Nach Amerika! Bd. 1

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«Ja, Herr Kellmann, in Bremen.»



 «Wo seid Ihr gewesen?» frug Schollfeld erstaunt.



 «In Bremen, Herr Schollfeld!» rief der junge Bauer gegen diesen gewandt. «Oben in der Hafenstadt.»



 «Guten Abend, Mathes», kam hier der Wirt dazwischen, der den alten Kunden ebenfalls begrüßte. «Lange nicht gesehen, recht groß geworden, mein Junge; hast Du Durst?»



 «Merkwürdigen», sagte der Bauer lächelnd.



 «Na warte, den wollen wir begießen», schmunzelte Lobsich, rasch in den Garten zurückgehend. «Der soll mir nicht umsonst in den Roten Drachen gefallen sein.»



 «Aber was hat Euch nach Bremen geführt?» wiederholte Kellmann, durch das wunderliche Benehmen des jungen Burschen fast etwas mißtrauisch gemacht.



 «Ja, Herr Kellmann», sagte der reiche Bauerssohn, wirklich jetzt verlegen seinen Hut um den Zeigefinger der linken Hand drehend, «das hat – das hat so eine eigene Bewandtnis – ich bin – ich bin zu einem Entschluß gekommen – ich will – ich will auswandern.»



 « W a s will er?» schrie Schollfeld, der die Worte nicht ganz verstanden, den ungefähren Sinn aber etwa erraten hatte. Jedenfalls schöpfte er Verdacht, und ehe Kellmann nur imstande war ein Wort darauf zu erwidern, rief nochmals laut: « W o will er hin?»



 «Nach Amerika», sagte jetzt der junge Mann entschlossen und wollte noch etwas hinzusetzen, aber der Apotheker schlug dermaßen auf den Tisch, und fing so an zu schimpfen und zu fluchen, niemand wußte eigentlich auf was und gegen wen, daß Mathes gar nicht gleich wieder zu Worte kommen konnte und vielleicht auch eben nicht böse darüber war.



 «Hallo, was haben wir da wieder?» rief aber in dem Augenblick Lobsich, der mit dem bestellten Bier für einen seiner besten Kunden selber ankam. «Daß Dich die Milz sticht, was ist denn dem Apotheker eigentlich in die Krone gefahren?»



 «Dem Apotheker nichts», nahm da Kellmann kopfschüttelnd das Wort, «doch hier dem Dingsda, dem Mathes – was meint Ihr, Lobsich, was er vorhat?»



 « H e i r a t e n ? » sagte dieser, und ein breites, vergnügtes Schmunzeln über den so richtig und schnell geratenen Vorsatz zog sich über sein dickes, gutmütiges Gesicht.



 « H e i r a t e n ! » schrie aber der Apotheker dazwischen, indem er sich seinen Hut in die Stirn drückte und seinen Rock anfing zuzuknöpfen. «Heiraten ! Ja prost die Mahlzeit, a u s w a n d e r n will der Kerl, wie ein blindes Pferd, das durch die Stallwand bricht, in einen Teich zu fallen.»



 « A u s w a n d e r n ? » schrie aber auch jetzt Lobsich in unbegrenztestem Erstaunen. «Na, das ist mir aber doch wahrhaftig ‘was U n bedeutendes!»



 «Oh hol’ mich der Teufel mit Eurer albernen Redensart!» rief der nun einmal ärgerliche Apotheker und nahm seinen Stock unter den Arm – sein stetes Zeichen, daß er fertig zum Gehen sein. «Was Unbedeutendes, jawohl, wenn der Raptus

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 erst einmal in s o l c h e Köpfe und Geldbeutel fährt, nachher werden wir sehen, was wir hier anrichten. Ich will mir aber mein Abendbrot nicht verderben – gute Nacht Ihr Herren.»



 «Halt, Schollfeld!» rief aber Kellmann, ihn am Arm fassend und zurückhaltend. «Brennt mir nicht durch, ich gehe auch gleich mit und wollte nur erst hören, was Mathes den Gedanken in den Kopf gesetzt hat. Hol’s der Henker, er macht sich entweder einen Spaß mit uns, oder es ist nur so eine Idee von ihm, die wir ihm wieder ausreden können.»



 «Wenn ich das wüßte, blieb ich die ganze Nacht hier», sagte Schollfeld, seinen Stock wieder auf den Tisch legend und zu dem verlassenen Stuhl zurückgehend. «Mensch, Mathes, seid Ihr denn rein vom Teufel besessen, oder habt Ihr nur heute in irgendeiner Kneipe ein wenig des Guten zu viel getan, daß Ihr so tolles Zeug zusammenfaselt?»



 Mathes blieb aber bei allen diesen Ausdrücken des Erstaunens, die erste Erklärung nun einmal überstanden, vollkommen ruhig und zog nur, statt jeder weiteren Antwort, einen Brief aus seiner Brusttasche, den er langsam auffaltete und vor sich legte, als ob er ihn vorlesen wollte.



 «Nun, was soll’s mit dem Wisch?» rief der Apotheker ärgerlich. «Ihr habt Eure Seele doch noch nicht dem Gottseibeiuns verkauft?»



 «So schlimm noch nicht», lachte der junge Bursche, «das hier ist nur ein Brief von Caspar Lauber, den Sie ja alle kennen und der vor etwa sieben Jahren nach Wisconsin auswanderte.»



 «Der w a s tat?» rief der Apotheker, die Augen zusammenkneifend und das linke Ohr zu ihm hindrehend. «Nuschelt nicht so in den Bart, daß Euch ein Christenmensch noch verstehen kann, ehe Ihr unter die Heiden geht.»



 «Der nach Wisconsin auswanderte», sagte der junge Bauer lächelnd. «Er hatte mir damals versprochen zu schreiben, wie es ihm ginge, schlecht oder gut – wenn schlecht, wollt’ ich ihm helfen, wenn gut, vielleicht nachkommen. Aber er schrieb n i c h t , Jahr nach Jahr, und da er überhaupt nichts von sich hören ließ, glaubte ich schon, er sei da drüben gestorben oder untergegangen in dem weiten Reich, bis ich vor vier Wochen etwa einen Brief von ihm erhielt, und seit der Zeit habe ich keine Ruhe gehabt bis zu dem heutigen Tag.»



 «Nun ja, natürlich», brummte der Apotheker.



 «Aber so laßt ihn doch nur reden», rief jetzt auch ärgerlich der Aktuar dazwischen. «Ihr raisoniert nur in einem fort und glaubt nachher, wenn Ihr recht geschrieen habt, Ihr hättet Recht.»



 «So lest den Brief einmal!» sagte Kellmann, die Arme auf den Tisch stützend. «Nachher wissen wir ja gleich, woran wir sind.»



 «Aber erst muß ich noch Bier haben», rief Schollfeld dazwischen, «ich mag die Lügen wenigstens nicht trocken mit anhören.»



 Lobsich winkte einem der nächsten Kellner, die indes leer gewordenen Gläser wieder zu füllen, denn der Brief interessierte ihn selbst zu sehr, den Tisch jetzt zu verlassen, und Mathes sagte wie entschuldigend:



 «Der Brief ist sehr kurz, aber es steht alles darin, was ich zu wissen verlangte, und er lautet:



 ,Lieber Mathes – ich habe bis jetzt mein Versprechen nicht gehalten, Dir zu schreiben, weil es mir sehr schlecht gegangen ist…’ »



 «Naja», fiel ihm hier der Apotheker in das Wort. «Und nun müßt Ihr Hals über Kopf machen, daß Ihr auch hinüber kommt.»



 Kellmann wollte dem ewigen Einredner etwas erwidern, aber Mathes fuhr, lächelnd die Hand gegen ihn aufhebend, wieder laut fort:



 « ,Ich wollte aber nicht gern, daß mich jemand anderes unterstützen sollte, weil das hier im Lande eine Schande ist, ich wollte mir selbst helfen, und habe mir kümmerlich, aber ehrlich und fleißig durchgeholfen. Jetzt habe ich eine kleine Farm von achtzig Acker, und vierundzwanzig Stück Rindvieh und dreißig Schweine und zwei Pferde, und es geht mir gut. Ich habe hart arbeiten müssen, aber ich komme durch. Wenn Du mit Geld hier herüber kommst und willst mich aufsuchen, daß ich Dir mit Rat und Tat an die Hand gehen kann, dann brauchst Du keine Angst zu haben, daß Du nicht durchkommst. Wenn Du eine Frau hast, bringe sie mit; Kinder sind ein Segen hier, kein Fluch, wie für manchen armen Mann in Deutschland. Wer arbeiten will, kommt fort, wer faul ist, geht zugrunde. Es grüßt Dich zehntausendmal Dein Caspar Lauber – Lauders Farm bei Milwaukie, Wisconsin.»



 «Und auf d e n Brief wollt Ihr auswandern?» rief aber auch Kellmann jetzt erstaunt. «Mathes, ist Euch denn das Auswanderungsfieber so plötzlich in die Glieder geschlagen, daß Ihr die Seekrankheit für das einzige Mittel haltet, die es kurieren könnte?»



 Mathes schüttelte aber gar ernsthaft mit dem Kopf, faltete den Brief zusammen, den er zurück in seine Tasche schob, und sagte mit fester und entschlossener Stimme :



 «Lange im Sinn hab’ ich’s schon gehabt, und der Brief hat es zuletzt zum Ausbruch gebracht.»



 «Aber, Mathes, Ihr vor allen anderen habt doch Euer Auskommen hier im Land», rief jetzt auch Lobsich, während der Apotheker das ihm eben gebrachte Glas auf einen Zug hinuntergoß, wie um seinen Ingrimm damit niederzuspülen. «Wenn I h r nach Amerika auswandern wollt, wer soll denn noch dableiben?»



 «Ich b l i e b e auch», sagte Mathes rasch und mit vor innerer Bewegung fast erstickter Stimme. «Ich bliebe auch, wenn mich mein Vater ließe, aber – der will nicht in die Heirat eiligen mit Roßners Käthchen, des Häuslers

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 Tochter aus Rodnach. Hier hält er mich dabei unter dem Daumen mit seinem Gut und Geld, und das Mädchen stirbt mir indessen in Arbeit und Gram; dort drüben aber ist ein Platz, wo fleißige Menschen auch durchkommen können mit Gottes Hilfe o h n e Geld, o h n e Ansehen. Der Lauber hatte gar nichts, wie er hinüberging, nicht das Hemd auf seinem Rücken war sein, und ich weiß, daß er nicht einen roten Pfennig mit in das fremde Land gebracht hat. Aus dem ist jetzt ein rechtschaffener Farmer geworden, mit eigenem Land, Haus und Vieh, und was d e r kann – schwere Not noch einmal – das kann ich auch. Ich gehe hinüber, nehme das Käthchen mit – Geld zur Überfahrt krieg’ ich schon, und wenn ich meine beiden Schimmel um den halben Wert verkaufen sollte, und dort hilft der liebe Gott schon weiter. Verhungern werden wir nicht, und ich brauche mir hier nicht mehr unter die Nase reiben zu lassen: das sollst Du tun und das nicht, und d i e sollst Du heiraten, die Du nicht magst und willst, und die Dich lieb hat und Dich glücklich machen kann, der sollst Du das Herz brechen – weil ihr eben nur der volle Geldsack fehlt.»



 «Unsinn!» sagte der Apotheker, jetzt wieder und zwar im Ernst aufstehend. «Wenn jemand einmal rein verrückt geworden ist, läßt sich auch nicht mehr mit ihm streiten. Gehen Sie mit, Kellmann?»



 «Ja, gleich», erwiderte der Gefragte. «Weiß denn aber Euer Vater schon um den Plan, Mathes?»



 «Heute hab’ ich’s ihm gesagt», erwiderte der Gefragte leise, «aber er glaubt es noch nicht.»

 



 «Und ist es denn schon wirklich so fest bestimmt?» sagte Kellmann teilnehmend.



 «Meine Passage in Bremen für mich und – meine F r a u ist schon bezahlt», rief der junge Bursche da entschlossen. «Den fünfzehnten geht das Schiff ab und ich habe nur noch eben Zeit, das Notwendigste in Ordnung zu bringen.»



 «Ja, da kommt freilich jeder gute Rat zu spät», sagte Kellmann, jetzt ebenfalls aufstehend und seinen Hut ergreifend, «wenn der Sprung erst einmal geschehen ist, braucht man nicht mehr über das Springen zu streiten, und ich wünsche Euch das Beste in Eurer neuen Heimat.»



 «Ich weiß es, ich weiß es», sagte Mathes gerührt, «aber vielleicht seh’ ich Sie selber noch einmal auf freiem Boden drüben, mit Axt oder Pflug in der Hand, wie ein wackerer, richtiger Farmer.»



 «Wen – m i c h ? » rief aber Kellmann ordentlich erschreckt aus. «Ich nach dem vermaledeiten Lande, das alle unsere besten Bürger frißt? Nein, Mathes, für dies Leben nicht – aber wann geht Ihr fort? Vielleicht läßt Euer Vater doch noch mit sich reden und lenkt ein, wenn er sieht, daß es Euch wirklich Ernst ist.»



 Mathes schüttelte mit dem Kopf und der Aktuar rief :



 «Ein Bauer und einlenken, Kellmann? – Da kennt Ihr unseren deutschen Bauer nicht, worauf der einmal seinen Dickkopf gesetzt hat, da muß er durch, und wenn’s nicht geht, so zerhaut er sich eben den Schädel, aber er läßt nicht nach. Der alte Vogel und nachgeben; Du lieber Gott, wenn er den eigenen Sohn mit einem einzigen Wort vom Verderben retten könnte – er spräch’ es nicht.»



 « Na, da kann ich wohl auch meine Bude hier bald zuschließen und mitgehen», sagte Lobsich, sich den Kopf kratzend. «Schwerebrett, das ist mir – hm – hm – ist mir doch ‘was Unbedeutendes, das – das Amerika.»



 «Und was sagt denn das Käthchen dazu?» frug Kellmann jetzt Mathes, während die Übrigen schon aufgestanden waren und sich zum Fortgehen gerüstet hatten.



 «Die weint und will nicht mit», sagte Mathes leise. «Aber sie wird schon gehen.»



 «Sie will nicht mit?»



 «Sie meint, es bräche meinem Vater das Herz.»



 «Das Herz brechen? – Dem alten Vogel?» lachte aber dieser verächtlich. «Na, Gott sei Dank, die hat einen guten Begriff von ihm – als ob dem etwas das Herz brechen könnte!»



 «Nun, es fragt sich nur jetzt, wem sie es lieber bricht», meinte der Aktuar. «Dem Alten, wenn sie geht, oder dem Jungen, wenn sie bleibt – die Wahl wird ihr nicht schwer werden. Aber, Schollfeld, Ihr seid ja auf einmal so still geworden?»



 «Ach, laßt mich zufrieden», brummte dieser ärgerlich, «weiß es Gott, man möchte am Ende selber mit hinüberlaufen, um nur nichts mehr von dem verwünschten Auswandern reden zu hören.»



 «Hahaha!» rief da Kellmann. «Schollfeld bekommt auch überseeische Ideen!»



 «Überseeische – hätte bald ‘was gesagt», knurrte dieser aber, dem Gartentor zugehend, ohne weder Mathes noch Lobsich gute Nacht zu sagen.



 Die Übrigen wechselten noch kurzen Gruß mit ihren Bekannten dort, zündeten sich frische Zigarren an und schlenderte langsam, um den freundlichen Abend soviel als möglich zu genießen, die Straße hinab, der eigenen Heimat zu.





* * *












Auswanderer verlassen ihr Dorf





Drittes Kapitel





Der Diebstahl.





 Zehn Minuten mochten sie so etwa schweigend nebeneinander hergegangen sein, als hinter ihnen auf der Straße eine Equipage

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 und klappernde Hufschläge gehört wurden, die sie rasch einholten und an ihnen vorbeirauschten, eine dicke Staubwolke dabei über den Weg wälzend. Es war die Familie Dollinger mit dem neben dem Wagen hingallopierenden Fremden, dem Bräutigam der Tochter.



 «Die kommen schneller von der Stelle, als die armen Auswanderer vorhin», sagte Kellmann, als sie vorbei waren. «Wetter noch einmal, es ist doch ein anderes Ding, so ein paar flüchtige Rappen vor sich zu haben und wie im Flug durch die Welt zu jagen, als mit einem schweren Packen auf dem Rücken und wunden Füßen vielleicht mühselig die staubige Straße entlang zu keuchen.»



 «Ja, die Gaben sind ungleich verteilt in der Welt», seufzte der Aktuar, «was der eine haben m ö c h t e , h a t der andere schon, und das ist auch wohl das ganze Geheimnis der sozialen Frage; läßt sich aber nun einmal nicht ändern, und wir dürfen vielleicht den Kopf darüber schütteln und wünschen, daß es anders wäre, aber weiter eben nichts.»



 «Der auf dem Pferd war der Dingsda von Amerika», sagte der Apotheker jetzt, «der das schmähliche Geld hat und des reichen Dollinger Tochter noch dazu heiratet. Soll mir noch einmal einer sagen, daß Eisen der stärkste Magnet sei; Gold ist’s, und wo das liegt, zieht es anderes hin.»



 «Und wie steht’s mit Aktien?» lachte Kellmann.



 «Bah – bleibt immer dasselbe», brummte der Apotheker, «das Gold steckt darin und kann durch einen sehr einfachen chemischen Prozeß leicht herausgezogen werden – wenn man sie hat.»



 «Es wundert mich übrigens, daß der alte Dollinger sein Kind über das große Wasser hinüberziehen läßt», meinte der Aktuar. «Dem hätte es doch auch hier im Lande nicht an einer ebenso guten Partie gefehlt.»



 «Liebe», meinte Kellmann achselzuckend, «Liebe ist blind, sagt ein altes Sprichwort; dagegen lassen sich eben keine Gründe anbringen. Wär’s übrigens auch nicht wegen des großen Wassers, der Bursche gefällt mir außerdem nicht und ich möchte ihm meine Tochter nicht geben und wenn er bis über die Ohren in Gold stäke. Er hat ein verschlossenes, hoffärtiges Wesen, behandelt den gemeinen Mann wie einen Hund und spricht von allem, was wir hier haben, unseren Einrichtungen, unseren Gesetzen, unseren Vergnügungen selber, ja unserem Klima und Land, das doch zum Henker auch s e i n Vaterland ist, mit der größten Verachtung. Amerika, und immer wieder Amerika, hinten und vorn, ei, Blitz und Hagel, ich will gar nicht leugnen, daß es manche gute Seiten haben mag, das Amerika, wenn i c h sie auch gerade nicht einsehen kann, aber so viel besser wie unser Deutschland ist es doch auch nicht drüben, und wenn’s so einem Burschen da einmal zufällig geglückt ist, sollt’ er nicht als Lockvogel sich hier mitten zwischen uns hineinsetzen, um anderen vernünftigen Leuten unglückselige Ideen in den Kopf zu pflanzen.»



 «Wenn sich andere vernünftige Leute solche Ideen einpflanzen l a s s e n , geschieht’s ihnen ganz recht», sagte der Apotheker. «Man braucht nicht zu glauben, was jeder dahergelaufene Lump eben sagt.»



 «Nun, g a n z ohne kann’s aber auch nicht sein», meinte Kellmann kopfschüttelnd, «und ich – ich halt’ es immer für gefährlich. ‘s ist merkwürdig, wie rasch sich das mit der Hochzeit gemacht hat.»



 «Nun, wer sich die Braut gleich fix und fertig aus dem Wasser zieht, hat leicht freien», sagte der Aktuar. «Glück muß der Mensch haben, dann geht alles wie am Schnürchen; wer aber d a s nicht hat, der mag sein Lebtag fischen und fängt doch nichts – am wenigsten aber solch’ einen Goldfisch.»



 «Wo stammt er denn eigentlich her?» frug der Apotheker jetzt, wie sie wieder eine Weile schweigend nebeneinander hingegangen waren. «Man hört doch sonst eigentlich gar nichts von ihm und er kommt auch mit keinem Menschen weiter zusammen – stolzer, aufgeblasener Bursche der!»



 «Gott weiß es», sagte der Aktuar, «er ist, glaub’ ich, mit einem holländischen Schiff herübergekommen und hatte einen Paß von Amsterdam.»



 «Und der Paß lautete nach Heilingen?»



 «Nun, nicht gerade nach Heilingen, aber doch nach der Residenz, und wie sich die Sache dann hier mit der Dollinger’schen Familie gestaltete, nun, lieber Gott, da drückte der Stadtrat das eine und die Stadtverordneten drückten das andere Auge zu, und man sah nicht so genau nach den Papieren. Überdies verzehrte er ja hier viel Geld. Wär’ es ein armer Teufel gewesen, hätten wir ihn wahrscheinlich schon bald wieder über die Grenze gehabt.»



 «Hm, ja, glaub’s», sagte Kellmann, mit dem Kopf nickend; «’s ist in Heilingen eben nicht anders, wie – wie anderswo – warum auch?»



 Das Gespräch drehte sich von da ab auf die städtischen Einrichtungen, deren wärmster Verteidiger der Apotheker war, und über die sich der Aktuar natürlich nur sehr vorsichtig ausließ, während sie Kellmann umso unnachsichtiger angriff; kam dann auf die Saat und die Preise, und wieder mit einem Seitensprung auf die jetzige Politik unseres lieben deutschen Reiches, bis sie das Tor, und zwar gerade mit Sonnenuntergang erreichten, wo jeder seinen Weg ging, die eigene Heimat aufzusuchen.



 Der Aktuar Ledermann besonders, der an dem entgegengesetzten Ende der Stadt wohnte, beeilte seine Schritte, um noch vor einbrechender Dunkelheit seine Wohnung zu erreichen; das Gerücht ging nämlich in der Stadt, daß ihn seine Ehehälfte bei solchen Gelegenheiten oft sehr unfreundlich empfange und ihm einmal sogar schon einige sonst sehr nützliche, bei d e r Gelegenheit aber nichts weniger als passende häusliche Geräte entgegen- und vor die Füße geworfen habe. Tatsache war, daß ,Madame’ oder Frau Aktuar Ledermann, was auch ihres Gemahls Tätigkeit und Ansehen a u ß e r h a l b seiner eigenen vier Pfähle sein mochte, i n n e r h a l b derselben jedenfalls das Kommando, und nicht immer mit Mäßigung führte, und der Aktuar suchte den Hausfrieden wenigstens soviel als möglich zu erhalten und jeden Anlaß zu irgendeiner Störung derselben zu vermeiden.



 Mit solchen Gedanken vielleicht im Kopf, wollte Ledermann eben vom Marktplatz aus in die Straße einbiegen, an deren äußerstem Ende seine eigene, sehr bescheidene Wohnung stand, als er seinen Titel genannt und sich selber rufen hörte:



 «Herr Aktuar – Herr Aktuar Ledermann!»



 Er drehte sich rasch um und sah einen Gerichtsdiener eilig auf sich zukommen, der, die Mütze abnehmend, vor ihm stehen blieb und ihm meldete, daß er eben abgeschickt worden, ihn zu holen oder aufzusuchen, da ein Einbruch geschehen sei, über den an Ort und Stelle Protokoll aufgenommen werden solle.



 «Protokoll aufnehmen?» sagte Aktuar Ledermann, keineswegs angenehm überrascht. «Ja, was hab’ i c h denn heute damit zu tun, wo ist mein Kollege?»



 «Herr Aktuar Beller sind heute Nachmittag unwohl geworden», berichtete der Polizeidiener, «und mußten nach Hause gehen; ich bin eben abgeschickt, um zu sehen, welchen von den anderen Herren ich zuerst treffen könnte.»



 «Hm – ist sehr amüsant», brummte Ledermann vor sich hin. «Kommt mir gerade apropos. Bei wem ist es denn?»



 «Bei Herrn Dollinger.»



 «Was ? – Beim Kaufmann Dollinger?» rief der Aktuar rasch und erstaunt. «Am hellen Tage, während er ausgefahren war?»



 «Er ist, wenn ich nicht irre, eben nach Hause gekommen», berichtete der Mann, «und hat, glaub’ ich, sein Pult geöffnet und eine bedeutende Summe Geldes entwendet gefunden.»



 «Hm, hm, hm», sagte der Aktuar kopfschüttelnd und seinen Rock dabei, den er der Bequemlichkeit wegen aufgelassen hatte, zuknöpfend, «es wird immer besser hier bei uns; am hellen, lichten Tage! Aber die ganze Stadt steckt auch voll fremden Volkes, das sich natürlich keine Gelegenheit entschlüpfen läßt, Reisegeld zu bekommen.»



 «Es muß doch wohl jemand gewesen sein, der mit dem Hause genau bekannt war», sagte der Polizeidiener. «nach dem wenigstens, was ich bis jetzt von den Dienstleuten darüber gehört habe, kann’s nicht gut anders sein.»



 «Nun, wir werden ja sehen; da muß ich aber erst….»



 «Wenn sich der Herr Aktuar nur an Ort und Stelle bemühen wollen», sagte jedoch der Diener des Gerichts. «Alles nötige ist schon dorthin geschafft, und ich war eben nur fortgelaufen, um einen der Herren zu suchen.»



 Der Aktuar, dem Dienste natürlich Folge leistend, seufzte tief auf und schritt, im Geist wahrscheinlich des Empfangs gedenkend, der seiner harrte, wenn seine Frau auf ihn mit dem Abendessen warten mußte, rasch die Poststraße hinaufbiegend, dem gar nicht weit entfernten Dollinger’schen Hause zu, um dort den Tatbestand in Augenschein und zu Protokoll zu nehmen, etwaige Spuren des Übeltäters zu entdecken und zu verfolgen, und die Leute im Hause nach möglichem Verdacht zu inquirieren.





* * *





 Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger, in dem alles sonst so still und ruhig und wie am Schnürchen zuging, wo jeder seine angemessene und fest bestimmte Beschäftigung hatte, genau wußte, was ihm oblag, und das tat, ohne eben viel Lärm darum zu machen, lief und rannte und sprach heut alles durcheinander, und sämtliche Bande der Ordnung schienen gelöst.

 



 Frau Dollinger vor allen Dingen lag in Krämpfen in ihrem Boudoir und beanspruchte die Hilfe ihrer beiden Töchter und der weiblichen Dienstboten im Haus, um ihren Zustand zu bewachen; Herr Dollinger selber war in seinem Zimmer des oberen Stocks und ging dort mit raschen Schritten und auf dem Rücken gekreuzten Armen auf und ab, während dem jungen Henkel indessen die Bewachung des Platzes übertragen war und die anderen Dienstboten, mit einem nicht unbedeutenden Teil der Nachbarschaft und deren Verwandten, in den verschiedenen Winkeln und Ecken des Hauses umherstanden, und kopfschüttelnd die Hände ein über das andere Mal in Verwunderung zusammen-schlugen. Die verschiedenartigsten Vermutungen und Beweise wurden da laut, und die Orte und Stellungen oder Beschäftigungen jedes Einzelnen auf das Genaueste und Peinlichste angegeben, wo und wie sich jeder gerade in der Zeit etwa befunden haben mochte, als die entsetzliche, verruchte Tat geschehen und vollbracht sein mußte.



 Dem Aktuar mit dem ihm folgenden Gerichtsdiener wurde übrigens willig und dienstfertig Platz gemacht; alle wollten aber hinterdrein, und die Frauen besonders gaben dabei durch die entschiedensten Ausrufe: «Ne, Du meine Güte!» und «Ne, so ‘was!» ihre vollkommenste Mißbilligung des Geschehenen zu erkennen. Nichtsdestoweniger wurde auch selbst ihnen die Tür vor der Nase zugemacht, und einer der Bedienten bekam strenge Ordre, die Hausflur zu räumen und niemand mehr, so lange die Untersuchung dauere, die Treppe hinaufzulassen, ausgenommen, es wisse jemand noch um den Diebstahl und könne irgendeinen Fingerzeig geben, um den Dieben auf die Spur zu kommen. Solche Zeugen sollten nachher vernommen werden.



 Oben an der Treppe empfing sie Herr Henkel, um sie gleich an den Ort, wo der Diebstahl verübt worden, hinzuführen. Einer der Leute war indessen abgeschickt, um Herrn Dollinger selber zu rufen, und dieser erschien jetzt, den Aktuar freundlich grüßend.



 Es war indessen schon ziemlich dunkel und im Zimmer Licht angezündet worden.



 «Ich bedaure sehr, Herr Dollinger», sagte der Aktuar, «daß, wie ich gehört habe, eine so fatale Sache mich hier in Ihr Haus führen mußte.»



 «Ja, allerdings», erwiderte der alte Herr, «ist es sehr unangenehm; weniger des Verlustes wegen, der sich allenfalls ertragen ließe, als wegen des Bewußtseins getäuschten Vertrauens, mit selbst keinem gewissen Anhaltspunkt auf Verdacht. Ich wollte gern das Doppelte verloren haben, wenn es hätte auf andere Weise geschehen können.»



 «Das Ganze ist übrigens mit einer raffinierten Geschicklichkeit ausgeführt», fiel Henkel hier ein, «und der Täter, wer auch immer, jedenfalls ein höchst gefährliches Subjekt, von dem ich nur hoffen will, daß wir ihm auf die Spur kommen.»



 «Dürfte ich Sie bitten, mir den Platz zu zeigen?»



 «Treten Sie hier in das Zimmer meiner Töchter; dort der Sekretär ist erbrochen.»



 «Hm – mit einem breiten, meißelartigen Instrument», sagte der Aktuar nach kurzer Besichtigung der offenen, arg beschädigten Mahagoniplatte, «und die Tür ebenfalls eingebrochen?»



 «Nein – die Tür ist unbeschädigt und muß jedenfalls mit einem Nachschlüssel geöffnet sein.»



 «Und was vermissen Sie in dem Sekretär?»



 «Eine Summe Geldes, die ich erst vor wenigen Stunden, und im Beisein meiner Familie und eines zuverlässigen Komptoirdieners, im Paket wie ich sie von der Post erhalten, hier eingeschlossen hatte, und von welcher der Dieb auf eine mir unbegreifliche Weise muß Kenntnis erhalten haben.»



 «Wer ist dieser Komptoirdiener?»



 «Oh, Loßenwerder; Sie kennen ihn ja wohl?»



 «Loßenwerder», sagte der Aktuar nachdenkend, «ist wohl schon eine ganze Weile in Ihrem Geschäft?»



 «Schon zwölf Jahre; mit keinem Schatten irgendeines Verdachts. Ich nahm ihn als einen ganz jungen Burschen in mein Haus; er muß aber gegen irgendjemand davon gesprochen haben.»



 «Hm, hm, wollen ihn doch einmal nachher besehen; also hier hinein hatten Sie das Geld gelegt?»



 «Es ist ein Sekretär, den meine Töchter gemeinschaftlich benutzen, und zu dem jede von ihnen ihren Schlüssel hat. Bitte, lieber Henkel, lassen Sie doch einmal Sophie oder Clara einen Augenblick zu uns herüberrufen.»



 «Ich habe schon das Mädchen geschickt, eine der jungen Damen ersuchen zu lassen», entgegnete der junge Henkel, der indessen im Zimmer umhergegangen war und sich überall umgesehen hatte, ob nicht vielleicht der Dieb doch irgendeine Spur, irgendein Zeichen hinterlassen habe, an das man sich später einmal halten könne.



 «Und vermissen Sie weiter nichts als das Geld?» frug der Aktuar.



 «Auch ein Schmuck meiner ältesten Tochter scheint mit geraubt zu sein», sagte Herr Dollinger. «Aber da kommt Clara, die Ihnen das Nähere davon selber angeben wird.»



 Clara betrat in diesem Augenblick das Gemach; sie sah totenbleich und angegriffen aus, und Henkel eilte ihr entgegen, sie zu unterstützen.



 «Clara, mein liebes armes Kind», sagte Herr Dollinger, auf sie zugehend und die Hand nach ihr ausstreckend, «fehlt Dir etwas? – Der Schreck hat Dich wohl so angegriffen. Mach’ Dir doch nur keine Sorge, mein Herz; vielleicht bekommen wir alles wieder, und wenn nicht – nun ein U n g l ü c k ist es dann auch nicht. Wenn Ihr mir nur alle gesund bleibt, können wir die paar tausend Taler schon verschmerzen.»



 «Es ist nicht der Verlust, lieber Vater», sagte aber das junge Mädchen, sich gewaltsam zusammennehmend und des Vaters Hand ergreifend, «nur die Überraschung, der Schreck wahrscheinlich, und das – das Unheimliche dabei, als ich mein Zimmer vorhin betrat und die Spuren des verübten Verbrechens entdeckte. Ich fürchtete die entsetzlichen Menschen noch irgendwo zu sehen, die vielleicht hinter einer Gardine stehen, unter einem der Divans liegen, hinter einem Ofen kauern konnten und, wenn entdeckt, zu verzweifelter Gegenwehr getrieben mich anfallen würden, und all’ solch’ kindische Gedanken mehr. Dort der auf den Tisch geworfene Regenschirm dabei, die heruntergeworfene Stickerei von dem Sekretär selber, am meisten aber der Tabaksgeruch im Zimmer und die verlöschte, angerauchte Zigarre dort auf dem Fensterbrett erfüllten mir das Herz mit einem unbeschreiblichen Grausen.»



 «Eine Zigarre?» sagte Ledermann, sich vergebens nach dem bezeichneten Gegenstand umschauend. «Wo lag sie?»



 «Dort im Fenster, als ich zurückkam.»



 «Die alte angerauchte Zigarre?» sagte Henkel rasch. «Die hab’ ich zum Fenster hinausgeworfen; ich glaubte einer der Dienerschaft hätte sie in der Aufregung mit hereingebracht und dort abgelegt – sie muß unten auf der Straße liegen.»



 «Bitte, schicken Sie doch einmal einen Burschen danach, daß er sie heraufholt», sagte der Aktuar. «Man darf auch das Unbedeutendste nicht unbeachtet lassen, und wir wollen indessen die vermißten Gegenstände aufnehmen. Das Geld?»



 «Davon gibt Ihnen dieser Brief das genaue Verzeichnis», sagte Herr Dollinger. «Aber ich fürchte fast, daß wir durch das Geld selber nicht auf die Spur kommen werden, indem das Paket fast nur Gold und kleinere Banknoten enthielt, die leicht umzusetzen und schwer zu kontrollieren sind. Eher hoffe ich durch den Schmuck den Dieb verraten zu sehen, da, wie ich höre, einige sehr auffällige Stücke dabei gewesen sind.»



 «Dürfte ich Sie um eine genaue Angabe derselben, heute Abend noch, wenn irgend möglich, s c h r i f t l i c h bitten?» erwiderte, nach einigem Besinnen, der Aktuar. «Diese Einzelheiten würden mich jetzt zu lange aufhalten.»



 «Kannst Du das geben, Clara?»



 «Bis auf die kleinste Nadel hinunter», sagte das junge Mädchen rasch, «besonders auffällig war eine kleine, rundum mit Brillanten besäte Brosche, ein Erbstück unserer Großmutter, und ausgezeichnet vor jedem anderen Schmuck, den ich noch in meinem ganzen Leben gesehen, durch einen in der Mitte gefaßten, genau dreieckigen, hellblauen und wundervollen Türkis. Mein Schmuck lag gleich dich

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