Das Geld

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Из серии: Die Rougon-Macquart #18
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»Ganz ehrlich, würde Ihnen das weh tun?«

»Ja, sehr.«

Sie beruhigte sich und lächelte.

»Und gestehen Sie es nur, Ihnen liegt selbst nicht viel daran.«

»Mir? Oh, ich bete Sie an.«

»Nein, sagen Sie das nicht. Sie werden bald so beschäftigt sein! Und dann ... ich versichere Ihnen, ich bin bereit, wahre Freundschaft für Sie zu empfinden, wenn Sie der Mann der Tat sind, für den ich Sie halte, und wenn Sie alle die großen Dinge vollbringen, von denen Sie reden ... Sehen Sie, Freundschaft ist viel besser!«

Immer noch lächelnd, hörte er ihr zu und war doch verlegen und betroffen. Sie verweigerte sich ihm. Zu dumm, daß er sie nur einmal besessen hatte, damals, als er sie überrumpelt hatte. Doch darunter litt nur seine Eitelkeit.

»Also bloß Freunde?«

»Ja, ich will Ihr Kamerad sein, ich werde Ihnen helfen ... Lassen Sie uns Freunde, wahre Freunde sein!«

Sie hielt ihm die Wangen hin, und besiegt, weil er fand, daß sie recht hatte, drückte er zwei herzhafte Küsse darauf.

Drittes Kapitel

Der Brief des russischen Bankiers aus Konstantinopel, den Sigismond übersetzt hatte, enthielt die erwartete günstige Antwort, um in Paris das Geschäft anlaufen zu lassen; und schon am übernächsten Tag hatte Saccard beim Erwachen die Eingebung, daß er noch am gleichen Tag handeln und vor Einbruch der Nacht auf einen Schlag das Konsortium gebildet haben müsse, dessen er sich versichern wollte, um im voraus die fünfzigtausend Aktien zu je fünfhundert Francs seiner Aktiengesellschaft unterzubringen, die ein Stammkapital von fünfundzwanzig Millionen haben sollte.

Als er aus dem Bett sprang, hatte er endlich den Namen für diese Gesellschaft gefunden, das Firmenschild, das er seit langem suchte. Die Worte »Banque Universelle«, Universal-Bank, hatten plötzlich, wie in Flammenschrift geschrieben, in dem noch dunklen Zimmer vor ihm gestanden.

»Banque Universelle«, wiederholte er ständig, während er sich ankleidete, »Banque Universelle – das ist einfach, das ist groß, das umfaßt alles, das birgt die Welt in sich ... Ja, ja, vortrefflich! Banque Universelle!«

Bis halb zehn durchwanderte er, in Gedanken versunken, die großen Zimmer und wußte nicht, wo in Paris er seine Jagd auf die Millionen beginnen sollte. Fünfundzwanzig Millionen lassen sich noch auftreiben an einer Straßenecke; aber es war die Qual der Wahl, die ihn überlegen ließ, denn er wollte ein bißchen Methode hineinbringen. Er trank eine Tasse Milch, er wurde auch nicht ärgerlich, als der Kutscher heraufkam und ihm sagte, daß es dem Pferd nicht gut gehe, zweifellos infolge einer Erkältung, und daß es klüger wäre, den Tierarzt kommen zu lassen.

»Ist gut, machen Sie nur ... Ich nehme eine Droschke.«

Doch auf dem Bürgersteig überraschte ihn der scharfe Wind, der draußen blies: eine plötzliche Wiederkehr des Winters in diesem gestern noch so milden Mai. Es regnete zwar nicht, aber dicke gelbe Wolken zogen am Horizont auf. Und er nahm keine Droschke, um sich beim Laufen zu erwärmen. Zunächst wollte er zu Fuß zu Mazaud gehen, dem Wechselmakler in der Rue de la Banque, denn er hatte die Absicht, ihn über Daigremont auszuholen, den wohlbekannten Spekulanten, das erfolgreiche Mitglied aller Konsortien. Allein in der Rue Vivienne prasselte von dem mit bleifarbenen Wolken bezogenen Himmel ein solcher Regen- und Hagelschauer nieder, daß er sich in einen Torweg flüchtete.

Dort stand er seit einer Minute und sah den Platzregen niedergehen, als ein helles Geläut von Goldstücken das Rauschen des Regens übertönte und ihn die Ohren spitzen ließ. Es schien aus dem Erdinnern zu kommen, anhaltend, leise und melodisch wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Er wandte den Kopf, hielt Ausschau und merkte, daß er sich unter dem Torbogen des Hauses Kolb befand, jenes Bankiers Kolb, der sich vor allem mit Arbitragen in Gold befaßte. Er kaufte das Münzgeld in den Staaten auf, wo es niedrig im Kurs stand, schmolz es dann ein und verkaufte die Barren in den Ländern, in denen Gold einen hohen Kurswert hatte; und an den Schmelztagen stieg aus dem Keller von früh bis spät das kristallene Geräusch der Goldstücke empor, die scheffelweise aus Kisten in den Schmelztiegel geworfen wurden. Das ganze Jahr über klingen den Passanten auf dem Bürgersteig die Ohren davon. Jetzt lächelte Saccard befriedigt zu dieser Musik, die gleichsam die unterirdische Stimme dieses Börsenviertels war. Er sah darin ein glückliches Vorzeichen.

Es regnete nicht mehr, er überquerte den Platz und war gleich bei Mazaud. Ausnahmsweise hatte der junge Wechselmakler seine Privatwohnung im ersten Stockwerk desselben Hauses, in dem auch die Räume seines Maklerbüros lagen, die das ganze zweite Stockwerk einnahmen. Er hatte einfach die Wohnung seines Onkels übernommen, als er sich bei dessen Tod mit den Miterben über die Auszahlung für das Büro verständigte.

Es schlug zehn Uhr, und Saccard ging gleich in die Geschäftsräume hinauf, vor deren Eingang er Gustave Sédlille begegnete.

»Ist Herr Mazaud da?«

»Ich weiß nicht, mein Herr, ich bin gerade erst gekommen.«

Der junge Mann lächelte. Er erschien immer mit Verspätung und nahm seine Anstellung als unbezahlter Volontär nicht ernst; seinem Vater zuliebe, dem Seidenfabrikanten in der Rue des Jeûneurs, hatte er sich darein gefügt, hier ein oder zwei Jahre zuzubringen.

Saccard durchquerte den Kassenraum, wo ihn der Bargeldkassierer und der Aktienverwalter grüßten; dann betrat er das Zimmer der beiden Prokuristen, wo er nur Berthier antraf, denjenigen von beiden, dem der Kundenverkehr oblag und der den Chef zur Börse begleitete.

»Ist Herr Mazaud da?«

»Ich denke doch, ich komme gerade aus seinem Arbeitszimmer ... Halt, nein! Dort ist er nicht mehr, sondern in der Kassaabteilung.«

Berthier hatte eine Tür in seiner Nähe aufgestoßen und ließ den Blick durch ein ziemlich großes Zimmer schweifen, in dem unter Aufsicht des Bürochefs fünf Angestellte arbeiteten.

»Nein, das ist ja sonderbar! Sehen Sie doch selbst mal in der Liquidation nach, da nebenan.«

Saccard betrat das Liquidationsbüro. Dort sah der Liquidator, der wichtigste Mann des Maklerbüros, dem sieben Angestellte zur Seite standen, das Handbuch durch, das ihm der Makler jeden Tag nach der Börse aushändigte, und überschrieb dann die nach erhaltener Order getätigten Geschäfte auf die Kunden, wobei er die Auftragszettel zu Hilfe nahm, die der Namen wegen aufgehoben wurden; im Handbuch stehen nämlich keine Namen, es enthält nur den kurzen Hinweis über Kauf oder Verkauf: das und das Papier, die und die Stückzahl zu dem und dem Kurs von dem und dem Makler.

»Haben Sie Herrn Mazaud gesehen?« fragte Saccard.

Aber man antwortete ihm nicht einmal. Da der Liquidator hinausgegangen war, lasen drei Angestellte ihre Zeitung, zwei andere schauten in die Luft, während sich der kleine Flory lebhaft für den hereinkommenden Gustave Sédille interessierte. Flory, der am Morgen für gewöhnlich Schreibereien erledigte und Zahlungsverpflichtungen barattierte und am Nachmittag in der Börse die Telegramme aufzugeben hatte, war in Saintes als Sohn eines auf der Registratur beschäftigten Vaters geboren und zuerst Schreiber bei einem Bankier in Bordeaux gewesen; gegen Ende des vergangenen Herbstes war er in Paris bei Mazaud hereingeschneit, wo ihm keine andere Aussicht blühte, als vielleicht in zehn Jahren sein Gehalt verdoppeln zu können. Bis jetzt hatte er sich gut geführt, war pünktlich und gewissenhaft. Allein seit einem Monat, seit Gustave im Maklerbüro war, kam er aus dem Gleichmaß und wurde mitgerissen von seinem neuen Kollegen; dieser war sehr elegant, sehr gewandt, verfügte über genügend Geld und hatte ihm Damenbekanntschaften vermittelt. In Florys bärtigem Gesicht vereinigte sich eine lüsterne Nase mit einem reizvollen Mund und zärtlichen Augen. Er war mit von der Partie bei den kleinen, nicht allzu teuren Vergnügungsfahrten mit Fräulein Chuchu, einer Statistin vom Théâtre des Variétés56, einer mageren Hure des Pariser Pflasters, der durchgebrannten Tochter einer Concierge57 vom Montmartre, die drollig aussah mit ihrem Gesicht wie aus Pappmaché, in dem wunderbare große braune Augen leuchteten.

Noch bevor Gustave den Hut abgenommen hatte, erzählte er Flory von seinem gestrigen Abend.

»Ja, mein Lieber, ich habe schon gedacht, daß mich Germaine rausschmeißen würde, weil Jacoby gekommen ist. Aber sie hat den Dreh gefunden, ihn vor die Tür zu setzen. Ach, ich weiß gar nicht, wie sie das fertiggebracht hat! Und ich bin dageblieben.«

Beide erstickten fast vor Lachen. Es handelte sich um Germaine Cœur, ein prächtiges Mädchen von fünfundzwanzig Jahren, mit vollem Busen, nur ein wenig träge und gleichgültig. Sie wurde in diesem Monat von einem Kollegen Mazauds, dem Juden Jacoby, ausgehalten. Sie hatte es immer mit Leuten von der Börse, und immer nur monatsweise, was sehr bequem ist für vielbeschäftigte Männer, die den Kopf mit Zahlen voll haben und die Liebe wie alles andere bezahlen, ohne Zeit für eine echte Leidenschaft zu finden. Eine einzige Sorge beunruhigte sie in ihrer kleinen Wohnung in der Rue de la Michodière, die Sorge, Begegnungen zwischen den Herren zu vermeiden, die sich möglicherweise kannten.

»Sagen Sie mal«, forschte Flory, »ich dachte, Sie halten es mit der hübschen Papierwarenhändlerin?«

Aber bei dieser Anspielung auf Frau Conin wurde Gustave ernst. Frau Conin gebührte Respekt: sie war eine anständige Frau. Und wenn sie einen zu erhören geruhte, so gab es doch kein Beispiel dafür, daß sich ein Mann geschwätzig erwiesen hätte, so gut Freund blieb man mit ihr. Deshalb stellte Gustave, der nicht antworten wollte, eine Gegenfrage.

 

»Und was ist denn mit Chuchu, haben Sie sie zu Mabille58 geführt?«

»Ach, i wo, das ist zu teuer! Wir sind wieder nach Hause gegangen und haben uns einen Tee gemacht.«

Hinter den jungen Leuten stehend, hatte Saccard diese Frauennamen gehört, die sie schnell einander zuflüsterten. Er lächelte und wandte sich an Flory.

»Haben Sie nicht Herrn Mazaud gesehen?«

»Doch, mein Herr, er hat mir vorhin einen Auftrag erteilt und ist dann wieder in seine Wohnung hinuntergegangen ... Ich glaube, sein kleiner Junge ist krank, man hat ihm gemeldet, daß der Doktor da wäre ... Sie müßten bei ihm klingeln, denn vielleicht geht er weg, ohne noch einmal heraufzukommen.«

Saccard dankte und lief eilends eine Treppe tiefer. Mazaud war einer der jüngsten Wechselmakler; vom Schicksal verwöhnt, hatte er das Glück gehabt, beim Tode seines Onkels Inhaber eines der am besten gehenden Maklerbüros von Paris zu werden, in einem Alter, in dem man sonst noch das Geschäft erlernt. Klein von Gestalt, besaß er ein angenehmes Äußeres, trug einen kleinen braunen Schnurrbart und hatte durchdringende schwarze Augen; er zeigte große Aktivität und auch einen sehr wachen Verstand. In der Corbeille rühmte man schon seine geistige und körperliche Regsamkeit, die in diesem Beruf so notwendig war und die ihn im Verein mit einem guten Gespür und einer ausgeprägten Intuition in die erste Reihe bringen würde. Außerdem hatte er eine durchdringende Stimme, bekam aus erster Hand Informationen über Auslandsbörsen, unterhielt Beziehungen zu allen großen Bankiers und hatte schließlich, wie erzählt wurde, einen entfernten Cousin bei der Havas- Agentur59. Seine Frau, die er aus Liebe geheiratet, hatte zwölfhunderttausend Francs Mitgift in die Ehe eingebracht; sie war eine reizende junge Frau, mit der er schon zwei Kinder hatte: ein Mädchen von drei Jahren und einen Jungen von achtzehn Monaten.

Gerade geleitete er den Doktor, der ihn lachend beruhigte, auf den Treppenabsatz hinaus.

»Treten Sie doch ein«, sagte er zu Saccard. »Wahrhaftig, bei diesen kleinen Wesen macht man sich immer gleich Gedanken und hält sie beim geringsten Wehwehchen für verloren.«

Damit führte er ihn in den Salon, wo seine Frau das Baby noch auf dem Schoß hatte, während das Töchterchen glücklich war, die Mutter fröhlich zu sehen, und sich hochreckte, um ihr einen Kuß zu geben. Alle drei waren blond, von einer milchigen Frische, und die junge Mutter sah ebenso zart und unschuldig aus wie die Kinder. Mazaud drückte ihr einen Kuß aufs Haar.

»Siehst du nun, daß wir uns nur verrückt gemacht haben?«

»Ach, das tut nichts, mein Lieber, ich bin so froh, daß er uns beruhigt hat!«

Vor diesem großen Glück war Saccard stehengeblieben und grüßte. Das verschwenderisch eingerichtete Zimmer duftete nach dem glücklichen Leben dieser Familie, die noch nichts entzweit hatte: in den vier Jahren, die er verheiratet war, hatte Mazaud höchstens mal eine kurze Liebelei mit einer Sängerin von der Opéra Comique gehabt. Er blieb ein treuer Gatte, wie er auch in dem Ruf stand, trotz seines jugendlichen Feuers noch nicht allzusehr auf eigene Rechnung zu spekulieren. Und diesen Duft von Glück und ungetrübter Wonne atmete man wirklich in dem verschwiegenen Frieden der Teppiche und Wandbespannungen, in dem Wohlgeruch, mit dem ein großer Rosenstrauß, der üppig aus einer chinesischen Vase quoll, das ganze Zimmer erfüllte.

Frau Mazaud, die Saccard flüchtig kannte, sagte heiter zu ihm:

»Nicht wahr, mein Herr, um immer glücklich zu sein, braucht man es nur zu wollen?«

»Davon bin ich überzeugt, gnädige Frau«, antwortete er. »Außerdem, wenn jemand so schön und so gut ist, wagt ihn das Unglück niemals anzurühren.«

Strahlend hatte sie sich erhoben. Sie umarmte ihren Mann und ging mit dem kleinen Jungen auf dem Arm davon, vom Töchterchen gefolgt, das sich seinem Vater an den Hals gehängt hatte. Dieser wollte seine Rührung verbergen und drehte sich mit einem Pariser Scherzwort zu dem Besucher um.

»Wie Sie sehen, sind wir hier nicht zu bedauern.«

Dann fragte er lebhaft:

»Sie haben mir etwas zu sagen? Gehen wir hinauf, wenn es Ihnen recht ist. Dort sind wir ungestörter!«

Oben vor der Kasse erkannte Saccard Sabatani, der sich Differenzbeträge auszahlen lassen wollte, und er war überrascht von dem herzlichen Händedruck, den der Makler mit seinem Kunden wechselte. Als er im Arbeitszimmer Platz genommen hatte, erklärte er gleich den Grund seines Besuchs und fragte Mazaud über die Formalitäten aus, die für die Zulassung eines Wertpapiers auf dem amtlichen Kurszettel erforderlich waren. In seiner laxen Art sprach er von dem Geschäft, das er starten wollte, die Banque Universelle mit einem Stammkapital von fünfundzwanzig Millionen. Ja, ein Kreditinstitut, das vor allem zu dem Zweck gegründet werden solle, große Unternehmungen zu finanzieren, die er kurz andeutete. Mazaud hörte ihm zu, ohne ein Wort zu sagen, und erläuterte freundlich und gefällig die Formalitäten, die zu beachten waren. Aber er ließ sich nicht täuschen, er ahnte, daß sich Saccard wegen einer solchen Kleinigkeit nicht zu ihm bemüht hätte. Als daher letzterer endlich den Namen Daigremont aussprach, mußte er unwillkürlich lächeln. Gewiß, Daigremont konnte sich auf ein Riesenvermögen stützen; man sagte zwar, daß er es mit der Treue nicht allzu genau nehme, doch wer war schon treu in Geschäften und in der Liebe? Niemand! Im übrigen hatte er, Mazaud, Bedenken, über Daigremont nach ihrem Bruch, der die ganze Börse beschäftigt hatte, die Wahrheit zu sagen. Daigremont erteilte jetzt seine meisten Orders Jacoby, einem Juden aus Bordeaux, ein fideler Bursche von sechzig Jahren mit breitem, fröhlichem Gesicht, dessen brüllende Stimme berühmt war, der aber jetzt schwerfällig wurde und einen Schmerbauch bekommen hatte; und so bestand eine gewisse Rivalität zwischen den beiden Maklern, dem jungen, vom Glück begünstigten Mazaud und dem in die Jahre gekommenen Jacoby. Ehemals Prokurist, hatte Jacoby mit Zustimmung der Kommanditäre seinem Chef das Maklerbüro abkaufen können. Er war außerordentlich erfahren und verschlagen, doch leider durch seine Leidenschaft für die Spekulation verloren, trotz beträchtlicher Gewinne stand er immer am Rande einer Katastrophe. Alles schmolz in den Liquidationen dahin. Germaine Cœur kostete ihn nur ein paar Tausendfrancsscheine, und seine Frau sah man nie.

»Jedenfalls«, so schloß Mazaud, trotz seiner großen Korrektheit dem Groll nachgebend, »hat Daigremont in der Caracas-Affäre Verrat begangen und die Profite an sich gerissen. Er ist sehr gefährlich.«

Nach einer Pause fuhr er fort:

»Aber warum wenden Sie sich nicht an Gundermann?«

»Niemals!« schrie Saccard, den die Leidenschaft hinriß.

In diesem Augenblick trat der Prokurist Berthier ein und flüsterte dem Makler ein paar Worte ins Ohr. Die Baronin Sandorff wollte ihre Differenzen bezahlen und wandte alle möglichen Kniffe an, um ihre Rechnungen zu verkleinern. Für gewöhnlich beeilte sich Mazaud, die Baronin selbst zu empfangen; aber wenn sie verloren hatte, mied er sie wie die Pest, da er eines allzu heftigen Angriffs auf seine Galanterie gewärtig sein mußte. Es gibt keine schlimmeren Kunden als die Frauen, die weder Treu noch Glauben kennen, sobald sie bezahlen sollen.

»Nein, nein, sagen Sie, ich bin nicht da«, antwortete er übellaunig. »Und lassen Sie keinen Centime nach, hören Sie!«

Als Berthier gegangen war, sah Mazaud an Saccards Lächeln, daß dieser verstanden hatte.

»Wahrhaftig, mein Lieber, sie ist sehr nett. Aber Sie machen sich keine Vorstellung von dieser Raffgier ... Ach, wie würden uns die Kunden lieben, wenn sie immer gewinnen könnten! Und je reicher sie sind, je mehr sie zur guten Gesellschaft gehören, Gott verzeih mir! desto mehr mißtraue ich ihnen, desto mehr zittere ich, nicht bezahlt zu werden ... Ja, es gibt Tage, wo ich, abgesehen von den großen Firmen, lieber nur Provinzkundschaft hätte.«

Die Tür wurde erneut geöffnet, ein Angestellter übergab Mazaud eine Akte, die er am Morgen verlangt hatte, und ging wieder hinaus.

»Sehen Sie, das trifft sich gut! Hier ist ein Kuponeinnehmer, der sich in Vendôme niedergelassen hat, ein Herr Fayeux ... Sie können sich nicht vorstellen, wieviel Orders ich von diesem Korrespondenten bekomme. Gewiß, diese Orders sind von wenig Belang, sie kommen von Kleinbürgern, kleinen Händlern und Pächtern. Aber die Anzahl macht es ... Unsere besten Kunden, die Stütze unserer Firmen sind tatsächlich die bescheidenen Spekulanten, die namenlose Menge, die spekuliert.«

In diesem Zusammenhang mußte Saccard an Sabatani denken, den er am Kassenschalter gesehen hatte.

»Sie haben jetzt also Sabatani?« fragte er.

»Seit einem Jahr, glaube ich«, antwortete der Makler mit dem Ausdruck liebenswürdiger Gleichgültigkeit. »Das ist ein netter Bursche, nicht wahr? Er hat klein angefangen und ist sehr vorsichtig, aus ihm wird einmal etwas werden.«

Was er nicht sagte, woran er sich nicht einmal mehr erinnerte, war, daß Sabatani bei ihm nur eine Deckung von zweitausend Francs hinterlegt hatte. Daher das anfänglich so gemäßigte Spekulieren. Ohne Frage hoffte der Levantiner wie so viele andere, daß die geringe Summe dieser Garantie in Vergessenheit geriete, und er lieferte Beweise von Klugheit, erhöhte nur stufenweise den Umfang seiner Orders, während er auf den Tag wartete, an dem er bei einer großen Liquidation Pleite machen und verschwinden würde. Wie sollte man auch Mißtrauen zeigen gegenüber einem so reizenden Jungen, mit dem man sich angefreundet hat? Wie sollte man an seiner Zahlungsfähigkeit zweifeln, wenn man ihn so fröhlich sah, offensichtlich reich und in jenem eleganten Aufzug, der unerläßlich, gleichsam die Uniform des Börsendiebstahls ist?

»Sehr nett, sehr intelligent«, wiederholte Saccard, der plötzlich den Beschluß faßte, an Sabatani zu denken, wenn er eines Tages einen verschwiegenen Burschen ohne Gewissensbisse brauchen sollte.

Dann stand er auf und verabschiedete sich.

»Also leben Sie wohl! Wenn unsere Aktien fertig sind, komme ich wieder zu Ihnen, bevor ich versuche, sie auf dem Kurszettel unterzubringen.«

Mazaud, in der Tür zum Arbeitszimmer stehend, drückte ihm die Hand und sagte:

»Sie haben unrecht, Sie sollten doch Gundermann besuchen wegen Ihres Konsortiums.«

»Niemals!« schrie er erneut mit wütendem Gesichtsausdruck.

Als er endlich ging, erblickte er vor dem Kassenschalter Moser und Pillerault. Der eine machte ein grämliches Gesicht und steckte seinen Gewinn vom Medio60 in die Tasche, sieben oder acht Tausendfrancsscheine, während der andere, der verloren hatte, wie nach einem Sieg laut lärmend mit angriffslustiger und stolzer Miene an die zehntausend Francs bezahlte. Die Stunde des Mittagessens und der Börse nahte, das Maklerbüro leerte sich zum Teil; und da die Tür zum Liquidationsbüro halb offenstand, konnte man hören, wie darin gelacht wurde und wie Gustave Flory von einer Bootsfahrt erzählte, bei der das am Steuer sitzende Mädchen in die Seine gefallen war und alles, sogar seine Strümpfe, verloren hatte.

Auf der Straße schaute Saccard auf seine Uhr. Elf Uhr, wieviel Zeit er vertan hatte! Nein, er würde nicht zu Daigremont gehen; und obwohl er allein schon bei Gundermanns Namen aufgebraust war, entschloß er sich plötzlich, zu ihm hinaufzugehen. Hatte er ihn nicht schon bei Champeaux auf seinen Besuch vorbereitet, als er ihm sein großes Geschäft ankündigte, um ihm für sein boshaftes Lachen eins auszuwischen? Er ließ sogar als Entschuldigung gelten, daß er nichts aus ihm herausschlagen wollte, sondern nur den Wunsch hatte, diesem Mann, der ihn mit Vorliebe als kleinen Jungen behandelte, die Stirn zu bieten und über ihn zu triumphieren. Und da ein neuer Regenschauer wie ein rauschender Strom auf das Pflaster klatschte, sprang er in eine Droschke und rief dem Kutscher die Adresse zu, Rue de Provence.

Dort bewohnte Gundermann ein riesiges Palais, das für seine vielköpfige Familie gerade groß genug war. Er hatte fünf Töchter und vier Söhne, davon waren drei Töchter und drei Söhne verheiratet und hatten ihm schon vierzehn Enkel geschenkt. Wenn sich diese Nachkommenschaft zum Abendessen geschlossen einfand, so saßen, seine Frau und er mit einbegriffen, einunddreißig Menschen bei Tisch. Und abgesehen von zwei Schwiegersöhnen, die nicht mit im Palais wohnten, hatten alle anderen dort ihre Wohnungen im rechten und linken Seitenflügel, die auf den Garten hinausgingen, während die weitläufigen Geschäftsräume der Bank das ganze Hauptgebäude einnahmen. In weniger als einem Jahrhundert war das ungeheuerliche Vermögen in dieser Familie entstanden und auf eine Milliarde angewachsen, durch Sparsamkeit und das glückliche Zusammenwirken günstiger Umstände. So etwas wie Vorherbestimmung lag darin, der ein lebhafter Verstand, verbissene Arbeit und eine unbesiegbare kluge Anstrengung, die sich ständig auf das gleiche Ziel richtete, zu Hilfe gekommen waren. Jetzt flossen alle Ströme des Goldes in dieses Meer, die Millionen verschwanden in diesen Millionen, der öffentliche Reichtum wurde von diesem immer noch wachsenden Reichtum eines einzigen verschlungen; und Gundermann war der wahre Herr, der allmächtige König, den Paris und die Welt fürchteten und dem sie gehorchten.

 

Während Saccard die breite Steintreppe emporstieg, deren Stufen vom ständigen Kommen und Gehen der Menge schon mehr abgenutzt waren als die Schwellen der alten Kirchen, spürte er unauslöschlichen Haß gegen diesen Mann in sich aufwallen. Dieser Jude! Er hegte gegen den Juden den alten Rassengroll, dem man vor allem im Süden Frankreichs begegnet; etwas wie eine Auflehnung des Fleisches, eine heftige Abneigung der Haut überkam ihn, fernab aller Vernunft und ohne daß er sich bezwingen konnte, beim Gedanken an die geringste Berührung und erfüllte ihn mit Ekel und dem Verlangen nach Gewalttätigkeit. Aber das Sonderbare war, daß er, Saccard, dieser schreckliche Geschäftemacher, dieser Henker des Geldes mit den schmutzigen Händen, jede Selbstbesinnung verlor, sobald es sich um einen Juden handelte; er sprach dann von seinesgleichen mit einer Schärfe, mit der rachedürstigen Empörung eines ehrlichen Menschen, der von seiner Hände Arbeit lebt und an jeglicher Art von Wuchergeschäften nicht teilhat. Er hielt die Anklagerede gegen die Rasse, diese verfluchte Rasse, die kein Vaterland und keinen Fürsten mehr hat, die als Schmarotzer in den Nationen lebt und heuchelt, die Gesetze anzuerkennen, während sie in Wirklichkeit nur ihrem Gott des Diebstahls, des Blutes und des Zornes gehorcht; und er zeigte, wie sie überall den Auftrag grausamer Eroberung erfüllte, den dieser Gott ihr erteilt hat, und sich in jedem Volk wie die Spinne in der Mitte ihres Netzes niederließ, um auf ihre Beute zu lauern, allen das Blut auszusaugen und sich zu mästen am Leben der anderen. Hat man je einen Juden gesehen, der mit seinen zehn Fingern arbeitete? Gibt es Juden, die Bauern oder Arbeiter sind? Nein, Arbeit entehrt, ihre Religion verbietet sie beinahe, preist nur die Ausbeutung der Arbeit anderer. Diese Halunken! Saccards Wut schien um so größer, als er sie bewunderte und ihnen ihre großartigen Fähigkeiten in Geldsachen neidete, dieses angeborene Wissen von Zahlen, dieses natürliche, ungezwungene Gebaren in den komplizierten Geschäften, dieses Gespür und dieses Glück, die allem, was sie unternehmen, den Triumph sichern. Zu diesem Diebsspiel, sagte er, sind die Christen nicht imstande, sie ertrinken am Ende immer; nehmt hingegen einen Juden, der nicht einmal die Buchführung versteht, werft ihn in das trübe Wasser irgendeines dunklen Geschäfts, und er rettet sich und trägt den ganzen Gewinn auf seinem Buckel davon. Das ist die Gabe der Rasse, ihre Daseinsberechtigung über alle Völker hinweg, die werden und vergehen. Und er prophezeite voller Zorn die endgültige Eroberung aller Völker durch die Juden, sobald sie erst das Gesamtvermögen des Erdballs werden an sich gerafft haben, was nicht mehr lange dauern werde, da man ja zuließ, daß sie Tag für Tag ihr Königreich ungehindert vergrößerten – in Paris konnte man schon sehen, wie ein Gundermann auf einem Thron herrschte, der fester und geachteter war als der des Kaisers.

Als Saccard oben in das Vorzimmer eintreten wollte, wich er unwillkürlich zurück, denn es war voll von Remisiers, Bittstellern, Männern und Frauen, ein ganzes lärmendes Gewimmel von Leuten. Vor allem die Remisiers kämpften darum, als erste vorgelassen zu werden, in der unwahrscheinlichen Hoffnung, daß sie eine Order ergattern könnten; denn der große Bankier hatte seine eigenen Makler. Aber es war schon eine Ehre, eine Empfehlung, nur empfangen zu werden, und jeder wollte sich dessen rühmen können. Daher mußte man nie lange warten, die beiden Bürodiener waren fast nur damit beschäftigt, den Vorbeimarsch zu organisieren, einen unaufhörlichen Vorbeimarsch, einen förmlichen Galopp durch die Flügeltüren. Und trotz der Menge wurde Saccard beinahe sofort mit der Welle hineingespült.

Gundermanns Arbeitszimmer war ein riesiger Raum, von dem er nur eine kleine Ecke im Hintergrund am letzten Fenster in Anspruch nahm. Vor einem einfachen Mahagonischreibtisch saß er so, daß er dem Licht den Rücken zukehrte und sein Gesicht völlig im Schatten lag. Er stand schon um fünf Uhr morgens auf und war bei der Arbeit, wenn Paris noch schlief; wenn gegen neun Uhr das Gedränge der Begierden über ihn herfiel und an ihm vorbeigaloppierte, war sein Tagewerk schon vollbracht. In der Mitte des Arbeitszimmers, an größeren Schreibtischen, halfen ihm zwei seiner Söhne und ein Schwiegersohn, die nur selten zum Sitzen kamen und in dem Kommen und Gehen einer Unzahl von Angestellten ständig in Bewegung waren. Hier spielte sich der innere Betrieb des Hauses ab. Die Besucher von draußen dagegen durchquerten den ganzen Raum und wandten sich nur an Gundermann, den unumschränkten Herrn in seiner bescheidenen Ecke. Stundenlang bis zum Mittagessen empfing er so mit unbewegter und düsterer Miene und fertigte die Besucher mit einem Zeichen, bisweilen mit einem Wort ab, wenn er sich ganz besonders liebenswürdig zeigen wollte.

Sobald Gundermann Saccard bemerkte, erhellte ein mattes spöttisches Lächeln sein Gesicht.

»Ach, Sie sind es, mein lieber Freund ... Nehmen Sie doch einen Augenblick Platz, wenn Sie mir etwas zu sagen haben. Ich stehe Ihnen sofort zur Verfügung.«

Dann tat er so, als hätte er ihn vergessen. Saccard wurde übrigens nicht ungeduldig, denn der Vorbeimarsch der Remisiers interessierte ihn; in dichter Folge traten sie ein, mit der gleichen tiefen Verbeugung, zogen aus ihrem Gehrock die gleiche kleine Karte, ihren Kurszettel mit Börsenkursen, und überreichten sie dem Bankier mit der gleichen unterwürfigen und respektvollen Gebärde. Zehn, zwanzig zogen so vorüber. Der Bankier nahm jedesmal den Kurszettel, warf einen Blick darauf, gab ihn dann zurück; und seine Geduld war ebenso groß wie seine völlige Gleichgültigkeit unter diesem Hagel von Angeboten.

Doch jetzt ließ sich Massias mit dem fröhlichen und unruhigen Ausdruck eines verprügelten gutmütigen Hundes sehen. Man empfing ihn manchmal so schlecht, daß er dem Weinen nahe war. An jenem Tag war er zweifellos mit seiner Demut am Ende, denn er erlaubte sich eine unerwartete dringende Bitte.

»Sehen Sie doch, Herr Gundermann, der Crédit Mobilier steht sehr niedrig ... Wieviel soll ich davon für Sie kaufen?«

Ohne den Kurszettel zu nehmen, schlug Gundermann die meergrünen Augen zu diesem so vertraulichen jungen Mann auf und versetzte grob:

»Sagen Sie mal, lieber Freund, denken Sie, mir macht es Spaß, Sie zu empfangen?«

»Mein Gott, Herr Gundermann!« erwiderte Massias, der bleich geworden war. »Mir macht es noch weniger Spaß, seit drei Monaten jeden Morgen umsonst zu kommen.«

»Na schön! Sie brauchen ja nicht wiederzukommen!«

Der Remisier grüßte und zog sich zurück, nachdem er Saccard den wütenden und tief betrübten Blick eines Mannes zugeworfen hatte, dem plötzlich zu Bewußtsein kam, daß er nie sein Glück machen würde.

Saccard fragte sich in der Tat, was für ein Interesse Gundermann daran haben mochte, all diese Leute zu empfangen. Offenbar besaß er eine besondere Fähigkeit zur Abkapselung, er versenkte sich in sich selbst und konnte dabei weiter nachdenken; außerdem gehörte natürlich eiserne Selbstbeherrschung dazu, so jeden Morgen eine Marktschau vorzunehmen, bei der er immer einen Gewinn zu machen verstand, und wenn er noch so winzig war. In sehr scharfem Ton handelte er einem Kulissenmakler, dem er am Vorabend eine Order erteilt hatte und der ihn übrigens bestahl, achtzig Francs ab. Dann kam ein Raritätenhändler mit einem Kästchen in emailliertem Gold aus dem achtzehnten Jahrhundert, einem teilweise ausgebesserten Stück, das der Bankier sofort als unecht erkannte. Dann wollten zwei Damen, eine alte mit einer Nase wie eine Nachteule und eine junge, sehr schöne Brünette, ihm bei sich zu Hause eine Kommode im Louis-Quinze-Stil zeigen; er lehnte es aber rundweg ab, sie sich anzusehen. Es kamen noch ein Juwelier mit Rubinen, zwei Erfinder, Engländer, Deutsche, Italiener, alle Sprachen, alle Geschlechter. Und der Vorbeimarsch der Remisiers ging trotzdem zwischen den anderen Besuchern weiter, ewig vollführten sie immer wieder dieselbe Gebärde, wiesen mechanisch den Kurszettel vor; während die Flut der Angestellten mit dem Nahen der Börsenstunde zunahm, sich immer zahlreicher durch das Zimmer wälzte, Depeschen brachte und um Unterschriften bat.

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