Nach Amerika! Bd. 1

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«Das ist allerdings glücklich», sagte der Aktuar, «wäre wohl auch des Mitnehmens wert gewesen. Lag gleich dabei?»

«Hier in dem roten Kästchen.»

«Aber das ist auch geöffnet worden.»

«Das? – Nein, das hab’ ich wohl selbst geöffnet, nachzusehen, ob auch alles darin sei, und nicht wieder ordentlich geschlossen. Die Haken waren allerdings auf, wenn ich mich nicht ganz irre, aber der Dieb hat keinesfalls eine Ahnung gehabt, welchen Wert das kleine, unscheinbare Kästchen enthalte, oder es stände jetzt nicht mehr da.»

«Sehr wahrscheinlich, hm – aber Sie vergessen wohl nicht, mein Fräulein, alle diese Einzelheiten besonders zu notieren; wer weiß, ob sie nicht noch einmal wichtig werden. Ah, da kommt auch Herr Henkel wieder; haben Sie die Zigarre gefunden?»

«Gott weiß wo sie ist!» lachte dieser. «Irgendjemand muß es doch noch der Mühe wert gehalten haben sie aufzuheben und in einer Pfeife vielleicht zu verrauchen – ich bin selber hinunter gegangen, kann sie aber nirgends mehr entdecken. Übrigens ist es auch fast dunkel geworden, und ich werde morgen ganz früh nachsuchen lassen. Der Stummel wird Ihnen freilich nicht viel helfen.»

«Man weiß nicht», sagte der Aktuar kopfschüttelnd, «je nach der Güte des Tabaks ließe sich vielleicht auf die Schicht der menschlichen Gesellschaft schließen, in der sich unser heimlicher Besuch herumtriebe. Aber das ist allerdings Nebensache; wo also ist der Dieb hereingekommen? – Hier durch diese Tür?»

«Doch wohl vom Garten her durch das Fenster Eures Schlafzimmers», sagte Herr Dollinger, «denn durch das Haus würde er sich am hellen Tage im Leben nicht getraut haben.»

«Aber ich möchte meine Seligkeit zum Pfande setzen, daß ich den Schlüssel, der nach unserer Schlafkammer führt, ehe wir fortgingen, herumgedreht und stecken gelassen hätte, so daß von innen ein Öffnen unmöglich war.»

«Und war die Tür noch verschlossen, wie wir zurückkamen?»

«Nein, nur ins Schloß gedrückt, aber der Schlüssel stak darin.»

«Hm, hm, hm – dann ist der Bursche wahrscheinlich dort hinaus», sagte der Aktuar, «zur Tür hier hereingekommen und dort zur Notröhre hinaus – hm, muß aber genau mit der Gelegenheit bekannt sein. Mein lieber Herr Dollinger, wir werden Ihre Leute doch ein wenig scharf ins Gebet nehmen müssen, denn ein g a n z Fremder kann sich die Zeit nicht so abgepaßt haben.»

«Wo kommt der Blumenstock her?» sagte da plötzlich Clara rasch und erstaunt, auf einen sehr schönen Rosenstock deutend, der in ihrem Fenster zunächst der Tür stand. «Wer hat den jetzt hier heraufgestellt?»

«So lange wir hier sind, niemand», rief Henkel. «War er vorher nicht da?»

«Nicht heute Mittag, das weiß ich gewiß; aber vielleicht hat ihn eins der Dienstleute mir heimlich hereingesetzt.»

«Heimlich? – So ?» sagte der Aktuar. «Den freundlichen Geber wollen wir also vor allen Dingen einmal herauszubekommen suchen.»

«Es ist heute mein Geburtstag», sagte Clara leise und errötend.

«Ohr !» meinte Herr Ledermann mit einem freundlichen Lächeln. «Da tut es mir freilich leid, meine ganz ergebensten Gratulationen zu keiner angenehmeren Zeit vorbringen zu können; will eben nicht passen bei einer solchen Untersuchung, kann es aber doch auch nicht geradezu hinunterschlucken. – Ich gratuliere eben nicht zur Untersuchung.»

«Es muß gewiß ein gesegnetes Land sein», sagte Henkel mit einem leisen, halb boshaften Lächeln, «wo die Polizei sogar witzig sein kann.»

«Hm», meinte der lange Aktuar, sich nach dem Sprecher umdrehend, «die Polizei macht eben keinen Anspruch darauf, und ist das meistens Privateigentum. Aber wir wollen die Zeit nicht mit Allotrien vergeuden; ist nicht herauszubekommen, wer den Blumenstock hier während Ihrer Abwesenheit in das Zimmer gesetzt hat?»

«Jedenfalls müssen die Dienstboten darum wissen», sagte der junge Henkel, «und es wird das Beste sein, sie einzeln darum zu befragen.»

«Allerdings – Einzelverhör hat überhaupt viele Vorteile; bitte, schicken Sie einmal die Leute herauf, daß man vor allen Dingen ihre Gesichter zu sehen bekommt.»

«Aber nicht hier, Väterchen, nicht war, nicht hier in meiner Stube?» bat Clara. «Ich würde den fatalen Gedanken im Leben nicht wieder los.»

«Wir wollen in das untere Zimmer hinuntergehen», sagte Herr Dollinger, freundlich dem Wunsch der Tochter nachgebend. «Es läßt sich das dort ebenso gut abmachen als hier.»

«Manchmal ist der Platz des Verbrechens selber der geeignetste», warf der Aktuar ein, «aber wie Sie wünschen – nur um Eins möchte ich Sie noch vorher bitten: daß ich mir einmal die Stelle oder das Fenster ansehen darf, durch das sich, Ihrer Vermutung nach, der oder die Diebe entfernt haben könnten.»

«In unserem Schlafzimmer?»

«Doch durch diese Tür?»

«Lieber Henkel, Sie sind wohl indessen so freundlich, meine Leute untern zusammenzurufen; wir kommen gleich hinunter. Sie werden heut viel belästigt.»

«Aber ich bitte Sie, bester Herr Dollinger», sagte der junge Mann, rasch seinen Hut aufgreifend, «wenn ich Ihnen nur darin von irgendeinem wirklichen Nutzen sein könnte. Lieber erlauben Sie mir vielleicht mit Ihnen einer möglichen Spur zu folgen, denn meine Augen sind darin vielleicht schärfer als manche andere.»

«Es wird in der Dunkelheit nicht eben mehr viel zu spüren geben», meinte indes der Aktuar, «das werden wir uns müssen auf morgen früh aufsparen – also jetzt noch das Fenster, wenn ich bitten darf – ich möchte mir nur die Gelegenheit einmal von oben besehen.»

Clara selber öffnete die Tür und führte den Aktuar mit ihrem Vater in das kleine freundliche Gemach, dessen beide schon von Blätter schießenden Weinranken überzogene Fenster auf den Garten hinaussahen. Das eine Fenster war allerdings geöffnet gewesen, aber der Rankenwuchs so dicht zusammenge-zogen, daß sich ein Körper kaum hätte hindurchzwingen können. Die Höhe nach dem Garten hinunter – und gerade unter dem Fenster sollte ein kleiner Rasenplatz sein – war eben nicht beträchtlich, vielleicht zehn oder zwölf Fuß, und unten umgab niederer, aber ziemlich dichter Hollunder den Rasen. Im Zimmer selber ließ sich aber nicht das Mindeste erkennen, das einen solchen Verdacht unterstützt hätte; das Einzige, was dafür sprach, war die aufgeschlossene Tür.

In der Unterstube des Hauses waren indessen die Dienstleute versammelt worden, um streng examiniert zu werden. Der Hausmagd vor allen anderen lag die Pflicht ob, die Etage, wenn sie nach unten in die Küche ging, in Abwesenheit der Herrschaft verschlossen zu halten. Diese aber behauptete steif und fest, und weinte dabei und rief Gott und alle Heiligen zu Zeugen an, daß sie die Vorsaaltür auch ordentlich ,zweimal herum’ abgeschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt hätte, und niemand in der weiten Gotteswelt gesehen habe, der das Haus in der Zeit betreten haben könne. Trotzdem aber sei die Vorsaaltür, als sie wieder nach oben gekommen, offen, wenigstens aufgeschlossen, wenn auch zugeklinkt gewesen, und sie hätte selber im Anfang nicht begreifen können, wie das möglich wäre, aber auch nicht weiter darüber nachgedacht und es ihrer eigenen Unaufmerksamkeit zugeschoben. Nach der Abfahrt der Herrschaft sei sie aber nur eine ganz, ganz kurze Zeit unten geblieben, um – sie wollte erst nicht mit der Sprache heraus, aber der Herr Aktuar drängte gar zu sehr – um den jungen Herrn Henkel fortreiten zu sehen. Nachher mochte sie vielleicht noch zehn Minuten der Köchin geholfen haben und war dann nicht wieder von dem Vorsaal oben fortgekommen, auf dessen Balkon sie gesessen und genäht hatte. In d e r Zeit habe niemand mehr den Vorsaal oder des Fräuleins Zimmer betreten, darauf wollte sie das heilige Abendmahl nehmen, und der Diebstahl müsse jedenfalls in den paar Minuten, die zwischen dem Fortreiten des jungen Herrn und ihrem eigenen Wiederhinaufgehen nach oben gelegen hätten, verübt sein – anders war es nicht möglich.

«Wer aber hat den Blumenstock in des Fräuleins Zimmer gestellt?»

«Einen Blumenstock? – Während die Herrschaft fort war?»

«Allerdings, eine Monatsrose – in das Fenster nächst der Tür.»

Der d a s getan hat, müsse damit zum Fenster oder in derselben Zeit mit einem Nachschlüssel zur Tür hereingekommen sein, als der Diebstahl verübt worden, denn s i e hätte keine Seele im Hause gesehen.

Die Dienstboten hatten indessen miteinander geflüstert, als der Aktuar das Wort nahm und mit langsam bedächtiger, aber ziemlich ernster Stimme sagte:

«Hört einmal, Leute, ich will Euch etwas sagen: Ihr habt Euch da gut unschuldig stellen, als ob Ihr eben erst auf die Welt gekommen wäret; damit dringt Ihr aber nicht durch. Das Geld ist fort – I h r seid die einzigen, die unter der Zeit im Haus waren, und Eure Pflicht wäre es gewesen….»

«Aber, Herr Aktuarius….»

«Ruhe da, wenn ich Euch etwas mitzuteilen habe – und Eure Pflicht wäre es gewesen, sag’ ich, aufzupassen, daß niemand Fremdes den Platz betrat, der Euch anvertraut war und für den Ihr also auch in der Zeit zu stehen hattet. Jemand i s t aber in der Zeit dagewesen und hat etwas gebracht und etwas geholt, und man wird sich jetzt an E u c h halten müssen, bis der Jemand ausfindig gemacht ist. – Was gibt’s da hinten – w a s ist gekommen?»

«Dullmanns Rieke von über dem Weg drüben», sagte die Köchin jetzt, gegen den Aktuar vortretend, «will den Loßenwerder haben heimlich aus dem Haus schleichen sehen. Da h a b e n Sie einen; u n s brauchen Sie so etwas nicht unter die Nase zu reiben, Herr Aktuar – wir sind ehrliche Dienstboten, die sich ihr bißchen Brot sauer genug im Schweiße ihres Angesichts….»

«Ach, halt’ Sie das Maul!» fiel ihr aber der Aktuar etwas unsanft in die Rede. « W e r ist im Haus gewesen, Loßenwerder? – Und heimlich hinausgeschlichen? – W e r hat ihn gesehen?»

 

«Hier die Rieke von Dullmanns.»

«Wann war das?» fragte der Aktuar das jetzt vorgeschobene Mädchen, das feuerrot wurde und ihren einen Schürzenzipfel anfing wie einen Plumpsack zusammenzudrehen. Erst ganz kurze Zeit vorher hatte sie einer ihrer Freundinnen im Dollinger’schen Haus, und gewiß nicht in der Absicht, die Mitteilung gemacht, gleich damit, ohne weitere Warnung, vor die Polizei gezogen zu werden.

«Nun, Mamsell – wie hieß sie? – Rieke? – Wann haben Sie Loßenwerder aus dem Haus kommen sehen, und ist er ruhig hinausgegangen oder geschlichen ?»

«Wenn Loßenwerder im Haus war», sagte Herr Dollinger, «so wird er auch ordentlich hinaus g e g a n g e n und nicht geschlichen sein; der wäre der Letzte, dem ich so etwas zutrauen möchte.»

«Die Rieke behauptet», fiel aber hier die Köchin in dem Bewußtsein unrechtlich gekränkten Ehrgefühls rasch ein, «daß sie gar nicht auf ihn geachtet haben würde, wenn er sich nicht so schnell und heimlich und dicht unter den Fenstern am Hause hingedrückt hätte. Wer kein böses Gewissen hat, kann gerade und offen gehen.»

«Sie sind aber gar nicht gefragt, zum Henker noch einmal», rief der Aktuar, jetzt ungeduldig werdend. «Wenn Sie jetzt nicht ruhig sind, lasse ich Sie so lange hinausführen, bis wir Sie wieder brauchen. Hier, Mamsell Rieke, wenn Sie sich die Schürze abgedreht haben, dann seien Sie so gut und sagen Sie uns einmal, wo und wie Sie den Herrn Loßenwerder gesehen haben.»

«Ich – ich weiß nicht gewiß», stammelte das Mädchen verlegen, «aber – aber Loßenwerder – kam, bald nachher wie die Herrschaft fortgefahren war… »

«Wie lange nachher?» frug der Aktuar.

«Etwa eine halbe Stunde denk’ ich – vielleicht nicht so lange – kam er viel rascher, als es sonst seine Art ist, denn er geht gewöhnlich immer sehr langsam – kam er – kam er aus der Tür heraus, die er geschwind hinter sich zuzog – und dann…. »

«Und dann?»

«Und dann hielt er den Kopf nieder, als ob er nicht wollte, daß ihn jemand, der vielleicht von oben heruntersähe, erkennen möchte – hielt er den Kopf nieder und drückte sich – drückte sich dicht am Haus hin, so schnell er konnte die Straße hinunter, und um die Ecke.»

«Und nachher?» frug der Aktuar.

«Nu, um die Ecke kann sie doch nicht sehen», sagte die Köchin.

«Ob S i e still sein wird», sagte Herr Ledermann jetzt aber wirklich böse gemacht. «Wenzel, wenn mir die Person da jetzt noch einmal das – noch einmal den Mund auftut, dann wissen Sie, was Sie zu tun haben.»

«Sehr wohl, Herr Aktuar», sagte der Gerichtsdiener.

«Und sind Sie denn nachher nicht herübergekommen und haben das den Leuten im Hause gesagt, was Sie gesehen?» frug der Aktuar.

«Ich habe ja aber nichts gesehen», sagte die Rieke.

«Sie haben doch den Loßenwerder gesehen.»

«Ja, aber der geht doch so oft in das Haus hier herein, und kommt nachher immer wieder heraus.»

Der Aktuar warf sich ungeduldig herüber und hinüber und sagte endlich mürrisch:

«Unsinn – barer Unsinn – aber hatte er denn irgend etwas in der Hand? T r u g er etwas ?»

«Trug ? – Ja – ja sehen Sie, Herr Aktuar – das kann ich Sie nicht sagen – das weiß ich nicht.»

«Nun, Sie werden doch gesehen haben, ob er irgendein schweres Paket in der Hand hatte oder nicht.»

«Ja, sehen Sie, das weiß ich Sie wahrhaftig nicht, aber ich glaube es fast», sagte das Mädchen, «denn ich habe den Herrn Loßenwerder eigentlich noch gar nicht anders gesehen, als daß er irgend ‘was getragen hätte, und wenn’s nur ein paar Briefe gewesen wären oder ein Regenschirm.»

«Lieber Herr Aktuar, ich glaube Sie sind da auf einer falschen Fährte», sagte Herr Dollinger jetzt. «Man kann einem Menschen allerdings nicht ins Herz sehen, aber für den Loßenwerder möchte ich fast selber einstehen.»

«Mein bester Herr Dollinger», sagte aber der Aktuar kopfschüttelnd, «es ist das mit den Untersuchungen eine wunderliche Sache, und Leute, auf die man am allerwenigsten gedacht, von denen man nie das geringste Unrecht vermutet hatte, kommen da oft in den sonderbarsten Verwicklungen vor und – sind schuldig. Ich selber kenne Loßenwerder als einen ordentlichen, braven Menschen, und will zu Gott hoffen, daß dieser ganze Verdacht unbegründet ist; das heimliche Schleichen aus dem Haus aber, und daß ihn niemand sonst im Haus gesehen hat, macht ihn verdächtig. Meine Pflicht ist es wenigstens, ihn selbst deshalb zu vernehmen, und ich werde jedenfalls noch heut Abend nach ihm schicken müssen. Unsere Eisenbahnverbindungen sind jetzt zu schnell, und man darf keiner Menschenseele mehr zwölf Stunden Vorsprung lassen, wenn man nicht oft das leere Nachsehen haben will.»

«Passen Sie auf», sagte Herr Dollinger, «der Loßenwerder wird den Blumenstock zum Geburtstag Claras oben hinaufgetragen haben, und zum Dank dafür kommt der arme Teufel jetzt noch in den Verdacht des fatalen Diebstahls.»

«Wie aber ist er ohne Nachschlüssel in die verschlossene Tür gekommen?» warf der Aktuar ein.

«Hm», sagte Herr Dollinger, «das weiß ich freilich nicht – nun, fragen Sie ihn selber, das wird jedenfalls der kürzeste Weg sein.»

«Um das Verzeichnis der gestohlenen Gegenstände dürfte ich Sie dann vielleicht nachher noch bitten.»

«Meine Tochter wird es gerade schreiben», sagte Herr Dollinger, «wenn Sie nur noch kurze Zeit warten wollen.»

«Dann dürfte ich Sie wohl bitten, es mir gleich in meine Wohnung zu schicken», meinte der Aktuar nach kurzer Überlegung. «Ich muß noch vor allen Dingen erst in meine Wohnung und werde dann von da gleich noch einmal ins Büro gehen. Wo ist denn der Loßenwerder wohl am leichtesten zu finden?»

«Ich habe eben nach seinem Hause geschickt», sagte Herr Dollinger, «aber dort ist er nicht. Paul, der Bursche, behauptet, er ginge manchmal, aber selten, in eine Bierstube an der Ecke Rößnitzer- und Hertzergasse18, aber dort war er auch nicht. Es ist übrigens an beiden Orten bestellt, ihn gleich, sowie jemand seiner ansichtig wird, hierher zu schicken.»

«Sehr wohl», sagte der Aktuar, seine Papiere zusammenpackend und sie dem Gerichtsdiener übergebend, nach kurzer Begrüßung wollte er sich dann eben entfernen, als er noch einmal in der Tür stehen blieb und, sich scharf auf dem Absatz herumdrehend, fragte:

«Apropos – r a u c h t Loßenwerder?»

«So viel ich weiß, n i c h t », sagte Herr Dollinger.

«Doch ja, manchmal», sagte einer der Leute. «Sonntags nach Tisch zum Beispiel regelmäßig eine Zigarre.»

«Hm, so?» sagte der Aktuar und verließ dann rasch das Zimmer und Haus.

Er hatte übrigens auch alle Ursache sich zu beeilen, denn daheim wartete ein mit jeder Minute drohender aufsteigendes Unwetter auf ihn, das er mit einer Art von verzweifelter Hoffnung immer noch mit den dem Gerichtsdiener wieder zu dem Zweck abgenommenen und geschäftsmäßig unter den Arm geklemmten Akten-Streifen abzuleiten gedachte. Jedenfalls m u ß t e ihm der Vorfall im Dolleringer’schen Haus, der so viel von seiner Zeit in Anspruch genommen, entschuldigen. Frau Aktuar Ledermann aber hatte sich schon den ganzen Nachmittag über, mit immer wachsender Ungeduld, vorgenommen gehabt, mit ihrem Gatten geben Abend einen der vor der Stadt gelegenen Gärten, wo Konzert sein sollte, zu besuchen, und die Partie war ihr jetzt – was halfen alle Gründe dagegen – zu Wasser geworden. Es verstand sich von selbst, daß Aktuar Ledermann die Schuld, und deshalb auch die Folgen trug.

Frau Aktuar Ledermann hatte sich übrigens vor einigen Tagen, wo sie trotz des nassen Wetters und allen Vorstellungen ihres Mannes spazieren gegangen war, furchtbar erkältet und brachte keinen lauten Ton über die Lippen. Das aber, und daß sie ihren gerechtfertigten Ingrimm nicht mit der vollen Kraft ihrer Stimme hinaus g i e ß e n konnte über den Gatten, wie sie es – und er auch – gewohnt war, sondern alles das, was sie ihm zu sagen hatte – und sie hatte ihm viel zu sagen – hinaus f l ü s t e r n mußte, reizte ihren Zorn nur noch immer mehr.

«Aber, liebes Kind, ich versichere Dir», sagte der Aktuar in einem vergeblichen Versuch den ansteigenden Sturm zu beschwichtigen, «daß ich mich über anderthalb Stunden bei dem verwünschten Diebstahl im Dollinger’schen Hause aufgehalten habe und…. »

«Und i c h versichere Dir», zischte sie, mit einem Gesicht, dem die Anstrengung, die es sie kostete, die Worte hörbar zu machen, einen noch viel unfreundlicheren, ja sogar boshaften Ausdruck gab, «daß ich Dich vor anderthalb Stunden schon geradeso erwartet habe wie jetzt, und seit d r e i Stunden vollkommen angezogen dasitze und auf Dich passe.»

«Aber Du b i s t ja gar nicht angezogen, beste Therese.»

«Weil ich mich wieder a u s gezogen habe », rief die Frau, «glaubst Du, ich soll mir ein Beispiel an einem liederlichen Menschen nehmen, und bei Nacht und Nebel noch draußen herumstreichen, wie Leute, die das Licht zu scheuen haben ? – Und dann mit meinem Katarrh – daß ich mir den Tag über im warmen Sonnenschein ein wenig Bewegung machte, das fällt Dir nicht ein; aber nachts, wenn der schädliche Tau niederfällt, der für mich gerade Gift wäre, da möchtest Du mich wohl noch hinausschleppen, nicht wahr? Damit ich nur recht schnell unter die Erde käme – oh ich armes, unglückseliges Weib!»

«Aber Therese, Du bist unbillig, ich habe Dir doch angeboten heute Nachmittag mit mir nach dem Roten Drachen hinauszugehen.»

«Weil Du wußtest, daß das nichtsnutzige Geschöpf von einer Wäscherin mir mein Kleid nicht vor vier Uhr bringen würde», zischte die Frau.

«Aber Du hast ja noch andere.»

«Am Sonntag zum Skandal der anderen Menschen mit einer solchen F a h n e zu einem anständigen Vergnügungsort hinausziehen, nicht wahr ? - D i r läge natürlich nichts daran, was die Leute über Deine Frau sagten ; aber Du bist auch an anderen Orten lieber wie zu Hause, und statt Deiner Frau einmal ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten und nachher mit ihr zusammen auszugehen, mußt Du natürlich grad ins Wirtshaus laufen und ein bißchen vor Mitternacht dann wieder nach Hause kommen.»

«Liebes Kind, es ist jetzt halb neun Uhr», sagte der Aktuar ruhig, «dann aber, Therese», fuhr er nach kleinem Zögern mit einer fast gewaltsamen Anstrengung fort, «bist Du teilweise selbst mit schuld daran, d a ß ich mir eben außer dem Hause mein Vergnügen suchen m u ß.»

«I c h ?» wollte die Frau erstaunt rufen, der etwas zu hoch eingesetzte Ton blieb aber total aus, und Ledermann sah nur, mit der entsprechenden Gestikulation, das zum Höchsten erstaunte Gesicht der Gattin. Dadurch aber vielleicht, und durch die ungewöhnliche, freilich erzwungene Stille, etwas mutiger gemacht, fuhr er entschlossen fort:

«Ja, liebes Kind, Du, denn anstatt Deinem Mann, wenn er von seinen Berufs-geschäften ermüdet nach Hause kommt, den Aufenthalt daheim zu einem freundlichen zu machen, in dem er gerne bleibt, läßt Dich Dein unglückseliges heftiges Temperament nicht ruhen noch rasten, sondern Du m u ß t irgendeine Gelegenheit vom Zaune brechen, mit mir zu zanken. Gebricht es Dir aber vollkommen an Stoff, was jedoch nur in höchst seltenen Fällen zu sein scheint, so bist Du mürrisch und verschlossen, machst ihm ein finsteres, verdrießliches Gesicht und sprichst kein Wort.»

Sprachlos nur vor Zorn und Staunen über die unerhörte bodenlose Frechheit, hatte die Frau indessen dem heute so redseligen Gatten (der aber nicht dabei zu ihr aufzuschauen wagte, sondern bald die rechte, bald die linke Ecke der Stube mit den Augen suchte) angesehen. Es war eine allerdings noch jugendliche schlanke, aber eher magere als volle Gestalt, die Frau Aktuar Ledermann, mit etwas vorstehenden, wenigstens stark markierten Backeknochen und durchdringend scharfen, wenn auch kleinen, lichtgrauen Augen, die Lippen schmal und um den Mund in vielen kleinen Fältchen zusammengezogen, das Kinn jedoch etwas zurückstehend, was ihr ein besonderes und n i c h t eben angenehmes Profil gab. Auch in ihrem Anzug ließ sie sich zu viel gehen; der Zauber reinlicher Kleidung fehlte ihr, der selbst der ärmlichsten Tracht etwas Nettes, Freundliches gibt; die Krause, die das oben am Hals dicht anschließende Kleid einfaßte, war schon mehrere Tage getragen und verdrückt, ebenso zeigten die Manschetten Spuren längeren Dienstes, und die Haube saß ihr verschoben und zu viel zurückgedrängt auf dem nicht überreich mit Haaren bedeckten Scheitel. Frau Aktuar Ledermann war nicht hübsch, und der Affekt, der ihre Züge in diesem Augenblick mehr entstellte als belebte, nahm ihnen leider auch die letzte Spur sanfter Weiblichkeit, die sonst doch wohl noch hier und da darin verborgen lag. Der bis jetzt mehr durch Erstaunen als Mäßigung nieder-gekämpfte Zorn gewann aber auch endlich die Oberhand, und während die Anstrengung, sich bei ihrer Heiserkeit gehört zu machen, ihr Antlitz fast dunkel färbte, keuchte sie, die Arme in die Seite gestemmt, den Oberkörper gegen den überrascht einen Schritt zurückweichenden Gatten vorgebeugt:

 

«Spreche kein Wort, h e ? Sagt der Herr? – Prahl da ,wenn er von B e r u f s-geschäften nach Hause kommt’ – spreche kein Wort? – Sitzt in der Kneipe den ganzen gesegneten Nachmittag – im Roten Drachen, und das nennt er Berufsgeschäfte; vertrinkt das Geld, das wir hier zum notwendigsten Leben brauchten, und wirft mir jetzt meine Heiserkeit vor, die mir der Himmel geschickt hat, oder mein böses Glück, dem ich auch einen solchen Mann verdanke – daß ich kein Wort spreche und verdrießlich bin. Ich soll wohl t a n z e n, he? – Wenn mir das Herz zum Zerspringen voll ist vor Jammer und Elend daheim, und wenn ich den ganzen Tag dasitze und brüte und denke, wie wir auskommen wollen mit den paar Groschen, die zum Sterben und Verhungern zu viel, zum Leben aber zu wenig sind. Dann soll ich nachher, wenn der gestrenge Herr sein Gesicht zeigt, lachen und vergnügt und lustig sein, nur damit der Haustyrann sich nicht unbehaglich fühlt in s e i n e n vier Wänden.»

Heftiger Husten unterbrach hier die Zornesrede der Frau, der die übermäßig angestrengte Luftröhre den Dienst versagte, und der Aktuar Ledermann nahm still und schweigend, den Moment benutzend, ein Licht von dem kleinen Seitenschrank, zündete es an der Lampe an und verließ kopfschüttelnd und seufzend das Gemach, sich auf sein eigenes kleines Stübchen zurückzuziehen.

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