Reisen Band 2

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Gesammelte Schriften

Friedrich Gerstäcker

Reisen Bd. 2

Die Südsee-Inseln (Schluß)

Australien, Java

Volks- und Familien-Ausgabe Band Sechs

der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage, herausgegeben von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2016 / 2020

Tahiti.

(Schluß.)

Am 5. Abends saß ich im American Hotel und spielte mit ein paar amerikanischen Capitainen eine Partie Whist. Draußen vor der Tür, gerade auf dem belebtesten Teil der Stadt, spazierte die farbige schöne Welt auf und ab, und es war etwa dicht vor der Zeit des Appells, als plötzlich eine kreischende Weiberstimme zu uns hereintönte, worauf wir natürlich augenblicklich aufsprangen, um zu sehen, was da draußen vorging. Draußen ging aber auch in der Tat etwas vor, denn wir befanden uns gerade vor einer Gruppe, in deren Mittelpunkt eine junge Dame eben aus das Eifrigste beschäftigt war, ihre sämtlichen, nicht überreichen Kleidungsstücke abzuwerfen. Als das nach wenigen Augenblicken glücklich bewerkstelligt war, flüchtete sie sich in einen Schwarm junger Mädchen hinein, die sie augenblicklich in ihre Mitte nahmen und mit rasch abgeworfenen Schultertüchern umhüllten. Die Kleider aber blieben in der Mitte der Straße liegen, und der Ruf: „Centiped!" zeigte uns bald, woran wir waren. Das Mädchen hatte dies giftige Insekt an sich gefühlt, und mit wahrer Todesverachtung sämtliche Kleidungsstücke abgeworfen, um dadurch das gefürchtete Thier ebenfalls los zu werden. /8/ Ich hatte ein ganzes Glas voll californischer Ungetüme, unter diesen fehlte mir aber entschieden ein tahitischer Tausendfuß, und sämtliche Kleidungsstücke wurden deshalb, ohne die mindeste Störung von Seiten der Eingeborenen, als gute Prise erklärt und in das American Hotel hineingetragen. Solche Untersuchung einer completten Damengarderobe war allerdings vielleicht etwas undelicat; der Zweck heiligte aber hier die Mittel, und was ist einem Naturforscher nicht Alles gestattet! Nach kurzer Jagd umstellten wir auch richtig den Feind, trieben ihn in eine Falte und hatten ihn gleich darauf fest und sicher in einem Bierglas, halb mit Brandy gefüllt, von wo aus ich ihn später in meine Flasche verpflanzte. Die Kleider brachten wir dann ihrer Eigentümerin wieder zurück, bei der es aber erst mehrerer Versicherungen bedurfte, daß der Centiped nicht mehr darin, sondern in vollkommener Sicherheit sei.

Der Centiped ist das einzige giftige Thier, das auf diesen Inseln lebt, und auch dieser hat ein keineswegs gefährliches Gift in sich, sondern nur einen scharfen Saft, der den gebissenen Teil aufschwellen macht, aber nie den Tod herbeiführt. Diese Tiere sind auch dabei noch ziemlich harmlos und beißen nur, wenn man sie reizt. In Maiao fiel mir zum Beispiel einer der größten, die ich gesehen habe, auf den nackten Hals und lief mir darüber hin; ich fühlte dort etwas - wußte aber damals noch gar nicht, was es war - und schlug es mit der Hand herunter; er fiel mir dann auf den Arm, glitt über meine bloße Hand, ohne später die mindesten bösen Folgen zu hinterlassen, und ließ sich auf die Erde herunterfallen, wo er gleich darauf unter den Binsen und Matten verschwand, ehe ich seiner habhaft werden konnte.

- Die ausgewachsenen Centipeden sind von einer grünlichen Farbe.

Schlangen gibt es gar nicht auf diesen Inseln, nur eine kleine, ganz harmlose Eidechsenart. Herr Orsmond erzählte mir übrigens, daß man früher in einem, etwa sieben Meilen von dort entfernten Tal eine Art Eidechsen mit vier Schwänzen gehabt, die sich der frühere König Pomare habe manchmal fangen lassen. Seit langer Zeit seien aber keine mehr zum /9/ Vorschein gekommen. Schmetterlinge habe ich nur sehr wenige, Käfer gar keine schönen gesehen, doch möchte wohl auch in dieser Art, bei einem längeren Aufenthalt hier, Manches zu sammeln sein.

Tahiti war früher berühmt wegen seiner Tätowierer – die Leser der „Abenteuer in der Südsee“ von Melville erinnern sich vielleicht jener reizenden Schilderung der Art, wie das Tätowieren sonst auf den Südsee-Inseln betrieben wurde. Jetzt haben es aber die Missionare „aus der Mode gebracht“, und man sieht nur noch ältere Leute tätowiert, Mädchen und Knaben gar nicht mehr. Natürlich lag mir besonders daran, diesen alten, nach und nach mit der Zivilisation bei den Eingeborenen aussterbenden Gebrauch kennen zu lernen, und mir wurde zu diesem Zweck ein alter Tätowierer, Taitaou, der beste auf der Insel, empfohlen.

Mit einem der französischen Soldaten, einem Straßburger, den ich dort kennen gelernt, und der, seit langen Jahren auf der Insel, der tahitischen Sprache vollkommen mächtig war, machte ich mich eines Morgens auf den Weg, die Broomroad entlang und fünf englische Meilen etwa um die Insel herum, um ihn aufzusuchen. Der Weg selber war reizend, dicht am Ufer der See führte er hin, nur hier und da, wo ein kleiner frischer Wasserbach aus den Bergen kam, lief das flache Land weiter hinaus auf die Korallen, und freundliche Gärten und dichte Anpflanzungen aller möglichen Früchte, mit den lauschigen Hütten tief versteckt unter den breiten rauschenden Blättern schattiger Cocospalmenhaine lagen hier überall zerstreut. Zwischen den niederen Büschen oder den hohen, schlanken Stämmen hindurch gewann der Blick die Fernsicht auf das weite, offene Meer, und zwischen das Rauschen der Wipfel tönte das dumpfe Donnern der ewig stürmenden Brandung.

Die Anlage dieser Straßen ist übrigens mit vielen Schwierigkeiten verknüpft gewesen, und die Indianer mussten dazu gezwungen werden. Alle Strafen wurden zu gleicher Zeit dorthin gerichtet, so und so viele Faden (sechs Fuß) Straße zu arbeiten, und die Franzosen gewannen dadurch einen Kommunikationsweg um die ganze Insel herum, und durchbrachen /10/ teils, teils überbrückten sic Stellen, wo sonst, zu manchen Jahreszeiten besonders, eine Passage ganz unmöglich war.

Die Aussicht auf das Binnenwasser der Riffe ist ebenfalls reizend, die wunderliche Färbung des Wassers, dem die seichten und hellen Korallenbänke ein ganz eigenthümliches Licht verleihen - die schlanken dunkeln Canoes, die langsam und geräuschlos über die spiegelglatte Fläche gleiten - die einzelnen Seevögel, die, anscheinend nur ihrem Vergnügen nachgehend, durch die von keiner Wolke getrübte Luft kreisen, plötzlich aber einen Moment mit flatternden Schwingen förmlich stillstehen, und dann mit Blitzesschnelle auf die erspähte, zu sorglose Beute hinabschießen - weit draußen in See ein einzelnes Segel, das dem wohl lang' ersehnten Port mit günstiger Brise entgegenstrebt, und darüber der blaue, klare Himmel - und um uns her der weite herrliche Rahmen wehender Palmen - das Alles bot ein wundervolles, schwer zu beschreibendes Bild, und mein Führer, dem die Landschaft hier schon etwas ganz Alltägliches geworden, wurde zuletzt ordentlich ungeduldig, daß ich gar nicht von der Stelle wollte und halbe Stunden lang stehen konnte, „bloß durch die Büsche zu sehen“, wie er meinte.

Unterwegs überholten wir ein junges Mädchen, das in der gewöhnlichen Tracht, mit einem weiten Kattunoberhemd und barfuß, auf den schwarzen, flatternden Locken aber einen breiträndigen Panamastrohhut, die Straße entlang ging, ihrer eigenen Hütte zu. Mein Begleiter kannte sie, und an ihr vorbeigehend, rief er ihr ein freundliches Joranna hinüber und reichte ihr die Hand.

,Joranna, A-u-ma-ma, woher des Weges und wohin?“

„Wohin? - zu den Kindern - bring' ihnen Milch, weil sie's wollen.“

„Und wie geht's Lefevre? - ist er noch in Papetee?-“

„Bah!“ rief das Mädchen, und warf den Kopf herum, daß ihr die Locken um die Schläfe flogen, „bah - so viel für ihn,“ und sie schlug mit ihrer flachen Hand, ein Zeichen, gründlicher Verachtung, auf ihre Lende - dann sich abwendend, wollte sie rasch vorauseilen, der junge Bursch aber, der vielleicht glaubte, er könne sich einen Spaß mit ihr erlauben, /11/ ergriff sie am Kleid, und blitzesschnell drehte sie sich nach ihm um. Sie sprach kein Wort, aber der Blick, den sie ihm zuwarf, glühte in einem unheimlichen Feuer, und ein paar große helle Tränen standen in ihren Augen. Der Straßburger ließ sie erschreckt los, aber durch die Tränen hindurch lachte das Mädchen auch schon wieder hell auf, und ihm ein paar Blumen in's Gesicht werfend, die sie in der Hand hielt, sprang sie in flüchtigen Sätzen die Straße etwa hundert Schritt weiter hinab und verschwand dann rechts vom Weg in einer niedern Bambushütte.

,,A-u-ma-ma hat ihren Namen mit Recht,“ lachte der Soldat, „sie ist flüchtig wie eine kleine Eidechse, aber - ein wildes Mädchen bleibt's doch - einem Kameraden von mir hat sie neulich ein Messer gerade in die Schulter gerannt. Freilich, sie haben sie auch geärgert," setzte er dann in seiner gemütlichen Weise hinzu, „Lefevre heiratete sie erst, wie man hier überhaupt heiratct, und sie hat zwei Kinder mit ihm - seit ein paar Monaten hat er aber die jüngere Schwester genommen, und da wollte dies wilde Ding da nicht mit im Haus bleiben und ist mit ihren Kindern in die alte verfallene Hütte da gezogen. Manchmal kommt's mir ordentlich vor, als ob sie nicht recht bei Verstand wäre - sie spricht aber so weit ganz vernünftig.“

Wir hatten jetzt die Hütte erreicht, wo der alte Tätowierer wohnte, und wurden von diesem freundlich empfangen, obgleich die Nähe einer Stadt, wo Producte für Geld abzusetzen sind, allerdings einen sehr merklichen Einfluß auf die Gastfreundschaft dieser Leute ausübt. Da ich nach einer Weile Durst bekam, bat ich um eine Cocosnuß, und ein Knabe erbot sich augenblicklich - mir „einen Stock voll", wie sie zum Gebrauch nach Papetee geführt werden, von dem Nachbar zu holen - wenn ich ihm das Geld dazu gäbe. - So ist es aber auf der ganzen Welt - die Civilisation muß die Gastfreundschaft verdrängen, und wo die Leute erst einmal rechnen lernen, da zählen sie dann auch schon die Früchte auf ihren Bäumen, und selbst die Cocosnüsse sangen an Geld zu kosten.

 

Um nun übrigens ein Andenken von Tahiti mitzunehmen, beschloß ich, mich tätowieren zu lassen, und Taitaou war auch /12/ augenblicklich bereit, die Operation mit mir vorzunehmen. Die ganze Behandlungsart war übrigens schon an und für sich interessant genug, und der Ernst, mit dem der Künstler an sein Geschäft ging, entsprach ganz der Wichtigkeit des Unternehmens: Jemandem nämlich ein Kleid anzulegen, das er nicht etwa auf Monate oder Jahre, sondern sein ganzes Leben lang tragen und einst mit in sein Grab nehmen soll.

Er selber trug die Spuren der alten Heidenzeit in reichem Maße an sich, und ganz besonders die mondartigen Zeichnungen über seinem Rückteil, schien auch aus dieser Sache - wie mir übrigens schon vorher gesagt worden war - eine Art von Geschäft zu machen, denn er hielt sich ein besonderes Musterbuch. Als ich ihm meinen Wunsch kundgegeben und ihm zugleich ein paar Zeilen zu dem Zweck von Mr. Orsmond gebracht hatte holte er dieses aus einer alten „Seekiste" heraus, legte es mir vor und schien, die wilden Zeichnungen darin mit Wohlgefallen betrachtend, meine Wahl zu erwarten. Das Buch war ein wunderliches Album roher Zeichnungen von Schiffen vor allen Dingen, vollen Schiffen und Barken, Briggs und Schonern - dann kamen Flaggen verschiedener Nationen, besonders französische, englische und amerikanische. Eine vortreffliche Auswahl von Meerweibchen hatte er ebenfalls, und einige von ihnen mit einem Kamm in der Hand wie ein Gartenrechen. Dann kamen Anker und Walfische, und nachher eine wundervolle Sammlung von europäischen Damen, alle mit einer entsetzlichen Frisur und einem blau und roten Kleidmuster, sehr bauschigen Ärmeln und ungemein kurzer Taille. - Es war dies die Sammlung von Mustern, unter denen Matrosen gewöhnlich ihre Wahl treffen, wenn sie sich die Arme oder die Brust mit Anker, Meerweibchen, Schiffen und Schönen zeichnen lassen, und sie sehen dann besonders darauf, die Bilder abwechselnd hübsch rot und blau zu haben; die Indianer selber bedienten sich früher aber nur der blauen Farbe für sich, und ich habe nie einen mit einer roten Zeichnung oder Malerei gesehen. Ich selber war ebenfalls nicht gesonnen, mich mit derartigen Emblemen zu verunstalten. Ich bat ihn durch meinen Dolmetscher, mir mit seiner eigenen Farbe die alten heidnischen Zeichen der /13/ Tahitier in die Haut zu graben, und der alte Bursche schien damit ebenfalls von Herzen gern einverstanden. Er warf sein Musterbuch, das er im Anfang so achtungsvoll und sorgfältig vorgesucht, mit einem Ruck seines Armes in die fernste Ecke der Hütte, und sein Kästchen vorholend, begann er ohne Weiteres seine Arbeit aus freier Hand, als ob es seine alltägliche Beschäftigung sei und gar nicht zu den jetzt so streng verpönten heidnischen Künsten gehöre.

Das Tätowieren hatte auch früher eine weit höhere Bedeutung, wie nur die Haut zu färben. Gewisse Zeichen an bestimmten Teilen des Körpers, wie zum Beispiel bei den Frauen das Tätowieren der Knöchel, galten als Zeichen der Mannbarkeit - die Priester tätowierten sich anders als die Krieger, und Auszeichnungen in der Schlacht sollen hier und da gewissermaßen durch Hieroglyphen dargestellt sein. Auch nahmen sie Tiere zu diesen Symbolen, und Fische spielen dabei eine sehr bedeutende Rolle. Als Farbe benutzten sie den unter einem flachen Stein aufgefangenen Qualm der tui tui oder Lichtnuß, was der Zeichnung eine schöne blaue Farbe gibt, und zu Instrumenten haben sie kleine, mit aus Knochen und Haifischzähnen bewaffnete Werkzeuge, die in ihrer Gestalt unseren Gartenrechen ähneln und etwa 31/2 bis 4 Zoll lang sind. Diese Instrumente haben je einen bis zwölf Zähne, je nachdem sie die Striche lang brauchen, und jeder Zahn läßt in der Haut einen Punkt zurück. Beim Tätowieren setzen sie die Zähne auf die Haut, halten den Stiel mit der linken Hand, während Zeigefinger und Daumen dieser Hand das Instrument lenken, und schlagen dabei fortwährend mit einem kleinen Stückchen leichten Holzes auf den Stiel, wodurch sie eben die Zähne in die Haut eintreiben. Dieses Aufschlagen, dem Tact nach gewöhnlich in Triolen, hat nach seinem Geräusch, tat tat tat - tat tat tat, der ganzen Behandlung den Namen Tätowieren gegeben. Das Tätowieren selbst ist nicht besonders schmerzhaft, und die Zeichnung schwillt nur am nächsten Tag etwas auf.

So lange war ich nun übrigens schon auf Tahiti, und hatte noch nicht einmal die Königin des Landes, Pomare IV., die berühmte Königin der Gesellschaftsinseln, gesehen, war /14/ aber fest entschlossen, Tahiti nicht eher wieder zu verlassen, bis ich eine Audienz bei ihr gehabt hätte. Dem stellte sich jedoch manche Schwierigkeit entgegen. Herr Orsmond hatte mir versprochen, mir dazu behülflich zu sein, schien aber Schwierigkeiten gefunden zu haben; auch sagte mir sein Sohn, daß etwas wegen eines Landbesitzes zwischen ihnen vorgekommen wäre, wonach sie nicht auf dem besten Fuße stünden. Sonst kannte ich Niemanden, an den ich mich wenden konnte, und ich wußte nicht recht, wie es anzufangen sei. Außerdem hörte ich von meinem Straßburger Soldaten - der mir versicherte, mit dem Kronprinzen sowohl als den beiden jüngeren Prinzen auf sehr freundschaftlichem Fuße zu stehen -, daß die Königin jetzt gerade erst vor ganz kurzer Zeit ihr schönes und vollkommen europäisch eingerichtetes Haus einer kranken Verwandten überlassen habe und in eine ganz gewöhnliche Bambushütte am Strand gezogen sei, wo sie sich jetzt aufhalte. Dort dürfte sie wohl sehr schwer veranlaßt werden, überhaupt irgend eine Audienz zu erteilen, was unter solchen Verhältnissen gar nicht mit der gehörigen Würde geschehen könne.

An einer ordentlichen Audienz war mir überdies gar nichts gelegen - ließ ich mich ihr als ein Reisender aus Deutschland vorstellen, so wurde jedenfalls große Toilette verlangt, mit der ich nicht einmal eingerichtet war, und das Ganze lief auf nichts als eine steife Ceremonie hinaus; dagegen gab es ein anderes Mittel. - Ich bat den Straßburger, mich Ihrer Majestät als einen fremden Musikanten anzukündigen, der ein ganz neues Instrument mit nach Tahiti gebracht habe. Ich war ziemlich sicher, daß sie hier noch keine Zither gesehen hatten, und mein neuer Dolmetscher, dem ich die auch ihm fremde „Musik" zeigte, war so entzückt davon, daß er mir die Versicherung gab, die Königin würde die Zeit gar nicht erwarten können.

„Ich bin doch selber musikalisch," sagte er - er war Trommelschläger - „aber so ein Instrument hab' ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen."

Seines Beifalls gewiß, konnte ich darauf rechnen, daß er durch den Thronfolger auch Ihro Majestät für mich interes-/15/sieren würde, und am Montag Morgen kam er denn auch richtig schon zu mir und kündigte mir an, wir könnten noch an demselben Abend zur Königin gehen. Die Sonne mochte noch etwa anderthalb Stunden hoch sein, als wir uns anschickten, Ihro Majestät, die jetzt ganz am westlichen Ende der Stadt wohnte, unsere Aufwartung zu machen, und wir mussten zu diesem Zweck fast ganz Papetee durchwandern. Gegen Abend beginnt in den Straßen, der Stadt das Leben, und die Hotels und die Weinhäuser füllen sich. Die letzteren haben dabei ausschließlich die meisten Gäste, denn der größte Teil der Europäer auf Tahiti sind Franzosen, und diese können nun einmal nicht ohne ihren „Claret" existieren - den ich denn auch wirklich noch nirgends so schlecht getrunken habe, als gerade auf Tahiti.

Der Franzose ist überhaupt lebenslustig, und überall sitzen dann lachende, singende, trinkende Gruppen an den Tischen herum, Billard wird sogar schon gespielt, und in dieser Hinsicht sind die Gesellschaftsinseln den hawaiischen glücklich nachgeeilt; die Zeit fliegt, und weshalb nicht die fliegende benutzen, noch dazu unter solchem Himmel? Darin sind aber auch die Indianer mit ihren neuen Herren vollkommen einverstanden, und die frommen Väter der protestantischen Mission mögen eifern und predigen so viel sie wollen gegen das Sabbathbrechen der Militärmusik zum Beispiel - geistliche Lieder ausgenommen -, die Franzosen und Indianer nehmen eben geistliche Lieder aus, und sind lästerlicher Weise auch in ihrem Gott vergnügt, während Walzer, Polkas und Märsche von einem tüchtigen Musikchor gespielt werden.

Wir konnten uns jetzt aber nicht so lange hier aufhalten. - An der Kirche der Eingeborenen vorüber, deren Glocke in einem stattlichen Orangenbusch dicht am Strande hing , passierten wir der Missionare Mr. Pritchard's und ich glaube auch Mr. Howe's schon ältere, stattliche Wohngebäude, an denen man recht sehen konnte, wie sauer es den armen Männern geworden sein muß, unter Strapazen und Entbehrungen auf dieser wunderschönen Insel auszuharren, und ließen so die Stadt mit ihren Bananen- und Brodfruchtgärten hinter uns, die einzelnen kleinen indianischen Wohnstellen jetzt betretend. /16/ Dicht am Strand, von hohen Bäumen überragt, aber auf dürrem, steinigem Boden, und mit der Aussicht zwischen den Stämmen und unter dem Laubdach hin nach der reizenden kleinen Insel Motuuta, dem eigentlichen königlichen Stammsitz der Pomares, stand eine der langen gewöhnlichen Bambushütten, in denen größere indianische Familien, zwei und drei zusammen gewöhnlich, ihren Aufenthalt haben - und hier residierte jetzt die Königin der Gesellschaftsinscln - hier wohnte Äimata - von den Pomaren die vierte1 - (Enkelin des ersten Pomare und Schwester des verstorbenen Königs), und als ich mich dem Hause näherte, fühlte ich ordentlich, daß ich classischen Boden betrat.

Es war gegen Abend, und einer der jungen Prinzen saß vor der Tür auf einem Stein und verzehrte seine Brodfrucht und rohen Fisch. Pomare's Tochter, ein junges Mädchen von etwa zwölf Jahren und die Zwillingsschwester des ältesten Sohnes, kam uns entgegen und betrachtete sehr neugierig das Instrument.

Die königliche Familie war gerade beim Souper, und wir lagerten uns indessen draußen unter dem Hofstaat zwischen den Steinen, und einige der Kammerherren und Hoffräulein, die „Einaas" des Mahora von Tahiti, mit Ihro Königl. Hoheit der jungen Prinzeß setzten sich dicht um uns her aus die Steine nieder und verlangten ziemlich bestimmt, die Musik zu hören. Allerdings setzten sie dabei jede Etikette hintan, nach der II. MM. (ich finde, die europäische Verdoppelung der Silben oder Buchstaben hat auch noch außerdem viel /17/ Ähnlichkeit mit dem Tahitischen) doch jedenfalls zuerst mussten etwas vorgespielt bekommen.

Die älteste Prinzeß waren ein wildes kleines Ding, sprangen nach Herzenslust um uns herum, schon im Voraus nach den in Gedanken heraufbeschworenen Tönen tanzend, und kauten indessen mit höchsteigenen Zähnen ein Stück geröstete Brodfrucht (es ist doch etwas Schönes um die Biegsamkeit unserer deutschen Sprache), und die Einaas prüften die Saiten, ließen ihre kleinen niedlichen Finger darüber hinstreichen und freuten sich kindisch, wenn sie das Wiederklingen hörten.

Endlich schien das Souper beendigt, der jüngste Prinz kam wenigstens in die Thür gesprungen, und gab uns ein Zeichen, näher zu treten. Der innere Raum des Hauses war in drei Abteilungen geschieden, entsprach aber sonst in seiner Einfachheit vollkommen den einfachsten Hütten der übrigen Eingeborenen. - Das erste dieser Zimmer - wenn ich Wände von Bambusstäben und den nackten Fußboden eben so nennen darf - schien zur Vorhalle wie zugleich zum Schlafcabinet der Einaas oder Hoffräulein zu dienen, das zweite den Kindern zugeheilt zu sein, und das dritte - das inwendig einfach mit Kattunvorhängen versehen war, um das königliche Paar den Blicken der Untertanen zu entziehen - diente der Königin und ihrem Gemahl zum Aufenthalt. Im zweiten blieben wir einen Augenblick, und der jüngste kleine Bursch, ein Lockenkopf von neun oder zehn Jahren, sprang voran, um uns zu melden; wenige Secunden später standen wir in Gegenwart der Königin. - Pomare saß hier allein auf einer Matte und nähte an einem Kleid - unser Gruß lautete: Joranna, Pomare! - und sie winkte uns freundlich, vor ihr niederzusetzen.

Mein Begleiter nahm dann das Wort und erzählte ihr, ich sei hier zu ihr gekommen, nicht gerade ganz direkt von Deutschland, aber doch von Califoli dem Lande, wo das viele Perù gefunden würde (und sie sah dabei eigentlich zum ersten Mal ordentlich von ihrer Arbeit auf; da ich ihr aber nicht wie Einer vorkommen mochte, der das viele Peru gefunden hätte, fuhr sie wieder zu nähen fort, bis die Rede auf das /18/ Instrument kam), um ihr diese neue deutsche Musik zu zeigen, die sie noch nicht kenne, und er hoffe, daß cs ihr gefallen würde. Ich stand dann auf und reichte ihr das Instrument, damit sie es in der Nähe genau besehen könne. Sie betrachtete es auch aufmerksam, aber mit weit weniger Neugierde, als ich erwartet hatte, und das, was ihr am meisten daran aufzufallen schien, war der oben als Knauf geschnitzte Bärenkopf.

 

Die Hofherren und Damen klemmten indessen draußen ihre Nase zwischen die Bambusstäbe der Hütte, um zu sehen, was inwendig vorging, und als ich ein paar Accorde auf dem Instrument griff, schienen sie die Bambuswand eindrücken zu wollen. Pomare lächelte, und sich wieder zu meinem Dolmetscher wendend, sagte sie ihm, ich möchte draußen im Freien spielen, daß ihre Leute es ebenfalls hören könnten, sie wolle zu uns hinauskommen.

Natürlich leisteten wir ihrem Wunsch augenblicklich Folge, und ich suchte mir jetzt vor dem Hause einen passenden Stein zum Niedersitzen, während die Schar draußen, die uns schon mit Ungeduld erwartet hatte, sich rasch um uns her lagerte. Die kleine Prinzeß lehnte sich mir höchsteigenarmig auf die Schulter, um ja keinen Ton der „deutschen Musik" zu verlieren, und die Königin setzte sich auf die Schwelle ihres Hauses, mir gerade gegenüber.

Hier muß ich die Königin Pomare gegen all' die vielen übertriebenen und lügenhaften Beschreibungen in Schutz nehmen, nach denen sie, bei einer ungeheuren Dicke, sich nach Tisch, um besser zu verdauen, von ihren Hofdamen walken lasse usw. Erstens leben alle diese Indianer sehr mäßig und essen wenig, also auch die Königin, und dann ist Pomare nicht allein nicht übertrieben, sondern gar nicht was man dick nennen kann. Sie hat eine nicht gerade schlanke, aber doch wohlproportionierte Gestalt, ist von mittler Größe, mit einem weit ernsteren und auch wohl etwas stolzeren Wesens, als es die Kanakafrauen sonst haben, was ihr aber ganz gut steht. Sie ist aus dem jugendlichen Alter heraus, hat aber doch noch immer viel Frische bewahrt, und ihr Anstand ist edel und frei - ihre Tracht dabei aber auch so einfach, wie die /19/ aller übrigen Kanakafrauen, von denen man sie, dem Äußern nach, nicht unterscheideu könnte. Sie trug an diesem Tag ein rotmusselinenes Kleid, das ihr, nach dem Schnitt der übrigen, von den Schultern bis aus die Knöchel herunterfiel, ein kleines Tuch um den Hals und einen Männerstrohhut - eine ziemlich allgemeine Sitte unter den Frauen; auch ging sie wie alle anderen Indianerinnen barfuß.

Während wir alle mitsammen vor der Tür saßen, kam auch ihr Gemahl herbei. Er war augenscheinlich jünger als Pomare und ein schlanker, hübscher Indianer mit ausdrucksvollen, aber etwas weichlichen Zügen. Er lehnte sich, neben der Königin, mit dem Ellbogen an den Türsims und blieb so stehen. Wir müssen, wie wir so dasaßen, ein ziemlich eigenthümliches Bild gegeben haben. Die Gruppe, die um mich her lagerte, war wirklich malerisch, und mag es sein, daß die Gegenwart der Fürstin die Zungen im Zaume hielt - kein Wort wurde gesprochen während ich spielte, und nur das Rauschen der Wipfel über uns und das ferne Donnern der Brandung begleitete die weichen Töne des Instruments.

Ich spielte ihnen teils deutsche, teils irische und schottische Melodien, die einfachsten schienen ihnen aber immer die liebsten, und wunderbarer Weise machte ein und dasselbe Lied, welchem Stamme, welcher Nation von Naturmenschen ich es auch vorspielte, stets denselben, und zwar den günstigsten Eindruck auf sie - unser einfaches Schweizerliedchen: „Steh nur auf, steh nur auf!" - Was sie auch dazwischen hörten, das mußte ich immer wiederholen, und sie hatten augenblicklich Worte dafür, die sie aus den Klängen des Instrumentes heraushorchten und nachsangen. Ja, aus Maiao summten sie schon am nächsten Tag die Melodie, wohin ich kam; überhaupt ist das Ohr dieser Stämme leicht empfänglich für Musik.

Dämmerung brach aber jetzt ein, und ich hielt es für Zeit mich zu empfehlen, stand also, zum Ärger der Kinder, die noch mehr zu hören wünschten, auf, gab Pomare und ihrem Gemahl die Hand und empfahl mich, freundlich von ihnen entlassen. – /20/ Lange schon war es mein Wunsch gewesen, die in der Bai unfern der Einfahrt des Hafens liegende und von weiten Korallenbänken umgebene kleine reizende Insel Motuuta einmal zu besuchen. Um das aber ganz ungestört tun zu können, borgte ich mir eins der gewöhnlichen indianischen Canoes und ruderte langsam hinüber. Ich war schon früher in dieser Art von Canoes mit einem „outrigger" oder ausstehenden Wuchtholz (sogenannten Luvbaum) gefahren, und wenn das Canoe Segel führt oder auch vielleicht der Wind schwerer weht als gewöhnlich, gebe ich zu, daß sie weit sicherer gehen als ohne dieselben. Dem Umschlagen sind sie fast gar nicht ausgesetzt, aber dadurch auch weit unbehülflicher zu lenken und schwerer zu steuern, indem die Wirkung des im Wasser liegenden Luvbaums dem schmalen Ruder fast immer entgegenarbeitet. Es läßt sich auch denken, wie viel schwerer eine rasche Wendung damit sein muß, da ich nach innen zu das Gewicht des Holzes erst durch das Wasser zurückzupressen habe, während ich nach außen dasselbe mit herumbringen muß. Nichtsdestoweniger kommt hier das federleichte Holz verschiedener Baumarten diesem indianischen Schiffsbau sehr zu statten, und wenn auch alle die Canoes, die ich hier sah, an Zierlichkeit und Zweckmäßigkeit des Baues lange denen der nordamerikanischen Indianer nicht gleichkommen, lagen sie doch verhältnißmäßig sehr leicht auf dem Wasser. Einzelne der Südsee-Inseln sind übrigens ihrer Canoes wegen berühmt, so die Neuseeländer des scharfen Baues und der wunderlichen Schnitzereien wegen, besonders aber die der navigators group, die ihre Canoes aus zwei Teilen, lang gespalten, zusammenfügten, den einen Teil verschieden geformt vom andern, wodurch sie einen außerordentlichen Grad von Schnelligkeit erreichen sollen.

Das Canoe, das ich hatte, war einfach aus einem Brodfruchtstamm ausgehauen und nichts weniger als künstlich; trotzdem entsprach es meinem Zweck vollkommen, und die Entfernung betrug auch kaum mehr als eine oder anderthalb englische Meilen. Diese kleine Insel ist berühmt in der taktischen Geschichte - früher war es der Lieblingsaufenthalt der tahitischen Fürsten, hieß auch die Königsinsel, und selbst der /21/ letzte König hatte dort noch seinen Schießstand, und seine Bogen und Pfeile - mehr eine Vergnügungs- als Kriegswaffe - in einem besondern Haus, von welcher Sammlung er so viel hielt, daß Fremden besonders der Zutritt nur sehr selten gestattet wurde. Die Königin selber hat hier mehrere ihrer Kinder geboren, und die freundliche Insel muß für die Leute damals ein kleines Paradies gewesen sein. Und jetzt? - haben die Franzosen Besitz von derselben genommen; nach dem Eingang des Hafens zu steht eine Batterie von vier Zweiunddreißigpfündern. Die Gebäude enthalten Warenraume für alle möglichen Schiffsbedürfnisse: Taue, Blöcke, Ketten usw., ebenso für Munition; zerbrochenes und gebrauchtes Geräte liegt überall umher, das Gras ist niedergetreten, aus den Spielplätzen der Kinder wächst Gebüsch, und die einzelnen Cocospalmen senken trauernd ihre Häupter über das verödete Familienheiligtum.

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