Einheimisches und Fremdes

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6. Manuela.

Als der Pater mit dem Arzte zusammen die Treppe langsam hernieder stiegen, stand der Flüchtling, mit der blanken Waffe wieder in der Hand, so dicht neben ihnen, daß das weiße Gewand des Priesters ihn wirklich streifte; die geringste Seitenbewegung, die dieser gemacht hätte, müßte ihn mit dem fest an die dunkle Wand gedrängten Körper in Berührung gebracht haben. Der Pirat zitterte aber nicht für seine Sicherheit, denn er wußte, daß ihm in diesem Augenblick keine größere Gefahr drohe, als worin er schon seit dem ersten Moment seiner Verfolgung geschwebt hatte, ja fast ein teuflisches Lächeln stahl sich über seine dunkeln Züge, als ihn der Gedanke durchblitzte, mit welcher unendlichen Ruhe und Unbefangenheit der ehrwürdige Pater dicht am Rand des neben ihm gähnenden Grabes vorbeischritt, denn er war fest entschlossen, Beide unschädlich zu machen, sobald sie seinen Zufluchtsort entdeckten, weil sie, wenn sie ihm folgten, seine Sicherheit auf das Höchste gefährden mußten. Der fromme Mann ahnte auch wahrlich nicht, wie sein Leben in diesem Augenblick an der Bewegung seines Ellbogens hing, er wäre sonst wohl kaum so breit und bequem in dem vollkommenen Gefühl seiner Sicherheit durch den engen Gang geschritten. Seine Stunde hatte aber noch nicht geschlagen, unbewußt schritt er an der Gefahr vorüber und betrat gleich darauf, von dem Doctor gefolgt, das Gemach.

Es dauerte jedoch noch eine kurze Zeit, ehe sie so weit von der noch immer offenen Thür zurücktraten, daß der Flüchtling es wagen durfte, sich dem untern, hellerleuchteten Theile der Treppe anzuvertrauen - endlich verdeckte die breite Geltalt des Priesters den verrätherischen Strahl - noch zögerte er, denn sah sich Einer der Beiden um, oder knarrte die Treppe, so konnte ihn nichts vor Entdeckung sichern. Aber er durfte keine Zeit mehr verlieren, denn sein geübtes und /76/ durch die Gefahr nur noch mehr geschärftes Gehör vernahm schon die Stimmen der andringenden Feinde.

„Zum Teufel, die Gefahr mich zu entdecken ist auf ihrer Seite!" murmelte er leise vor sich hin, „und die Folgen über ihre Köpfe!" Und damit schwang er sich leicht auf die Stufen der Treppe und stieg vorsichtig, von Niemandem bemerkt, hinan. Oben angekommen, öffnete er leise die Thür, die jene eben verlassen hatten, und trat schnell, sie hinter sich wieder zuziehend, ein. Das Schauspiel, was sich ihm hier bot, bannte ihn aber für einen Augenblick wie festgewurzelt an die Stelle.

Auf einer Matratze am Boden, von einem schneeweißen Tuch überdeckt, das nur an dem obern Ende einen dunkelrothen Blutstreifen zeigte, lag, die blassen, stillen Züge von einem Ausdrucke unaussprechlicher Seligkeit erhellt, die Leiche Edward Wilkinson's - ihr zu Füßen, und auf einem niedern Sessel so aufgestellt, daß das Auge des Sterbenden leicht und voll darauf fallen konnte, stand das eiserne, mit Blumen geschmückte Crucifix, was sonst seinen Platz auf dem kleinen in der Ecke angebrachten Hausaltar gehabt hatte, und an der Seite des Lagers - die kalte Todtenhand, wie sie ihr der Sterbende gelassen, noch in der ihren - kniete, darüber hingebeugt, in tiefem, brünstigem Gebete Manuela.

Selbst der Pirat stand erschüttert vor dem heiligen, unaussprechlich rührenden Bilde - er warf einen wilden, verstörten Blick im Zimmer umher und strich sich mit der linken freien Hand, denn die rechte hielt noch immer fast unbewußt das Messer, die langen nassen Haare aus der Stirn und preßte sie an die Schläfe, als ob er böse, peinigende Gedanken daraus vertreiben wollte.

Da wurden unten die Stimmen laut, das Hinterthor brach ein, und er mußte handeln. Bei dem ersten Schritt aber, den er vortrat, hob die Betende, durch den Lärm von außen und das ihr so nahe Geräusch aus ihrer Andacht aufgestört, das schöne todtenbleiche Antlitz und schaute in die, scheu vor ihr den Boden suchenden Blicke des Mörders. - Aber sie erschrak nicht, - das Furchtbare war geschehen - selbst die vor ihr wie aus dem Boden herausgewachsene entsetzliche Gestalt /77/ mit der blanken Waffe in der Hand konnten sie nicht mehr ängstigen, und sie begriff in dem Augenblick kaum das wirklich Wesentliche der Erscheinung.

Tenares stand einen Moment wie unschlüssig - der stiere, fast bewußtlose Blick der Unglücklichen schnitt ihm mit einem lange nicht gekannten Gefühl des Vorwurfs durch die Seele - er mußte aber auch gerade diesen Moment ihrer ersten Ueber- raschung benutzen, denn dicht an ihr vorbei ging sein Weg zu der Thür, die ihm die Bahn zur Freiheit öffnen sollte.

Kaum hatte er jedoch den ersten Schritt auf sie zugethan, als die Jungfrau die Hand gegen ihn ausstreckte und mit leiser, aber fester Stimme sagte:

„Zurück, Mörder, zurück von der heiligen Stätte - scheuest Du Dich nicht selbst, mit noch blutigen Händen so vor Dein Opfer zu treten? Oder bist Du noch nicht gesättigt? - hier stoß zu, ich fürchte Deinen Stahl nicht - Du hast Dein ' Schlimmstes gethan!"

„Eher sollte diese Hand verdorren, Manuela!" sagte der Pirat erschüttert; „nein, fürchte nichts, Mädchen - Du auf der weiten Welt bist die Letzte, der ich auch nur ein Haar verletzen möchte - ich fürchte auch, ich habe Dir diese Nacht einen schlimmen Dienst geleistet, Kind - aber der Tollkopf zwang mich dazu - ich hatte ihm nie etwas zu Leide gethan, hätte Dich und ihn gern - doch die Zeit vergeht, laß mich vorbei dort, Manuelita, ich thue dir kein Leides."

„Zurück, Mörder!" rief aber das Mädchen, das in steigender Verwunderung die Worte des Entsetzlichen wohl vernahm, aber kaum zu verstehen schien und nur jetzt, als er gegen die Leiche vorschritt, ihre ganze Geistesgegenwart wieder gewonnen, zugleich aber auch die Stimmen im untern Hause hörte und nun zu begreifen anfing, was ihn eigentlich hierher geführt - „zurück von der Leiche dessen, den Du erschlagen. Ha, hörst Du die Rächer des ewigen Gerichtes nahen? und wehe - wehe dem Schuldigen!"

„Sei vernünftig, Manuela!" rief der Pirat, rasch auf sie zutretend, sie zu beruhigen - „Du weißt nicht, was Du thust - ich bin -"

„Zu Hülfe - Mörder!" schrie aber die zur Verzweiflung /78/ Getriebene mit aller Anstrengung ihrer Stimme - sie ahnte eine Gefahr, aber sie wußte ihr keine Worte zu geben. Doch Tenares hatte keine Zeit mehr zu Erklärungen.

„Thörin!" rief er und schleuderte sie, ihren Arm mit Riesenkraft ergreifend, aus dem Weg, „so thue Dein Schlimmstes und trage nachher die Gewissensbisse, wenn Du die Wahrheit erfährst."

Und mit flüchtigem Sprunge erreichte er die geheime, ihm wohlbekannte, ja von ihm selber, geschmuggelte Waaren zu verbergen, angelegte Thür - im Nu war sie geöffnet, und während Manuela, der dieser Ausgang selber unbekannt geblieben, vor Staunen sprachlos dastand - war er verschwunden.

Jetzt aber hörte sie das Geräusch der die Treppe herauf stürmenden Männer, und ihr erneuerter Hülfeschrei trieb sie zu wilderer Eile an. In diesem Augenblicke wurde die Thür aufgerissen, und mit verstörten, fast geisterhaft bleichen und erregten Zügen stürzte ihre Mutter in das Zimmer.

„Hülfe!" rief das geängstigte Mädchen auf's Neue, als sie die Mutter sah - „Hülfe, Mutter - der Mörder ist -"

„Dein Vater, Unglückliche!" stöhnte die Frau und barg ihr Gesicht in den Händen.

Manuela stand durch das Donnerwort wie zu Eis erstarrt - ihre glanzlosen Augen hafteten stier auf der Gestalt, die ihr das Entsetzliche verkündete, die Arme hielt sie noch wie abwehrend von sich gestreckt; wie aber Senor Olinda auf der Schwelle erschien und mit vorgehaltener Pistole in das Zimmer sprang, warf sie die Arme in die Höhe, lachte grell auf und schlug besinnungslos zu Boden.

Im Nu füllte sich das Zimmer mit Bewaffneten, aber obgleich jeder Winkel durchstöbert, jedes Fenster untersucht wurde, war keine Spur von dem Flüchtigen zu entdecken.

War er denn auch wirklich hier im Zimmer gewesen? - Die Fenster führten auf die Straße hinaus, die von Menschen erfüllt stand - die zweite Thür war von innen verschlossen und kein anderer Ausgang, kein Versteck im ganzen Raume. Olinda sah sich verzweifelnd nach Manuela um - sie war die Einzige, die Aufschluß geben konnte, und gerade sie lag /79/ besinnungslos in den Armen ihrer, jetzt sorgend über sie hingebeugten Mutter.

„Pest!" rief der Capitain leise und mit dem Fuße stampfend - „daß die Weiber immer um jede Kleinigkeit und gewöhnlich stets zur Unzeit ohnmächtig werden - armer Edoardo - und solltest Du ungerächt in Deinem blutigen Grabe liegen? - nein, noch geb ich die Hoffnung nicht aus, denn in die Erde kann er nicht verschwinden - doch hier ist nichts weiter zu thun!" Und auf seinen Wink folgten ihm die Uebrigen still und geräuschlos aus dem Zimmer der Trauer, Räumen ibre Nachforschungen fortzusetzen.

7. Schluß.

Das ganze Haus war umstellt, jede Straße besetzt, und in der That jetzt schon ziemlich die ganze Stadt auf den Beinen, denn wen nicht die Neugierde aus dem Bett getrieben, den jagte die Furcht heraus. Das Gerücht von dem wieder erschienenen und verfolgten Piraten drang nämlich nicht allein, ehe eine Stunde verging, in die entferntesten Theile der Stadt, sondern wuchs auch natürlich mit jeder Straße breit, wie die rollende Flocke Schnee, zu einem Riesenballe an. Nicht ein Pirat war es mehr, der flüchtig und verfolgt, wie ein Wolf gehetzt, seinen Richtern zu entgehen suchte; nein, eine Piratenflotte war die Nacht in der Bai geankert, und ihre Horden plünderten und sengten schon in der Stadt und schleppten Weiber und Kinder in Gefangenschaft.

Daß zu gleicher Zeit fünf oder sechs Kriegsschiffe in der Bai lagen, und ein solcher Ueberfall überhaupt unmöglich war, fiel ihnen gar nicht ein - in solchen Augenblicken, und von Furcht und Ueberraschung unterstützt, ist nichts so unwahrscheinlich, was nicht seinen Glauben fände.

„Sie haben ihn — sie haben ihn!" tönte es jetzt von jeder /80/ Lippe, - „er ist in das Haus geflüchtet und kann nicht mehr heraus," verkündete Einer mit jubelnder Lippe dem Andern, als ob es ein fröhliches Spiel und nicht ein Menschenleben gälte, - „da oben in der Stube ist er - da, wo die Schatten hin und her gehen." - „Er hat alle Frauen im Hause ermordet!" rief ein Anderer - „Jesus Maria, wie sie um Hülfe schrieen - das ist ein blutiger Tiger, caramba, ich ritte hundert Meilen, um ihn hängen zu sehen."

 

Flüche und Witzworte tönten aus der Menge heraus, die nach dem Blute ihres Opfers dürstete, und in demselben Momente glitt dieses über ihren Köpfen hin, in einer tiefen Wasserrinne fort, die von einem Hause zum andern führte und zwei schräg gegen einander niederlaufende Dächer mit einander verband. Dort erreichte er wieder ein anderes Haus und kam so, zwar langsam, aber mit unendlicher Umsicht auch den geringsten Vortheil benutzend, zu der steilen Lehmbank, die an dieser Seite in zahlreichen, ebenfalls wieder überbauten, theilweise aber noch freiliegenden Terrassen die eigentliche Hafenstadt einschließt und nach außen zu in kahlen, von einzelnen tiefen Ravinen durchschnittenen, selbst jetzt noch unbebauten Hügelrücken auslief.

Sobald er diese erreichte, fühlte sich der in den letzten Stunden wie ein umstellter Wolf gehetzte Pirat frei - die erste solche Ravine, die er gewann, kroch er ein Stück hinauf, und dann zu den Hügeln emporkletternd, konnte er von dort das ganze ihn umliegende Terrain - die Bai zu seinen Füßen und rechts unten, in Dunkel gehüllt, die noch immer von Lichtern rasch durchzogene Stadt erkennen. Sogar der Laut dumpfer Stimmen drang dann und wann an sein Ohr, seine Verfolger waren noch thätig, aber die Beute längst ihren Händen entgangen. Einen Moment horchte er wohl dort hinüber, aber während ein Strahl wilder Freude sein Gesicht durchblitzte, wandte er sich jetzt rasch der Bai zu, denn noch war er lange nicht in Sicherheit, und dort drüben im Osten glaubte er schon die ersten Anzeichen des dämmernden Morgens zu entdecken.

Seine Richtung lag jetzt noch eine kurze Strecke, vielleicht eine halbe Meile oder etwas mehr, an den Hügeln entlang, in /81/ deren dunkeln Schatten er jeder Entdeckung lachen konnte. Weiter oben lief das Ufer wieder an einer niedern Felsenspitze etwas weiter in die Bai hinein, und wenn er dort zu Wasser ging, hatte er kaum mehr als eine halbe englische Meile zu schwimmen. Das Licht glänzte noch von der Gaffel des ‚Albatroß‘, ihm ein treuer Stern - dort war Freiheit - Sicherheit für ihn - dort konnte er über seine Rachepläne brüten, denn in ihm stürmte und tobte es von kaum niedergehaltenen Empfindungen, und erst einmal an Bord, wußte er recht gut, daß er keine Entdeckung mehr zu fürchten hatte, selbst wenn das Fahrzeug, was aber nicht wahrscheinlich war, bis in die kleinsten Räume hinab durchsucht würde.

Allerdings hatten ihn nicht allein die Flucht und bisherige Anstrengung der Nacht, sondern auch die furchtbare Aufregung, in der er fortwährend gehalten worden, ermüdet; diese kurze Distance konnte er aber leicht noch schwimmend zurücklegen, da sogar mehrere Schiffe zwischen dem Ufer und dem Schoner lagen, die er passieren mußte, und auf deren Ankerketten er, wenn er es ja für nöthig finden sollte, einen Augenblick ausruhen konnte. Von diesen Fahrzeugen brauchte er außerdem nichts zu befürchten, es waren lauter Kauffahrteischiffe, die erstens wohl kaum mit dem bekannt sein konnten, was am Lande vorgegangen, und ihre Boote auch stets in so regelmäßiger Unordnung haben, daß an ein schnelles in Seelassen derselben nicht zu denken ist - hätten sie sich wirklich die Mühe geben wollen.

Die ziemlich hochgestiegene Mondsichel beleuchtete indessen die stille, lautlose Bai fast mehr als ihm lieb war, und die gegen Morgen stark austretende Ebbe warnte ihn ebenfalls vor einer andern, ihm aber vollkommen gut bekannten Gefahr, durch die Strömung nicht an dem Fahrzeuge, das er erreichen wollte, vorbeigetrieben zu werden, ehe er weit genug geschwommen war, dessen Ankerkette, oder ein ihm zugeworfenes Tau zu erreichen. Wußte er doch recht gut, daß an Bord des ‚Albatroß‘, wo man jedenfalls von der Bewegung in der Stadt gehört haben mußte, Wachen ausstanden, um sein Boot zu erwarten. Er durfte deshalb auch nicht zu weit am Ufer hinunter gehen, und legte sich nun, als er den besten /82/ Punkt für sich zum Abschwimmen erreicht zu haben glaubte, in den Schatten eines hohen Felsblocks nieder, um noch wenige Minuten auszuruhen, und auch erst vollkommen überzeugt zu sein, daß Alles sicher wäre.

Boote waren, so weit sein Auge in dem Dämmerlicht reichte, nirgends zu sehen - nirgends ließ sich auch der leichteste Schlag der Ruder auf dem Wasser hören - all' die kleinen Fahrzeuge schienen sich heute Nacht nach dem Land gezogen zu haben, um Theil an dem „Vergnügen der Jagd" zu nehmen, oder wenigstens ihre Neugierde zu befriedigen, und von dieser Seite glaubte er nichts befürchten zu dürfen. Es war aber auch Zeit aufzubrechen, denn der Streifen im Osten wurde immer deutlicher - es ließ sich nicht mehr verkennen: der Tag brach an, und er wußte, daß mit Tagesdämmern die Leute der im Hafen liegenden Kauffahrteischiffe gewöhnlich geweckt wurden. Er richtete sich empor, nach dem Uferrande niederzusteigen, als sein scharfes Ohr ein leichtes Geräusch am Wasser entdeckte, als ob Ruder vorsichtig aus der Fluth gehoben und wieder eingelassen würden - es kam näher, und zwei Minuten später glitt, dicht am Lande hin, ein kleines Boot um die Landspitze, sich immer dicht am Ufer haltend, und gerade auf die Stelle zu, wo er sich befand.

Sein Herz schlug mit ungestümem freudigen Pochen - das war Hülfe in der Noth; sicherlich hatte der ‚Albatroß‘ sein kleines Boot ausgesandt, ihn aufzusuchen, wenn das irgend möglich wäre. Aber vorsichtig mußte er auch zu Werke gehen, daß er sich nicht etwa einem Feind verriethe. Es saßen nur drei Personen im Boot - zwei zum Rudern und Einer zum Steuern - die Umrisse ihrer Gestalten ließen sich aber nicht genau unterscheiden; waren sie jedoch vom ‚Albatroß‘, so mußten sie auch das Zeichen kennen, das sie mit einander verabredet hatten, und als sich das Boot ihm gerade gegenüber befand, that er einen leisen Pfiff oder Schrei, wie ihn die am Lande ruhenden Möoen manchmal Nachts ausstoßen.

Die Hand des Steuernden hemmte im Nu die Ruder seiner Leute, und vorsichtig wurde das Pfeifen, ziemlich in der selben Art, aber doch nicht ganz genau so beantwortet.

Tenares biß, in getäuschter Erwartung, die Zähne fest /83/ aufeinander, und seine Hand suchte fast unwillkürlich das Heft des Messers - das war die verabredete Antwort nicht, wenn sie ihr auch, vielleicht zufällig, ähnlich kam; sein Ohr ließ sich aber durch solch' plumpe List nicht täuschen, und er hielt sich regungslos gegen den Stein gedrückt, an dem er lehnte.

Eine Zeit lang war Alles ruhig unten - das Boot lag kaum dreißig Schritt von ihm entfernt, und hätte er sich aufgerichtet, so würden sie ihn im Augenblick von unten aus gesehen haben, so aber verbarg ihn der Schatten des Steines vollkommen ihren Blicken.

„Jack -" sagte eine etwas jugendliche Stimme plötzlich auf Englisch, aber noch mit vorsichtig gedämpften Lauten - „war das wirklich ein Vogel, der da rief, oder ein Mensch?"

„'s wird wohl eine Möve gewesen sein," brummte eine rauhe, tiefe Stimme, die Einem der Leute gehören mußte - „wenn man denen antwortet, sind sie fast immer ruhig - es klang ja auch so."

„Ja, wie der Schrei einer Seemöve etwa, aber nur leiser."

„So wird's auch wohl so 'was gewesen sein," brummte der Andere - „damn it, das ist ein langweilig Vergnügen, hier an dem verwünschten Ufer die ganze Nacht rauf und runter zu fahren und aufzupassen, daß kein Boot landet oder abgeht - und keinen Tropfen Grog dabei an Bord!"

Das Boot war, indeß die Leute auf den Rudern lagen, schon wieder etwas durch die stark ausgehende Ebbe zurückgetrieben; die Matrosen ließen die fest umwickelten Ruder jetzt zwar wieder in's Wasser, aber es dauerte wohl eine Minute, bis sie das Boot vorwärts und zu der Stelle zurückbrachten, wo es, als das Zeichen gegeben wurde, gelegen hatte. Der junge Mann im Hintertheile des Bootes richtete sich jetzt in die Höhe und betrachtete forschend das vom Mondlicht matt übergossene Ufer, ohne daß seine Leute jedoch zu rudern aufhörten.

„Verwünscht, daß ich kein Nachtglas bei mir habe!" sagte er endlich, als er sich wieder an seinen Platz zurückfallen ließ, „da soll der Henker erkennen können, was am Lande vorgeht." Das Boot verließ langsam den Platz und hielt sich, immer /84/ am Ufer hin, mehr der Stadt zu, nach dem aber, was er gehört, wußte Tenares, daß es, sobald es irgend einen bestimmten Ort erreicht haben würde, wieder hierher zurück, und dann zwar mit der Strömung kommen würde, und kaum daß er sich aus dem Gesichtskreise seiner selbst hier postirten Feinde wußte, glitt er das Ufer hinab und in das Wasser - fest entschlossen, jetzt gerade nach dem ‚Albatroß‘ hinüber zu halten.

Es war dasselbe Boot, mit dem der Pirat schon an dem nämlichen Abend durch Edward Wilkinson so hart bedrängt gewesen.

Senor Olinda hatte einen jungen Midshipman, da ihm ein dort liegendes englisches Kriegsschiff seine Boote für die Nacht ebenfalls zur Verfügung gestellt, hineinbeordert, um an dieser Küste Wache zu halten, falls ein Boot für den Piraten anlegen, oder dieser vielleicht glücklich aus der Stadt mit einem andern, möglicher Weise irgendwo für ihn bereit liegenden Kahn entkommen sollte.

Da es übrigens sehr unwahrscheinlich schien, daß er nach der Rhede hinaus einen solchen Fluchtversuch machen sollte, hatte es Senor Olinda für vollkommen hinreichend gehalten, diesen Posten einem jungen Midshipman, eigentlich noch einem Knaben, anzuvertrauen. Zur Vorsorge trug er aber mehrere Leuchtkugeln zu Signalen mit einer brennenden Lunte im Boot, und bei dem mindesten Verdächtigen hatte er strenge Ordre, das Alarmzeichen zu geben, wo ihm von den in der Bai zerstreuten Kriegsschiffen noch überall bereit gehaltene Boote zu Hülfe kommen sollten.

Dicht am Ufer verdeckten die dort liegenden Felsblöcke den Piraten jedem Auge, was von der Wasserseite hätte nach ihm ausschauen können - leise und geräuschlos glitt er in die Fluth, und langsam, aber mit starken, regelmäßigen Bewegungen ausstreichend, ließ er das Land bald hinter sich und erreichte schon jenen Theil der Bai, wo die hier und da hindurch gestreuten Schiffe das Licht auf der Oberfläche des Wassers überall brachen und eine Entdeckung um so weniger fürchten ließen. Die Strömung der ausgehenden Ebbe war aber so stark, daß der Schwimmende alle seine Kräfte auf-/85/bieten mußte, nicht zu weit mit hinausgenommen zu werden, und als er das erste Schiff - einen englischen, dort vor Anker liegenden Kauffahrer erreichte, war er froh, an dessen Ankerkette einige Minuten ruhen zu können, um neue Kräfte zu sammeln. Dies Schiff lag etwa dreihundert Schritt vom Ufer ab - noch einmal die Entfernung brachte ihn an Bord des ‚Albatroß‘.

Um seine Arme ausruhen zu können, hatte er das rechte Bein um die straff niederführende Kette geschlagen und stemmte mit der linken Fußspitze in einem der Kettenglieder - er vermochte so seiner Brust vollkommen freies Athmen zu verschaffen. Als er sich jedoch einmal etwas höher aufrichtete, glitt ihm, auf dem schlüpfrigen runden Kettengliede, der linke Fuß ab, und wenn er sich auch rasch mit beiden Händen festhielt, konnte er doch ein schwaches Plätschern im Wasser und ein leichtes Erschüttern der Kette nicht vermeiden. Er ließ sich deshalb rasch soweit als möglich wieder in's Wasser gleiten und horchte nur erst einen Moment nach oben, ob noch Niemand an Bord wach sei - seinen Weg dann rasch fortzusetzen.

Oben über die Back des Schiffes schaute ein Kopf heraus und auf das Wasser nieder - es war der Bootsmann, der, gerade aus seiner Koje kommend und noch den Schlaf halb in den Augen, einmal nach Zeit und Wetter schaute und sich wieder langsam, dabei gähnend und die Arme dehnend, zurückwandte, um die übrige Mannschaft ebenfalls zu wecken, denn es wurde Tag.

Im besten Gähnen hörte er das Geräusch im Wasser, und den linken Ellbogen noch aufgehoben und die halbgeballte Hand nach dem Ohre zurückgehalten, während er den rechten Arm zu voller Länge von sich ausgestreckt hielt, hörte er rasch zu gähnen auf und drehte, in derselben Stellung noch einen Moment bleibend, den Kopf nach vorn zu. - Es war Alles wieder ruhig - er schaute durch die Gallion nieder, der Mond stand aber im Nord-Osten, und da der Starbord-Anker niedergelassen war, konnte er von dort nichts erkennen.

„Hm," murmelte er, sich wieder abwendend, in den Bart - „wenn das ein Fisch war, so muß er derb gegen /86/ die Kette angerannt sein - das Schiff schlitterte ordentlich - ah! -"

 

Der neue Ausruf galt einem frischen Geräusch, das er hörte - der Schwimmende unten, der Niemanden auf Deck vernommen hatte und sich durch die Dunkelheit des Platzes gegen jede Entdeckung gesichert wußte, drängte sich eben langsam um den Bug des Schiffes herum nach der Backbordseite zu - denn das Fahrzeug lag natürlich, gegen die Strömung der Ebbe an, mit dem Bug nach Süden, gerade der Stadt zugedreht.

Der Mann oben blieb eine Weile ruhig über Bord gelehnt stehen, und da er nichts weiter hörte, wollte er zum zweiten Mal zurücktreten, als er den dunkeln Schatten des Schwimmenden unten auf dem helleren Wasser erkannte, der jetzt mit langsamem, aber scharfem Ausstreichen vom Schiffe abzukommen suchte. Der Bootsmann glaubte im ersten Augenblick - denn er hatte keine Ahnung von dem, was am Lande vorgegangen war - daß es einer von seinen eigenen Matrosen sei, der entlaufen wollte, und rief schnell:

„Hallo, Bill where the devil are you going? - (heh - Mann da - wo soll die Reise hingehen?) hallo da unten!"

Er bekam keine Antwort, und der Schwimmende schien Eile zu haben.

„Damn it," brummte da der Bootsmann vor sich hin - „von unseren Leuten kann's doch Keiner sein - vielleicht Einer, der die Nacht heimlich an Land gewesen ist - meinetwegen, was geht's mich an."

„Hallo, the ship!" schrie es in diesem Augenblick in seemännischer Weise vom Lande herüber.

„Hallo?" sagte der Bootsmann, nach dort hinüberschauend und sich nicht weiter mehr um den Schwimmenden bekümmernd - „was ist da wieder los? - was für ein Schiff?" schrie er dann als Antwort hinüber.

„Was war das, was Ihr da anrieft?" tönte es wieder, und ein kleines Boot kam vom Lande ab mit raschen Ruderschlägen nach ihm zu - er konnte den hellen Körper des Bootes deutlich erkennen. /87/

„Weiß nicht!" rief der Bootsmann zurück - „ein Mann im Wasser glaub' ich."

„Ein schwimmender Mann?" rief die Stimme rasch und eifrig zurück, um sich von der Wahrheit des Gehörten wohl erst zu überzeugen.

„Ay. ay!" rief der Bootsmann und brummte dabei vor sich hin: „Kann auch wohl ein Hund gewesen sein. Hallo!" setzte er dann aber erstaunt hinzu, als fast in demselben Augenblick auch ein Pistolenschuß in dem kleinen Boote abgefeuert wurde und drei Leuchtkugeln rasch hintereinander emporstiegen. „Donnerwetter, die haben's eilig - was muß denn der ausgefressen haben?"

Der Bootsmann blieb, während das Boot, so rasch es die elastischen Ruder vorwärts jagen konnten, herbeischoß, oben auf der Back stehen, und der wachthaltende Matrose, der bis dahin sehr bequem neben der Combüse gelegen und seine Wache abgeschlafen hatte, wachte durch den Lärm ebenfalls auf und kam zum Bootsmann heran.

„Hallo, the ship!" rief jetzt noch einmal die feine, aber deshalb so viel klarer und deutlicher klingende Stimme des jungen Midshipman, als das Boot nach dem Bug des Engländers vorschoß – „wohinaus ist der Mann geschwommen?"

„Gerade auf den Morgenstern zu," lautete die genaue Antwort des Bootsmannes, der einen flüchtigen Blick nach der angedeuteten Gegend warf.

„Dank Euch!" rief's aus dem Boot heraus, und dieses folgte der angegebenen Richtung, während es noch eine vierte Leuchtkugel aufsteigen ließ, um den Fleck anzuzeigen, wo es sich befand.

Der flüchtige Pirat wußte, was ihm bevorstand - von den Leuten des Kauffahrteischiffes hatte er wenig befürchtet - er kannte die Gleichgültigkeit derselben gegen Alles, was mit ihrem eigenen Schiffe in keiner directen Berührung stand; sobald er aber den Anruf vom Lande ab hörte, der nur zu deutlich selbst bis zu seinen Ohren drang, da fühlte er, daß der entscheidende Augenblick nahe, und bei dem Schusse und den rasch folgenden Leuchtkugeln hielt er selbst mit Schwimmen ein. /88/

Oh wie nahe lag das rettende Fahrzeug, und sollte er jetzt, wo er sein Ziel fast erreicht - wo er allen, selbst seinen grimmsten und gefährlichsten Feinden glücklich entgangen war, durch die Hand eines Knaben, ja noch fast eines Kindes zurückgetrieben werden? -

Vielleicht galt das Zeichen aber den am Ufer liegenden Booten, und bis diese zur Hülfe kamen, konnte er lange in Sicherheit sein. - Der Wachsamkeit des einen Feindes hoffte er schon zu entgehen, war er ja doch in dieser Nacht schon aus der dichtgedrängten Maste seiner Verfolger entkommen.

Er strich wieder von Neuem aus, aber noch keine Bootslänge geschwommen, erkannte er nicht nur das Nutzlose, nein das Gefährliche weiteren Beharrens. Zwischen den Schiffen wurde es lebendig, und er konnte deutlich den Schall rasch geführter Ruder unterscheiden.

Seine einzige Rettung lag darin, wieder zum Land zurückzukehren, und sich mehr der Strömung überlassend, mußte die ihn schon selber aus dem Bereiche seiner jedenfalls in dieser Gegend suchenden Feinde bringen. Als er sich aber umwandte, sah er das kleine Boot seiner Verfolger gerade auf sich zukommen. Diese hatten ihn übrigens noch nicht gesehen, und darauf hoffend, tauchte er und ließ sie in der That über seinem Kopf hinschießen, wie er wieder an die Oberfläche kam, war das Boot schon wenigstens eine Schiffslänge an ihm vorbei, und da der Steuernde sorgfältig nach vorn schaute, durfte er hoffen, unbemerkt zu entkommen. Einmal wieder am Lande, glaubte er sich bis zur nächsten Nacht versteckt halten zu können, und dann von der äußersten Einfahrt der Bai mit der Fluth und bei vollkommener Dunkelheit mußte er den ‚Albatroß‘ erreichen.

Doch für ihn gab es kein Morgen mehr. Einer der Matrosen, die mit dem Rücken nach vorn im Boote sitzen, hatte auf einen Augenblick den dunkeln Punkt, den sein Kopf im Wasser bildete, bemerkt, und sein rascher Ruf hemmte die Ruder. Im nächsten Moment drückte sie die Fluth zurück, und das kleine Boot lag still auf dem Wasser.

„Habt Ihr ihn gesehen?" frug der Midshipman, rasch /89/ den Bug des Bootes zugleich der von dem Matrosen angedeuteten Richtung zukehrend.

„Dort hinten sah ich einen dunkeln Fleck wie einen Kopf," sagte der Mann, sich jetzt, da das Boot gewandt war, danach umkehrend – „es kann aber auch eine Ankerboje gewesen sein."

„Wir müssen sie dann jedenfalls erst in Augenschein nehmen!" rief der junge Bursche, von der Wichtigkeit seiner gegenwärtigen Stellung, da er das Zeichen für sämmtliche Boote geben konnte, nicht wenig erfüllt - „hier in der Nähe muß er überhaupt sein; von dort drüben kommen dabei schon die anderen Boote, während die vom Lande mit der Strömung förmlich herunterfliegen können. - Wacker, meine Burschen - legt Euch in Eure Ruder!" Und die Männer, von der Jagd jetzt selbst erregt und überdies noch von dem Gedanken angespornt, ihren jungen Lieutenant zu rächen, legten sich mit solchem guten Willen in die elastischen Riemen, daß die kleine Jolle wie ein Pfeil dahinschoß.

„Hier war's!" rief plötzlich der Matrose, indem er in's Wasser niederschaute - „hier liegt aber nirgends eine Boje - «damn it, am Ende ist er's doch gewesen."

„Dort kommt er wieder heraus!" schrie in diesem Augenblick der junge Cadet und sprang in vollem Eifer auf seinen Sitz, die Oberfläche des Wassers besser übersehen zu können – „by George, boys, dort schwimmt er - greift aus für Euer Leben, wir kriegen ihn!"

„Gebt den anderen Booten lieber ein neues Zeichen, Sir," ermahnte ihn aber hier der eine Matrose, ein alter Bursche, der, nicht so in Eifer wie der junge Midshipman, lieber sicher gehen wollte - „es ist ein verdammt schlauer und wilder Gesell und jetzt bis zum Aeußersten gehetzt."

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