Читать книгу: «Seewölfe Paket 33», страница 25
Der letzte Nachhall der abgefeuerten Geschütze verging.
Als das Klingeln und Summen in den Ohren langsam nachließ, rief Hasard: „Das war’s mal wieder, Freunde! Wir haben eine stürmische Nacht vor uns, aber sie wird ohne weitere Angriffe der Dons vergehen. Freiwache unter Deck! Helft unserem Meisterschützen mit seinen Rohren.“
„Rum für alle? Oder Wein?“ schrie der Kutscher unter dem Achterdeck hervor.
Der Affe schnatterte, als habe er begriffen, daß dieser Abtausch von Geschossen vorbei sei.
„Wein oder Rum, gleichgültig“, meinte der Seewolf. „Aber nicht zuviel. Es wird eine windige Nacht.“
„Aye, aye, Sir.“
Die Culverinen wurden auf ihren klobigen Lafetten, eine nach der anderen, wieder zurückgezogen. Die Zwillinge bauten den Brandsatz ab und verstauten ihn wieder unter Deck.
„Ja, das war’s“, meinte Ben Brighton und sah zu, wie die Segel getrimmt wurden.
„Dabei waren wir noch von außergewöhnlicher Müde und Zurückhaltung“, gab Hasard zurück. Er wirkte trotz des erfolgreichen Gefechtes keineswegs erleichtert oder gar fröhlich.
Auch auf der Karavelle war ein Feuer ausgebrochen.
Die Galeone brannte nicht weniger auffallend. Beide Schiffe waren weit zurückgefallen und wurden kleiner und kleiner, unbedeutender und absolut ungefährlich, Sie stellten inzwischen nur noch eine üble Erinnerung, aber keine Gefahr mehr dar.
Hasard hoffte, daß einer der vernichtenden Treffer den Mönch vom Deck gewirbelt hatte. Wenn die Welt, gleichgültig an welcher Stelle, von einem derartigen Fanatiker befreit wurde, konnte es nur von Vorteil für alle sein, selbst für die Spanier.
Langsam entspannte sich Hasard.
Rumpelnd rollten die breiten Räder der Lafetten über die Decksplanken.
„Kann ich mich darauf verlassen, Ben, daß du das Schiff ohne ernsthafte Schwierigkeiten durch die nächsten dunklen Stunden steuerst?“
Hasard wandte sich an Ben Brighton, den Ersten. Jetzt fühlte er die Müdigkeit wie den Anfall einer rätselhaften Krankheit in seinen Knochen. Ben nickte, auch er grinste nicht.
„Der Wind wird uns nicht aus den Stiefeln kippen“, sagte er. „Du kannst dich ruhig in deine Koje verholen. Da kommt der Kutscher mit dem Getränk der Sieger.“
Der Gestank des verbrannten Pulvers war von Deck weggeblasen worden. Es roch nach gutem, dunkelrotem spanischen Wein aus den Kellern von Vigo. Und nach Rum aus der Karibik. Der Kutscher und Mac Pellew schenkten die Becher voll und kümmerten sich nicht darum, ob der Vorrat zur Neige ging oder nicht.
„Ein guter Schluck zur richtigen Zeit“, sagte Hasard gähnend. „Her mit dem Zeug, Mac.“
Er packte einen wuchtigen Becher, in dem eine ungewöhnlich große Menge Rum schwappte.
„Auf uns, die Seewölfe“, murmelte er. „Denkt ja nicht, daß alles vorbei ist. Bis zum Thron unserer guten, alten Lissy ist es noch verteufelt weit.“
Ben Brighton tat ihm Bescheid und war ebenso ernst, als er antwortete: „Viel zu weit, Sir. Das war nur ein weiteres Zwischenspiel einer langen Reise.“
„Wir wissen es“, murmelte Hasard und sah zu, wie die Buglaterne und die Hecklaterne angezündet und die Sanduhr umgedreht wurden. „Und wir wissen glücklicherweise nicht, wie unsere Welt morgen abend aussieht.“
Ben atmete tief ein und aus und sagte schließlich: „So ähnlich wie heute. Vielleicht noch schlimmer. Oder ganz anders.“
Die Ränder ihrer Becher berührten sich mit einem trockenen Geräusch. Sie schauten einander in die Augen, nickten sich zu und tranken.
Einige Stunden, in denen sie ausschlafen, träumen und sich entspannen konnten, lagen trotz des stürmischen Wetters vor ihnen allen. Morgen war ein anderer Tag, ein anderes Stück Atlantik lag vor ihnen. Es würde sich schon noch herausstellen, was dann wieder los war …
ENDE
1.
Nachdenklich blickte Hasard den schnell treibenden Wolkenschleiern nach, die sich im Norden düster drohend zusammenballten. Unmittelbar über der Kimm lag seit Stunden kaum verändert ein schmaler Streif schweflig gelber Helligkeit.
Ben Brighton, Erster Offizier an Bord der Schebecke, des schlanken Mittelmeerdreimasters der Arwenacks, sog prüfend die Luft ein und stieß sie hörbar wieder aus.
„Es riecht nach Sturm und Gewitter“, sagte er. „Und wir segeln mitten hinein.“
„Die Winterstürme im Atlantik sind so sicher wie das Amen in der Kirche“, entgegnete der Seewolf. „Damit mußten wir rechnen.“
„Ist schon klar.“ Der Erste fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ich warte nur darauf, daß Don Ricardo den Wunsch äußert, dichter unter Land zu gehen.“
Don Ricardo de Mauro y Avila war der spanische Generalkapitän des Konvois – ein übellauniger, mürrischer Mann, hager, mit Hasenscharte und konstanten Bartschatten, die ihm einen düsteren Ausdruck verliehen. Sein Flaggschiff, die „Salvador“, segelte an der Spitze der Schatzgaleonen.
„Äußern kann Ricardo, was und soviel er will, solange er meine Befehle befolgt“, sagte Hasard grinsend.
Die Spanier wußten nicht, welchem Bluff sie aufgesessen waren und schon gar nicht, daß der berüchtigte Seewolf, el Lobo del mar, über ihr Schicksal bestimmte. Sie kannten Philip Hasard Killigrew nur als Don Julio de Vilches, einen Sonderbeauftragten Seiner Majestät Philipp III, dessen Auftrag es angeblich war, die enormen Reichtümer an Bord der Galeonen nicht in Spanien, sondern im befreundeten Irland anzulanden – aus nur schwer einsichtigen Gründen, über die de Vilches sich ohnehin weitgehend ausschwieg.
Die Schebecke, deutlich schneller als die anderen Schiffe, patrouillierte momentan in Lee, während die „Isabella“ unter Jean Ribault und die „Wappen von Kolberg“ die rückwärtige Sicherung übernommen hatten.
Schnell wechselnde Winde aus Nordwest bis West erschwerten einheitliche Segelmanöver und zwangen insbesondere die tiefgehenden Galeonen zu Kreuzschlägen. Die See war kabbelig, aber die durcheinanderlaufenden kurzen Wellen wuchsen schnell an und zeigten erste Schaumkronen.
Nicht einmal eine halbe Stunde verging, bis der Himmel sich mit bleierner Schwärze überzogen hatte. Der Stand der Sonne – es war ungefähr zwei Uhr nachmittags – ließ sich nur mehr ahnen, und der Schwefeldunst im Norden weitete sich aus.
Ein harter Wind bewegte die See. Die Wellen waren jetzt ausgeprägt lang, von weißen Schaumköpfen gekrönt, und vereinzelt wirbelte Gischt auf.
Mit schäumender Hecksee folgte die Schebecke den ersten Schiffen des Konvois. Die „Santos los Reyes Mayos“, und die „Salvador“ segelten nur wenige hundert Yards voneinander entfernt in Kiellinie.
Die Sicht wurde zunehmend schlechter. Über der Kimm wetterleuchtete es, aber noch war kein Donner zu vernehmen. Das Stampfen und Ächzen der Schiffsrümpfe, das gelegentliche Knallen der Segel und das lauter werdende Rauschen der Bugwellen übertönten alle anderen Laute.
Auf den Galeonen wurden die Hecklaternen angezündet. Ihr milchiger Schein vermischte sich mit dem diffusen Halbdunkel, das die Schiffe mehr und mehr zu Schemen werden ließ.
Innerhalb von Augenblicken zeigte sich die See ziemlich grob. Die Wellen begannen zu brechen und der weiße Schaum lag plötzlich in Streifen nahezu quer zum Kurs des Konvois.
Der steife Wind blähte die Segel bretthart. Nicht mehr lange, dann würde zumindest auf den schwergewichtigen Schatzschiffen das übliche Baumwolltuch eingeholt und durch die festeren Sturmsegel ersetzt werden müssen.
Pete Ballie, Gefechtsrudergänger der Arwenacks, stand an der Pinne der Schebecke. Ihm fiel als erstem auf, daß die „Salvador“ aus dem Kurs lief.
„Sir!“ Pete brüllte gegen das Heulen und Pfeifen des stürmischen Windes an. „Das Flaggschiff fällt ab!“
Sah Don Ricardo eine Chance, zur französischen Küste zu segeln? Immerhin lag die Bretagne nicht sehr weit entfernt, und mit ihren vielen Buchten und Einschnitten bot sie sicher auch vor einem stärker werdenden Unwetter Schutz.
„Ruder etwas Steuerbord!“ befahl Hasard. „Wir schließen auf.“
Pete Ballie hatte nichts anderes erwartet.
Die Schebecke segelte unter vollem Preß. Im Vergleich zu den schwerfälligen Galeonen flog sie fast übers Wasser, zumal der Seewolf den erst vor kurzem entwickelten „Spitzbusen“ vorheißen ließ. Das nahezu ballonförmige Beisegel bewährte sich bei Kursen mit raumem oder achterlichem Wind. Das Seltsame an diesem Segel war, daß es nicht an einer Rah, sondern lediglich an seinen drei Ecken gefahren wurde. Um überhaupt auf eine solche Idee zu verfallen, mußte man entweder verrückt oder ein Genie sein. Wahrscheinlich traf letzteres zu. Die Crew der Arwenacks zählte schließlich einige kluge Köpfe.
„Kollisionskurs!“
Pete Ballie verzog zwar die Mundwinkel, schluckte seinen Widerspruch aber ungesagt hinunter. Keine hundertfünfzig Yards trennten die Schebecke noch von der „Salvador“. Sie würde der Galeone unweigerlich in die Flanke donnern. Welches Schiff eine solche Ramming bei stürmischer See besser überstand, blieb dahingestellt – der flachgehende Dreimaster der Seewölfe mit dem kräftigen Vorsteven und der scharfgehöhlten Wasserlinie oder die plumpe Galeone, die so tief im Wasser lag, daß sich die Verschanzungen nahezu auf gleicher Höhe befanden.
Mit einer Spiere war der Spitzbusen nach Lee ausgebaumt. Das Segel behinderte ein wenig die Sicht, ließ aber zugleich die Dons herzlich wenig von dem erkennen, was an Deck der Schebecke geschah.
Noch achtzig Yards.
„Die vermaledeiten Olivenfresser müssen auf beiden Augen blind sein“, behauptete der Profos. „Sie beachten uns überhaupt nicht.“
„Vielleicht will dieser Mistkerl Don Ricardo endlich eine Entscheidung erzwingen“, sagte Ben Brighton. „Ich traue ihm zu, daß er dabei sogar sein Schiff aufs Spiel setzt.“
„Nicht jetzt im Sturm und auch nicht, bevor erkennbar wird, daß wir Irland links liegen lassen.“ Hasard schüttelte den Kopf. Er kaute auf seiner Unterlippe. „Den Busen weg!“ befahl er.
Die Männer hatten wegen des stürmischen Windes sichtlich Mühe mit dem neuen Segel. Bis es endlich niedergeholt war, betrug die Distanz zur „Salvador“ kaum mehr dreißig Yards.
Hasard blickte starr voraus. Wenn er seine Crew nicht gefährden wollte, mußte er den Befehl zum Abfallen geben. Don Ricardo hatte diesmal die besseren Nerven – oder er ahnte ganz einfach, daß der vermeintliche de Vilches einen entscheidenden Schwachpunkt hatte, daß er nämlich Unschuldige nicht willentlich in Gefahr brachte.
„Pete!“ rief Hasard.
In dem Moment wurde auf der Galeone Ruder gelegt. Sie drehte endlich nach Backbord ab.
Hasards Hände verkrampften sich um den Handlauf der Achterdecksverschanzung. Beide Schiffe glitten fast auf Tuchfühlung aneinander vorbei. Um die Rüsten der „Salvador“ zu berühren, hätte er nur die Arme auszustrecken brauchen.
Vorübergehend starrten die Kapitäne einander an: Hasard ruhig lächelnd und sich seines Status’ als Sonderbeauftragter des Königs durchaus bewußt, Don Ricardo hingegen wütend, die Mundwinkel ob seiner neuerlichen Niederlage verzerrt und die Hände zu Fäusten geballt.
„Der Generalkapitän wird bald Rechenschaft fordern“, sagte Ben Brighton, während die Schebecke der „Salvador“ davonlief und zur Wende ansetzte. „Ein Mann wie er steckt nicht immer nur zurück.“
„Daß wir irgendwann auf Konfrontation gehen würden, war mir von Anfang an klar“, erwiderte Hasard. „Nur der Zeitpunkt ist ausschlaggebend.“
„Und der ist dir heute lieber als noch vor einigen Tagen“, meinte Ben Brighton.
„Jede Seemeile näher an London zählt.“
Der erste vielfach verästelte Blitz spaltete das ferne Firmament. Der Donner war als leises Grummeln zu vernehmen.
Hasard gab Befehl, das Großsegel aufzutuchen. Die Schebecke hielt danach ungefähr gleiche Höhe mit Don Ricardos Flaggschiff, das auf den alten Kurs eingeschwenkt war.
Irgend jemand auf der Kuhl lachte herzhaft und bezeichnete den Spanier als einen Hasen, der letztlich davonstob, sobald es brenzlig wurde. Der Seewolf hörte, solche vorschnellen Reden nicht gern, zumal er den Generalkapitän anders einschätzte. Don Ricardo de Mauro y Avila konnte durchaus zum ernstzunehmenden Gegner werden, und das schneller als ihm vielleicht lieb war.
„Glaubst du, es gibt Ärger, Sir?“ Al Conroy klopfte auf eine seiner Culverinen, von denen die Schebecke je sechs Stück an Back- und Steuerbord führte. Die Geschütze hatten eine beachtliche Rohrlänge von 3,70 Yards und das Geschoßgewicht betrug 17,3 Pfund, genug, um Masten zu kappen und ausgezackte Lecks in gegnerische Bordwände zu brechen.
„Ein Gefecht wird der Generalkapitän nicht riskieren“, sagte Hasard. „Zumindest nicht, bevor er unsere wahren Absichten durchschaut.“
Es begann zu regnen.
Aus einzelnen dicken Tropfen, die klatschend auf den Planken zersprangen, wurde eine wahre Sintflut. Als hätte der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet, ergoß sich das Wasser aus den tief hängenden Wolken.
Die Schiffe stampften und schlingerten, und von einem Moment zum anderen hingen die Segel schlaff und triefend von den Rahen. Nur ein leiser Zug wehte noch, zu gering, als daß er das nasse Tuch hätte füllen können.
Das Meer, einmal aufgewühlt, blieb jedoch so stürmisch bewegt wie zuvor.
Auf den meisten Schiffen hantierten Mannschaften mit Planen und leeren Fässern, um den Trinkwasservorrat aufzubessern.
Dumpfer Donnerhall rollte in nicht enden wollendem Stakkato über den Atlantik. Die Blitze zuckten nun rundum auf, als strebten mehrere Gewitter nach Vereinigung.
Irrlichternde, blendende Helligkeit raste plötzlich über die Flotte hinweg, gefolgt von dem schmetternden, ohrenbetäubenden Dröhnen eines nahen Einschlags. Wer zufällig nach Backbord querab blickte, glaubte zu sehen, daß das Meer aufloderte. Jedenfalls behaupteten nicht wenige Männer später, sie hätten Flammen von den Wellen aufsteigen und sich in Masthöhe vereinen sehen, gefolgt von aufstiebender, zerstäubender Gischt. Der Lärm war schlimmer, als wäre ein Dutzend Vierundzwanzigpfünder gleichzeitig in allernächster Nähe abgefeuert worden.
Das Gewitter verharrte über dem Konvoi. Blitze sorgten für eine gespenstische Szenerie und rissen die Schiffe immer wieder wie Schlaglichter für winzige Augenblicke aus der sie einhüllenden Düsternis.
Das unstete Flackern und die Geräuschkulisse erinnerten an ein nächtliches heftiges Gefecht. Nur der Pulverdampf fehlte, der in einem solchen Fall erstickend über dem Wasser hing.
Dem schmetternden Einschlag folgte eine neue gleißende Lichtflut, begleitet von einem scharfen, peitschenden Knall und dem splitternden Bersten von Holz.
Vorübergehend wußte niemand, was geschehen war. Doch dann loderte inmitten des Chaos aus Licht und Dunkelheit eine Fackel auf, neigte sich und taumelte in einer Wolke aufstiebender Funken der Kuhl der „Santos los Reyes Mayos“ entgegen. Glimmende Segelfetzen verfingen sich zwischen Tauen und Wanten, aber die Flammen fanden wegen der herrschenden Nässe keine neue Nahrung und erloschen von selbst.
Ein Blitz hatte in die Großstenge der Galeone eingeschlagen, sie bis zum Mars der Länge nach aufgespalten, hatte das Rack der Untermarsrah aus der Verankerung gebrochen und diese mit ungestümer Wucht zersplittert, wobei die Spiere als auch das Untermarssegel sofort Feuer fingen.
An Deck entstand vorübergehend Wuhling, als die Spanier wie aufgescheuchtes Federvieh durcheinanderstoben und sich bemühten, die ohnehin von selbst erlöschenden Glutnester auszuschlagen.
Einige Kerle kappten nicht nur die Untermarsbrasse und andere Taue, um die kokelnde, vom Blitz verkohlte Rah über Bord zu werfen, sie vergriffen sich in ihrem Übereifer auch an Pardunen und Stengestag und wurden erst schlauer, als die kläglichen Reste der Stenge als Splitterregen auf sie niedergingen.
Der Seewolf beobachtete das Geschehen auf der nahezu querab liegenden „Santos los Reyes Mayos“ durchs Spektiv. Der Blitz schien keine ernsteren Schäden verursacht zu haben. Offenbar war er in den am höchsten aufragenden Mast eingefahren wie der Teufel in die arme Seele eines Sünders und hatte ihn über die Rah wieder verlassen.
Sven Nyberg, Decksmann auf der Schebecke, reagierte völlig aufgelöst und war leichenblaß. Krampfhaft klammerte er sich an einem straffgespannten Manntau fest.
„Habt – habt ihr das gesehen? Es war für einen Moment, als hätte sich der Himmel aufgetan – nein, die Hölle, es muß die Hölle sein. Dieses lodernde Feuer, diese Helligkeit …“
Er redete schnell und beinahe unverständlich und vor allem, ohne dabei Atem zu holen. Zudem verfiel er mehrmals in seiner dänischen Muttersprache, die von den anderen Arwenacks weiß Gott nicht verstanden wurde. Nils Larsen, ebenfalls dänischer Abstammung, war hoffnungslos überfordert als er versuchte, alles zu übersetzen.
Erst der Profos bereitete dem unverständlichen Redefluß ein Ende, indem er Nyberg mit dem abgespreizten Zeigefinger vor die Brust stieß, daß ihm schier die Luft wegblieb, und ihn außerdem auf spanisch anbrüllte, er solle sich endlich einer gesitteten Sprache bedienen und nicht vom Smerebrød und anderem Kauderwelsch reden. Das Gebrüll erschreckte den guten Sven derart, daß er prompt wieder einatmete und nicht Gefahr lief, zu ersticken.
Edwin Carberry lächelte – er verzog sein Narbengesicht zu einer abstoßenden Grimasse.
„Siehst du, Jungchen“, sagte er, immer noch bedrohlich laut, „in Ruhe kann man besser über alles reden. Also noch mal von vorn, schieß los!“
„Der Blitz ist wie ein Höllenfeuer in die Galeone eingefahren“, erklärte Sven Nyberg kaum langsamer als zuvor. „Die Rahnock hatte plötzlich einen richtigen Heiligenschein, so einen Strahlenkranz ringsum, ihr wißt schon …“
„Gar nichts wissen wir“, sagte der Profos grollend.
Sven setzte ein unverschämtes Grinsen auf. „Genau deshalb erzähle ich euch, was ich gesehen habe.“
„Du hast vielleicht geträumt“, behauptete Big Old Shane, der Schiffsschmied. „Ich habe auch zu dem Kahn rübergeschaut, aber einen Heiligenschein habe ich bestimmt nicht mitgekriegt.“
„Den hätten die Dons auf keinen Fall verdient.“ Mit seiner Bemerkung zog Mac Pellew die Lacher eindeutig auf seine Seite, was seine zumeist sauertöpfische Miene aber keineswegs beeinträchtigte. Griesgrämig blickte er um sich, als wolle er fragen, was es da zu lachen gäbe.
2.
„Die ‚Salvador‘ gibt Signal!“ rief Gary Andrews vom Vorschiff. „Der Generalkapitän wünscht dich zu sprechen, Sir.“
„Don Ricardo?“ fragte der Profos überrascht. „Was kann der schon wollen?“
„Was wohl?“ Der Seewolf deutete mit einer umfassenden Handbewegung nach Steuerbord, wo viele, viele Meilen entfernt Land lag – genauer gesagt die Südwestküste der Bretagne. Nach flüchtigem Überlegen wandte er sich an Gary Andrews: „Gib zur ‚Salvador‘ zurück, daß ich mit dem Generalkapitän reden werde, sobald die See sich beruhigt hat.“
Kurze Zeit später wurde offenbar, daß Don Ricardo de Mauro y Avila nicht mehr gewillt war, sich hinhalten zu lassen. Erneute Zeichen vom Flaggschiff bedeuteten, daß er umgehend mit Don de Vilches sprechen wolle. Anderenfalls sähe er sich gezwungen, auf eigene Faust zu handeln.
„Der bläst sich nur auf“, meinte Nils Larsen.
„Das ist nicht mehr als ein Warnschuß vor den Bug“, sagte Mac Pellew.
„Und wenn der doch Lunte gerochen hat?“ grollte der Profos.
„Das hat er längst.“ Hasard winkte lässig ab. „Er weiß es nur noch nicht. Und ich werde dafür sorgen, daß das weiterhin so bleibt. Wenigstens bis wir bei den Scilly-Inseln auf Ostkurs abdrehen.“
„Du willst also zur ‚Salvador‘ übersetzen?“ Der Profos rieb sich erwartungsvoll die Pranken. Es knirschte dabei, als sei die Schebecke soeben auf ein Riff gelaufen. „Wen nimmst du mit? Du brauchst Begleiter mit Überzeugungskraft.“
„An Bord des Flaggschiffs wird nicht geprügelt.“
„Habe ich das behauptet?“
„Dein Grinsen verrät genug.“
„Also, dieser Don Ricardo hat eine Visage, da juckt es mich jedesmal gehörig in den Fingern …“
„Ed!“ sagte Hasard scharf.
„Schon gut.“ Der Profos schnaubte wie ein untertauchendes Walroß. „Ich beschränke mich darauf, nur im äußersten Notfall einige behutsame Kläpschen auszuteilen. Obwohl das diese quergekanteten hohlen Donschädel bestimmt nicht ins Lot rückt. Anwesende natürlich ausgenommen“, sagte er mit einem flüchtigen Seitenblick zu Don Juan de Alcazar, der eben erst zu ihnen getreten war.
Hasard ließ die kleine Jolle zum Aussetzen klarmachen. Don Juan, der Profos, Ferris Tucker und Mac O’Higgins sollten ihn begleiten.
Wenig später pullten sie, in spitzem Winkel zur herrschenden Strömung, der „Salvador“ entgegen. Natürlich hätte Hasard den Generalkapitän auf die Schebecke befehlen können, doch wäre Don Ricardo kaum erschienen. Im momentanen Stadium war es besser, den Spanier nicht schon solcher Kleinigkeiten wegen herauszufordern. Noch hätte eine Auseinandersetzung den Verlust des Konvois oder wenigstens der Mehrzahl der Schiffe bedeutet, weil zu viele Fluchtwege offenstanden.
Die Jolle wurde arg gebeutelt, bis sie endlich an Steuerbord der Galeone längsseits lag. Das Wasser stand im Boot mehr als knöchelhoch, doch die nassen Füße spürte keiner, da der Regen nach wie vor wie aus Kübeln niederprasselte.
Mit einer unwilligen Bewegung strich sich Hasard die triefenden Haare aus der Stirn, bevor er zur Kuhl der „Salvador“ aufenterte. Seine Begleiter und er wurden lediglich von den beiden Offizieren empfangen und zu den Achterdeckskammern geleitet.
Es war zuviel erwartet, Don Ricardo höchstpersönlich an Deck zu sehen. Er zog die behagliche Geborgenheit im Trockenen der klammen Nässe auf der Haut vor. Zu seiner mürrischen, rechthaberischen Art gehörte demnach auch eine Portion Stutzertum.
„Bei dem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür“, raunte Carberry gerade so laut, daß nur Hasard und Don Juan ihn verstehen konnten.
Die Kapitänskammer war zwar nicht übermäßig geräumig, doch sie bot den insgesamt acht Personen ausreichend Platz und hatte zudem einigen Komfort, wie er auf den anderen Galeonen nicht zu finden war, angefangen von den gepolsterten Stühlen über die schweren Brokatvorhänge vor den teilweise sogar bunten, bleiverglasten Scheiben bis hin zu der mit einem Baldachin verhängten Koje.
„Ein Lotterbett“, stellte Carberry sachlich und anerkennend zugleich fest. Natürlich befleißigte er sich einer derart flüsternden Aussprache, daß keiner, der nicht auf Tuchfühlung neben ihm stand, etwas hörte, geschweige denn sah, daß er die Lippen bewegte. Für den Profos, sonst das Donnerwetter in Person, bedeutete das eine beachtliche Leistung an Selbstbeherrschung.
Ferris Tucker stieß ihm den Ellenbogen in die Seite.
„Du kennst dich aus mit Lotterbetten?“
„Ich weiß, daß das eins ist, und das genügt.“
„Bitte, Señores, setzen Sie sich“, sagte Don Ricardo de Mauro y Avila in dem Moment.
Leider waren Stühle nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Aber das tat der sichtlich besser werdenden Laune des Profosen keinen Abbruch. Bevor ihn jemand hindern konnte, trat er die paar Schritte zur Seite, die ihn von Don Ricardos anheimelnder Schlafstatt trennten, und ließ sich wohlig grunzend auf die ausgebreiteten Decken sinken.
Die Laute, die er produzierte, vermischten sich mit dem gequälten Ächzen und Knarren der hölzernen Unterkonstruktion und dem nicht minder eindrucksvollen Rascheln der Matratze. Bis zur Hüfte versank der Profos in einer Kuhle. Das Knarzen verstärkte sich aber nicht mehr, als er probeweise wippte.
Tucker warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, woraufhin der Profos sich über die Lippen leckte und bestätigend nickte.
In dem Moment sprach Hasard bereits und zog damit die Aufmerksamkeit des Generalkapitäns auf sich.
„Sie wollten eine Besprechung, Don Ricardo. Was ist von derartiger Wichtigkeit, daß es nicht noch einige Stunden Aufschub vertragen hätte?“
Der Generalkapitän lehnte sich in seinem Sessel zurück, stützte die Ellenbogen seitlich auf und legte das Kinn auf die ineinanderverschränkten Hände. Ausgerechnet er, der aggressiv wurde, sobald ihn jemand länger anblickte, starrte den Seewolf aus dieser Haltung heraus durchdringend an.
„Unser Kurs“, sagte er hart.
Grelle, zuckende Helligkeit durchflutete die Kammer und zeichnete grotesk verzerrte Schatten. Der Donner, ungewöhnlich lang anhaltend und so dumpf rumorend, als würde das Meer sich jeden Moment auftun und eine Horde monströser Kreaturen ausspeien, folgte auf dem Fuß. Alle starrten durch die verzerrenden Glasscheiben auf die glitzernden Wellen hinaus. Selbst die Mittagssonne strahlte nicht in einem derart kräftigen Weiß, wie es jetzt zu sehen war. Das Gewitter hatte sich längst nicht ausgetobt, sondern schien nach einer kurzen Phase der Beruhigung noch einmal alle zerstörerische Gewalt zu entfalten.
„Wintergewitter sind zum Glück selten“, sagte Don Juan. „Aber wenn sie losbrechen …“
„Wir sind nicht hier, um über das Wetter zu reden, Don Juan“, unterbrach der Generalkapitän schroff.
„Unser Kurs weicht nicht einen Strich von der vorgesehenen Route ab“, sagte Hasard. „So sehr ich die zusätzlichen Strapazen bedauere, die unsere Leute auf sich nehmen müssen, ich sehe keine Möglichkeit, schneller ans Ziel zu gelangen.“
„Im Sturm ohnehin gefährliche Gewässer durchkreuzen und bis fast vor die Haustür unseres Erzfeindes England segeln, wollen Sie das wirklich, Don Julio? Wir gefährden damit unnötig Schiffe, Mannschaften und vor allem unsere Fracht.“
„Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.“
„O doch“, begehrte der Generalkapitän auf. „Ich bin der Meinung, daß wir gerade darüber nicht ausführlich genug geredet haben. Die ‚Nobleza‘ ist spurlos verschwunden, die ‚Respeto‘ explodiert – sollen wir weitere Schiffe verlieren? Gold und Silber werden in Spanien dringender benötigt als je zuvor. Warum kehren wir nicht um, solange noch Zeit dazu ist, und laufen Santander, Gijón oder La Coruña an?“
Hasards Augen verengten sich. Um seine Mundwinkel lag plötzlich ein ungewöhnlicher scharfer Zug.
„Selbst als Generalkapitän stehen Ihnen solche Äußerungen nicht zu. Soll ich Ihre Rede als Meuterei auffassen?“
„Als Vorschlag, Verluste zu begrenzen.“ Während Hasard ruhig und gelassen blieb, kauerte Don Ricardo sprungbereit im Sessel. Seine Finger verkrampften sich um die Armlehnen, daß die Knöchel weiß unter der Haut hervortraten. „Hätten wir Cádiz angelaufen, könnten auch die Schätze der ‚Respeto‘ noch zur Verfügung stehen.“
„Die Unfähigkeit Ihrer Kapitäne sollten Sie denen anlasten, die sie zu verantworten haben.“
Natürlich nahm Don Ricardo den Vorwurf, wie er gemeint war, nämlich gegen seine Person gemünzt. Er verfärbte sich, seine Wangenmuskeln begannen unkontrolliert zu zucken. Im nächsten Moment sprang er auf und stierte Hasard unverhohlen feindselig an.
„Sie werden unverschämt und obendrein ausfällig, Capitán de Vilches“, schnaubte er. „Ich brauche mir ein solches Verhalten nicht bieten zu lassen, schon gar nicht auf meinem eigenen Schiff.“
„… das letztlich wie alle anderen meiner Befehlsgewalt unterstellt wurde“, sagte Hasard. „Ich will Sie in keiner Weise übergehen, Don Ricardo, ich würde mich sogar über eine Zusammenarbeit mit Ihnen freuen.“
Der Generalkapitän vollführte eine energische, geringschätzige Handbewegung.
„Nicht, solange die Schiffe weiterhin mit Kurs auf Irland segeln. Ich bin nicht länger gewillt, diesen Irrsinn zu dulden, geschweige denn zu unterstützen.“
Hasard seufzte tief, ließ sich zurücksinken und verschränkte die Arme.
Kopfschüttelnd sagte er: „Dieser Irrsinn, wie Sie sich ausdrücken, wurde von unserem Allergnädigsten König, Seiner Majestät persönlich, angeordnet. Ich darf Sie demnach dringendst bitten, sich weniger abfällig zu äußern.“
„Warum wurde uns die Order nicht mit versiegeltem Schriftstück übergeben?“ fragte Miguel Salcho, der Erste Offizier der „Salvador“, den Hasard schon bei ihrer ersten Begegnung als pedantischen Klugscheißer kennengelernt hatte.
„Das wäre auch das Mindeste gewesen, was Seine Majestät uns schuldig ist“, bemerkte Bernardo de Murcia hämisch. Er war der Zweite, ein verknöcherter, kleiner, geiernasiger Kerl mit scharfer Zunge und stechendem Blick. Seine Pergamenthaut hatte eine ungesunde Färbung, die ihn häufig genug greisenhaft erscheinen ließ.
Hasard stellte fest, daß die Offiziere und der Generalkapitän zueinander paßten wie die Faust aufs Auge.
„In Spanien herrschen Aufruhr und Unruhe.“ Don Juan wiederholte an Stelle des Seewolfs die schon benutzten Ausflüchte. „Ihnen dürfte klar sein, Señores, daß jedes Schriftstück die Gefahr birgt, in falsche Hände zu geraten. Zum Beispiel in die der Engländer. Die Folgen wären unausdenkbar.“
„Das ist geradezu lachhaft“, schnaubte der Generalkapitän. „Kein Spanier würde einen solchen Verrat üben. Eher“, er musterte den vermeintlichen Sonderbeauftragten und seine Begleiter der Reihe nach, „eher versuchen Schnapphähne und übelstes Lumpenpack, unsere Schätze zu erbeuten. Was halten Sie davon?“
„Wenig“, sagte Hasard geringschätzig. „Soll das Gesindel ruhig angreifen, die Breitseiten unserer Schiffe werden jedem das Fürchten lehren.“
Don Ricardo drehte auf dem Absatz um und blickte scheinbar gedankenverloren durch die Scheiben auf das nach wie vor wildbewegte Meer hinaus. Nur noch vereinzelt geisterten Blitze über den Himmel. Im Süden fiel ein Schimmer fahler Helligkeit durch die aufreißende Wolkendecke.
„Wer sind Sie, Don Julio?“ fragte der Spanier, ohne sich umzuwenden. „Ein Pirat, der ein Schreiben des Königs abgefangen hat und auf leichte Beute hofft?“
Philip Hasard Killigrew lachte glockenhell, obwohl er innerlich zutiefst erschüttert reagierte. Er gab sich Mühe, seiner Stimme einen spöttischen Klang zu verleihen.
„Dann würde ich Ihnen dieses Schreiben zeigen.“
„Das hängt wohl von seinem Inhalt ab.“
Ruckartig wandte sich Don Ricardo wieder um. Sein Gesicht wirkte kantiger als noch kurz zuvor. Die dunklen Augen funkelten eisig, und scheinbar zufällig lag seine Rechte auf dem Griff des Degens.