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Pfarre und Schule. Erster Band.

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»Ich will mein Möglichstes thun, ihn davon zu überzeugen, daß es Euch von Herzen leid thut, ihn so ungerechter Weise beschuldigt zu haben –«

»Rächt so, Schulmeester!« rief der Bauer – »Ihr sidd en ganzer Kerl, un Eier Schade sills ooch nich sin – verstanden? Aberscht Herr Je – was kläwet Jär denn hiar in dar Ecke? – Das Mächen fengt grade widder an zu singen – Dunnerwetter! die singt schiane, da is unsen Vursänger, unsen Karl Gottlob saine Stimme Haberstroh dagegen – kommt Schulmeester – weeß Heppchen, 's geht grade los – ich will nur oben 'rim gähn, un mei Bier runger holen.«

Und damit schüttelte der Bauer dem jungen Lehrer noch einmal herzlich die Hand, nickte dem anderen vertraulich zu, und drängte sich rasch durch die Menge nach der Stelle hin, wo des alten Musikanten Tochter eben ein kleines, wehmüthig klingendes Lied, aber mit so süßer, schmelzender und glockenreiner Stimme sang, daß die beiden Freunde selbst ihre Unterhaltung darüber vergaßen und erstaunt den wunderlieblichen Tönen lauschten.

Das Mädchen war zwar noch in dasselbe ärmliche Gewand gekleidet, wie wir sie im zweiten Kapitel mit ihrem Vater gefunden, aber sie ging jetzt im bloßen Kopf, das dunkle volle Haar glatt auf der weißen Stirn gescheitelt, und den Shawl fest und dicht um ihre Schultern gezogen, daß er den oberen, zerrissenen Theil ihres Gewandes vollkommen verhüllte, und schlank und zart stand so die edle Gestalt des armen Kindes an den einen Pfeiler des niederen Orchesterdaches gelehnt, und schaute, als sie das kleine Lied beendet, still und schweigend vor sich nieder.

»Das sin immer so kurze Dinger,« sagte da ein reicher Bauer aus Horneck, der dicht daneben an seinem Tische saß, und mit tiefem Athemzug den schäumenden Bierkrug eben von den Lippen genommen hatte – »wenn mer äben glaubt es sille recht ordentlich lus gähn, dann is es g'rade widder aus – weeß de Jungfer nischt langes?«

»Ja – en langes Lied, mit recht viele Värsche« – fielen hier noch ein paar andere junge Bauerburschen ein – »daß mer ooch de Melodie behalten kann – un nich so traurig.«

»Sing doch einmal die ›Fahrt in's Heu‹, Marie,« stieß sie der Vater an – »das hören sie gerne.«

Marie schüttelte leise mit dem Kopfe –

»Nu? – wolln mer noch en Bischen?« frug der Bauer.

»Die Ballade, Vater!« flüsterte die Tochter – während dieser die auf das Knie gestellte Geige stimmte. –

»Ach, das langweilige Ding,« brummte der Alte, Marie trat aber einen Schritt von ihm zurück, hüllte sich fester in ihr Tuch, und schien entschlossen zu sein; das Publicum wurde dabei ungeduldig und Meier, der wohl einsah, daß er sich fügen mußte, nahm die Violine in die Höh', und stimmte nach kurzem Vorspiel eines jener reizenden schottischen Volkslieder an, die erst nur einzeln zu uns herüber geklungen sind und das Herz mit so süßer, schmerzlicher Wehmuth erfüllen. Die Tochter lauschte den Tönen erst mehrere Secunden lang und ihre Hand folgte fast unwillkührlich dem Tact des Liedes, bis sie endlich am Schlusse des Vorspiels mit anfangs leiser, dann aber immer bewegterer und schwellenderer Stimme einfiel:

 
Es steht am Meeresstrande
Eine stille bleiche Maid,
Barfuß im kalten Sande
Mit flatternd dünnem Kleid.
 
 
Und auf die schaumzersprühten
Und krausen Wogen aus
Streut sie zerpflückte Blüthen
Aus einem frischen Strauß.
 
 
Und wie mit den empfangenen
Die Welle naht und flieht,
Singt sie mit unbefangenen
Tönen ein leises Lied:
 
 
»Mein Lieb, in Meeresgründen,
Komme, o komm zu Licht,
Der Strauß hier mag Dir's künden,
Ich bin's! – Hörst Du mich nicht?
 
 
Ich bin's, in Windeswehen,
In Sturmgeheul und Graus
Schaut ich, nach Dir zu sehen,
Mir bald die Augen aus.
 
 
Die Leute spotten meiner,
Ich sei im Geist verwirrt,
Weil ich hier harrend Deiner,
So lang' umhergeirrt.
 
 
Sie wissen's nicht, die Thoren,
Daß so, wie wir geliebt,
Und so, wie wir geschworen,
Es keine Trennung giebt.
 
 
So komm, laß mich nicht länger
Vom Frost durchschauert hier,
Wo's mich nur bang' und bänger
Hinunter zieht zu Dir.
 
 
O, höre Lieb mein Flehen,
Schon netzt die Fluth den Fuß,
Sende in Sturmeswehen
Treuer Liebe den Gruß!
 
 
Ha! – klang nicht aus dem Grimme
Des Meers der theure Laut? –
Das – das war seine Stimme!
Hier ist – hier kommt die Braut!«
 
 
Am stillen öden Strande,
Vom Fluthenstrom umzischt,
Am Muschelkies und Sande
Bricht sich der Wellen Gischt.
 
 
Doch auf den schaumzersprühten,
Und krausen Wogen hin,
Treibt, zwischen Blum' und Blüthen
Die todte Sängerin!
 

Marie schwieg, als sie das Lied vollendet, und nahm den Blick nicht auf von dem Boden, an dem er haftete. Einzelne der Zuhörer applaudirten, und Hennig war von dem einfachen Liede so ergriffen worden, daß er fühlte, wie ihm die großen hellen Thränen in die Augen traten – er bückte sich unter irgend einem Vorwande, sie heimlich weg zu wischen, denn er schämte sich – wußte er doch selbst nicht weshalb – seiner Schwäche.

Aus der, vor dem Orchester stehenden Schaar von jungen Leuten bog sich aber plötzlich unser alter Freund Strohwisch, der bis dahin mit seinen papageigrünen Glacehandschuhen sehr zur Belustigung der überall in den Obstbäumen hängenden Hornecker Jugend aus Leibeskräften applaudirt hatte, so weit, als es ein dicht vor ihm stehender dicker Bauerbursche gestattete, nach dem Mädchen vor und flüsterte:

»Bravi, bravi mein holdes Kind, – ganz vortrefflich – aber viel zu traurig – ich bin selbst humoristischer Schriftsteller und weiß den Werth eines heiteren Liedes zu schätzen – singen Sie uns einmal etwas Lustiges – bitte meine Holde, etwas Lustiges!«

»Ja wahrhaftig, was Lustiges!« stimmten eine Menge Ladenschwengel aus der Stadt, mit rothen Gesichtern und noch viel rötheren Fäusten, ein – »bitte Mamsell, was Lustiges!«

»Sehn Sie, mein Fräulein, einstimmig angenommen,« lächelte Feodor und holte dabei ein Blatt Papier aus der Rocktasche – »hier haben Sie etwas Lustiges – Melodie: ›Ich bin der Doktor Eisenbart‹, ein wunderhübscher Text – pikant witzig – die Menge muß es bringen.«

»'Raus mit das Lustige!« rief der kleine Bauer, der dicht vor Strohwisch stand, »'raus dermit, juchhe!« und den Hut schwang er dabei in der Luft, sprang in die Höh und kam gerade wieder auf Feodors einem Hühnerauge nieder, daß dieser laut aufschrie und mit dem emporzuckenden Knie dem dicken Burschen dermaßen unter den letzten Rückenwirbel fuhr, daß er ihn jählings bis dicht an das Orchestergeläude ansandte.

Das Gedränge ließ aber keine Zeit zu weiteren Erörterungen – die Menge war augenscheinlich fest entschlossen »was Lustiges« zu hören und da auch der Wirth nicht weit von dem Orchesterplatz auf einen Stuhl trat und mit den Armen nach dem Mädchen hinübertelegraphirte – denn überschreien ließ sich der Lärmen nicht, – da drang auch Meier selber in die Tochter und fuhr sie endlich, da sie sich immer noch weigerte, mit rauher unfreundlicher, aber nichts destoweniger unterdrückter Stimme heftig an:

»Donnerwetter, dumme Liese – was stehst Du da und läßt den Kopf hängen wie eine geknickte Levkoye – siehst Du nicht was der Wirth da drüben herüber winkte? Willst Du etwa, daß wir heut Abend hungrig zu Bett gehn sollen? Dunkel wirds auch schon – das fehlte noch, daß Du Dich an zu zieren fingest – da – hier ist der Wisch, Du wirst's wohl eben noch lesen können, – na – wird's?« – Und ein häßlicher Fluch entfuhr seinen Lippen und färbte die Wangen des bleichen Kindes mit höherer Röthe. Der Alte hatte aber indessen die Geige genommen, das Lied präludirt und der Gesang des Mädchens fiel in die absichtlich schrill und komisch gehaltenen Töne des Instruments mit einem Wohllaut ein, der die Worte des faden Liedes Lügen strafte, und von ihren Lippen klang, als ob es wäre auf einer Orgel gespielt worden.

Eine ganze Menge Verse mußte das arme Kind der rohen Zuhörerschaar vorsingen, und nach jedem Refrain jauchzten und jubelten sie, und zugleich stellte sich bei ihr selber der alte fatale Husten wieder ein und gab dem Fleck auf ihren Wangen eine eigene fliegende Röthe. Endlich war das Lied beendet, rauschender Applaus schallte ihr von allen Seiten entgegen, und mit ängstlicher Verbeugung, das Tuch noch fester um sich herziehend, stieg sie die schmalen Stufen herunter, um das Papier dem Eigenthümer wieder zurück zu geben.

Freund Strohwisch stand aber noch immer in wüthenden Applaus versenkt, seinen linken Glacehandschuh hatte er schon im wahren Sinn des Worts geopfert, denn das papageigrüne Leder war, wie ob solcher Behandlung verzweifelt, auseinandergefahren.

»Bravi, bravi – excellentissime!« schrie er dabei kirschroth vor Freude und sein Hut, der ihm grad oben auf dem kurzen struppigen Haar saß, zog sich durch eine eigene Bewegung der Stirnmuskeln, bis fast dicht auf die buschigen Brauen hernieder, so daß seine Augen unter dem Rande wie eine Schildkröte, die sich eben in ihr Schild zurückgezogen hat, hervorsahen. –

»Hier mein Herr!« flüsterte Marie und reichte ihm den zerknitterten Zettel. –

»Ah – vortrefflich – vortrefflich – außgeßeignet« – rief rasch, und sich galant gegen das arme Kind verbeugend, der Ritter im afrikanischen Burnus – »Sie haben wirklich entschiedenes Talent zum Heiteren, mein Fräulein – erlauben Sie, daß ich vielleicht –«

Unter der Hand glitt sie ihm fort und zwischen den Männern hin dem Hause zu, in dessen jetzt schon dunklen Räumen sie verschwand, und Hennig, der, seit er zu dem Stand getreten war, lautlos den Tönen des fremden Mädchens gelauscht hatte, wandte sich langsam nach seinem Gefährten um und verließ mit diesem die Menge.

 

»Das arme Kind« brach Kraft endlich das Schweigen – »scheint auch bessere Tage gesehen zu haben – es ist gar hartes und saueres Brod den Leuten etwas vorzusingen und zu spielen, wenn's Einem gleich gar nicht wie singen und spielen um's Herz ist – wenn mich das ungewisse Abendlicht nicht getäuscht hat, so ist die Arme auch noch dazu krank, oder wenigstens schwach und leidend, was für eine gottvolle Stimme sie hat; o wie müßte die singen können, wenn's ihr so recht aus voller jubelnder Brust herausquölle und nicht – durch ein kaltes, todtes Maschinen- und Räderwerk herausgetrieben würde.«

»Kraft« sagte Hennig und legte seine Hand auf dessen Arm – »ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mich das letzte Lied ergriffen hat.«

»Das letzte? Das fade humoristisch sein sollende Ding?« sagte der alte Schulmeister erstaunt.

»Ergriffen« fuhr Hennig fort »weil ich mich dabei des Gedankens nicht erwehren konnte, es sei so, als ob man eine Leiche schlage.«

»Das soll in Rußland noch manchmal vorkommen, wenn der zur Knute Verurtheilte unter den Streichen stirbt und die ihm zugetheilte Quantität doch empfangen muß« erwiederte Jener zusammenschaudernd – »brrrr, mir läufts eiskalt dabei über den Rücken hinunter – das ist ja ein fürchterlicher Vergleich!«

»Das arme Mädchen sollte etwas ›Lustiges‹ singen, weil der langweilige Gesell vor ihr wahrscheinlich eins seiner eigenen Produkte, oder irgend etwas Aehnliches vorgetragen wünschte, und wenn ihr auch das Herz vor innerem Weh zu brechen drohte, die Lippen mußten dem wässrigen Liede Worte geben. – Heiliger Gott, ich fühle ordentlich, wie ihr das in die Seele schnitt.«

»Auch mir fiel der ernste Ausdruck des Mädchens bei dem Liede auf« sagte Kraft, »aber ich schrieb ihn mehr der gleichgültigen Gewohnheit des täglich Vorkommenden zu. – Doch – alle Wetter – was giebt es da? – Wahrhaftig, des Doctor Levi Stimme, der wahrscheinlich wieder eine seiner Philippiken gegen Gott und die Welt vom Stapel laufen läßt?«

»Der Doctor scheint es allerdings zu sein« rief Hennig – »hier muß aber etwas Ernstes vorgefallen sein – das Volk ist so aufgeregt, wie ich es noch nie gesehen.«

Die Männer schritten rasch einem dichten Menschenknäul näher, der durch immer neu hinzuströmende Massen mit jedem Augenblick mehr anzuschwellen schien. Aus diesem aber drang ihnen bald in verworrenen Stimmen der Ruf entgegen – »Das Ministerium hat abgedankt« und Einer jauchzte es dem anderen zu, Einer nahm von den Lippen des Anderen die willkommene Kunde; denn was die Herzen der Jugend mit lauter jubelnder Siegeslust erfüllte, das fachte selbst in den Herzen der älteren Männer freudige, kaum geträumte Hoffnungen an. Es war für sie, für ihr Land das erste Zeichen der siegreichen Revolution und mit dem Sturz der verhaßten glaubten sie nun auch eine bessere Zeit erwarten zu dürfen.

Ein Mann aber vor allen Uebrigen schien förmlich außer sich vor lauter Jubel und Siegeslust, und das war der Doctor Levi. – Vor dem Tanzsaal, in der zweiten Abtheilung des Gartens, hatte er sich in die auszweigende Gabel eines knorrigen Apfelbaums geschwungen, und mit seiner weitgellenden, dünnen, lispelnden Stimme, welche von der telegraphenartigen Bewegung der Arme würdig accompagnirt wurde, schleuderte er seine Ideenfülle in die, über solchen Eifer fast noch mehr als über die Nachricht erstaunte Schaar der Bauern hinaus. Ueber die erduldete Schmach sprach er, die bis jetzt den Namen Deutschlands geschändet hätte, über die kommende Größe Deutschlands jubelte er, über seine Einigkeit und seinen Sieg, über den Phönix, der aus der lodernden Gluth der Knechtschaft erstanden sei, und sich nun in erneuter Jugendschöne dem freien reinen Aether entgegenschwingen werde.

Die Bauern verstanden keinen Satz davon, aber die Worte Sieg, Knechtschaft, erduldete Schmach etc. etc. gaben ihnen einen ungefähren Begriff von dem, was eigentlich gemeint sei, und ein lautes donnerndes Hurrah – sie hatten sich lange nicht so herzhaft schreien hören – füllte jede Pause, in der der kleine hitzige Mann für einen Moment rasten mußte, um nur wieder Athem zu schöpfen und frische Kräfte zu sammeln.

Von dem Lärmen angelockt, strömten immer mehr Männer und auch Frauen aus dem Dorfe herbei und die Versammlung wuchs so von Minute zu Minute. Unterdessen geschah aber in Horneck selber etwas, das seiner Bewohner Interesse noch fast mehr in Anspruch nahm als selbst die Ministerkrisis, da es den Leuten gewissermaßen vor der eigenen Thüre passirte, und sie selber mithandelnde Personen oder doch Zuschauer sein konnten. Dazu muß ich aber etwas weiter ausholen und will deshalb ein anderes Kapitel beginnen.

Zwölftes Kapitel.
Die Gutsherrschaft

Die Kirche war eben ausgelauten und die frommen Leute, die den Nachmittagsgottesdienst beigewohnt, gingen raschen Schrittes zu Hause und freuten sich den ganzen Weg auf die braune Kaffeekanne, die, wie sie recht gut wußten, jetzt in der verschlossenen Röhre stand und zischte und brodelte. Die fröhliche Knabenschaar sprang jauchzend über den grünen Plan und neckte und tollte in muthwilligem sprudelnden Jugendmuthe, während die Mädchen, verschämt unter sich kichernd und lachend, zwei und zwei gar züchtig den Steg hielten, und sich erst da trennten, wo die Pfade links und rechts und gerade aus nach den verschiedenen Theilen des Dorfes hinunter führten.

Auch Fritz, des Jägers Sohn, schritt raschen Schrittes zwischen ihnen hin, aber nicht aus der Kirche kam er, denn die Doppelflinte hing ihm auf der Schulter, und auch nicht freundlich, wie er sonst gewohnt, nickte er herüber und hinüber, sondern mürrisch und augenscheinlich mit recht finsteren, ärgerlichen Gedanken beschäftigt, eilte er, ohne aufzusehn von seinem Pfad, oder das herzliche und oft gerufene »Gott griß Uech« auch nur einmal anders als mit stummem Kopfnicken zu beantworten, rasch den steilen Seitenpfad zum Gut hinunter, über den Hof hin und stand bald darauf im Vorsaal des hohen höchst elegant eingerichteten Gebäudes, das der Eigenthümer des Rittergutes im Sommer regelmäßig, manchmal aber auch sogar den ganzen Winter hindurch bewohnte.

»Ist Herr von Gaulitz zu Hause,« frug er hier einen grämlichen Bedienten, der mit einem ganzen Arm voll Teller gerade aus der Stube kam.

»Bei Tische,« lautete die lakonische, mürrisch genug gegebene Antwort des Alten, der, ohne den »Grünrock«, wie er ihn unten in der Küche titulirte, weiter eines Blickes zu würdigen, langsam und gravitätisch durch die andere Thüre verschwand.

»Das fehlte auch noch,« murmelte Fritz, ging zum Fenster, setzte sich dort auf den Sims und stellte, den Kopf müde an den eingeklappten Laden stützend, die Flinte zwischen seine Knie, wo er sie bequem mit der Hand halten konnte. Der Bediente kam indeß wieder zurück, ging in die Stube, kam nach etwa einer halben Stunde zum zweiten Male heraus und blieb jetzt, nachdem er durch kurze Seitenblicke vergebens gesucht hatte, die Aufmerksamkeit des jungen, geduldig harrenden, aber ganz mit seinen Gedanken beschäftigten Jägersmannes auf sich zu lenken, dicht vor diesem stehen und sagte mit scharfer, näselnder Stimme und mit recht hämischem Tone:

»Der junge Herr hat wohl gar nichts weiter zu thun?«

»Nein,« erwiederte trocken dieser, ohne seine Stellung im Mindesten zu verändern, oder auch nur den Kopf nach dem Frager herumzudrehn.

»Hm – verdammt kurz angebunden,« knurrte der Bediente und maß den Jäger mit tückischem Blicke – »hat wohl heute einmal gefällig Nichts zu betteln von der gnädigen Herrschaft.«

Fritz antwortete Nichts, nur die Finger seiner einen Hand umklammerten den Flintenlauf etwas fester, während er mit der anderen einen raschen Marsch auf dem Fensterbrete trommelte.

»Hat sich auch die Stiefeln wieder nicht abgetreten, der Mosje,« fuhr der Alte, augenscheinlich eine Ursache zum Streit suchend, fort, »und schmiert die fettige Mütze an der weiß und sauber lackirten Wand herum – wir sind hier nicht in der Schenke.«

»Wären wir's,« fuhr aber jetzt der heute überdies nicht gut gelaunte Jäger auf, dem die Geduld doch endlich riß – »so solltest Du sehen, Molch Du, wie ich Dir das ungewaschene Schandmaul stopfte.«

»Alle Wetter!« rief der greise Bediente, vor diesem unerwarteten Angriff zurückprallend.

»Was giebt's da wieder?« sagte aber in diesem Augenblicke die Stimme des Gutsbesitzers und Oberpostdirectors von Gaulitz, »könnt Ihr denn nicht die paar Minuten, die Ihr hier zusammenkommt, in Ruh' und Frieden verbringen? – Komm herein, Fritz, und Du Peter bekümmerst Dich um Deine Teller und Schüsseln und treibst Dich künftig nicht auf dem Gange hier herum, wenn Du anderweit zu thun hast.«

Er trat rasch in das Zimmer zurück und der Jägerbursche, der seine Flinte vorher in die Fensterecke gelehnt hatte, folgte ihm dort hinein und blieb auf der Schwelle stehen.

»Laß mir den Alten in Ruh',« redete ihn hier, gleich beim Eintritt, der gestrenge Herr von Gaulitz an – »Du hast fortwährend an ihm herumzuhäkeln.«

»Halten zu Gnaden,« platzte Fritz heraus – »der alte Schuft peinigt mich, wo er mich sieht, bis auf's Blut, weil ich seinen Sohn Karl bei Schulmeisters –«

»Ich verbitte mir in meiner Gegenwart alle Schimpfworte,« sagte der Herr scharf und streng, »und Ruhe jetzt – ich habe nicht Deine Anklagen hören, sondern Dir nur die Wiederholung der Excesse verbieten wollen. Ich habe Dich wegen zweierlei rufen lassen.«

»Eure Gnaden zu Befehl,« sagte der Jäger, der nur mit Mühe den gewaltsam aufdrängenden Unmuth verbiß.

»Zuerst,« fuhr der Oberpostdirector fort, »hat der Herr Pastor Scheidler heute erst und zwar wiederholt Klage über Dich geführt, daß Du die Kirche nicht allein regelmäßig versäumst, sondern Deine Frechheit sogar noch so weit treibst, mit der Flinte auf dem Rücken unter seinen Fenstern vorüber zu gehen.«

»Herr Oberpostdirector.«

»Ruhe jetzt – ich will Dich nicht erst darauf aufmerksam machen, wie es schon um Deiner Seelen Heil willen nothwendig wäre, daß Du die Predigt anhörtest und in Dein sündhaftes Herz aufnähmest – Dein Schulmeister hätte Dich das schon von Kindheit auf lehren müssen, wenn der Religionsunterricht nicht gerade durch die Lehrer auf wahrhaft traurige Weise vernachlässigt würde. Nur ermahnt möchte ich Dich hiermit haben, in Gottes und Christi Namen, seinem Rufe zu folgen – meide die Schenke und andere böse Gelüste, die der Versucher Dir entgegen halten könnte und blicke hinauf zum Herrn, der da ist die Liebe und die Herrlichkeit – Amen!«

Der Jäger erwiederte kein Wort und sah nur still und finster vor sich nieder, Herr von Gaulitz aber ging mit andächtig gefalteten Händen ein paar Mal im Zimmer auf und ab, blieb dann plötzlich vor Fritz Holke stehen, sah ihm fest in's Gesicht und fuhr fort:

»Das Andere, wegen dessen ich Dich zu sprechen verlangte, ist die Wilddieberei – der junge Poller hat heute Morgen ein krankes und ein verendetes Reh im Walde gefunden und ist zwei fremden Burschen mit Büchsen begegnet, die sich, wie er mich versichert, nicht einmal sehr vor ihm gescheut hätten, sondern so ruhig ihre Straße gegangen wären, als ob sie auf den gesetzlichsten Wegen wandelten. Das muß mir anders werden, Fritz, oder Ihr, Dein Vater und Du und ich, wir bleiben keine guten Freunde.«

»Halten zu Gnaden, Herr Oberpostdirector,« sagte Fritz jetzt, als der gestrenge Herr schwieg und finster nach ihm hinüberschaute – »die Wilddieberei im Holze ist schlimm, und der Vater und ich wissen das alle Beide gut genug, wir liegen aber auch Tag und Nacht im Holze und an den Holzrändern herum und thun unser Bestes, dem Uebel zu steuern. Ganz es zu heben ist aber uns zweien nicht möglich, das Revier ist zu groß, und die Rausche, die es noch dazu in zwei Theile schneidet, macht es manchmal zur Unmöglichkeit, an allen bedrohten Stellen zugleich zu sein. Wären es übrigens ordentliche Wilddiebe, die regelmäßig hinausgehen und ihr Reh todtschießen, so bliebe das immer schlimm genug, sie thäten aber nicht so großen Schaden und ließen sich auch endlich ausspüren und aufheben, oder doch wenigstens verscheuchen, so aber laufen die Bauern selber mit alten Schrot- und Communalflinten, in die sie klares Zeug laden, draußen herum, knallen auf Alles, was ihnen vorkommt und flicken Rikke und Kalb an, daß es später im Walde elendiglich verkommen muß. Schneidet man dann einmal so einem Burschen den Weg ab und kann er zuletzt gar nicht mehr fort, so wirft er seine alte Flinte, die des Aufhebens gewöhnlich nicht werth ist, in den nächsten Busch und leugnet nun Stein und Bein, selbst einen Schuß gehört zu haben; er ist meistens auch auf seinem eigenen Grund und Boden, und weiß recht gut, daß sich solcher Art nichts gegen ihn ausrichten läßt.«

»Das ist ja eine recht erfreuliche Botschaft,« sagte der Oberpostdirector mürrisch – »da halte ich zwei ausgelernte Jäger, einen alten und einen jungen auf meinem Gute, und muß nun hören, daß die mir ganz aufrichtig und ungenirt melden, die Wilddieberei nehme so überhand, daß es ihnen selbst zu arg würde. Ei zum – mit Verlaub, mein Bursche, ich soll wohl hinausgehen und Euch die Wilddiebe forttreiben, damit Ihr bequemer schlafen könnt.«

 

»Bitt' um Verzeihung, Herr von Gaulitz,« erwiederte Fritz, »das Holz hat fünf Stunden im Umfang und die Rausche nöthigt schon, daß Einer gewöhnlich an jedem Ufer bleiben muß. Eure Gnaden wissen dabei recht gut, wie es die Holzdiebe schon einmal im vorigen Jahre meinem Vater gemacht haben, den sie, weil er allein zwischen sie kam, an einen Baum banden, und die ganze Nacht in der Kälte stehen ließen. In diesem Jahre aber, und nach den Vorfällen in Berlin und Wien, ist mit den Leuten noch weit weniger auszukommen als früher. Heute Morgen traf ich zum Beispiel unten in der Rauschenmühle ein paar Bauern, die mir ganz rund heraus erklärten: die Leute aus der Stadt, die sie zu Abgeordneten wählen wollten, hätten sie versichert, auf ihren eigenen Feldern und in ihren eigenen Gehölzen seien sie nicht allein berechtigt zu jagen, sondern es würde auch in kürzester Zeit ein Gesetz herauskommen, das es ihnen in Wirklichkeit zuspräche, und nächstens gingen sie daher selbst in's Holz und schössen todt, was ihnen in den Weg käme. Ich möchte nun gleich bei Eure Gnaden anfragen, wie ich mich in einem solchen Falle zu verhalten habe, und ob es da doch nicht besser wäre, wenn wir noch ein paar Mann zum Forstschutz herbekämen.«

»Forstschutz? – Das fehlte mir auch noch,« rief der Oberpostdirector, der indessen seinen Geschwindmarsch auf und ab ununterbrochen fortgesetzt hatte, und nun jetzt vor dem Jägersmanne mit finsteren Blicken stehen blieb – »noch mehr Faulenzer ernähren, um die anderen in ihrem Müßiggange zu bestärken, nicht wahr? – Nein, dafür giebt's andere Mittel, wer sich auf meinem Reviere blicken und beim Wilddieben ertappen läßt, dem schießt Du eine Ladung Schrot auf den Pelz. Zum Henker, man muß der Canaille nur einmal zeigen, daß man Ernst macht. Das verwünschte Nachgeben hat schon viel zu viel Unheil angerichtet. Uebrigens habe ich von unserem Ministerium die Nachricht, daß es nach Sockwitz, wo sich erst neulich bedauerliche Zeichen von Anarchie kund gethan, eine Compagnie von der Linie verlegen wolle; das wird die Kerle schon Jesum Christum erkennen lassen.«

»Euer Gnaden,« warf hier der Jäger ein, und spielte verlegen mit dem Genickfängergriffe, der ihm am Gürtel stak – »es ist das mit dem Schießen so eine eigene Sache; todt kann man doch die Menschen eines gestohlenen Hasens oder Rehes wegen nicht gut schießen, und krank? – Flick' ich einem Bauer die Beine mit No. fünf oder sechs an, so vergißt er mir das in seinem ganzen Leben nicht und – würde das Alles wahr, was jetzt die Leute – selbst der Diaconus und der Doctor – von Frankfurt reden, dann bekämen sie sogar das Recht dazu, und nachher könnte unser Einer gar sehen, wo er bliebe, wenn er das ganze Dorf zum Feinde hätte.«

»Nun jetzt hab ich's satt!« rief eben der Gutsherr, der mit immer wachsendem Staunen und Zorn eine solche Neuerungsrede von den Lippen seines Untergebenen gehört hatte – »Was untersteht Er sich! – Er will hier als Jäger dem wilddiebischen Gesindel wohl auch gar noch die Brücke treten? – und was den Diaconus und den Doctor betrifft, so werd' ich mich nach denen näher erkundigen. Potz Donner und Blitzen, das hat mir noch gefehlt.«

»Aber Euer Gnaden, so war es doch gar nicht gemeint, ich wollte ja nur –«

»Nun ich will Dir's wünschen, daß ich Dich falsch verstanden habe. Jetzt fort, wo Du hingehörst, und daß Ihr mir bald Meldung von einem eingefangenen oder bestraften Wilddiebe macht, oder – ich mache Euch für das verlorene Wild verantwortlich. Wo steckt Dein Vater heute?«

»Er ist heute über der Rausche drüben, die Vorbereitung zur Auction der Stockklaftern und Haufen zu treffen, die wir von den, für die Eisenbahn gelieferten Stämmen übrig behalten haben.«

»Aha – also nicht geschont – nur einmal Einem der Bande die Jacke recht tüchtig voll geschossen, und die Uebrigen lassen sich das schon eine Warnung sein – ich vertret' es.«

Die Thür ging in diesem Augenblick auf, und der alte Bediente trat herein.

»Mein Karl ist draußen, Euer Gnaden, er hätte etwas zu melden.«

»Ich empfehle mich, Euer Gnaden« sagte Fritz, und wollte sich entfernen.

»Soll herein kommen – halt, noch Eins, Holke, wie ist denn das gestern Abend mit dem Flüchtling abgelaufen? – Habt Ihr keine Spur wieder von ihm gefunden?«

»Nicht das Mindeste, bis zu Pastors Obstgarten hatten wir ihn getrieben, denn als wir später die Hunde hinein brachten, wurden die laut, und es ließ sich nicht verkennen, daß etwas darin gewesen war; er muß aber zurückgewechselt sein, denn die ausgestellten Posten haben gar Nichts von ihm gesehen. Uebrigens soll er die jungen Damen, wie ich ganz bestimmt weiß, gar nicht angefallen, sondern nur angeredet haben; Fräulein Sophie Scheidler hat das selbst gesagt.«

Die Thür ging auf, und Karl Poller, der Sohn des alten Bedienten, ein bleicher, hagerer junger Mensch mit grünen Augen und dünnen, fast weißen Haaren, trat mit einer tiefen Verbeugung ein, und blieb dann, die Mütze in der Hand drehend, auf der Schwelle neben Fritz Holke stehen. Er that, als wenn er den Jägerburschen gar nicht sähe.

»Nun, Karl, wie ist's? – richtige Fährte?«

»Alles in Ordnung,« grinzte, mit widerlichem Lachen der Angeredete, »der Fuchs steckt richtig im Loch drinnen, ich hab' ihn nicht allein gehört, sondern sogar mit leibhaftigen Augen gesehen.«

»Wahrhaftig? – gut! – herrlich! – dann dürfen wir aber ja keine Zeit verlieren, ihn abzufangen – ruf' mir den Gerichtsschreiber herauf, Karl, rasch – er soll im grünen Zimmer auf mich warten –«

»Sehr wohl, Euer Gnaden,« erwiederte der Bursche, und schwenkte mit rascher Bereitwilligkeit rechts um, blieb jedoch noch einmal stehen und sagte zögernd –

»Bis Dunkelwerden möchten wir aber doch wohl damit warten – ich weiß nicht, die Bauern haben in letzter Zeit ganz andere Reden geführt wie früher.«

»Von denen haben wir Nichts zu fürchten,« lachte der Gutsherr höhnisch, »die hat mir der Pastor so unter der Fuchtel, daß sie sich hüten werden, ein Wort in meine Gerichtsbarkeit hinein zu werfen, doch es mag sein, also nach Dunkelwerden. Allons, marsch!«

Der Bleiche glitt wie ein Ohrwurm zur Thür hinaus, Fritz aber, der zuerst bei dem tölpischen Jagdvergleich desselben verächtlich die Nase gerümpft hatte, konnte doch nicht umhin, der späteren Verhandlung, die jedenfalls irgend ein wichtiges Ereigniß betraf, aufmerksamer zu horchen. Herr von Gaulitz ließ ihn jedoch nicht lange über das, was er bis dahin nur zu errathen gesucht hatte, in Zweifel.

»Siehst Du?« – sagte er, als sich die Thür hinter dem Burschen schloß – »die haben bessere Nasen, als Ihr Jäger mit allen Euren Treibern – die wissen, wo der Flüchtige zu Bau gegangen ist!«

»Wer? – Der, den wir aus dem Walde getrieben?« rief Fritz erstaunt.

»Allerdings, und heute Abend soll er ein sichereres Quartier haben, als sein jetziges ist. Du aber, Fritz, magst ebenfalls in der Nähe bleiben, bis sie den Gefangenen eingebracht haben; nicht etwa, daß ich glaubte er würde sich zur Wehr setzen, oder daß ich irgend eine andere Gewaltthat befürchtete, aber – es ist doch besser. Nach Dunkelwerden sollen sie ihn bringen, und jetzt geh einmal indessen hinauf zum Pastor, und bestell' dort, ich ließe ihn bitten, zum Kaffee herunter zu kommen, seine Tochter, die heute bei uns gegessen hat, bleibt auch noch unten – ich hätte etwas Wichtiges mit ihm zu sprechen.«

»Sehr wohl, Euer Gnaden –«

»Also Holke!«

»Zu Befehl, Euer Gnaden!«

»Haltet mir die Bauern unter; find ich oder Jemand Anderes wieder ein angeschossenes oder verendetes Stück im Walde, ohne daß der Thäter, wenn nicht bestraft, doch angezeigt wäre, so könnt Ihr Euch Beide freuen – Du und Dein Vater –«

Der Jäger erwiederte Nichts weiter darauf, sondern verbeugte sich nur, und verließ das Zimmer.

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