mit den neunundneunzig anderen, die ihnen bleiben, einen Kreis um Ihre Familie ziehen, den das Mitleid nicht zu überschreiten wagt. Die guten Herzen werden Ihrer Mutter und Ihrer Schwester zu Hilfe kommen? Was verstehen Sie unter den guten Herzen? Jean Robert, einen Dichter, der heute so reich ist wie Herr Laffitte, der morgen ärmer ist als Sie; Petrus, einen Maler, einen Mann der Fantasie, der Bilder für sich und nicht für das Publikum macht, der nicht von seinem Pinsel, sondern sein armseliges kleines Erbe verzehrend lebt; Ludovic, einen Arzt von Talent, von Verdienst, von Genie sogar, wenn Sie wollen, doch einen Arzt ohne Kundschaft; mich, einen armen Commissionär, der ich von meinem täglichen Verdienste lebe und nie für den folgenden Tag stehen kann . . . Ihre Mutter und Ihre Schwester sind gute Christinnen, und es wird ihnen die Kirche bleiben? Einer der einflußreichsten Cardinäle unserer Zeit ist ein Verwandter der Valgeneuse. Das Wohlthätigkeits-Bureau? Der Präsident des Bureau ist selbst ein Valgeneuse. Sie werden sich an den Präfecten der Seine, an den Minister des Innern wenden? Man wird ihnen zwanzig Franken ein für allemal geben, und wird man sie ihnen auch geben, wenn man erfährt, daß sie die Mutter und die Schwester eines Mannes sind, der, eines Verbrechens bezichtigt, das Galeerenstrafe nach sich zieht, verhaftet ist?«

»Was ist aber dann zu thun?« rief Justin ganz bebend vor Wuth.

Salvator stützte seine Hand kräftiger aus die Schulter von Justin, heftete seinen Blick aus Justins Blick und fragte:

»Was würden Sie thun, wenn ein Baum auf Ihren Kopf zu fallen drohte?«

»Ich würde den Baum fällen,« erwiderte Justin, der die Methapher seines Freundes zu begreifen anfing.

»Was würden Sie thun, wenn ein einer Menagerie entsprungenes wildes Thier durch die Stadt lief«?«

»Ich würde eine Flinte nehmen und das wilde Thier todt schießen.«

»Dann sind Sie derjenige, welchen ich in Ihnen zu finden hoffte,« sprach Salvator ernst; »hören Sie mich also an.«

»Ich glaube Sie zu verstehen.« erwiderte Justin, indem er seine Hand aus die Lende seines Freundes legte.

»Sicherlich,« sagte Salvator, »sicherlich wäre derjenige, welcher, um eine persönliche Beleidigung zu rächen, Unordnung in die Stadt bringen würde, derjenige, welcher, weil sein Haus brennt, die Stadt in Brand zu stecken versuchen würde, dieser wäre ein Dummkopf, ein böser Mensch oder ein Narr. Derjenige aber, Justin, der die Wunden der Gesellschaft sondiert hätte und sich sagen würde: ›Ich kenne aus dem Grunde das Uebel, suchen wir das Gegenmittel,‹ dieser würde das Werk eines guten Bürgers thun, dieser wäre ein redlicher Mann. Justin, ich bin eines von den trostlosen Mitgliedern der durch ein paar Intriganten unterdrückten großen menschlichen Familie. Jung, bin ich bis aus den Grund in diesen Ocean niedergetaucht, den man die Welt nennt, und ich bin, wie der Taucher von Schiller, voll Grauen zurückgekommen. Dann bin ich in mich selbst zurückgegangen, und ich habe über das Elend von meines Gleichen nachgedacht. Ich habe sie Alle an mir vorüberziehen sehen, die Einen als Lastthiere sich beugend unter einer Bürde, die ihre Kräfte übersteigt, die Andern als Schafe, die der Fleischer zur Schlachtbank führt. Bei diesem Anblicke schämte ich mich für meines Gleichen, ich schämte mich für mich selbst, ich kam mir vor wie ein Mensch, der in einem Walde einen andern Menschen von Räubern angegriffen sehen würde und, hinter einem Baume verborgen, ihn ausplündern, todtschlagen, ermorden ließe, ohne ihm Hilfe zu leisten. Dumpf seufzend, sagte ich mir, es gebe für Alles, den Tod ausgenommen, ein Mittel, und der Tod sei sogar nur ein individuelles Uebel, ohne ein Mißgeschick für die Art zu sein. Als mir eines Tags ein Sterbender seine Wunden zeigte, fragte ich ihn: ›Wer hat sie Dir gemacht?‹ und er antwortete mir: ›Die Gesellschaft! das sind Deines Gleichen!‹ Da hemmte ich das Wort auf seinen Lippen, und ich sagte ihm: ›Nein, es ist nicht die Gesellschaft, es sind nicht meines Gleichen, die Dich geschlagen haben. Es sind nicht meines Gleichen, die in der Tiefe eines Waldes aus Dich lauern und Dich Deiner Börse berauben; es sind nicht meines Gleichen, diejenigen, welche Dir die Hände binden und Dich ermorden. Diese, – es sind die Bösen, gegen die man kämpfen muß, es sind die Giftpflanzen des Feldes, die man ausreißen muß.‹ ›Kann ich es?‹ erwiderte der Verwundete; ›ich bin allein!‹ ›Nein,«’ antwortete ich, indem ich ihm die Hand reichte, ›wir sind zu zwei!‹

»Wir sind zu drei,« sagte Justin, indem er die Hand von Salvator ergriff.

»Du irrst Dich, Justin, wir sind fünfmal hunderttausend.«

»Gut!« sprach Justin, dessen Augen vor Freude strahlten; »und Gott, der mich gehört hat, verleugne mich als einen der Seinigen an dem Tage, wo ich die Worte, die ich sage, verleugnen oder vergessen werde.«

»Bravo, Justin!«

»Nieder mit dieser elenden Regierung von Blödsinnigen, von Intriganten und Jesuiten, welche man unverschämter Weise die Restauration genannt hat, wahrend sie nur der über Frankreich verbreitete Hauch des Auslandes ist!«

»Genug,« sprach Salvator; »seien Sie um fünf Uhr bei mir, und setzen Sie die Ihrigen davon in Kenntnis»daß Sie heute Nacht nicht nach Hause kommen werden.«

»Wohin gehen wir?«

»Ich werde es Ihnen um fünf Uhr sagen.«

»Soll ich Waffen mitnehmen?«

»Das ist unnötig.«

»Um fünf Uhr?«

»Um fünf Uhr!«

Die zwei jungen Leute trennten sich. Sie hatten, wie man sieht, nur einen Augenblick gebraucht, der Eine, um einen Vorschlag zu machen, der Andere, um diesen Vorschlag anzunehmen, bei welchem Beide ihren Kopf aufs Spiel setzten.

Es war aber so mit dem Zustande der Geister zu jener Zeit. Es gab eine Erinnerung, welche die Furchtsamsten muthig, die Sanftesten grimmig machte: diese Erinnerung war der zweimal Frankreichs sich bemächtigende Feind. Diese verhaßte, gräuliche Invasion, die nur ein geschichtliches Factum für die Generation von 1850 ist, war eine flammende, blutige Erscheinung für die von 1827. Jeder von uns erinnerte sich, in der Provinz, der Verwundeten von Montmirail, von Champaubert und von Waterloo; in Paris, der der Butte Saint-Chaumont und der Barrière de Clichy, Der Haß war ein nationales Werk, und das Wort von Lafayette: »Die Insurreetion ist die heiligste der Pflichten,« war der Wahlspruch Frankreichs geworden.

An dem Tage, wo wir diese Epoche aus dem Gesichtspunkte der allgemeinen Geschichte erzählen werden, werden wir gerechter gegen sie sein als Philosoph, als wir heute als Romanschreiber gegen sie sind.

Um fünf Uhr war Justin bei Salvator.

Salvator stellte Justin Fragola vor.

»Ich habe Dir,« sagte er, »einen Accompagnateur und einen Gesanglehrer für Carmelite versprochen: hier ist schon die Hälfte von dem, was ich Dir versprochen. Justin, erinnern Sie sich der schönen jungen Person, die wir verscheidend in Meudon auf ihrem Schmerzenslager gesehen haben; sie leidet: es ist unsere Schwester. Ich habe ihr durch den Mund von Fragola Ihren Beistand und den von Herrn Müller versprochen.«

Justin antwortete durch ein Lächeln, das sein Leben Salvator zur Verfügung stellte.

»Und nun lassen Sie uns gehen,« sprach dieser.

Und er wandte sich gegen Fragola um und küßte sie wie ein Vater sein Kind küßt, denn Salvator hatte, so jung er war, vom Schmerze etwas Ernstes, Väterliches angenommen, – er küßte sie, sagen wir, viel mehr wie ein Vater sein Kind küßt, als wie ein Liebender seine Geliebte küßt; dann, nachdem er Brasil, der hierüber ganz trostlos, besohlen, bei Fragola zu bleiben, stieg er zuerst die Treppe hinab.

Justin folgte ihm stillschweigend.

Man durchschritt, ohne ein Wort zu wechseln, den ganzen Theil von Paris, der sich von der Place Saint-André-des-Arcs bis zur Barrière Fontainebleau erstreckt.

Hier angelangt, und als er sah, Salvator werde nun die Landstraße einschlagen, brach Justin das Stillschweigen.

»Wohin gehen wir?« fragte er.

»Nach Viry-sur-Orge,« erwiderte Salvator.

»Was ist das, Viry-sur-Orge?«

»Sie errathen nicht?«

»Nein.«

»Es ist das Dorf, wo ich Mina gesehen habe.«;

Justin blieb plötzlich und ganz schauernd stehen.

»Und Sie werden sie mich sehen lassen?« fragte er.

»Ja,« antwortete Salvator lächelnd beim Anblicke dieser Blässe, welche die Wangen von Justin überströmte. – ein Zeichen der Freude, das schwer von einem Zeichen des Schreckens zu unterscheiden gewesen wäre.

»Und wann werden Sie sie mich sehen lassen?«

»Heute Abend noch.«

Justin drückte seine beiden Hände an seine Augen und wankte; Salvator unterstützte ihn, indem er seinen Arm um den Leib des Schulmeisters schlang.

 

»Oh! mein lieber Salvator,« sagte Justin, »Sie werden mich für ein Weib halten und kein Vertrauen mehr zu mir haben.«

»Sie täuschen sich, Justin; denn sehe ich Sie schwach in der Freude, so habe ich Sie stark im Schmerze gesehen.«

»Oh!« murmelte Justin, »und meine Mutter, meine arme Mutter, welche nicht weiß, wie glücklich ich sein werde!«

»Morgen werden Sie ihr Alles sagen, und sie wird durch das Warten nichts verloren haben.«

In seinem Verlangen, rasch nach Viry-sur-Orge zu kommen, machte Justin den Vorschlag, einen Wagen zu nehmen; Salvator bemerkte ihm aber, er könne Mina nur zwischen elf Uhr und Mitternacht sehen, und es wäre also unnütz, drei oder vier Stunden früher nach Juvisy zu kommen. Seine wiederholte Anwesenheit bei der Cour-de-France könnte überdies Verdacht erregen.

Justin ergab sich in die Bemerkung von Salvator. Man beschloß, nicht nur zu Fuße zu gehen, sondern auch die Sache so einzurichten, daß man in den Park des Schlosses erst Nachts um elf Uhr käme.

Sobald sie in der Ebene waren, brachen die zwei Wanderer das Stillschweigen, das sie Paris durchschreitend beobachtet hatten. Die bis dahin zurückgehaltene Conversation nahm eine freiere Wendung, einen lebhafteren Gang an. Es scheint, die innersten Gedanken brauchen, wie die Pflanzen, die freie Luft, um sich auszuhauchen.

Salvator nahm die Einweihung bei dem Punkte wieder auf, wo er sie im Zimmer des Schulmeisters verlassen hatte: er erklärte Justin in ihren Einzelheiten die verborgensten Geheimnisse des Carbonarismus; er offenbarte ihm die Organisation desselben, er sagte ihm den Zweck davon, er zeigte ihm die Freimaurerei tausend Jahre vor Christus im Tempel Salomos entspringend; zuerst ein Bach, dann ein Fluß, dann ein Strom, dann ein See, dann ein Meer.

Justin, als er einen Mann vom Alter und vom Stande von Salvator eben so rasch als vollständig die Geschichte der Gesellschaft machen hörte, horchte aus die Worte des jungen Mannes mit derselben Ehrfurcht, mit der er auf die eines Apostels gehorcht hätte.

Und, begabt mit der so seltenen Fähigkeit, zu organisieren, hatte Salvator in der That in kurzer Zeit und mit wenigen Worten, wie es Cuvier für die physische Welt that, die moralische Geschichte der Gesellschaft wiederaufgefunden, zersetzt und wieder zusammengesetzt.

Die Theorie von Salvator war ganz einfach: es war eine tiefe Zärtlichkeit für die Menschheit, ohne Unterscheidung von Kaste und Race, eine völlige Aushebung der Grenzen, um das Menschengeschlecht in einer und derselben Familie zu vereinigen. Die Erfüllung der Worte Christi, welche, nachdem sie schon die Freiheit und die Gleichheit gegeben, noch die Brüderschaft zu geben hatten.

Für ihn und in seiner weit umfassenden Schätzung waren alle Menschen Söhne von einem und demselben Vater und von einer und derselben Mutter, alle Brüder, folglich alle frei. Die Sklaverei, unter welcher Form sie sich verbarg, war daher das Ungeheuer, das er als die erste Ursache des Uebels niederschmettern wollte. Es war in ihm ein Ueberrest des Adels und der Loyalität der alten Ritter, weiche, um dort zu streiten, nach Palästina gingen. Er hätte gern wie sie sein Leben für den Triumph seines Glaubens gegeben, und er sprach von der Zukunft der Nationen mit der Erhabenheit und mit der Redegabe, welche das Vorrecht des Abbé Dominique zu sein schien.

Uebrigens hatten die zwei jungen Leute, – von denen der Eine, ohne daß er es vermuthete, aus das Leben des Andern einen so großen Einfluß geübt, – die zwei jungen Leute, der Priester und der Commissionär, hatten mehr als eine Aehnlichkeit mit einander: es war dieselbe Liebe für die Menschheit, dieselbe allgemeine Brüderschaft, dasselbe Ziel, nach dem Beide strebten, obgleich aus zwei verschiedenen Wegen fortschreitend und von zwei verschiedenen Punkten ausgehend.

So ging der Abbé Dominique von Gott aus und stieg von Gott zur Menschheit hinab; Salvator suchte das Geheimnis Gottes in der Menschheit und stieg vom Menschen zu Gott hinaus. Die Menschheit war für den Abbé Dominique von göttlicher Schöpfung; Gott war für Salvator von menschlicher Schöpfung; die Menschheit hatte für den Abbé Dominique keinen Grund, zu sein, war sie nicht von einer höheren Macht geschaffen, unterstützt, geleitet; die Menschheit hatte für Salvator keinen Grund zu sein, war sie nicht vollkommen frei, war sie nicht selbst ihre leitende Macht.

Es fand mit einem Worte zwischen ihren religiösen Theorien derselbe Unterschied statt, der in der Politik zwischen der Aristokratie und der Demokratie, zwischen der Monarchie und der Republik stattfindet; und dennoch, wir wiederholen es, strebten, von diesen zwei entgegengesetzten Principien ausgehend, Beide nach demselben Ziele: der Unabhängigkeit der Menschheit, der allgemeinen Brüderschaft.

Für Justin, einen armen Märtyrer, der seit seiner Kindheit mit den Bedürfnissen des materiellen Lebens im Kampfe, nie Zeit gehabt hatte, seinen Blick in den Abgrund der socialen Abstractionen zu tauchen, war diese Theorie von Salvator eine lange Blendung, die bis zum Schwindel ging. Diese Offenbarung machte tausend Funken um ihn her springen, wie sie von einem Herde aufspringen, dessen dem Erlöschen nahe Flammen man anschürt. Eingeschlafen in den Armen der Resignation, dieser himmlischen Wiegefrau, die seit achtzehn Jahrhunderten die Menschheit einschläfert, bebte sein Herz und erwachte plötzlich bei den Worten Brüderschaft und Unabhängigkeit, und nach einem zweistündigen Gehen und Plaudern war er um zehn Ellen gewachsen.

Man geht rasch, man macht viel Weg, geht man angetrieben durch den Hauch einer mächtigen Gemüthsbewegung oder einer großen Idee. Um neun Uhr Abends erreichte man die Cour-de-France.

Man hatte noch zwei Stunden zu warten.

Salvator erinnerte sich einer kleinen Fischerhütte, in der er sieben Jahre vorher, an dem Tage, wo er Brasil gefunden, zu Mittag gegessen hatte. Man gelangte zum Ufer des Flusses; man erkannte die Hütte, man trat ein und erhielt mittelst einer Flasche Wein und einer Matelote Gastfreundschaft.

Die Augen von Justin entfernten sich nur von der Kuckusuhr, um sich sich einen Moment nachher noch glühender aus dieselbe zu richten; ohne das Geräusch, das die Unruhe machte, ein Geräusch, in dem man sich nicht täuschen konnte, hätte Justin geschworen, die Zeiger seien stehen geblieben.

Indessen schlug es zehn Uhr, dann elf Uhr. Salvator sah die Unruhe seines Gefährten und bekam Mitleid.

»Lassen Sie uns gehen!« sagte er.

Justin athmete, sprang von seinem Stuhle nach seinem Hute, und befand sich in der Secunde aus der Schwelle.

Salvator folgte ihm lächelnd.

Es war die Sache von Salvator, ihm den Weg

Er ging in der That voran in der Richtung des Schlosses Viry: man fand den Pont Godeau, die Lindenallee, das Gitter des Parkes.

»Ist es hier?« fragte leise Justin.

Salvator nickte bejahend mit dem Kopfe.

Dann legte er, um zum Stillschweigen zu ermahnen, seinen Finger aus seine Lippen.

Salvator und Justin gingen, leicht und still wie zwei Schatten, längs der Mauer hin; dann blieb Salvator an demselben Orte stehen, wo er sie am Tage vorher erklettert hatte.

»Es ist hier.« flüsterte er.

Justin maß mit den Augen die Höhe der Mauer. Weniger als sein Gefährte an gymnastische Uebungen gewöhnt, fragte er sich, wie er das Hinderniß überwinden sollte.

Salvator lehnte sich an die Mauer an und bot Justin seine beiden Hände als erste Sprosse.

»Wir werden also da hinübersteigen?« fragte Justin.

»Seien Sie ohne Furcht, wir begegnen Niemand.« erwiderte Salvator.

»Oh! nicht für mich fürchte ich, sondern für Sie.«

Salvator machte eine Bewegung mit den Schultern, deren Übersetzung zu geben wir nicht versuchen werden.

»Steigen Sie,« sagte er.

Justin setzte seine Füße in die Hände, sodann aus die Schultern von Salvator, und schwang sich endlich aus die Firste der Mauer.

»Und Sie?« fragte er.

»Springen Sie auf die andere Seite und bekümmern Sie sich nichts um mich.«

Justin gehorchte wie ein Kind.

Hätte ihn Salvator, statt ihm zu sagen, er solle aus den Boden springen, ins Feuer springen heißen, er würde ebenso gehorcht haben.

Er sprang, und Salvator hörte den Wiederhall seiner Füße aus der Erde.

Salvator selbst nahm mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit seinen Schwung, hißte sich mit der Kraft des Faustgelenkes auf die Mauerkappe empor, und war in einer Secunde im Parke bei Justin.

Man mußte sich orientieren, damit man nicht nötig hatte, die Umwege zu machen, welche Salvator das erste Mal, Roland folgend, gemacht hatte.

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