In Mexiko Bd. 1

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Aber Ruhe wurde ihm dort nicht viel gelassen, denn die verschiedensten Parteien wußten recht gut, daß sie die erste Zeit, wo nach keine festen Entschlüsse gefaßt sein konnten, auch benutzen müßten, um de» neuen Herrscher ihren Interessen zu gewinnen. Dem Kaiser selber lag aber natürlich ebenso daran, die verschiedenen Wünsche des Landes zu hören, wie dessen Bedürfnisse kennen zu lernen. Es war ihm wohlbekannt, welcher Zwiespalt die verschiedenen Klassen der Gesellschaft /46/ sowohl, wie die Parteien entzweite; und nur dadurch, daß er gründlich auf ihre Wünsche wie Forderungen hörte, glaubte er sich ein treues Bild des Ganzen zu bilden und dann nach eigenem Urtheil - immer ja nur das Beste des Landes im Auge haltend - seine Entscheidung zu treffen.

Am thätigsten zeigte sich dabei, wie das gewöhnlich und überall der Fall ist, die Kirchenpartei, die sich auch schon dadurch im Vortheil gegen die Uebrigen befand, daß sie nicht allein ein festgeschlossenes Ganze bildete, sondern auch ein ganz bestimmtes und scharf ausgeprägtes Ziel verfolgte. Ein Abweichen davon, ein Zwiespalt in ihren eigenen Gliedern fand nicht statt - und mit dem alten Kunstgriff, Religion und Kirche zu idcntificiren, hielt sie - die alte Geschichte - mit der rechten Hand das Kreuz und mit der linken den Klingelbeutel.

Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß Maximilian, als er das Land betrat, die Absicht mitbrachte, die Klerikalen, deren Eifer und Unterstützung er ja doch zum großen Theil mit seine Wahl verdankte, von dem Druck zu befreien, den des Indianers Juarez Hand auf sie gelegt. Es kann recht gut sein, daß er sich früher - und ehe er die Verhältnisse näher kannte - mit dem Gedanken getragen, ja vielleicht selbst beabsichtigt hatte, die der Kirche entrissenen Güter wieder zurück zu erstatten und ein Gesetz aufzuheben, das Juarez schon im Jahre 1859 von Vera-Cruz aus gegeben, und das einfach sämmtliche Liegenschaften der Geistlichkeit - die wirklichen Kirchen ausgenommen - zu Gunsten des Staates mit Beschlag belegte. Ehe er aber an die Ausführung ging, war er vorsichtig genug gewesen, die Stimmung des ganzen Landes, d. h. wenigstens die Stimmung der verschiedenen Parteiführer darüber zu hören, und mußte denn allerdings bald finden, daß es - wenn auch von den „Liberalen" ausgegangen, schon so in alle Schichten der Gesellschaft eingegriffen hatte, um nicht mehr mit einem Federstrich beseitigt zu werden.

Maximilian war tief religiös, aber dabei auch zu aufgeklärt, um nicht zu fühlen, wie das geistliche Regiment mehr Rechte beanspruchte, als sich eigentlich mit der, trotzdem zur Schau getragenen, christlichen Demuth vertrug. So hatten /47/ diese Herren denn auch im ganzen Reiche eine solche Unmasse von Besitzungen an Gebäuden sowohl wie an Boden in Anspruch genommen, daß ihnen z. B. in Puebla reichlich ein Drittheil der ganzen Stadt gehörte, und der Kaiser konnte sich nicht verhehlen, daß für das Land selber ein Gesetz wohlthätig wirken müsse, welches diese ungeheuern Besitzungen in den Bereich industrieller Unternehmungen brachte.

Ob sich die Maßregel vom juristischen Standpunkt aus nicht anfechten ließ, war wieder eine Frage, obgleich auch diese wohl nicht zu Gunsten der Geistlichkeit entschieden wäre, da die Priester, als die früheren Herren des Landes, wohl kaum einen Quadratfuß dieser ganzen Liegenschaften wirklich gekauft, sondern was sie gebraucht oder auch nur gewünscht, einfach in Besitz genommen hatten. Jetzt aber gestaltete sich eine Wiederherausgabe der geistlichen Güter, wie Maximilian bald fand, fast zu einer Unmöglichkeit, denn wenn auch allerdings ein großer Theil derselben noch unverkauft lag, so waren doch schon zahlreiche Klöster, besonders in der Hauptstadt selber, nicht allein in den Besitz Einheimischer, sondern auch Fremder übergegangen, und theils durchbrochen, um Straßen herzustellen, theils auch in Wohnhäuser und Niederlagen umgewandelt worden.

Außerdem hatte die Geistlichkeit ihre früheren Reichthümer nicht etwa dazu benutzt, um das Land selber zu heben und durch Schulen oder andere Institute das Volk aufzuklären - das lag nicht in ihrem Zweck, sondern weit eher Revolutionen anzuzetteln und ihnen mißliebige Regierungen zu beseitigen. Durch Juarez' Decret war sie aber darin beschränkt worden, sie sah sich nicht allein beraubt sondern auch in ihrer „weltlichen Macht" gebrochen, und ihr Grimm darüber, wie der Eifer, den sie entwickelte, um ihre verlorenen „Rechte" wieder zu erobern, läßt sich erklären.

Maximilian erkannte vielleicht damals schon, in welcher schwierigen und gefährlichen Stellung er sich befand, wenn er von vornherein das ganze Pfaffenthum gegen sich bekam. Die verschiedenen Parteiführer, die er darüber sprach, verwirrten ihn aber noch mehr, denn kein einziger schien sich wirklich um das Beste des Landes zu kümmern, sondern nur /48/ immer und allein sein eigenes und damit das Interesse der besondern Partei im Auge zu haben.

Maximilian wollte selber sehen und hören, und trat deshalb schon im August seine Reise durch einen Theil der Staaten an. Bis zu seiner Rückkehr waren daher entscheidende Maßregeln, feste Besetzung der Ministerien, selbst ein Entschluß in der Kirchenfrage verschoben worden, und die Kaiserin regierte, mit Almonte11 an ihrer Seite, indessen in Mexiko, während die französischen Generale emsig bemüht blieben und in der That alle Kräfte aufboten, um im Norden wie Süden die noch bestehenden „Rebellenbanden", wie man die Republikaner nannte, zurückzuwerfen und aufzureiben.

So tapfer sich aber auch dabei die Franzosen zeigen mochten, so stellte ihnen doch das Land selber mit seiner unwegsamen Wildniß und ungeheuern Ausdehnung die größten Schwierigkeiten entgegen, und der Feind, zehnmal geschlagen, fand doch immer wieder Schlupfwinkel, durch die er entkommen und sich weiter entfernt wieder sammeln konnte. Die Franzosen nahmen fast alle Plätze, gegen die sie vorrückten, aber - sie konnten dieselben nicht behaupten, denn es war unmöglich, in diese Entfernungen das nöthige Kriegsmaterial wie Proviant zu schaffen. - Sowie sie sich zurückzogen, rückten die Republikaner wieder nach, und cs blieb nichts Anderes als eine Sisyphus-Arbeit, der sie sich unterzogen.

Während der Reise des Kaisers hielten sich die Führer der verschiedenen Parteien noch vollständig ruhig - sogar der Klerus schien geduldig vor allen Dingen die Rückkehr des Monarchen abzuwarten, wozu auch das viel beitragen mochte, daß Labastida, der Erzbischof, mit dem General Bazaine auf einem sehr gespannten Fuß stand und mit ihm unter keiner Bedingung verhandelt hätte. Als aber Maximilian endlich zurückkehrte, preßte die Geistlichkeit in geschlossener Phalanx vor.

Aber der Kaiser hatte in der Zeit doch eingesehen, daß er dem Drängen des Klerus nicht nachgeben durfte, wenn er nicht augenblicklich wieder eine Revolution heraufbeschwören wollte. Konnte doch dieselbe sogar noch durch die ganze Partei der Conservativen, also die Besitzenden, unterstützt werden, /49/ und mußte gefährliche Dimensionen annehmen, sobald sich diese mit den Liberalen vereinigten.

Uebrigens kannte Maximilian schon ziemlich genau die Stützen, welche der Klerus in der Hauptstadt hatte, und suchte sie für sich zu gewinnen - vergebenes Bemühen. Miramon selber war ein häufiger Gast auf Chapultepec, und mit seinem geschmeidigen Wesen fügte er sich in Alles, sobald es nicht die Hauptsache berührte. Dann aber hielt diese Partei ihm nur immer mit Achselzucken das starre Non possumus12 entgegen, und es ließ sich mit ihr eben in keiner Weise unterhandeln. Es gab da nur zwei Wege: er mußte sich ihr fügen oder sie bekämpfen. Ein Compromiß zwischen beiden lag nicht im Bereich der Möglichkeit. Das Einzige deshalb, worauf Maximilian hoffen konnte, war der Erfolg seines eigenen Strebens, daß die Mexikaner nämlich einsehen und erfahren sollten, wie er selber nur das Beste des Landes und der Bevölkerung im Auge habe. Gelang ihm das, so konnte er den Klerus wenigstens isoliren und brauchte ihn nicht mehr zu fürchten.

Unermüdlich war er dabei mit seinen Räthen beschäftigt, um dem Lande nützliche Gesetze und Verordnungen zu geben, die freilich anfangs nur noch auf dem Papier bleiben mußten, aber einmal erlassen auch in nur etwas ruhiger Zeit leicht ausgeführt werden konnten. Auch das Ministerium, das er ernannte, zeugte davon, daß er der liberalen Partei keinen Haß entgegentrug. Wie er selbst an Benito Juarez einen versöhnenden Brief schrieb, der aber von diesem kalt und halb drohend beantwortet wurde, so begünstigte er fast auffallend liberale Persönlichkeiten, und zwar so entschieden, daß man schon anfing, ihm einen Vorwurf daraus zu machen, aber er ließ sich nicht mehr beirren. Er hatte sich einmal seinen Weg vorgezeichnet und glaubte fest, daß es ihm gelingen müsse, sich die Herzen der Mexikaner zu erobern, wenn er ihnen nur erst einmal beweisen konnte, daß es ihm wirklich Ernst sei, dem Lande nicht allein geregelte, unparteiische Gesetze, sondern auch den Frieden zu geben, und dabei das Volk heranzubilden, den Ackerbau zu heben und Künste und Wissenschaften zu unterstützen.

Edle Vorsätze, eines großherzigen Fürsten würdig – aber /50/ wie wenig paßten sie für das mexikanische Volk, für das in völliger Auslösung begriffene Reich!

In der Woche arbeitete Maximilian unermüdlich mit seinen Räthen, revidirte nicht selten in eigener Person die Bureaux und entwarf und berieth neue Verordnungen, oder suchte eine Menge von eingerissenen Mißbräuchen abzustellen; den Sonntag dagegen verbrachte er in Chapultepec und gab dann auch Jedem, der ein dringendes Anliegen an ihn hatte, Audienz.

Damit bürdete er sich freilich eine Last auf; denn gerade in damaliger Zeit trafen eine Menge von Abenteurern in Mexiko ein, die, durch ein aufblühendes Kaiserreich angelockt, diesem ihre oft vollkommen werthlosen Dienste anboten, in der Hoffnung, in kurzer Zeit einen Theil seiner Schätze sich anzueignen, die sie noch aus Montezuma's Zeit vor ihrer Phantasie heraufbeschworen. Daß Maximilian ein anderes Ziel verfolgte, daß er wirklich mit ernstem Willen daran ging, das mexikanische Reich aus der Asche seiner Revolutionen erstehen zu lassen, kümmerte sie wenig genug. Sie wollten allein die Beute theilen, die ihrer Meinung nach dabei abfiel, und um erst festen Fuß im Lande zu fassen, bedurfte es natürlich einer einträglichen Stellung.

 

An solchen Sonntagen sah aber der Kaiser auch gern einzelne Gäste bei sich, mit denen er dann in freundschaftlichster und ungezwungenster Weise verkehrte. Er liebte ein offenes Wort, wenn es auch nicht immer mit seinen Ansichten übereinstimmte, und wich einer Debatte über streitige Punkte nie aus. Vorzugsweise gern unterhielt er sich aber mit Leuten, die das Land genau kannten, und hatte auch heute wieder Gäste bei sich gesehen.

Es waren Don Jose Fernando Ramirez, der neue Minister des Aeußern, der junge Obrist Lopez und der Erzbischof Labastida zur Tafel gezogen worden. Das Gespräch hatte sich hauptsächlich um die Zustände in den Vereinigten Staaten von Nordamerika gedreht, wo die Südstaaten wieder bedeutende Vortheile errungen haben sollten und jetzt sogar das Capitol von Washington bedrohten. Der Erzbischof schien sich aber nicht besonders wohl in der Gesellschaft zu fühlen; er hatte /51/ gehofft, sich ungestört mit dem Kaiser aussprechen zu können, und dabei störte ihn auf das Entschiedenste Ramirez, früher ein fester Anhänger des Expräsidenten Juarez und ebenfalls an dem Decret betheiligt, das im Jahre 1859 der Kirche fast jede Macht raubte. Bald nach aufgehobener Tafel schützte er Geschäfte vor, befahl seine Carrosse, und fuhr dann in dem mit sechs weißen Maulthieren bespannten Wagen in die Stadt zurück.

Maximilian lächelte, als er es bemerkte, wie Ramirez, sobald sie der Prälat verließ, aus tiefer Brust aufathmete, als ob ihm eine Last von der Seele genommen wäre.

„Sie sind nicht böse darüber, Ramirez," sagte er, „daß uns die „Kirche" verlassen hat, und Obrist Lopez schneidet ebenfalls ein ganz vergnügtes Gesicht."

„Ich muß gestehen, Majestät, daß ich den frommen Herrn lieber gehen, als kommen sehe," sagte Ramirez trocken, „denn Gutes bringt er nie, und da ich genau weiß, daß er mich lieber mit einem Strick um den Hals an einem Baume als in der Stellung sähe, die ich jetzt durch Eure Majestät Huld und Vertrauen bekleide, so - halte ich es immer für besser, ihm aus dem Weg zu gehen, denn vertragen werden wir uns doch nie im Leben."

„Sie thun ihm unrecht, Ramirez."

„Ich glaube nicht, Majestät, und außerdem haben wir einen festen Barometer solcher Gefühle in unserem eigenen Herzen. Haß wie Liebe sind fast immer gegenseitig."

„Glauben Sie wirklich?"

„Haben Majestät das noch nie erprobt? Wenn wir uns zu Jemandem recht innig hingezogen fühlen, so - liegt es entweder in der Zuneigung, die wir ihm entgegentragen, oder in einer Sympathie der Seelen, wer kann cs sagen, aber ein ähnliches, wenn auch vielleicht schwächeres Gefühl dürfen wir gewiß in ihm erwarten."

Der Kaiser war mit Ramirez auf die Terrasse hinausgetreten, die den freien und wunderherrlichen Blick nach den beiden Vulkanen öffnete. Ein Diener brachte auf seinen Wink Cigarren und Licht. Maximilian drehte den Kopf nach dem Saal zurück.

"Lopez," sagte er lächelnd, „ist noch bei den Damen ge-/52/blieben; er erzählt lebendig, und die Kaiserin besonders hört ihn gern von seinen wilden Zügen sprechen. Mexiko war bis jetzt in der That ein Schauplatz für Abenteuer, und ich hoffe nur zu Gott, daß wir im Stande sind, es in eine geregeltere und friedlichere Bahn zu lenken. - Doch wovon wir vorher sprachen - also Sie glauben an Etwas, was ich den „ersten Eindruck" nennen möchte."

„Das thue ich allerdings, Majestät."

„Ich möchte Ihnen fast Recht geben; aber ist es nicht trotzdem ein etwas gefährliches Experiment, gerade zu fest darauf zu bauen?"

„Ich gebe zu," sagte Ramirez, „daß wir oft durch eine glänzende Erscheinung bestochen werden können, aber -"

„Was halten Sie von Miramon?" unterbrach ihn der Kaiser.

„Wie kommen Majestät gerade auf Miramon?" sagte Ramirez, wirklich etwas betroffen, denn an denselben Mann hatte er in diesem Augenblick gedacht.

„Weil Sie von einer glänzenden Erscheinung sprechen. Miramon hat jedenfalls etwas ungemein Edles und Offenes in seinen Zügen. Meinen Sie nicht auch?"

„Ja," sagte Ramirez nach einigem Zögern, indem er langsam den Kopf halb zur Seite wandte; es war fast, als ob er sehen wollte, wer in seiner Nähe wäre. Der Diener aber hatte sich schon wieder zurückgezogen, und die Kaiserin verweilte noch mit ihren Damen und den gewöhnlichen Gästen des Hausstandes, bei denen Lopez zurückgeblieben, im Salon. „Eure Majestät haben Recht; man wird nicht leicht ein Gesicht finden, das so offen den Stempel seiner Seele zu tragen scheint, als gerade bei diesem, in vieler Hinsicht außerordentlich begabten und bevorzugten Mann -"

„Aber?" sagte der Kaiser, „Sie wollten ein „Aber" hinzusetzen, nicht wahr?"

„Ich weiß nicht, Majestät," sagte Ramirez ausweichend.

„Sie trauen ihm doch nicht?"

„Er ist ein treuer uud fester Anhänger des Klerus, Majestät, und die Kirche baut unbedingt auf ihn."

„Aber wie mir gesagt wurde," erwiderte Maximilian und /53/ wandte dabei den Blick ab, „so wechseln die Meinungen und - Parteien hier in Mexiko oft und sehr rasch die Farbe. Ein vollkommen consequentes Ausharren soll wenigstens sehr selten vorkommen."

Ramirez hatte seine Unterlippe mit den Zähnen gefaßt und sah einen Moment still vor sich nieder; der Kaiser war nicht selten in seinen Bemerkungen scharf und fast sarkastisch und er konnte diese recht gut auf sich selber beziehen; ob aber Maximilian fühlte, daß er vielleicht ein wenig zu weit gegangen sei und einen Mann nicht kränken dürfe, von dem er hoffte und wünschte, das schwere Werk eines Staatenbaues unter den jetzigen Verhältnissen zu vollenden, genug er fuhr lächelnd fort:

„Das darf ich ihnen jedoch nicht übel nehmen, denn ich habe selber meine Meinung, wenn ich sah, daß ich im Irrthum gewesen, schon verschiedene Male geändert, ohne mich dessen zu schämen. Ja ich war stolz darauf, wenn ich mir sagen konnte, ich habe es aus innerer Ueberzeugung gethan."

„Majestät verfolgten dabei nicht eigene Interessen," erwiderte Ramirez, der das Zugeständniß rasch fühlte, „aber Sie kennen unser Land doch noch nicht genügend, denn der Ehrgeiz hat hier schon manches sonst wackere Herz verdorben, und Miramon ist - wenn ich seine Gemahlin ausnehme - vielleicht der ehrgeizigste Mann Mexikos."

Der Kaiser lachte. „Also Sie halten die Seňora noch für ehrgeiziger?"

„Das thue ich allerdings," nickte der Minister, „und wenn Majestät meinem Rath folgen wollten, so suchten Sie gerade Miramon jetzt auf kurze Zeit - wenn es nicht anders sein kann - aus Mexiko zu entfernen. Wir sind augenblicklich in einer Entwickelung begriffen, in der wir keine störenden, ja selbst gefährlichen Elemente dulden sollten."

„Und halten Sie Miramon wirklich für gefährlich?"

„Ja -", sagte der Minister nach einer kurzen Pause, „denn der Klerus hat Niemanden weiter, auf den er sich so fest und sicher stützen kann, als auf ihn, sobald er nämlich steht, daß er von der Regierung Eurer Majestät nichts weiter für seine ungerechtfertigten Ansprüche hoffen und er-/54/warten kann. Ich weiß aber, daß Miramon gerade in der letzten Zeit häufige Konferenzen mit Labastida hatte, und was die beiden Herren mit einander verhandelten, ist nicht schwer zu durchschauen."

„Aber was kann ich mit ihm anfangen?" sagte Maximilian, der sich dadurch doch etwas beunruhigt fühlte.

„Geben Sie ihm irgend einen Gesandtschaftsposten in Europa," drängte der Minister, „er wird Mexiko überall würdig repräsentiren und kann dem Lande dort nützen, während er ihm hier -"

„Was wollen Sie sagen?"

„Vielleicht Schwierigkeiten bereitet."

„Ich glaube, Sie sehen zu schwarz, Ramirez" erwiderte Maximilian freundlich. „Besinnen Sie sich, wie wir vorhin über den „ersten Eindruck" sprachen. Ich kann mich nicht erinnern, in Mexiko ein Gesicht gesehen zu haben, das mir bei dem ersten Anblick mehr Vertrauen erweckte, als gerade Miramon's. Er ist jedenfalls ein ungewöhnlich begabter Mensch; und sollte er nicht, als geborener Mexikaner, wenn er sieht, daß Alles nur zum Besten seines eigenen Vaterlandes geschieht, ein vielleicht gefaßtes Vorurtheil fallen lassen und sich mit aufrichtigem Herzen der guten Sache widmen?"

Ramirez schwieg und sah eine Weile sinnend vor sich nieder.

„Es ist möglich, Majestät," sagte er nach einer längeren Pause, „aber es bleibt ein gefährliches Experiment. Nehmen Sie Marquez, den General, der der Kirchenpartei eben so entschieden an- oder vielmehr von ihr abhängt, als Miramon; den würde ich nie im Leben fürchten. Marquez ist vielleicht ein tapferer Soldat, was ich für meine Person aber ebenfalls bezweifle, denn wirklich tapfere Menschen sind nie grausam; aber um Marquez zu gewinnen, giebt es Mittel: Orden, Ehrenstellen, Geld. Miramon dagegen hat schon einmal den höchsten Ehrenposten des Staates inne gehabt, seine Frau war die Erste des Landes einst, und Beide vergessen das nie und nimmer im Leben." /55/

Maximilian schaute sinnend nach dem im vollen Glanz der Sonne liegenden und schneebedeckten Vulkane hinüber, und das Schauspiel dort lenkte bald und rasch seine Aufmerksamkeit von all' den unruhigen Gedanken ab, die ihn bis dahin wohl beschäftigt hatten.

„Oh, sehen Sie, Ramirez," rief er bewegt aus, indem sein Arm sich unwillkürlich den Bergen zu hob - „sehen Sie, wie wunderbar schön und herrlich! Die Sonne nähert sich dem Horizont! Die Kuppen da drüben fangen an zu glühen! Oh, wie wunderbar schön, wie reich und hochbegabt ist dieses Land, und daß nur die Menschen stets den einzigen Mißton darin bilden müssen!"

Einen Moment stand er in bewunderndem Staunen versunken; dann aber drängte es ihn, auch Andere um sich zu haben, die den wahrhaft prachtvollen Anblick mit ihm genoffen.

„Charlotte," rief er nach dem offenen Saal hinüber, „oh, versäumt den Sonnenuntergang nicht - was habt Ihr da drinnen noch im dumpfen Saale, während sich hier das Schönste und Herrlichste entfaltet, was die Welt an Scenerie Euch bieten kann!"

Die Kaiserin war herausgetreten; ihr folgte die übrige Gesellschaft, und still und bewegt sahen Alle nach den fernen, aber in der Abenddämmerung und der reinen Luft scheinbar nahe heranrückenden Bergen hinüber, deren klare Umrisse sich deutlich erkennen ließen und jetzt in den wunderbarsten Farben spielten.

Zuerst, als die Sonne noch nicht den Horizont berührte und nur hinter den Dunstkreis der Erde trat, zog sich ein leises, kaum merkliches Rosa über die beiden weißen Höhen des spitz auflaufenden Popocatepetl wie der links davon ruhenden, breit ausgedehnten „weißen Frau", dem Ixtaccihuatl, und täuschend wirklich war jetzt die Ähnlichkeit mit einer auf dem Rücken liegenden, von einem riesigen weißen Tuch überdeckten und lang ausgestreckten weiblichen Gestalt - aber immer glühender wurden die Farben, immer schärfer hoben sie sich vom dunkelblauen Hintergrund des östlichen Himmels ab; und lautlos - kaum athmend, stand der junge Kaiser /56/ und schwelgte in dem wunderbaren Schauspiel, das sich dort ihm bot.

Vor ihm ausgebreitet lag die Hauptstadt des Reiches, mit ihren Kuppeln und Thürmen, dahinter dehnten sich die noch in der Sonne blitzenden Seen; aber das Auge suchte nichts weiter, als die glühenden Kuppen der beiden Vulkane, die in fast überirdischer Pracht jetzt selber Feuer auszustrahlen schienen, während aus den von der Sonne nicht mehr erreichten Klüften der Kolosse milchweiße, ebenfalls von rosigem Licht übergossene Nebel aufstiegen, und wie sie entstanden, sich in phantastische Formen und Gruppen bildeten.

Und wieder wechselte das Farbenspiel; tiefer und tiefer sank die Sonne, und wie ein Schleier zog es sich aus der Tiefe herauf, wuchs höher und höher, bis es die Kuppen der Berge erreichte und bleigrau färbte, während die Nebelstreifen darüber noch für Momente ihren Duft bewahrten. Jetzt schwand auch der, die Berge schienen in der rasch einbrechenden Nacht zu vergehen, denn nur noch unvollkommen ließen sich ihre Umrisse erkennen, bis die Nacht völlig einbrach, die Kuppen beider Berge ganz plötzlich wieder zu strahlen anfingen und nun mit fast blendend weißem Schein herüberleuchteten.

Es lag etwas Geisterhaftes in diesem Anblick, und während die Damen mit einander zu flüstern anfingen, und das Bedürfniß fühlten, ihre Gedanken gegenseitig auszutauschen, stand Maximilian noch immer in stillem Anschauen versunken, und konnte sich nicht losreißen von dem Schauspiel.

 

Aber es war spät geworden, die Luft wehte kühl von den schneeigen Kuppen herüber, und da sich Maximilian heute nicht mehr in der Stimmung fühlte, ein politisches Gespräch wieder aufzunehmen, verabschiedete er sich mit einer freundlichen Handbewegung von seinen Gästen und schritt allein in das Schloß zurück. Aber auch dort litt es ihn nicht lange: die Mauern beengten ihn, und seinen Hut ergreifend, stieg er, von keinem Diener begleitet, allein den Schloßberg hinab, um dort, im Schatten der mächtigen Cedern, die am Fuß desselben standen, seinen eigenen Gedanken ungestört nachzuhängen.

Und wie still die Welt da unten lag, wie still und ausgestorben fast, während doch früher in diesem heiligen Hain /57/ Leben und Freude geherrscht hatte, und all' die Fürsten dieses Landes unter ihnen wandelten - bis sie ihr Geschick erreichte.

Schon zu Montezuma's Zeiten fingen diese Bäume mit ihren Aesten die Brise und rauschten im Abendwind; dort drüben hatte der unglückliche Kazike, dessen schönes Land die Fremden mit dem Kreuz und Schwert verwüsteten, seine Bäder. Nach ihm bauten die spanischen Vicekönige ein festes Schloß auf diesen Hügel, und hier wohnte nach ihnen Iturbide, der erste Kaiser dieses Reiches, und wie endete er! Wie oft mag auch er, mit Träumen von Glück und Macht, unter diesen Bäumen gewandelt sein, bis er entthront, verurteilt, dem eigenen Volk zum Opfer fiel, - und doch hatte er gerade das mexikanische Volk von dem spanischen Joch befreit. Und nach ihm all' die Präsidenten, die hier gehaust. War denn auch Einer nur von allen im Stande gewesen, dem schönen Lande den Frieden zu geben und Ruhe und Eintracht in das Volk zu bringen? Und würde i h m das jetzt gelingen, ihm, dem Fremden, der aus weiter Ferne, aus glücklichen Verhältnissen heraus, herüber kam an diese Küste?

Es war wohl ein heimlicher, aber nicht günstiger Platz zum Nachdenken über die Zukunft Mexikos, denn nur Blut und Zwietracht zeigte die Vergangenheit, und klagend rauschte dazu das Laub durch jene Aeste.

Maximilian warf sich unter dem stärksten der Bäume, den Kopf in die Hand gestützt, auf die Erde nieder, und trübe Bilder und Ahnungen stiegen in dieser Umgebung, und von dem Dunkel der Nacht gezeugt, vor seiner Seele empor. Im Geist sah er die blutigen Gestalten vergangener Zeiten an sich vorüberschreiten, den königlichen Indianer, den bleichen Iturbide13, den tapfern Kämpfer für Freiheit und Unabhängigkeit des Landes, Guerrero, und wie die Schatten - still und geräuschlos in duftiger Form - strichen sie an seinem innern Blick vorbei. Da - hatten sie Leben und Gestalt gewonnen? - er hob überrascht den Kopf und richtete sich mit klopfendem Herzen empor; deutlich vernahm er den langsam gemessenen Schritt eines Wandelnden im Laub und glaubte flüsternde Stimmen zu hören. Wer war das? Die Straßen um Mexiko galten für nichts weniger als sicher; hatte sich Raub-/58/gesindel selbst bis dicht an das Schloß gewagt? Und nicht einmal eine Waffe führte er bei sich.

Wie sein Blick an das Dunkel gewöhnt, die Nacht durchspähte, erkannte er zwei Gestalten, die langsam unter den Bäumen dahinschritten, von seiner Nähe aber keine Ahnung zu haben schienen. Sie unterhielten sich in halblautem Ton mit einander und blieben, im Eifer des Gesprächs, unfern von ihm stehen. Jetzt bewegten sie sich weiter. Maximilian rührte sich nicht; er wollte hier nicht gesehen sein, noch dazu, da er gar nicht wußte, mit wem er es zu thun hatte. Gerade unter der Gruppe der starken Bäume schritten sie hin, kaum wenige Ellen an ihm vorüber, und der Kaiser glaubte in dem langen Gewand des Einen einen Geistlichen vermuthen zu dürfen. War es sein eigener Kaplan, und mit wem unterhielt er sich hier in dunkler Nacht?

Wieder blieben die beiden Männer stehen, und der eine sagte jetzt, - noch immer nicht laut, aber in der kurzen Entfernung doch deutlich vernehmbar:

„Er muß sich fügen; der Klerus hat ihn hierher gerufen, und er kann ihn nicht abschütteln, ohne die Krone selber mit abzuwerfen."

„Und um was sind wir gebessert, wenn Juarez zurückkommt?" entgegnete der andere. „Maximilian kann mit der Zeit so weich wie Wachs werden, der Indianer dagegen ist hart wie Stein und eben so störrisch wie spröde."

„Wir brauchen weder den Einen noch den Andern," lautete die Gegenantwort. „Will das Volk absolut einen Kaiser, gut, so mag es ihn haben, ob er Maximilian oder Miramon heißt, bleibt sich gleich. Die Kirche kann und will sich ihre Rechte nicht vergeben, und wen wir nicht halten, der muß fallen."

Wieder schritten die Beiden vorüber, und die Worte, die sie jetzt mitsammen wechselten, konnte Maximilian nicht mehr verstehen; aber verschwunden waren auch in dem Moment die dunkeln Bilder, die bis dahin seine Seele erfüllt. Fast drohend blitzte sein Auge durch die Nacht, und einmal war es, als ob er aufspringen und den beiden Gestalten folgen wolle, um selber zu sehen, wer jenes übermüthige Wort ge-/59/sprochen. Aber weshalb? Er wußte, es war die Stimme des ganzen Klerus, die Gesinnung Roms, die er hier unter Montezuma's Cedern vernahm, und als er endlich langsam vom Boden wieder aufstand, hob sich seine Gestalt zu ihrer vollen Höhe, und mit einem leichten sarkastischen Lächeln um die Lippen murmelte er, als er den Ausweg zum Schloß wieder einschlug:

„Non possumus, Seňores.14

4.

Die Kirche und ihre Söhne.

Mexiko hatte ein Kaiserreich erhalten - zwar nicht einen Kaiser, wie man ihn damals in Iturbide nur flüchtig und unvollkommen aus einem General gemacht, sondern einen wirklichen, eigenen Fürsten; und all' der Glanz und Prunk, mit blitzenden Uniformen, Orden, Bällen, brillanten Festen und Umzügen, war auf die Hauptstadt ausgeschüttet worden. Kein Wunder denn, daß sich die Bewohner derselben wohl darin fühlten, und es gab auch anscheinend wenigstens in dieser Zeit nur noch zwei Parteien im ganzen Lande: Kaiserliche und Republikaner, und die letzteren waren in verschwindender Minorität - und waren selbst diese letzteren wenigstens einig unter einander?

Fast täglich liefen Gerüchte ein, daß sich wieder ein oder der andere der Juaristischen Bandenführer von dem vertriebenen Präsidenten losgesagt habe und zu der kaiserlichen Partei offen übergetreten sei, und wenn man alledem glauben wollte, was man sich in der Residenz erzählte, so befanden sich die nördlichen Streitkräfte des Expräsidenten in voller Auflösung.

Aber auch in der Hauptstadt und zwischen der „kaiserlichen Partei" fingen kleine Zerwürfnisse an sich zu zeigen, die be-/60/sonders zwischen den Franzosen und den Beamten des Kaiserreichs begannen. Die Festlichkeiten des Empfangs waren kaum vorüber, so traten Symptome an's Licht, die kein so inniges Zusammenwirken verriethen, als man es hätte zwischen Franzosen und Oesterreichern voraussetzen sollen, und doch waren sie natürlich genug. Die Oesterreicher nämlich fingen an, sich als Herren des Landes zu betrachten, und die Franzosen , die sich darüber ärgerten, suchten sie fühlen zu lassen, daß sie das nur durch ihren Beistand wären und sein könnten. Selbst von den höchsten Kreisen ging ein solches Gefühl aus und pflanzte sich bis in die untersten Schichten hinab fort - und gerade deshalb so rasch und entschieden, weil es eben von oben kam und dadurch leichter Alles erfaßte.

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