Blau Wasser

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Unten an der Thür von Polly's Stube blieb er stehen und sah sich nach seinem ihm folgenden Gefährten um.

„Geht nur hinein, Jack," sagte dieser, „ich will so lange hier draußen auf Euch warten."

Bill drückte die Klinke auf und trat hinein. Polly saß in der Sophaecke und sprang erschreckt auf, als sie ihn allein auf sich zukommen sah. Ohne indessen eine Miene zu verziehen, trat er zu ihr, reichte ihr die Hand und sagte:

„Es hat mich gefreut, Polly, Euch Alle so wohl und munter hier zu sehen - die Mutter sieht noch recht gut aus, und - ich will wünschen, daß es Euch immer unter der alten Firma wohl gehen mag."

„Ihr wollt fort?" stammelte Polly, und wagte nicht zu ihm aufzusehen.

„Ja - ich gehe wieder an Bord - wird wohl lange dauern, ehe ich einmal wieder nach Prembroke komme; Gott behüte Euch, Polly!"

Er drückte ihr die Hand, die er noch immer in der seinen hielt, und wollte sie loslassen, aber sie hielt ihn fest.

„Polly!" sagte er mit weicher, fast herzlicher Stimme. Die Frau ließ seine Hand los, sah ihm ein paar Momente starr in die Augen, warf plötzlich ihre Arme um seinen Nacken und drückte ihm einen heißen Kuß auf die Lippen. Dann, als ob sie ein Unrecht gethan, schrak sie zurück und bedeckte ihre Augen mit den Händen. Sie hörte Schritte - die Thür wurde auf- und wieder zugemacht, und als sie empor/121/blickte, war das Zimmer leer.

„Nun, Jack, das war rasch abgemacht," sagte Burton, als Bill wieder aus dem Zimmer trat.

„Ja," sagte dieser, sein Bündel mit der Linken aufnehmend und sich mit der Rechten den Hut in die Stirn drückend - es war weiter nichts zu bestellen."

„Und wo schick' ich Euch die Sachen heut Abend hin?"

„In den Anker - wann geht der Zug nach Liverpool zurück?"

„Um Neun. Wollt Ihr fort mit dem?"

„Wird wohl das Beste sein; good bye, Burton."

„Adieu, alter Junge; hat mich herzlich gefreut, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Wollt Ihr nicht Abschied von der Schwiegermutter nehmen?"

„Danke," sagte Bill, „grüßt sie recht schön von mir."

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände; Bill schob die seinige dann in die Tasche, verließ das Haus und schlenderte langsam die Straße hinunter, dem Anker zu. Eine Stunde später etwa wurde eine Seekiste, wie sie die Matrosen gewöhnlich mit sich führen, im Anker für „Jack Drygarn" abgegeben, um gleich darauf von Bill geschultert und nach dem Liverpool-Bahnhof getragen zu werden.

Um neun Uhr ging der Zug, und Bill mit ihm, auch erfuhr Burton, der sich sehr angelegentlich danach erkundigte, später, daß er sich in Liverpool auf einem schon in den nächsten Tagen in See gehenden Ostindienfahrer eingeschifft habe. Weiter hörte man nichts mehr von ihm, und als die Thatsache in Pembroke bekannt geworden, daß Jack Drygarn, der Verschollene, plötzlich wieder aufgetaucht sei, schwamm Jack Brown schon lange wieder draußen auf seinem alten Element. /122/

An Cap Horn.

Ueber die See brauste und schäumte es in wilder, zorniger Wuth, häufte die Wogen zu Bergen auf und jagte die bäumenden im tollen Spiel und Sturz hintereinander drein. Hoch auf stieg dann hier und da ein krystallener Fels, einem spielenden Walfisch nicht unähnlich, der mit halbem Leibe der Fluth entsteigt, um im nächsten Augenblick schwerfällig wieder darin zu verschwinden; riesig in sich selbst und doch so winzig klein in dem gewaltigen massenhaften Heer solcher Wogen, das ihn umgiebt.

Hoch auf reckt er die Krone und streckt und dehnt sich, aber der Sturm leidet das nicht. Hui! hat er ihm den blitzenden Perlenschmuck vom Haupte gestrichen und streut ihn weit aus mit rüstiger Hand, wie der Säemann die Saat. In sich zusammenschmelzend, stürzt und zerfließt der Berg; ein milchweißer Teich kündet auf dem dintenfarbenen, von silbernen Schaumadern marmorartig durchzogenen Untergrund die in sich zusammengestürzte Woge, die jetzt wenige Secunden lang ein Thal zwischen zwei anderen Bergen bildet und noch zischend in Schaum und Gischt schon wieder emporgeworfen wird von neuen, ungestümen Massen.

Wie das kocht und gährt und wühlt und in einander fließt und über die dunkeln Wasser heult in furchtbarer Majestät. - Die fliegende Windsbraut hält ihren Tanz dort /123/ unten und stimmt ihre Instrumente zum milden, entsetzlichen Reigen - wehe dem, der sich ihr entgegenstellt in ihrem Grimm!

„Ein Segel, ho!" Durch Sturm und Graus und einen Wald von Wogen, von denen jede einzelne hinreichend wäre, mit einem Schlage eine Flotte zu vernichten, wenn sie nur den Halt bekäme, sie einen Augenblick zu fassen, wagt sich der kecke Mensch in schwankendem Kahn. Dem Compaß folgend, der ihm die Bahn zeigt durch die Wasserwüste, und unbekümmert um Gefahr und Tod, die ihm aus jedem schäumenden Wogenkamm entgegenblitzen und mit gewaltiger Faust an die dünnen Planken donnern, lenkt er sein Fahrzeug sicher durch den Sturm, und trotzt den beiden empörten Elementen: Windsbraut und Wellen.

Sieh, wie diese die Hälse recken, als sie das schaukelnde Schiff zwischen sich erstaunt gewahren - in jauchzender Lust drängen sie sich herbei, eine die andere zur Seite pressend, nur um die erste zu sein, die zu kurzer Lust das neue Spielwerk fassen und werfen mag, eine der andern zu; und wie sie sich gegen den ächzenden Bug schleudern und Halt zu gewinnen suchen in erfolglosem und immer wachsenden Grimme. Bis an Bord schnellen sie sich und waschen das Deck von vor bis aft; splittern und reißen, was nicht von eisernen Klammern und zähem Tau gehalten wird, und schmettern die harten, schweren Stirnen zornig gegen die Wände an, sich dort Eingang zu bohren - bis sie von anderen fortgeschleudert werden, die auch Hand anlegen wollen und sich stärker fühlen und kräftiger.

Aber umsonst! Ein tüchtiger Schwimmer, steigt das wackere Schiff wieder und wieder aus seinem nassen Grabe herauf, schüttelt sich die Fluth von dem starken Nacken und schwingt sich leicht und keck auf dem Kamm der nächsten Schwellung, die es hebt und trägt und faßt und umklammert, bis ihr ein stärkerer Kämpe die Beute entreißt, um sie in die eigene wilde Umarmung zu ziehen.

Alles an Bord ist fest und wohl verwahrt, die Segel liegen an die Masten geschnürt, der heulenden Windsbraut keine Fläche zu geben, an der sie reißen und zerren könne, /124/ und nur das dichtgereefte Vormarssegel, hart an den Wind gebraßt, mit dem Vorstengenstag oder Sturmsegel - um das Schiff zum Steuern in der Gewalt zu halten, daß die Wogen sich nicht seitwärts dagegen werfen und ihm verderblich werden könnten - zeigt, daß noch Leben an Bord und die Mannschaft trotzig dem Wind gerade in den Zähnen liege, sein Austoben ruhig und unerschrocken abzuwarten.

Und über die empörten Wogen, von dem Sturm in rasender Schnelle geführt, mit langsamem gewaltigen Flügelschlag strich der riesige Albatros, umzog neugierig das Schiff in weiten Kreisen und kreuzte herüber und hinüber im glatten, einer Straße ähnlichen Fahrwasser, das sich der tiefe Kiel gezogen, aufmerksam den mit furchtbarem Schnabel bewehrten Kopf bald nach dieser, bald nach jener Seite drehend, ob nicht irgend ein von Bord des Schiffes geworfener Leckerbissen, wozu besonders Speck und Fleisch gehört, die Monotonie seiner gewöhnlichen Fischkost unterbrechen könne.

Ein ganzes Volk blau und weißer Cap-Tauben9 trieb sich schon lange hinter dem Heck des Fahrzeuges her, mit raschem Flügelschlag nach jedem übergeworfenen Stück Garn oder Werg niederfahrend, und gegen einander zankend und kreischend, wenn der Koch ihren Heißhunger durch ausgeworfene Leckerbissen rege machte oder einer oder der andere der Seeleute die kleine, mit Speck besteckte und an langer Leine befestigte Angel auswarf, um einen der Vögel heranzulocken. Die Matrosen fangen auf diese Art gern Cap-Tauben und Albatrosse, essen die ersteren und brauchen von beiden die Federn, oder nehmen auch den letzteren die mit großen Schwimmhäuten versehenen Füße, um sich wunderliche Tabaksbeutel daraus zu fertigen.

Auch andere Möven kreuzten herüber und hinüber, braun und schwarz mit langen scharfgespitzten Schwingen, vom Sturm getragen und geschickt mit dem Schiff gegen ihn lavirend oder langsam über die aufgeregten Wogen streichend, aus deren nach ihnen aufleckende Wellen sie die elastischen Flügelspitzen legten und sich scheinbar mit ihnen hoben, immer /125/ aber mit rascher Wendung die Gefahr vermeidend, erreicht zu werden.

Tage lang begleiten sie so das Schiff, schlafen auch wohl hier und da Nachts auf seinen Raaen, und folgen ihm am nächsten Tage wieder unermüdet auf seiner Bahn. Dem Seemann aber sind sie willkommene Begleitung auf einsamer Reise; gern sieht er ihren leichten Flug und folgt ihren kreisenden Bahnen mit dem Blicke, und wenn sie in Lee10 vom Schiffe, was sie bei schwerem Wetter am liebsten thun, herüber und hinüber streichen, sagt er, daß sie nachschauen, ob die Schoten und Brassen auch fest sind, um Taue und Raaen zu wahren. In Lee vom großen Boot sitzt er dann auch wohl, sein Priemchen geschäftig im Munde, schaut ihrem Fluge zu und plaudert und erzählt von der und jener Zeit, wo die Möven gerade so kreisten und suchten, und er an der oder jener Küste auf leckem Schiff vielleicht oder mit schwerer Havarie gegen das zornige Element ankämpfte, um sein Leben auf festes Land zu retten - und festes Land doch eben kaum nur betreten hatte, als er sich wieder hinaussehnte auf die weite, wogende, treulose und doch so lieb gewonnene, so lieb gehaltene See.

Die Leute am Land haben überhaupt gewöhnlich einen ganz falschen Begriff von dem Leben an Bord eines Schiffes in offener See und bei schwerem Wetter. Nicht selten hört man da sagen, wenn es weht und stürmt: „Oh die armen Menschen auf der See - wie weh und ängstlich ihnen jetzt zu Muthe sein muß - wie sie jetzt in ihrer Angst zu Gott beten und den Mast mit ihren Armen umfassen - krampfhaft, um nicht fortgeweht zu werden!" Weit gefehlt! Auf offener See und mit keiner Küste in Lee, von der sie abarbeiten müssen, um nicht auf den Strand gesetzt zu werden, nur mit dem regelmäßigen Seegang gegen sich und mit dem Winde, wenn der auch beide Backen voll genommen, giebt es kaum eine bessere und gemüthlichere Zeit an Bord eines Schiffes /126/ für den Matrosen, als gerade bei solchem Wetter. Sobald die leichten Segel nur erst einmal festgemacht, die anderen nöthigen dicht gereeft, ebenso alle Luken ordentlich dicht sind, und Alles an Bord, was von überkommenden Seen fortgewaschen werden könnte, wohl und sicher befestigt ist, beginnt für den Matrosen, der sonst über Tag keinen Augenblick unbeschäftigt bleibt, die freie Zeit.

 

Mit dem breiten „Süd-Wester" auf dem Kopf, in wasserdichten, geölten Jacken und Hosen, sitzen die Leute dann, wer nicht gerade seine Zeit am Steuerruder abzustehen hat, unbelästigt von irgend einem Ruf der Officiere, in Lee vom großen Boot, das ihnen Schutz gegen den Wind giebt, dicht geschaart beisammen, und haben sie nur Tabak zum Kauen, dessen Mangel ihnen allein vielleicht die Laune verderben könnte, so wird erzählt und gelacht, und der Sturm mag indessen wehen nach Herzenslust. Sie können auch nichts dagegen thun, als die Zeit abwarten, in der es einmal zu wehen aufhört; das Schiff liegt indessen dicht am Winde und reitet, wenn nur richtig von dem Steuerruder geführt, schon selber die Wogen.

So hier an Bord der tüchtigen kleinen amerikanischen Brig Susannah, die mit dem scharfen Bug keck gegen die drohenden, bäumenden Wogen anschnitt. So tief sie auch oft in die krystallenen Massen einschlug - wenn sich ein weiter Abgrund vor ihr öffnete, daß es aussah, als ob der nächste anstürmende Berg sie unter seiner Wucht begraben müsse - hob sie sich doch immer wieder kampfgerüstet zur rechten Zeit und schlug mit dem kecken Frauenbild, dessen Namen sie trug und das ihre Gallion zierte, rasch an gegen den auf sie geführten Wurf. Wenn ihr die klare Fluth dann in Strömen von der Stirn troff und die Woge, die ihren Untergang gesucht, sie selber auf den Nacken heben mußte, schaute sie keck und zuversichtlich hinaus über das rollende Heer um sich her, und fuhr dann wieder nieder, wie zum Sprung, der nächsten zu begegnen.

„'s ist doch ein wackeres Seeboot," sagte der Eine der Wache, die sich in Lee vom großen Boot zusammengefunden hatte und zwischen ein paar dort wohlbefestigten und Schutz /127/ nach vor und aft gewährenden Wasserfässern den Sturm eben austoben ließ, „und dicht und drall wie keins. Verdammt will ich sein, wenn noch ein anderes Schiff mit uns hier herumreitet, das bei so schwerem Wetter so wenig Wasser macht. - In zehn Minuten Abends pumpen wir sie frei!"

Es war ein junger Bursche von vielleicht zweiundzwanzig Jahren mit vollem lockigen Haar, das der Süd-Wester kaum decken konnte, und freien offenen Zügen; ein Rhode Island-Mann, wie er denn auch von seinen Kameraden nach dem Staate, dem er angehörte, statt seines eigentlichen Namens James, Rhode Island gerufen wurde.

„Gott sei Dank!" sagte einer seiner Kameraden, ein alter weiter- und sonnverbrannter „Theer" mit schneeweißem Haar, eben solchen Augenbrauen und knochigen zähen Gliedern - „Gott sei Dank, mein Junge, und nicht „verdammt", denn nur wer erst einmal Tage und Nächte lang in solcher See an den Pumpstöcken gelegen und für sein Leben gearbeitet hat, während sich der Tod da drunten heimlich durch alle Poren des Schiffs sog, der weiß, was es für ein Segen ist, ein dichtes, gutes Schiff unter sich und keine Küste in Lee zu haben. Ich werde an die See hier denken und würde ich tausend Jahre alt; denn hier ist mir das Haar in einer Woche so weiß geworden, wie ich's jetzt noch trage. Ja in einer Wache könnt' ich sagen, und gebe Gott, daß ich ihm nicht wieder begegne die paar Jahre, die ich überhaupt noch zu fahren habe."

„Wurdet Ihr leck hier am Cap, Mate?" fragte ein Dritter, der bis jetzt auf einer Nothspiere zusammengekauert gesessen und dem Gespräch der Uebrigen zugehört hatte, ohne viel dreinzureden. „Segne meine Seele, Kamerad, ich wollte auch lieber die ganze Nacht Segel reefen und über Stag gehen, ehe ich nur die Hälfte der Zeit an dem verwünschten Pumpgeschirr hinge; Gott bewahre einen ehrlichen Matrosen vor der Arbeit!"

„Auf welchem Schiff war's, Tommy?" fragte Rhode Island.

„Auf der Buckeye Belle, Jungens," sagte der Alte, sein Priemchen im Munde drehend, „und ein so wackeres Schiff /128/ war's Euch, wie nur je eins Furchen durch Salzwasser gezogen. Vor dem Wind oder bei dem Wind, es blieb sich gleich, sie lief ihre zehn und elf Knoten mit nur halbwegs Brise, und lag Euch mit fünf Strichen im Wind, daß es eine Lust und Freude war. Was uns auch zu windwärts aufkam, mußte nach Lee zu; wir segelten Alles todt und hatten eine Prachtreise schon von Boston nach Rio gemacht, in dreißig Tagen, glaube ich, oder einunddreißig. Von Rio aus wollten wir nachher das Cap doubliren. Bei den Falklands-Inseln aber erwischte uns ein Pampero, der uns vor Top und Takel an den verwünschten Inseln vorbei, über irgend ein verborgenes Riff oder eine heimliche Klippe fortjagte, und wenn wir auch nicht gerade hängen blieben, bekam das Schiff doch einen Knacks und machte Wasser.

„Der Steuermann, ein alter tüchtiger Seemann, wollte nun zwar wieder umkehren und nach Rio einlaufen, um dort zu repariren, denn es war Winterszeit wie jetzt, und mit dem Cap ist manchmal nicht zu spaßen. Der Capitain aber hatte seinen Sinn dick- und starrköpfig darauf gesetzt, die schnellste Reise nach Californien zu machen, und wenn der Leck nicht ärger wurde, konnten wir's auch recht gut, mit ein paar Mal Pumpen den Tag über in den einzelnen Wachen, zwingen. Nicht weit von Staten Island kamen wir in ein schweres Wetter; eine See stand da, wie wir sie hier noch nicht einmal gehabt haben; von Segeleinnehmen war der Alte auch gerade kein Freund, und so jagte uns der Sturm denn auch richtig einmal in einer Nacht bei einem eisigen Schneegestöber, das uns die scharfen Flocken wie Nadeln in's Gesicht trieb, beide Masten über Bord. Durch die Erschütterung natürlich verschlimmerte sich der Leck, und bis wir das Wrack nur frei von Holz und Tauwerk hatten, das drum herumhing, faßte uns die See gerade in der Flanke, wusch die ganze eine Wache über Bord, und Cambüse und Railing so rein vom Deck herunter, als ob im Leben nichts drauf gewesen wäre. Wie wir damals dem Tod entgangen sind, ist mir noch jetzt ein Räthsel; aber auf die eine oder die andere Art hielt Gott seine Hand über uns.

„An dem Stumpf des Vormastes, der vielleicht zehn Fuß /129/ über Deck abgebrochen war, richteten wir einen Nothmast auf und brachten an Leinwand hinauf, was wir eben wagen durften zu führen, bis sich der Sturm gegen Morgen legte. Indessen war uns aber das Schiff halb voll Wasser gelaufen, und nun hieß es an die Pumpen, wenn uns nicht das Deck unter den Füßen weg sinken sollte. Jungens, Jungens, das war eine schwere Zeit, und die See schien zuletzt ordentlich müde zu werden, mit uns zu spielen, während wir selber Tag und Nacht an den Pumpen unsere Glieder kaum mehr regen konnten. Einmal wär's auch beinahe alle gewesen, denn ein paar von den jungen Burschen, die von den Pumpen herauf einen Branntweingeruch in die Nase kriegten, weigerten sich plötzlich weiter zu arbeiten, und sprangen in den Raum hinunter, um die Rumfässer anzuzapfen, von denen wir, wie sie recht gut wußten, ein paar an Bord hatten; aber der Capitain hatte glücklicher Weise das vorhergesehen und ihnen den Boden eingeschlagen. Als wir's nachher mit dem Salzwasser heraufpumpten, hatten sie's gerochen, aber zu trinken war nichts mehr, und die Leute kehrten zu ihrer Arbeit zurück."

„Und bekamt Ihr das Schiff in einen Hafen?" fragte ein Anderer.

„Ich glaube nicht, daß wir's so lange ausgehalten hätten," sagte der Alte leise. „Zwei wurden uns noch während der Arbeit über Bord gewaschen, denn da uns die Schanzkleidung vorn von Bord geschlagen war, kamen die Wellen herüber, wie's ihnen gerade gefiel, und zwei Andere wurden krank, fingen an zu phantasiren und mußten in's Logis gebracht werden. Einer kam wieder herauf und sprang über Bord, der Andere lag ohne Besinnung, bis uns am neunten Tage ein Schiff, eine englische Barke, traf und anlief. Wir hatten auch nichts mehr zu versäumen, denn kaum an Bord des Engländers und noch selbst in Sicht vom Wrack, das jetzt langsam füllte, sank es weg."

„Ach was!" laßt den traurigen Salm, wenn draußen der Sturm ebenfalls an die Planken pocht!" rief der Rhode-Islander da ärgerlich. „Das ist eine Geschichte, die uns alle Tage selber passiren kann, weshalb sich die Wache damit ver-/130/derben. - Wenn Euch das Schiff gesunken wäre, hättet Ihr Euch immer noch mit Schwimmen Tage lang oben halten können, und der Engländer hätte Euch doch gefunden."

„Schwimmen, hier in See?" sagte der Alte kopfschüttelnd ; „ja, wenn Fische und Vögel nicht wären! Wer hier über Bord geht, dem wäre besser, daß er gar nicht schwimmen könnte; er sparte lange Qual und Todesangst."

„Und das sagt Ihr mir?" lachte Rhode Island, „mir, der sich erst auf der vorigen Reise mit Schwimmen gerade am Leben erhalten hat? Bah, Kamerad, das ist der Alteweiberspruch an Bord vieler Schiffe, daß ein Matrose eigentlich nie sollte schwimmen können, um nicht so schwer zu sterben. Ich habe mich aber schon volle vierundzwanzig Stunden über Wasser gehalten, als wir vor New-York mit dem Schiff Nachts zusammenstießen, und bin dann doch noch von einem französischen Schiff aufgelesen worden. - Wo wär' ich jetzt, wenn ich nicht schwimmen könnte, heh?"

„Vielleicht besser aufgehoben," sagte der Alte trocken; „wir sind Alle noch nicht im Hafen!"

„Hahahaha," lachte Rhode Island, „die alte Krähe will weissagen. Aber ich erzähle Euch einen Spaß, Kameraden, den ich an Bord des Franzosen hatte, kaum vier Wochen später, nachdem sie mich aufgefischt, und wenn ich nicht schwimmen konnte und es ihnen vorher bewiesen hätte, wäre es mir damals schlecht gegangen, obgleich ich mit keinem Fuß in's Wasser kam."

„Unsinn, Rhode Island!" riefen ein paar der Kameraden, „Du willst uns wieder eine von Deinen Rhode Island-Geschichten erzählen; aber nur zu; veer away und laß es uns haben, mein Junge, verlange nur nicht, daß wir's glauben."

„Glauben? Der Teufel dank's Euch!" rief der junge Bursche; „was für andere Beweise wollt Ihr, als wie eines Mannes Wort? Ich könnte Euch übrigens die ganze Mannschaft zu Zeugen bringen, wenn ich sie eben hier hätte."

„So komm einmal flott, zum Henker!" rief ein Anderer; „unsere Wache ist bald aus, und wir wollen die Geschichte hören."

„Nun, sie ist einfach genug," sagte Rhode Island. „Na¬/131/türlich wurde ich an Bord von den Franzosen gleich einer Wache zugetheilt, zu der ich von da an, so lange ich an Bord war, gehörte, und wir liefen damals nach Rio hinunter. Unter der Linie nun, bei Windstille und blauem Himmel, ließ unser Alter das Schiff auswendig malen, und ich saß hinten allein auf dem Gerüst am Heck, gerade unter einer offenen Luke, die in die Vorrathskammer führte. Nebenbei muß ich Euch sagen, daß wir nicht einen Tropfen Spirituosen an Bord bekamen, weder Brandy noch Whisky, nicht für Liebe noch für Geld, nur solch verdammt saures Zeug, Claret glaube ich nannten sie's, das sie aus Blechbechern soffen und das mir jedesmal Leibschneiden machte. Aus dem Vorrathsspintge heraus roch es aber unmenschlich gut nach ächtem Cognac, von dem der Alte wohl genug an Bord haben mochte, und mich plagt der Henker, daß ich, wie ich an Deck oben gerade Niemand gehen höre, von der Stelling ab und in die Luke hinein krieche. In dem großen schwarzen Farbeneimer, den ich draußen bei mir hatte, konnte ich recht gut ein paar Flaschen unterbringen, die nachher schon aus dem Weg zu schaffen waren.

„Die Sache ging auch ganz vortrefflich; gleich in der nächsten Ecke stand eine offene Kiste mit der deutlichen Aufschrift Cognac. Ich hatte aus dieser schon zwei Flaschen in mein Hemd vorn geschoben und noch eine andere Flasche mit Pickles aufgepackt, und war eben wieder im Begriff auf die Stelling draußen zurückzukehren, als ich den Ruf „Mann über Bord" oben an Deck und Stimmen höre, die gerade da, wo ich wieder zu Tage mußte, laut über Bord sprachen. Einen ordentlichen Schlag gab's mir in die Kniekehlen und ich wußte im ersten Augenblick wahrhaftig nicht was ich thun, ob ich mich verstecken oder auf Gnade und Ungnade ergeben solle. Vielleicht zog aber gerade der über Bord Gefallene die Aufmerksamkeit der Mannschaft von mir ab, und ich konnte noch unbemerkt, unvermißt meinen Platz wieder einnehmen.

„Wie ich aber nur den Kopf an die offene Luke brachte, hörte ich auch schon zu meinem Schrecken, daß ich selber mit dem über Bord Gefallenen gemeint sei, und gerade aus höchst /132/ unzeitiger Menschenliebe ein Boot niedergelassen wurde, um mich zu suchen. Hinten auf der Railing aber, am Besanbaum. stand der Capitain mit dem Steuermann und wunderten sich, daß ich so rasch aus Sicht gekommen wäre, wobei sie einem Haifisch die einzige mögliche Schuld beimaßen.

 

„An ein unbemerkt Wiederherauskommen war gar nicht zu denken, eine Entschuldigung, weshalb ich in die Kammer hineingeklettert sein könne, ließ sich auch nicht erfinden - der wirkliche Grund lag zu klar auf der Hand, und selbst bei dem Ueberlegen verfloß so viel Zeit, daß mir zuletzt gar nichts weiter übrig blieb, als mich versteckt zu halten und abzuwarten, wie das Ganze enden würde.

„Wir liefen indessen bei einer ganz schwachen Südost-Brise, mit allen Segeln gesetzt, etwa drei Meilen die Wache dicht am Winde, und ich konnte deutlich hören, wie an Deck backgebraßt wurde, um das ausgeschickte Boot zu erwarten, das nach etwa einer halben Stunde, natürlich unverrichteter Sache, wieder zurückkehrte. Meine Lage war dadurch nur verschlimmert, und einzelne Pläne, mich krank oder ohnmächtig zu stellen, oder nach vorn durchzubrechen und lieber die Strafe für Einschlafen im Logis auszuhalten, verwarf ich alle theils als unausführbar, theils weil ich damit die ganze Geschichte am Ende nur verschlimmert hätte.

„Jetzt kam das Boot wieder langseit, die Blöcke wurden eingehakt, oben an Deck zog es die Mannschaft unter seine Krahnen. Bei der Bewegung des Schiffes und der Stellung des Steuerruders, das ich von der Luke aus genau beobachten konnte, fand ich aber, daß wir den alten Cours wieder aufgenommen hatten, bis nach etwa einer halben Stunde der Befehl zum Wenden gegeben wurde und die Duchesse, wie das Fahrzeug hieß, über Stag ging11, um das, was sie in Ost verloren, in West wieder aufzuholen. Hol's der Henker, ich saß indessen auf der Cognackiste und zerbrach mir den /133/ Kopf, wie ich aus der ganz verzweifelten Lage herauskäme und der Strafe entginge, bis mir auf einmal ein kostbarer Gedanke kam, den ich auch, kurz gefaßt, augenblicklich ausführte.

„Die Sonne war indessen dem Untergange nahe, und wie ich vier Glasen12 an Deck schlagen hörte und nun wußte, daß die Leute zum Schaffen13 gingen und nicht gerade über Bord gucken würden, kletterte ich aus meiner Luke heraus, wobei ich die Flaschen natürlich zurücklassen mußte, lief auf dem Leistenbrett mit Hülfe der Rüsteisen bis vorn an den Starbordbug, ließ mich in Lee leise in's Wasser gleiten, schwamm eine fünf oder sechs Strich vom Schiff ab und schrie nun mein „Hallo - hallo the ship!" so laut und lustig in die Welt hinein, daß der Mann am Rad erschreckt mit dem Ruder aufkam, das Schiff glücklich durch den Wind gehen ließ, daß alle Segel gegen die Masten schlugen, und die Duchesse natürlich baumfest auf dem Wasser lag.

„Ehe der Capitain aber nun seine gewöhnliche Anzahl Flüche los werden konnte, ging schon wieder der Schrei „Mann über Bord" durch das ganze Schiff; dieses Mal ersparte ich ihnen aber das Bootaussetzen; denn wenn auch das Fahrzeug im ersten Ansatz noch etwa seine eigene Länge von mir fortgelaufen war, hielten es die zurückgeschlagenen Segel jetzt desto fester, und ich bekam Zeit, aufzuschwimmen.

„Werft nur ein Tau herunter!“ schrie ich jetzt, als ich nahe genug war. „Hallo da oben, laßt einen Kameraden nicht sitzen - ein Tau her!“

„Zehn sprangen gleich zu, und der Koch warf mir das Ende eines Bramseils gerade über den Kopf, das ich erwischte, um den linken Ellbogen schlug und mich an Deck ziehen sieß. Aber, Jungens, die verblüfften Gesichter hättet Ihr sehen sollen, wie sie mich erkannten! Rhody, wo kommst Du her? - Rhody nannten mich die Mounsiers, Menschenkind, wo hast Du gesteckt?

Hätt' ich es nur allein mit den Kameraden durchzufechten /134/ gehabt, wäre die Sache nicht so schwer gewesen; so aber mischte sich auch der Capitain in's Mittel und verlangte Aufschluß über das Geschehene, von dessen wahrem Bestand er keine Ahnung zu haben schien. Da hielt ich es denn für besser, erst noch einmal ohnmächtig zu werden, wodurch die Sache einmal natürlicher wurde und ich auch etwas länger Zeit bekam, mich zu sammeln, und ein paar der Leute schleppten mich jetzt nach vorn unter die Stevenpumpe und fingen an mich zu begießen. Ich kam jetzt allerdings wieder zu mir, war aber noch so schwach, daß ich kein Wort herausbringen konnte, und so ließen sie mich denn die Nacht liegen, damit ich mich erst wieder ordentlich erholen möge.

„Am nächsten Morgen half übrigens nichts, ich mußte mit meiner Geschichte heraus. Nun wußten wir aber Alle miteinander, daß der alte Kasten dicht am Wind erbärmlich schlecht segle und reichlich sieben Strich brauche, um halbwegs vorwärts zu kommen; darauf hin log ich ihnen geradezu vor, daß ich am Mittag über Bord gefallen wäre und mir nachher fast den Arm ausgerenkt und die Lunge wund geschrieen hätte, um gesehen und gehört zu werden. Das Boot habe aber in ganz anderer Richtung gesucht, und als es bald darauf wieder an Bord zurückgekehrt und das Schiff in seinem Cours fortgesegelt sei, da wäre ich schon einmal in Verzweiflung entschlossen gewesen, mein Leben aufzugeben und mich wegsinken zu lassen. Die Lebenslust sei aber doch zuletzt stärker gewesen, und ich wäre nun, in der Hoffnung, daß das Schiff bald über Stag gehen müsse, gerade in den Wind hineingeschwommen, dessen genauen Cours mir das leichte Kräuseln des Wassers gezeigt. So habe ich meiner Rechnung nach wohl eine gute Seemeile zurückgelegt, als das Schiff wirklich wieder in Sicht kam und fast gerade auf mich zuhielt. Mehr aber wüßte ich nicht; die letzten Minuten erschienen mir selbst jetzt noch wie ein wirrer Traum, und ich glaube, ich sei ohnmächtig geworden, selbst ehe ich das Deck erreicht habe."

„Was für andere Beweise wollt Ihr, wie eines Mannes Wort?" lachte einer seiner Kameraden. „Und ließ sich der Alte wirklich leimen?" fragte ein Anderer. /135/

„Was wollt' er machen?" lachte Rhode Island; „an die Luke hinten dachte Niemand, da sie der Steward selber Abends spät zugemacht und von innen verriegelt hatte, und fort war ich gewesen und jetzt wieder da - das ließ sich nicht ableugnen. Außerdem kannten sie mich schon als einen guten Schwimmer; denn wie sie mich auffischten, hatt' ich ihnen schon früher einmal aufgebunden, daß ich drei Tage und drei Nächte geschwommen wäre."

„Auf Mannes Wort?"

„Oh, geht zum Teufel und mutzt Einem nicht jede Silbe auf! - Aber das war noch nicht Alles; denn verdammt will ich sein, wenn sich der Alte nicht eine von den nämlichen Flaschen heraufholen ließ, die ich schon einmal beigesteckt gehabt, und mir einen steifen Grog machte, daß ich mich erholen sollte, und dann die ganze Geschichte sauber und eigenhändig in sein Tagebuch eintrug. Dort steht sie noch unter meinem eigenen Namen und Ihr könnt sie bis auf den heutigen Tag lesen."

„Hahahaha, Rhode Island - Du bist eine prächtige Hand zum Aufbinden!" lachte ein Kamerad - „unserem Alten dürftest Du aber damit nicht vor den Bug kommen; der holte 'was Anderes als Cognac."

„Klar zum Halsen!" ging der Ruf über Deck, die Wache sprang auf und das Schiff wurde, da die See zu schwer von vorn kam, um ordentlich wenden oder über Stag gehen zu können, vor den Wind über den andern Bug gebracht oder „gehalst", immer bei so hoher und stürmischer See ein nicht ganz gefahrloses Manöver. Der Capitain verstand aber sein Geschäft aus dem Grunde, die Leute, die recht gut wußten wie viel dabei von ihrer Schnelligkeit abhing, führten die Befehle, kaum gegeben, rasch und vortrefflich aus, und wenige Minuten später peitschte die See den andern Bug, jetzt wieder nach Süden hinunterhaltend, damit sie über Nacht dem zu Starbord befindlichen Lande nicht zu nahe kämen.

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