Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten

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Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten
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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zwanzigster Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

Das alte Haus. — Heimliche und unheimliche

Geschichten.


Jena,

Hermann Costenoble.

Verlagsbuchhandlung.

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig 2020

Das alte Haus

Erzählung.

Zweite Auflage.

Heimliche und unheimliche Geschichten

Gesammelte Erzählungen.

Zweite Auflage.

von

Friedrich Gerstäcker.

Jena,

Hermann Costenoble.

Verlagsbuchhandlung.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig 2020

Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten © 2020

Die Ahnung einer uns umgebenden fremden und geheimnißvollen Welt liegt uns einmal im Blut. Wie wenig Menschen - ja ich weiß nicht einmal, ob einer unter allen - sind ganz vom Aberglauben frei? Ein wenig davon mag auch vielleicht nicht schaden - du lieber Gott, wie nah' liegt Glauben und Aberglauben überhaupt beisammen! Es bleibt eine Art von Poesie, die uns bestätigt, daß wir nicht blos lebende Maschinen sind - ein angenehm aufregendes Räthsel, das uns der Weltgeist aufgegeben hat, und als solches mögen wir es betrachten und uns immerhin mit der Lösung ein wenig den Kopf zerbrechen. Nur Macht und Gewalt dürfen wir es nicht über uns gewinnen lassen, und - wenn wir uns nicht der Aufgabe vollkommen gewachsen fühlen, sollen wir nicht mit jenem Etwas spielen, das uns geheimnißvoll und ernst umgiebt. Es wird sonst zu einem scharfen Messer in der Hand eines Kindes.

Friedrich Gerstäcker

Das alte Haus

I.

In einer der Hauptstraßen von Hellburg stand vor noch gar nicht so langen Jahren ein steinernes, uraltes Gebäude aus früherer Zeit - wie Viele sogar behaupteten, das älteste Gebäude der Stadt - mit wunderlich geschnitzten Giebeln und Gewänden, künstlich gespannten Fenster- und Thürbogen und großen eisernen drachen- und lindwurmköpfigen Dachrinnen, die der Zeit, wie allen die Straßen aus- oder abwehenden Stürmen die langen, grimmig ausgeschnittenen Zähne gezeigt hatten, und bei heftigen Regengüssen, zum Aerger der Vorübergehenden, ganze Ströme Wassers in die Mitte der Straße sprudelten. Ueber der Thür waren zwei sonderbare Gestalten in Stein ausgehauen, die einen Türken und einen Christen vorstellten, und auch zwischen den Fenstern hatte der Baumeister, dessen Urenkel mit zu den Ahnen der jetzigen Generation gehörten, manche behelmte und bewehrte Gestalt angebracht. Nirgends aber fand sich ein Heiligenbild, nirgends ein Engelsköpfchen, das sonst mit seinen dicken Bäckchen trostbringend aus manchen Verzierungen anderer, fast eben so alter Gebäude herausbläst. Kein frommer Märtyrer mit zerrissenen Gliedern und rundem Heiligenscheine war in der ganzen Masse von Schnitzwerk zu finden; kein frommes Sprüchlein, kein Vers, kein Kreuz angebracht, selbst nicht auf dem Schilde des Ritters über der Thür.

Wie die Dachrinnen Unthiere darstellten, die nur hinten an den Schwänzen von irgend einer wohlthätigen Macht zurückgehalten und verhindert wurden, sich auf die ruhig /8/ Vorübergehenden niederzustürzen und all' ihren zähnefletschenden Grimm an ihnen auszulasten, so trugen kleine boshafte Faun- und Teufelslarven die Fenstersimse und hier und da angebrachte Nischen-Console, und ungeschlachte, halb Thier-, halb Menschenbilder stützten, die Krallenftnger in die dürren Seiten stemmend, Erker und Balkon. Jedenfalls hatte ein wunderlicher Geschmack das Haus erbaut.

Seit langen, langen Jahren nicht bewohnt, war es nach dem Tode des letzten, schon lange verstorbenen Besitzers, und in Folge des darob entstandenen Rechtsstreites zwischen den außer Landes wohnenden Erben, verschlossen und versiegelt worden. Darüber verging die Zeit, und wie das so mit Processen geht, erinnerten sich jetzt ganz alte Leute aus ihrer Jugendzeit noch der großen, der Thür angedrückten Siegel, zu denen sie damals mit stummer Ehrfurcht aufgeschaut. Nichtsnutzige Menschen hatten diese später einmal beschädigt - vielleicht um einen hochweisen Rath zu kränken oder den Nachtwächter zu ärgern - und jetzt waren Streifen Blech über die neu aufgedrückten genagelt worden, um sie zu schützen - denn der Proceß dauerte ruhig fort.

Andere Nachtschwärmer klopften auch früher einmal in frechem Muthwillen mit dem alten eisernen Thürhammer an die versiegelte Pforte, daß der Ton hohl und markerschütternd durch die öden Räume schallte. Als aber bald darauf dumpfe Gerüchte die Stadt durchliefen, daß in der nächsten Nacht bleiche, entsetzliche Gestalten an das Lager jener Ruhestörer getreten wären, sie zu fragen, was sie an dem alten Hause gewollt, gingen von der Zeit an Kinder wie Erwachsene in stiller, unheimlicher Scheu an der verschlossenen Thür vorüber. Niemand belästigte das alte Gebäude weiter, und die Volkssage füllte gar bald jene düsteren, durch gelbe, schwer- seidene Gardinen dicht verhängten Räume mit unheimlichen, spukhaften Gestalten und Wesen an.

Jahre vergingen indeß; von dem alten Hause wurde fast nicht weiter gesprochen, bis es der Nachtwächter wieder einmal in's Gerede bringen wollte. Er behauptete nämlich, und beschwor es hoch und heilig, mehrere Male Nachts zu unbestimmten Stunden Licht in einem der Fenster hinter den /9/ düsteren Gardinen gesehen zu haben; aber trotz allem Wachen und Aufpassen konnte Niemand weiter etwas Aehnliches entdecken.. Der Schimmer, den der Nachtwächter bemerkt haben wollte, war jedenfalls der Mond oder vielleicht auch der Wiederschein eines Lichtes aus der gegenüber liegenden Häuserreihe gewesen, und wer wußte überhaupt, was der außerdem halb blinde Mann da gesehen zu haben glaubte! Das Gerücht verlor sich wie es gekommen.

Auf der rechten Seite des „alten Hauses", das dort hlnaus gar keine Fenster zeigte, lag ein dazugehörendes kleines Grundstück, von dem Rathe der Stadt benutzt, um Bauholz abzulagern. Große Haufen aufgeschichteter Bretter und Balken thürmten sich hier empor, und waren von der Straße selbst nur durch eine hohe, weiß angestrichene Planke geschieden. Nach links zu schlossen sich dagegen die anderen Gebäude der Straße dicht daran an, und das nur durch die starke Brandmauer davon geschiedene Nachbarhaus gehörte dem Regierungs- und Stadtrathe Hechner.

Dieser hatte allerdings schon seit mehreren Jahren versucht, die an sein Grundstück stoßenden, unbenutzt liegenden Räumlichkeiten vergleichsweise und käuflich an sich zu bringen, aber ohne Erfolg. Beide Parteien schienen den geerbten Prozeß, den sie wohl verlieren, aber nicht verkaufen dürften, als eine Art Ehrensache zu betrachten.

Das Haus des Regierungsraths Hechner mußte übrigens mit dem sogenannten „alten Hause" in früherer Zeit, wenn nicht gerade dazu gehörig, doch in unmittelbarer Verbindung gestanden haben. Auf der halben Treppe, unter der ersten Etage, befand sich nämlich noch eine alte eiserne, niedrig gewölbte und von innen verriegelte Thür. Dieser frühere Communicationsweg zeigte jedoch nach außen weder Schloß noch Drücker, nicht einmal ein Schlüsselloch, sondern nur eine glatte, mit starken Barren verwahrte Fläche, die, wenn überhaupt, nur hätte von der innern Seite geöffnet werden können.

Aus Nachlässigkeit oder Unachtsamkeit war aber diese Thür damals nicht mit versiegelt worden; oder man hatte sie auch als mit der Wand identisch angesehen und eine ge-/10/richtliche Verwahrung derselben nicht für nöthig befunden. Beim Malen der Treppe ließ dann später der Regierungsrath die Haspen und Querbarren soviel als möglich mit Kalk bewerfen, um deren Erhabenheiten weniger auffallend zu machen, und die Thür mit der andern Wand gleichmäßig anstreichen. Wer deshalb nicht wußte, daß sich dort eine Thür befand, konnte es nicht leicht erkennen.

Für Fremde wäre das nun auch vollkommen ausreichend gewesen. Für die Leute im Hause dagegen schien dieses Verheimlichen der Thür eher etwas Unbehagliches zu haben, dem sie allerdings keinen bestimmten Namen geben konnten, das sie aber nichtsdestoweniger störte und beunruhigte. Ein paar der Dienstboten kündigten auch ihrer wirklich vortrefflichen Herrschaft aus dem einzigen Grunde, weil sie sich fürchteten, Abends spät an dem versteckten Eingange vorüber zu gehen. Hinter der Thür sei es, wie sie sich nicht ausreden ließen, unter keiner Bedingung geheuer, und wenn sie Abends spät mit Wasser oder Holz da vorbei müßten, könnte die alte eiserne Pforte auch recht gut einmal von selber auffliegen und ihnen den Tod vor Schrecken bringen.

Die Eine behauptete dabei, sie hätte es einmal Abends dahinter klopfen, die Andere sogar, Jemanden schwer athmen hören, bis der Regierungsrath, des Geschwätzes müde, sie fortjagte und andere Leute in's Haus nahm. Er ärgerte sich aber doch über das dumme, abergläubische Volk, wie er es nannte, das sich nur immer die größte Mühe gab, einen Haken zu finden, um seine albernen Ideen daran zu hängen.

Regierungsrath Hechner war verheirathet, hatte aber nur eine einzige Tochter, ein elfjähriges Mädchen von überdies zarter, schwächlicher Gesundheit, und lebte in seiner kleinen Familie still und zurückgezogen. - Kinder sind übrigens für das Uebernatürliche oder Außergewöhnliche empfänglich, und geben sich demselben leichter und unbefangener hin, als Erwachsene. Ihr Geist ist noch nicht im Stande, die Grenzlinie zwischen dem Wahrscheinlichen und Unwahrscheinlichen - wir dürfen kaum sagen: dem Möglichen und Unmöglichen - für sich selber abzustecken und zu befestigen. So hatte sich auch Marie, durch ihren erregten und kränklichen Zustand /11/noch empfänglicher dafür gemacht, viel und lebhaft mit dem alten Nachbarhause beschäftigt und, wenn die Eltern abwesend waren, das besonders mit Begierde aufgefangen, was die Mädchen im Hause darüber zu sagen wußten.

 

Daß in dem alten unbewohnten Gebäude dann und wann ein „Licht" umging, stellte sich ihr gegenüber auch bald als feste Thatsache heraus. Ebenso bezweifelte sie zuletzt, mit den Zeugnissen dreier, hintereinander abgehender Dienstleute, keinen Augenblick mehr die Existenz irgend eines unglücklichen, verbannten Wesens, das hinter der übermalten Thür an ihrer eigenen Treppe sitze und mit Ungeduld schon viele Jahre lang seiner Befreiung entgegen harre. Mit kindisch schauerlichem Behagen malte sie sich dabei die stillen Stunden selber aus, wie hinter den dichten und verblichenen seidenen Gardinen die alten prächtigen Möbel standen und schwere Teppiche lagen, die dicker Staub wohl lange schon bedeckte. Und an den Wänden hingen gewiß alte, düstere, lebensgroße Bilder der früheren, jetzt still in ihren Gräbern schlummernden Bewohner des alten Hauses - Männer mit unbequem steifen Halskrausen und langen Degen, und Frauen mit großblumigen, herrlichen Kleidern und hohem, wunderlichem Kopfputz, die erstaunt und finster auf die zu ihnen Eintretenden niederbückten und den Fremden, wohin sie gingen, mißtrauisch und unheimlich mit den Augen folgten.

Marie hätte Gott weiß was darum gegeben, das alte Haus einmal betreten zu dürfen. Das war wenigstens, wenn sie sich oben in ihrem sichern Stübchen befand, oft und oft ihr Wunsch gewesen. Kam sie aber Abends einmal von einem Besuche der in der nämlichen Straße wohnenden Tante zurück, und mußte sie an der geheimnißvollen Thür vorüber, dann schlug ihr das kleine Herz doch laut und ängstlich in der Brust, und sie drückte sich scheu und mit zurückgehaltenem Athem an der andern Seite der Treppe vorüber. Sie hätte auch darauf schwören wollen, schon selber zu verschiedenen Malen ein leises Seufzen und Klopfen hinter der Thür gehört zu haben, und einmal - sie vergaß den Schrecken in ihrem Leben nicht - war ein Stück Kalk, gerade als sie vorüberglitt, vom Anwurf über der Thür los-/12/gebröckelt und dicht neben ihr niedergefallen, als ob Jemand von innen dagegen gepreßt und dadurch den Kalk von der Wand abgedrückt hätte.

Marie war auch dieselbe Nacht noch wieder krank geworden, und das alte Haus spielte in der Zeit eine Rolle in allen ihren Träumen. Wenn sie aber aufwachte, wußte sie immer, daß es eben nur ein Traum gewesen. - Da drüben sah es doch gewiß ganz anders aus, als sie es in ihren Phantasien gesehen und sich ausgemalt.

Wunderbarer Weise scheute sie sich dabei aus irgend einem, ihr selber nicht klaren Grunde, der Mutter, der sie sonst nichts verheimlichte, von dem sonderbaren Einflusse zu sagen, den die alte Thür auf sie ausübe. Vielleicht war es die Furcht vor dem Vater, der so bös über den Aberglauben der Dienstmädchen wurde. Aber unwillkürlich kam ihr dabei auch das Gefühl, als ob sie es irgend Jemandem recht heilig versprochen hätte, mit Niemandem, wer es auch sei, darüber zu reden, und doch wußte sie, daß ihr noch keine Seele aus der weiten Welt ein solches Versprechen abgenommen haben konnte. Hing das etwa auch mit ihren Träumen zusammen? -

Wieder hatte ihnen ein Mädchen, der alten Thür wegen, gekündigt. Die Köchin, ein braves, arbeitsames und sonst auch resolutes Frauenzimmer, war vor einigen Abenden ziem- lich spät mit Geschirrscheuern beschäftigt gewesen, und hatte noch vor Schlafengehen, um nicht gleich am frühen Morgen danach laufen zu müssen, eine Tracht Wasser aus dem im Hofe befindlichen Brunnen heraufholen wollen. - Mit ihren beiden gefüllten Kannen - so wörtlich erzählte sie es am nächsten Morgen ihrer Herrschaft - kam sie denn auch langsam die Treppe herauf und blieb aus dem ersten Absatz gerade der Thür gegenüber, an die sie in diesem Augenblicke nicht einmal dachte, zum Ausruhen stehen. Da plötzlich - das heilige Abendmahl wollte sie darauf nehmen, daß sie die Wahrheit rede - hörte sie Jemanden dicht neben sich so recht aus tiefster Brust aufseufzen oder stöhnen. Sie sah sich rasch und erschreckt um; obgleich aber die Laterne, die gerade über ihr auf der Treppe hing, ein ziemlich helles Licht /13/ verbreitete, konnte sie weder nach oben noch nach unten etwas erkennen. Da fiel ihr die Thür ein. Während ihr ein kalter Schauder den Rücken herunterlief, griff sie ihre Wasserkannen auf, um so rasch als möglich die sichere Küche wieder zu erreichen. Da klopfte es auf einmal stark und wie ärgerlich inwendig gegen die Thür an, und eine leise Stimme rief ihren Namen, noch dazu ihren richtigen Namen, Susanne, denn mit dem Dienst im Hause hatte sie auch den für Köchinnen dort erblichen „Rieke" überkommen. Mehr wußte sie aber nicht zu sagen; denn die Kannen fallen lassen, daß sich das freigegebene Wasser in rascher Fluth treppab ergoß, die Stufen hinausstürzen und die Küchenthür hinter sich in's Schloß drücken und verriegeln, war das Werk eines Augenblicks gewesen. Selbst die oben an der Treppe vergessene Lampe wagte sie nicht wieder zu holen - sie mußte ausbrennen wo sie stand, und erst im Bette, unter der bis über den Kopf heraufgezogenen Decke, hatte sie es sich überlegt, ob sie um Hülfe schreien und die Hausbewohner wecken, oder es riskiren solle, da auszuharren, wo sie sich gerade befand. Unter dem Ueberlegen war sie eingeschlafen.

Am nächsten Morgen erklärte aber die Köchin ihrer Herrschaft auf das Bestimmteste, Nachts oder überhaupt nach Dunkelwerden die Spuktreppe nicht wieder betreten zu wollen, und da sich das mit ihrer Arbeit natürlich nicht vereinigen ließ, kündigte ihr der überdies gereizte Regierungsrath ohne Weiteres wieder den Dienst. Solche stockdumme Dienstleute wollte er, wie er sich ausdrückte, überhaupt nicht in seinem Hause dulden. - Rieke - oder jetzt vielmehr wieder Susanne - war denn auch noch an demselben Nachmittage, vor Dunkelwerden abgezogen, und der Regierungsrath schien selber in einer Sache um Rath verlegen zu sein, die ihm schon zu viel Aerger und Verdruß gemacht hatte und noch zu machen drohte. Er konnte sie nicht gleichgültig vorübergehen lassen.

„Ich weiß bei Gott nicht, was ich am Ende thun soll," sagte er, indem er, die Hände auf dem Rücken zusammengefaßt, mit schnellen, ungeduldigen Schritten im Zimmer auf- und abging und endlich vor seiner an ihrem Nähtische sticken-/14/den Frau stehen blieb, - Marie lehnte, noch etwas leidend, in der einen Ecke des Sophas und blätterte in einem Bilderbuche. - „Wenn ich nicht noch immer die Hoffnung hätte, das alte Gebäude käuflich an mich zu bringen und dadurch meinen Platz hier um das Doppelte zu verwerthen, verkaufte ich wahrhaftig mein eigenes Haus und zöge in eine andere Straße, um nur nicht mehr den Wahnsinn mit anhören zu müssen."

„Wenn man die Thür nur könnte fest und dick vermauern lassen," erwiderte die Frau, „dann wäre dem ganzen Aberglauben gleich der Boden unter den Füßen fortgezogen."

„Ich kann ja den Rath nicht dazu bringen," rief der Regierungsrath in bitterem Unmuth, „und hab' ich nicht einmal selbst schon einen halben Verweis bekommen, als ich es nur auf eigene Hand versuchen wollte, die alte, verwünschte Thür aufzubrechen? Weil man in früherer Zeit übersehen hatte, diesen unglückseligen Aus- oder Eingang ebenfalls zu versiegeln, mögen sie jetzt nicht daran rühren, um unangenehme Erörterungen zu vermeiden, und wünschen das Eisenblech als identisch mit der Mauer zu betrachten."

„Dann bleibt uns doch am Ende nichts Anderes übrig, als auswendig eine Wand dagegen zu setzen," sagte die Frau.

„Und was wird dann mit der Treppe?" brummte ihr Gatte. „Du weißt, daß wir unser Instrument kaum jetzt heraufgebracht haben, und stellen wir noch eine einzige Ziegeldicke dazwischen, so sind wir ganz fertig. Das einzig Mögliche wäre, diesen Theil der Treppe vollkommen zu verbauen und von der anderen Seite des Vorsaales bis zu dem zweiten Absatze andre Stufen hinaufzuführen. Baulich ließe sich das machen, aber ich muß ja nachher wahrhaftig fürchten, daß ich der ganzen Stadt zum Gespötte werde und mein Haus den Namen eines Spukhauses bekommt. - Es fehlt jetzt schon nicht viel daran. Wenn der alte Major oben in der zweiten Etage nicht lauter männliche Bedienung hätte, wär' er auch schon lange ausgezogen. - Hast Du Dich schon nach einer andern Köchin umgesehen?"

„Die Schwester will mir noch heute ein gutes, gerade /15/ freies Mädchen herüberschicken," sagte seine Frau seufzend. „Lieber Gott! wenn es Einem nicht wirklich so schwer ankäme, die alten, liebgewonnenen Räume zu verlassen, ich wollte gleich sagen: laß uns das Haus lieber heute als morgen verkaufen. Diese kleinlichen Unannehmlichkeiten reiben zuletzt den stärksten Menschen auf. Und dabei immer wieder dieselben Albernheiten; es ist ordentlich, als ob es Eine der Andern sagte. Ein Glück nur, daß Rieke abgezogen ist, ehe das neue Mädchen eintrifft; wenn es die auch nachher erfährt, bekommt sie die unsinnige Geschichte doch nicht von dem albernen Geschöpfe selbst erzählt. - Es wäre doch am Ende besser, Hechner, Du ließest die andere Treppe einrichten. Die Leute reden allerdings kurze Zeit darüber, das ist wahr, aber bekommen es auch zuletzt satt, und wenn das mit dem Weglaufen der Dienstboten so fortgeht, macht es noch weit mehr Aufsehen, als eine bloße Veränderung der Baulichkeit."

„Nein," sagte der Regierungsrath, plötzlich stehen bleibend und seinen auf dem Instrumente liegenden Hut aufgreifend, „nein, ich weiß, was ich thue: der Rath darf nur meine Bitte, die Thür vermauern zu lassen, nicht langer abschlagen. Wenn er es aber doch thut, wenn er mich rücksichtslos dieser Unbequemlichkeit aussetzen will, nur um den einmal früher gemachten Fehler nicht einzugestehen, dann bin ich ihm auch keine weiteren Rücksichten schuldig. Dann erkläre ich ihm geradeheraus, daß diese unversiegelte eiserne Thür nun einmal keine Wand ist, sie mögen's drehen, wie sie wollen, und daß ich mich nicht länger dem Gerüchte aussetzen mag, von meinem Hause aus einen möglichen Eingang in das versiegelte Nachbargebäude zu haben. Ich bin mir das auch selber schuldig," setzte er, sich mehr und mehr in den Gedanken hineinarbeitend, hinzu; „denn wenn nachher da drüben vielleicht gar das Inventarium nicht richtig befunden würde, käme natürlich auf mein Haus der Verdacht eines Mißbrauchs zuerst. Die Leute glauben von ihren Nebenmenschen ja doch immer am liebsten das Schlechteste. Der Rath mag mir einen Rathsdiener mit herschicken, oder selber eine Deputation wählen, und in deren Beisein soll der Eingang unter jeder Bedingung vermauert werden. Ich habe /16/ das Gerede satt, und endlich muß einmal mit dem Treppenskandal Ruhe werden."

Er verließ rasch das Zimmer, und Marie lehnte sich auf ihr Kissen zurück und schloß die Augen, um das Gehörte ungestört von äußeren Eindrücken überdenken zu können. -

Die Mutter blieb noch eine lange Zeit schweigend und ihren Gedanken nachhängend bei ihrer Arbeit sitzen, endlich sah sie nach dem auf dem Sopha lehnenden Kinde hinüber und sagte leise:

„Schläfst Du, Marie?" -

„Nein, Mama - ich dachte an das alte Haus," sagte Marie fast unwillkürlich, und erschrak ordentlich, als sie das Wort gesprochen. Die Mutter schüttelte mit dem Kopfe und sagte halb lachend, halb verdrießlich:

„Was hast Du mit dem alten Hause zu thun? Du fürchtest Dich doch nicht etwa auch davor?"

„Nein, Mama."

Es entstand eine Pause. Die Mutter nahm ihre Nadel wieder auf und stickte weiter; endlich murmelte sie halblaut vor sich hin, und mehr mit sich selber, als zu der Tochter redend:

„Der alte Herr Quetzlinberger hätte auch etwas Gescheiteres thun können, als ohne ordentliches Testament zu sterben. Zeit hatte er doch wahrhaftig genug gehabt sein Leben lang."

„Wer ist der Herr Quetzlinberger, Mama?" fragte Marie.

„Der Herr Quetzlinberger? nun, der letzte Besitzer des Hauses, nach dessen Tode es eben verschlossen und versiegelt wurde. Jetzt können sich die Erben noch, wer weiß wie lange, darum streiten und ihr Geld darauf verprocessiren."

„Hast Du ihn gekannt, Mama?"

„Den Herrn Quetzlinberger? nein, mein Kind," lachte die Mutter, „der ist gestorben, ehe ich geboren wurde; aber Deine Großmama hat ihn noch gekannt. - Wir wohnten damals gerade gegenüber in dem gelben Hause mit den hohen Fenstern, wo Postrath Meiers jetzt wohnen. Mutter hat uns oft und viel von ihm erzählt." /17/

„Ich möchte auch so gern etwas von ihm hören, Mama."

„Lieber Himmel! das ist jetzt so lange her," sagte die Mutter, „daß ich mich nur noch auf sehr wenig zu erinnern weiß. Nur das schwebt mir noch vor, daß Herr Quetzlinberger, ein kleines, wunderliches, vertrocknetes Männchen gewesen sein soll, das ganze Tage lang in einem gelbseidenen Schlafrocke mit grellrothen Aufschlägen in seinem Erker da drüben gesessen und in einem großen Buche mit gelben Beschlägen gelesen habe. Dann und wann, erzählte Mutter, hätte er aber auch aus dem Fenster gesehen und den unten Vorübergehenden zur Kurzweil Gesichter geschnitten.“

 

,Und hat Herr Quetzlinberger ganz allein in dem alten Haus gewohnt?“ fragte Marie leise, „ist Niemand weiter bei ihm gewesen, der ihn pflegte als er krank wurde, und bei ihm blieb, als er starb?"

„Oh, doch wohl," sagte die Mutier- „eine Haushälterin besorgte Altes, was er brauchte, kochte sein Essen und wusch und scheuerte, und soll das alte Haus inwendig sehr blank und reinlich gehalten haben. Wie aber der Besitzer starb, war die Frau auch spurlos verschwunden, und obgleich man sie im Verdacht hatte, daß sie mit Geld und Geldeswerth durchgegangen sei, konnte sie doch nirgends mehr aufgefunden werden."

„Und war Niemand weiter bei den beiden Leuten?" fragte Marie nach einer längeren Pause, in der sie sich ordentlich Muth sammelte zu der neuen Frage.

„Darüber gingen ebenfalls wunderliche Gerüchte," sagte die Mutter. „Es war ein Knabe in der Wohnung des alten Herrn Quetzlinberger gesehen worden, sollte aber einen Tag vor dessen Tode mit der Wirthschafterin davongefahren sein. Überhaupt erzählten damals die Leute wohl eine Menge Geschichten; denn wo sich irgend Jemand vor ihnen zurückzieht, und gar etwas geheim hält, sind sie gleich mit eigener Auslegung und Erklärung da. So viel war gewiß, die alte Wirthschafterin blieb verschwunden, und man weiß wohl bis auf den heutigen Tag noch nicht, was aus ihr geworden."

Marie hatte bei Erwähnung des Knaben leise und langsam mit dem Köpfchen genickt, als ob sie das auch wisse und /18/ Alles ganz in Ordnung sei. Sie erwiderte aber kein Wort und schloß nur, wie vorher, die Augen. Die Mutter arbeitete indessen weiter und glaubte, daß die Tochter eingeschlafen sei.

II.

Drei Wochen mochten nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen sein, und der Regierungsrath Hechner hatte es indessen wirklich durchgesetzt, daß die in das alte Haus führende eiserne Thür im Beisein von zwei Rathsmitgliedern erbrochen, und der innere Raum - ohne weiter zu untersuchen, wohin der Gang führe, mit einer starken Mauer geschlossen werden solle. Damit war denn jede weitere Verbindung abgebrochen und der Aberglaube der Dienstleute hatte seinen Halt verloren. Die Veränderung selber sollte in den nächsten Tagen vorgenommen werden. Marie war in dieser Zeit auch wieder vollkommen wohl und gesund geworden. Aber ein anderer Feind hatte sich bei ihr eingestellt: ein heftiger Zahnschmerz, der, allerdings nur von hohlen Zähnen herrührend, die kaum gesammelten Kräfte doch wieder zu erschöpfen, die Nerven zu überreizen drohte. Alle dagegen angewandten Mittel blieben gänzlich erfolglos, und der Arzt bestand endlich darauf, die beiden schmerzhaften Zähne durch Herausnehmen zu entfernen und dadurch dem Körper die ihm so nöthige Ruhe zurück zu geben.

Marie hatte aber eine unsagbare Angst vor der Operation, und so ungern sich der Arzt dazu verstand, gestattete er doch endlich für das schwächliche Kind den Gebrauch des damals gerade eingeführten Chloroforms, weniger nachtheilige Folgen von der Wirkung des Aethers, als von der übergroßen Angst der armen Kleinen fürchtend. Selbst hiergegen wollte sich freilich Marie noch sträuben; da aber die Schmerzen immer zunahmen und der herbeigerufene Zahnarzt sogar eine Fistel fürchtete, blieb ihr endlich selber keine Wahl mehr, und sie verstand sich dazu, die Operation am Nachmittage vornehmen zu /19/ lassen. Der Nachmittag kam und der Schmerz war eher heftiger geworden. Der Zahnarzt wurde deshalb, ohne Marien weiter ein Wort davon zu sagen, mit seinem Apparate herüber bestellt. Als er mit dem Kästchen unter dem Arm in die Thür trat, erschrak das arme Kind wohl und fing an zu zittern, wagte aber doch keine Widerrede mehr. Nur um einen kleinen Aufschub bat sie, sich erst zu sammeln, nur um ein kleines Viertelstündchen, und als das verflossen war, um noch, und um noch eins. Die Mutter, die sich fast ebenso vor der doch ganz gefahrlosen Operation fürchtete, war zu schwach, ernsthaft auf rascher Beendigung derselben zu bestehen, so daß sich die Zeit mehr und mehr verzögerte und in der That schon langsam die Dämmerung hereinbrach.

Der Zahnarzt hatte sich indessen mit wirklich grenzenloser Geduld der Angst des Kindes gefügt, erklärte aber doch endlich, daß er entweder jetzt die Operation beenden, oder heute ganz davon abstehen müsse. Die Dunkelheit brach mehr und mehr herein, und er wünschte den Vortheil des Lichtes nicht zu verlieren. Da bezwang sich die Leidende; sie fing an, sich ihrer Schwäche zu schämen, und suchte in diesem Gefühl die Furcht zu überwinden, die sie vor dem bleichen Manne in dem schwarzen. Frack und mit dem entsetzlichen blankpolirten Kästchen erfaßt hatte. Der Mutter Arm nehmend, die rasch aufsprang sie zu unterstützen, erhob sie sich vom Sopha und ging selber zu dem schon Stunden lang bereitgeschobenen Lehnstuhl, setzte sich hinein und lehnte ihr Köpfchen in die eine Ecke. Beide Händchen preßte sie dabei gegen den jetzt wieder wie rasend beginnenden Zahn, und sah nun mit klopfendem Herzen, wie der entsetzliche Mann mit der eisernen Ruhe und den weißen ringbedeckten Fingern das Kästchen öffnete. Dort klirrte er ein paar Secunden lang mit seinen Instrumenten, goß dann eine helle Flüssigkeit auf einen Schwamm und kam auf sie zu.

„Es ist ja nur ein Augenblick, mein liebes, süßes Kind," bat die Mutter; „halte Dich nur wenige Secunden still, und Alles ist vorüber und überstanden. - Wenn nur der Vater zu Hause geblieben wäre!"

Der bleiche Zahnarzt lächelte, sagte jedoch kein Wort, und /20/ Marie schaute fest und entschlossen zu ihm auf. Aber - die rechte Hand hielt er etwas zurück; schon hob er den linken Arm mit dem Schwamm, da fiel ihr Blick auf das blitzende Instrument, das er, halb versteckt, in der zurückgebogenen Rechten zu verdecken suchte. In dem einen Moment kehrte bei ihr die alte Furcht und Angst zurück, und mit einem gellenden Schrei, ehe selbst die Mutter sie daran verhindern konnte, sprang sie wieder vom Stuhle auf und der Thür zu.

„Marie!" rief die Mutter erschreckt und bittend, „Marie, wo um Gottes willen läufst Du hin?"

Aber Marie ließ sich durch den Ruf nicht halten, denn zu gleicher Zeit hörte sie auch, wie der entsetzliche Doctor hinter ihr dreinsprang, um sie einzuholen. In der jetzt nur noch vermehrten Angst, von dem fürchterlichen Manne mit den blitzenden Instrumenten gar mit Gewalt gefaßt und gezwungen zu werden, floh sie die Treppe nieder, Schutz drüben bei der Tante zu suchen, die so gut und freundlich mit ihr war. Aber die Verfolger waren dicht hinter ihr. Schon konnte sie die Schritte fast neben sich hören, und die weiße Hand des Arztes, an der die funkelnden Ringe staken, streckte sich nach ihr aus, sie zu erfassen. Mit einem wahren Angstschrei floh sie den ersten Treppenabsatz nieder, da fiel in diesem entsetzlichen Moment ihr Blick aus die bemalte geheimnißvolle Thür des alten Hauses, neben der sie sich befand und die - ein eisiger Schauer zog ihr durch Mark und Bein - halb geöffnet stand.

„Bst - bst!" rief dabei eine leise Stimme, und ein bleicher, schlanker Knabe, von zwölf oder dreizehn Jahren vielleicht, stand auf der Schwelle und winkte ihr rasch und ängstlich, zu ihm herein zu flüchten.

„Um Gottes willen," stammelte Marie - aber hinter ihr sprang Jemand die Stufen herunter, und als sie den Kopf scheu dorthin wandte, sah sie die gierig nach ihr ausgestreckte Hand des Arztes.

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