Gold!

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Friedrich Gerstäcker

Gold

Ein californisches Lebensbild

Gesammelte Schriften

Volks- und Familien-Ausgabe Band Eins

der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Umschlagzeichnung von Petr Sadecky © Verlag

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2005 / 2020

1.

Ho! Califormien!

„Land! - Land!" - über die blaue leise wogende See schallte der laute jubelnde Ruf von der Mastspitze nieder, „Land!" - und „Land! Land!" schrie es im jauchzenden Echo nach, in Kajüte und Zwischendeck hinein, und von einem Ende des Decks zum andern.

Noch dämmerte kaum der Morgen; aber eben dieser erste lichte Streifen, der den östlichen Horizont erhellte, hatte auch die noch ferne zackige Küste dem Auge des vom Top ausschauenden Steuermanns verrathen. Schon vor Tag war es ihm auf seiner Wacht so gewesen, als ob er manchmal das dumpfe Rauschen der Brandung höre, wie es die Brise in unterbrochenen Absätzen herübertrug. Deshalb stieg er nach oben, und der dämmernde Morgen zeigte ihm, daß er sich nicht geirrt. Der Jubel, den die frohe Kunde hervorbrachte, kannte keine Grenzen, und auch der alte Seemann freute sich der willkommenen Erscheinung, wenn auch aus einem andern Grunde wie die Passagiere da unten.

„Gott sei Dank," murmelte er vor sich hin, als er langsam an der Want des Fockmastes wieder nieder an Deck stieg, „daß wir die verwünschten Landlubbers, das Passagierpack, nun endlich los werden. Wie die Kerle grölen, daß sie nun bald wieder Schlamm treten können. So viel weiß ich aber, das war die letzte Fahrt, die ich mit einem Passagierschiff /6/ gemacht, und lieber wahrhaftig auf einem alten Walfischfängcr Blubber auskochen, als sich mit solchem Gesindel noch einmal abzuplagen. - Hallo, da kommen sie - jetzt seh' ein Mensch die blinden Maulwürfe an."

Ingrimmig vor sich hin lachend, blieb er noch oben in der Want halten und schaute auf das Deck nieder, wo gerade unter seinen Füßen die Zwischendecks-Passagiere aus der Vorderluke zu Tage drängten. Für den Seemann mochte es auch wohl ein komischer Anblick sein, wie die verschlafenen Gesichter der Leute, noch nicht halb munter, verdutzt umher und in die Höhe schauten, gerade als ob sie einen hohen, ganz nahen Berg mit den Augen suchen wollten. Die Wenigsten wußten dabei, nach welcher Himmelsrichtung sie ausschauen müßten, die ersehnte Küste zu entdecken, und nur als die glänzende Sonne dem Meer entstieg, ließ sich in ihrer Scheibe das scharf und schwarz abgezeichnete Land nicht mehr verkennen. Leider war aber die Brise nicht besonders günstig, die Küste anzulaufen, und die wackere Brig Leontine mußte schräg daran niederhalten, um durch Laviren näher hinan zu kommen. Gegen Mittag bäumte der Wind allerdings etwas auf, und der Bug der Leontine konnte sich mehr der Küste entgegenneigen. Die Brise blieb aber außerordentlich schwach, und das Fahrzeug rückte trotz des ausgeblähten Segels nur langsam von der Stelle.

Den Passagieren durfte man es übrigens nicht verdenken, daß sie der Erlösung von dem engen Schiffsleben entgegenjubelten. Die Leontine, eine deutsche Brigg, hatte, seit sie von Hamburg ausgelaufen, eine Reise von beinahe sechs Monaten gehabt, der ein wöchentlicher Aufenthalt in Rio de Janeiro und Valparaiso allerdings einige, doch nur geringe und viel zu kurze Abwechselung gegeben, und - was versäumten sie indessen nickt Alles an Bord. Jene ersten Auswanderer nach Kalifornien, zu denen im alten Vaterland nur eben auch die ersten, fabelhaft klingenden Nachrichten gefundener Schätze gedrungen waren, hatten noch Alle den Kopf voll goldener Hoffnungen und Träume. In den Minen fanden sie, jener Kunde nach, „eine Unze Gold täglich", und wenn sie diese nur geradehin zu zwanzig Thlr. Pr. Cour, taxirten, ließ /7/ sich eine vollkommen genaue Berechnung aufstellen, um was sie hier in jeder Woche nutzlosen Harrens gebracht wurden.

Endlich, endlich war das so heiß ersehnte Ufer am Horizont in Sicht, und die Leute wogten und drängten jetzt hastig durcheinander, um so rasch als möglich ihre nöthigen Vorbereitungen zum Landen zu treffen. Sie wollten nicht selber noch muthwillig Zeit versäumen.

Kajüte und Zwischendeck hatten sich bis dahin auch ziemlich streng geschieden gehalten; der Capitain des Schiffes gestattete wenigstens unterwegs nie, daß die Zwischendecks-Passagiere das Hinterdeck betraten, wenn er auch den Kajüts-Passagieren nicht verwehren konnte, sich dann und wann unter die weniger begünstigten Reisegefährten zu mischen. Aber auch von dieser stillschweigenden Erlaubniß hatten die ersteren nur sehr spärlich Gebrauch gemacht, bis auf einmal die Nähe des Landes alle derartigen Formen aufzuheben schien. Es war ordentlich als ob die Leute ahnten, daß sie doch jetzt sehr bald alle miteinander „in einen Topf geworfen würden", und Alles drängte vorn nach der Back - dem Ueberbau des Vorpastells gerad' am Bugspriet - um einen möglichst vollen Überblick über die Küste zu gewinnen.

Wie es unter ähnlichen Verhältnissen auf fast allen Passagierschiffen geschieht, so lebten die meisten der Leute auch in dem Wahne, daß sie, das Land kaum in Sicht, auch schon aussteigen könnten, und zum innigen Ergötzen der Matrosen beendeten Viele von ihnen in äußerster Hast ihre „Ufertoilette" - um sie gegen Abend wieder auszuziehen. So standen auch jetzt auf der Back der Leontine eine Anzahl von Menschen in den wunderlichsten Trachten versammelt, und zwar ein Theil von ihnen in Hemdsärmeln oder dünnen Jacken, wie sie gewöhnlich an Bord herumgingen, und Andere wieder mit Röcken oder gar Frack angethan, Stöcke in der Hand und schwarze hohe Hüte auf den Köpfen. Besonders auffallend erschien unter diesen eine Figur, die man an Bord bis dahin kaum bemerkt hatte. Sie trug einen langen erbsgelben, allerdings arg mitgenommenen Mantel, mit einer unbestimmten Anzahl von Krägen jeder Breite. Dieser Mantel, dessen linker Aermel einen hellgrünen baumwollenen und sehr /8/ dicken Regenschirm hielt, ging bis fast auf die Knöchel hinunter und ließ dort ein Paar schwere, mit großen Nägeln beschlagene Stiefeln sichtbar werden, während unmittelbar oben darauf ein schmalrandiger, entsetzlich ausgeschweifter und abgeschabter Hut saß. Ob in dem Hute noch ein Kopf steckte, blieb dahingestellt; äußerlich war wenigstens nichts von einem solchen zu erkennen.

Neben ihm stand ein junger, sehr anständig gekleideter Mann mit sorgfältig frisirten und geölten Haaren, ja selbst in gewichsten Stiefeln, und blickte neugierig fast mehr nach seinem Nachbar als dem Land hinüber. Es kam ihm nämlich sonderbar vor, fast ein halbes Jahr mit allen diesen Leuten auf dem eng gedrängten Schiffe zusammengewesen zu sein, und jetzt plötzlich Jemanden vor sich und an Bord zu sehen, der ihm vollkommen fremd und unbekannt schien. Herr Hufner, wie der junge Mann hieß, war aber zu schüchtern ihn anzureden, bis ein Hamburger - ein Kaufmann wie man munkelte, der, wegen schlechter Geschäfte daheim, bessere in Californien beginnen wollte - ihm ziemlich ungenirt den gelben Mantelkragen etwas zurückschob und dann ganz erstaunt ausrief:

,,Ballenstedt - hol's der Henker - Junge, wie siehst Du aus?"

„Wie soll ich denn aussehen, Herr Lamberg," sagte aber der Mann sehr ruhig, indeß die Umstehenden in ein lautes Gelächter ausbrachen. „Man darf doch wohl seinen Mantel anziehen?"

„Gewiß darf man, mein Bursche," lachte der Hamburger, der noch kein Stück seiner Schiffskleidung abgelegt hatte, „aber wenn Du nicht gerade jetzt bedeutend frierst, hättest Du Dir wohl das Stück Ueberzug mit seinem gewaltigen Fachwerk heute noch ersparen können. Oder willst Du gleich an Land?"

„So wie wir anlegen," sagte der Mann auf das Entschiedenste.

„Und wo ist Dein übriges Gepäck?"

„Hier," antwortete Ballenstedt und producirte unter dem Mantel vor ein in ein rothbaumwollenes Taschentuch einge-/9/knüpftes Bündel und - eine Schaufel, die er jedoch mürrisch wieder verbarg, als er die Fröhlichkeit der Umstehenden bemerkte. Diese hatten aber doch zu viel mit sich selbst zu thun, als aus den wunderlichen Gesellen weiter zu achten, und die Matrosen, die jetzt auf die Back sprangen, die Anker da vorn „klar zu machen", brachen überhaupt die Unterhaltung kurz ab. Der Ort mußte geräumt werden, und die Passagiere zerstreuten sich wieder über Deck, um, hinter der Schanzkleidung vor, nach der immer noch fernen Küste sehnsüchtig hinüber zu schauen.

Eine der hervorragendsten Gestalten unter diesen war ein ältlicher Herr, ebenfalls schon vollständig gerüstet an Land zu gehen, vorläufig aber noch mit einer langen Pfeife im Munde, der ernst und schweigsam, die rechte Hand auf den Rücken gelegt, auf- und abging und ein Lied, fortwährend dabei detonirend, vor sich hin brummte.

„Na, Justizrath, Sie sind auch schon fertig?" redete ihn da ein kleiner Mann in einem grauen Rocke an, der auf der Nagelbank des Fockmastes saß und den vor sich auf und ab Schreitenden schon eine Weile lächelnd gemustert hatte. Es war ein Apotheker aus Hannover, und sonst ein drolliger, aber höchst anständiger Gesell.

„Ich? - ja," sagte der „Justizrath", indem er sich scharf gegen ihn wandte und vor ihm stehen blieb - „habe das verwünschte Schiffsleben satt - machen, daß ich an Land komme - daran gedenken - hol's der Teufel!"

 

Der Mann sprach außerordentlich rasch, mußte aber noch viel rascher denken, denn er verschluckte die eine Hälfte seiner Worte, während er die andere auf eine so barsche Weise herauspolterte, daß er Allen, mit denen er sprach, fortwährend die größten Grobheiten zu sagen schien. Ohlers, der Apotheker, kannte ihn aber schon, und war auch überhaupt nicht der Mann, sich leicht einschüchtern zu lassen.

„Der Herr Justizrath scheinen mit der Behandlung nicht recht zufrieden," lachte er leise vor sich hin und sah dabei an seiner langen, scharfgeschnittenen Nase nieder.

„Hundeleben," bezeichnete der Justizrath seine ganze gegenwärtige Existenz mit dem einen, eben nicht schmeichelhaften /10/ Wort - „wollen's Capitain aber schon anstreichen - Criminal-Proceß."

„Na da gratulir' ich," sagte Ohlers - „der arme Capitain."

„Nun, Justizrath, auch schon gestiefelt und gespornt?" näselte in diesem Augenblick ein langer junger Mensch, ein Kajüts-Passagier, dessen Eltern ihn, wie es hieß, zu ihrem eigenen Besten nach Californien geschickt hatten, um ihn nur von Hamburg los zu werden. Die Hände in den Taschen war er langsam angeschlendert, und lehnte sich jetzt mit der Schulter an einen der Hühnerkasten an, als ob er seinen Beinen das Gewicht des dürren Körpers nicht weiter anvertrauen möge.

„Ja woll, Herr Binderhof," brummte der Angeredete, indem er eine solide Tabakswolke von sich blies und den Kajüts-Passagier nur über die Schultern anblickte. - „Ihnen besser gefällt - können hier bleiben."

„Danke Ihnen, Herr Justizrath," lachte aber der Lange, „ausgenommen Sie schenken mir die Ehre Ihrer Gesellschaft."

„Unausstehlicher Mensch," brummte der Justizrath in den Bart, qualmte ärger als vorher und lief auf die andere Seite des Decks.

„Verrückter Kerl," lachte der Lange hinter ihm drein - „was erzählte er Ihnen denn eben, Ohlers?"

„Oh," sagte der Apotheker, „blos von Ihnen, Herr Binderhof."

„Von mir?"

„Ja wohl, Herr Binderhof; er erzählte mir, wie Ihre Eltern so außer sich gewesen wären, daß Sie absolut nach Californien wollten."

„Holzkopf," murmelte Herr Binderhof vor sich hin, verließ den Hühnerkasten und schlenderte ärgerlich nach der Kajüte zurück. Ohlers sah ihm mit einem seiner trocken-komischen Blicke nach, als Herr Hufner an ihm vorüberschritt. Die Gelegenheit war zu verlockend, nicht wenigstens ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.

„Herr Hufner, Herr Hufner," drohte er ihm lächelnd mit dem Finger, „Sie scheinen mir auf bösen Wegen zu sein!" /11/

„Ich? mein guter Herr Ohlers," rief der junge Mann bestürzt, „ich wüßte wahrhaftig nicht weshalb. Ist etwas vorgefallen?"

„Noch nicht," sagte Ohlers ernst, „aber Sie haben sich so herausgeputzt, als ob Sie in San Francisco augenblicklich auf Eroberungen ausgehen wollten, und indessen sitzt Ihre Braut daheim und grämt und härmt sich ab."

„Wahrhaftig nicht," rief aber Herr Hufner rasch und erröthend - „nein, da thun Sie mir unrecht, mein guter Herr Ohlers."

„Schalk, Schalk," fuhr aber dieser fort, „ich hätte große Lust, Ihrer armen Braut mit der nächsten Post ein paar Zeilen zu senden und das unschuldige Ding zu warnen."

„Um Gottes willen machen Sie keinen solchen Scherz," rief aber Herr Hufner erschreckt, „Sie haben keine Idee davon, wie eifersüchtig sie ist, und - sie nähme den Spaß am Ende für Ernst. Nun Gott sei Dank, unsere Trennung har jetzt die längste Zeit gedauert." .

„Was?" rief Ohlers erstaunt, „wollen Sie gleich wieder umkehren?"

„Nein, das nicht," sagte Herr Hufner vergnügt, „aber es ist schon unter uns ausgemacht, daß sie mir in drei Monaten - von meiner Abreise an gerechnet - nachkommen soll. Sie kann also schon jetzt recht gut in Rio de Janeiro sein."

„Aber was um Gottes willen wollen Sie mit Ihrer Braut in Californien machen!" sagte Ohlers kopfschüttelnd - „Sie wissen noch selber nicht einmal, was aus Ihnen wird. Hat sie denn Geld?"

„Meine Braut? - nein," sagte Herr Hufner, „das ist aber auch nicht nöthig."

„Na, haben Sie denn 'was?"

„Noch nicht," lächelte der junge Mann vergnügt vor sich hin, „aber da drüben liegt ja Californien."

„S-o?" sagte Ohlers - „und das ist Alles?"

„Nun, ist das nicht genug?" lächelte Herr Hufner. „Ich habe volle drei Monat Zeit, mir ein Vermögen zu erwerben. Als Commis darf ich freilich nicht eintreten, denn wenn ich auch drei- bis viertausend Dollar Gehalt bekäme, machte das /12/ auf drei Monate höchstens tausend Dollar, und damit kann man noch nicht viel beginnen. Aber ich gehe in die Minen; eine Unze täglich ist mir dort gewiß, und drei Monate, den Monat nur zu siebenundzwanzig Arbeitstagen gerechnet, liefern doch immer schon ein kleines Capital von wenigstens eintausend sechshundert und zwanzig Thalern, einzelne glückliche Tage, die gar nicht ausbleiben können, ganz abgerechnet. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß Goldwäscher dort an manchen Tagen fünf- und sechshundert Dollar gefunden haben."

„Und darauf hin allein lassen Sie wirklich Ihre Braut nachkommen?"

„Darauf hin?" wiederholte Herr Hufner erstaunt. „Als ob das nicht Sicherheit genug wäre! Fragen Sie einmal die Frau Siebert, oder lassen Sie sich einmal die Briefe zeigen, die deren Mann ihr von San Francisco geschrieben hat. In drei Tagen haben ihrer Zwei aus irgend einer alten Schlucht dort drüben für viertausend Dollar blankes Gold herausgegraben. In drei Tagen sage ich Ihnen."

„Da haben sie allerdings brillante Geschäfte gemacht," meinte Ohlers, „wie Viele aber werden da oben in den Bergen herum hacken und schaufeln, ohne mehr zu finden, als was sie .eben zum Leben brauchen - und wie theuer sind die Provisionen dann wahrscheinlich dort? Ne, mein guter Herr Hufner, wo ein Viergroschen-Brod fünf spanische Dollar kostet, hört die Gemüthlichkeit auf."

„Aber weshalb sind denn Sie da nach Kalifornien gegangen?" lächelte Herr Hufner, und sah Ohlers schalkhaft von der Seite an, als ob er ihn jetzt fest und sicher gefangen hätte.

„Wahrhaftig nicht, um oben in den alten faulen Bergen nach Gold zu puddeln!" rief aber der Apotheker. „Kranke Menschen wird's genug in San Francisco geben - leichtsinniges Gesindel, das sich oben in den Minen so lange Herumgetrieben hat, bis es die Knochen nicht mehr regen kann. Die fallen mir nachher in die Hände, und daß ich die auspressen will, bis sie auch kein Korn Gold mehr hergeben, darauf können Sie sich verlassen."

Ihr Gespräch wurde hier unterbrochen oder vielmehr ge/13/stört, denn zwei andere Personen waren den Gangweg heraufgekommen, und standen jetzt an der Larbord-Schanzkleidung, nach dem Lande hinüber zu schauen. Die eine von diesen war eben jene Frau Siebert, von der Herr Hufner vorhin gesprochen; die andere der alte Assessor Möhler, der gefälligste, bescheidenste, aber auch wunderlichste Mensch unter der Sonne.

Der Mann jener Frau, eigentlich ein etwas leichtes Subject, wenigstens in früherer Zeit, war nach Amerika gegangen, sein Glück zu versuchen, und hatte Frau und Kinder indeß' in Deutschland zurückgelassen.

Er ließ auch Jahre lang nichts von sich hören, bis plötzlich - fast mit der ersten Kunde von der Entdeckung des Goldes in Californien - ein Brief von ihm kam, der die unglaublichste Botschaft enthielt. Siebert war nämlich, mit noch vielen anderen Deutschen, in damaliger Zeit unter jenem Trupp von Freiwilligen gewesen, den die Vereinigten Staaten nach Californien schickten, um von dem Land Besitz zu er-greifen. Diese Leute, meist Abenteurer, die aus keine andere Weise ihr Leben hatten fristen können, hielten auch im Anfang vortrefflich aus und gingen nicht aus dem Bereich ihrer Rationen. Kaum aber drang die Kunde der neuentdeckten Goldminen zu ihnen, als sie fast Alle desertirten und sich nun in den Bergen zerstreuten, um nach Gold zu graben.

Eigenthümlicher Weise fielen diese Leute gleich im Anfang auf die reichsten Stellen, und Manche von ihnen gruben allerdings in wenigen Tagen den Goldwerth von Tausenden von Dollars aus den Bergschluchten. Zu diesen gehörte auch Siebert, und wenn auch leichtsinnig, doch von gutem Herzen, schrieb er augenblicklich nach Hause, seine verlassene Familie zu sich zu rufen. Die Beschreibung der californischen Schätze, die er dem Briefe beifügte, lief sogleich mit Blitzesschnelle durch die ganze Nachbarschaft und verleitete Manchen, die eigene Heimath zu verlassen und sich gleichfalls mit so leichter Mühe Schätze zu erwerben. Niemand aber war glücklicher als die Frau Siebert, die von Haus zu Haus zu ihrer Bekanntschaft lief, den Glücksbrief ihres Mannes vorzuzeigen. Wie sie dabei beneidet wurde, läßt sich denken, aber sie verlor /14/ auch keine Zeit, sich und die Kinder zu ihrer Reise zu rüsten. Das Geld zur Ueberfahrt hatte ihr der Mann auf Hamburg angewiesen, und das erste Schiff, das von dort nach San Francisco bestimmt in See ging, nahm sie und die Kinder an Bord, um dem Ruf des Gatten Folge zu leisten und in seine Arme zu eilen.

Unterwegs war die Frau übrigens, in so ärmlichen Verhältnissen sie bis jetzt gelebt haben mochte, mit einer eigenen Art von Ehrfurcht betrachtet worden. Ging sie doch in Californien keineswegs einer ungewissen Zukunft entgegen, und gehörte ja ihr Mann selber mit zu den wenigen Glücklichen, die im ersten Anfang Gelegenheit gehabt, die Schätze jenes wunderbaren Landes auszubeuten. Sie hatten gewissermaßen den Rahm schon abgeschöpft, und die Frau traf jetzt nur dort ein, die Früchte jener leichten Arbeit zu genießen. Ihr Mann wußte dabei gewiß die besten und reichsten Stellen in den Bergen, und hätte ihnen treffliche Anleitung geben können - wenn er eben wollte. Jedermann behandelte deshalb die Frau höchst achtungsvoll und that ihr alles Mögliche zu Gefallen - vielleicht daß sie doch ein gut Wort für sie einlegen konnte.

Dieses ehrfurchtsvolle Betragen der Leute an Bord gegen sie verwöhnte sie aber. Nach dem Brief ihres Mannes mußte sie sich außerdem als eine, ihren Begriffen nach reiche Frau betrachten, und das neue, bis dahin nie gekannte Gefühl: Jemanden protegiren zu können, that das Uebrige. So schüchtern sie an Bord gegangen war, so zuversichtlich wurde sie nach und nach, und ihre Einbildungskraft half ihr dabei sich das Leben in Californien mit den glühendsten, lebendigsten Farben auszumalen.

Der „Assessor" Möhler war gerade das Gegentheil von ihr, und zwar ein Mann schon im reifsten Mannesalter - ein angehender Fünfziger. Er selber sprach allerdings nie über seine früheren Verhältnisse; Einzelne an Bord schienen ihn aber früher gekannt zu haben, und so erfuhren denn die Andere» auch sehr bald, daß er, wenn auch nicht in glänzenden, doch ganz angenehmen, jedenfalls gesicherten Verhältnissen in Deutschland gelebt hatte, und eigentlich nur durch seine ver/15/heiratheten Töchter - kleine Gonerils und Regans, als ein sehr bescheidener König Lear - nach Californien geschickt war. Während er früher Alles, was in seinen Kräften stand, und eigentlich noch mehr, für seine Kinder gethan hatte, ermüdeten diese seine kleinen, sehr unschuldigen Eigenheiten. Zum Reisen hatte er überdies stets Lust gezeigt, und man wußte ihn aus geschickte Art halb zu überreden, halb zu zwingen, daß er noch in seinem Alter „sein Glück" in dem fremden und fabelhaften Goldlandc versuche.

Der Assessor ging allerdings - aber wenn er auch nicht darüber sprach, fühlte er doch, wie er eigentlich behandelt worden und daß er seinen eigenen Kindern im Wege gewesen wäre, und das gab seinem ganzen Wesen etwas Gedrücktes, Schmerzliches. Seine angeborene Gutmüthigkeit ließ es jedoch keinem Andern entgelten wie nur sich selber. Gegen sämmtliche Mitpassagiere war und blieb er, trotz mancher heimlichen und offenen Neckerei, die Gefälligkeit selber, und half, wo er nur irgend konnte. Kein Messer wurde an Bord geschliffen, zu dem er nicht den Stein drehte, kein Knopf angenäht, den er nicht, aus einem beträchtlichen Vorrath solcher Artikel, mit Zwirn und Nähnadel lieferte; sein Kochgeschirr wanderte von Hand zu Hand, und so oft es auch verbogen oder beschädigt 'zu ihm zurückkehrte - so oft er sich dann auch vornahm, es nicht wieder auszuleihen, dauerte solch ein guter Vorsatz doch nie länger als bis zur erneuten Bitte eines Reisegefährten - denn eine Bitte konnte er nun einmal nicht abschlagen.

Schon in Deutschland hatte er sich dabei sehr gern mit kleinen Kindern beschäftigt. Die einzigen jedoch, die er an Bord vorfand, gehörten der Frau Siebert, und die kleinen Wesen merkten gar bald, wie sie mit ihm standen. Wo er sich aufhielt, hingen sie sich an ihn, und er wurde auch wirklich nicht müde, sich mit ihnen zu beschäftigen und sie nach Umständen selbst zu warten und reinlich zu halten. Zugleich wußte er eine Menge Spielereien für sie anzufertigen, malte ihnen Bilder und schnitt ihnen Figuren und Häuser aus Papier, und war mit einem Wort das Factotum der drei Kleinen an Bord. Die Frau hatte das im Anfang mit großem und /16/ aufrichtigem Dank angenommen, und es sich sogar nicht nehmen lassen, dem Assessor, für so manchen ihr erwiesenen Dienst, wenigstens die Wäsche in Stand zu halten. Schon von Rio ab fand sie aber, daß der Mann nur wenig mehr that als die Uebrigen, wenn auch auf andere und nützliche Art. Alle übrigen Passagiere wuschen sich dabei die Wäsche selber, warum konnte es der Assessor nicht ebenfalls thun? Und als er sich endlich den Kübel selber vorholte, seine Hemden einweichte und dann die eigenen Aermel zu der etwas ungewohnten Arbeit aufstreifte, machte sie sich an einem andern Theil des Decks etwas zu schaffen und ließ es ruhig geschehen.

 

Von da an blieb der Assessor allerdings seine eigene Waschfrau, trotzdem aber auch derselbe Freund und Beschützer der Kinder, mit dem einzigen Unterschied, daß sich die Frau nicht mehr bei ihm dafür bedankte. Wenn sie aber nach Kalifornien kam, hatte sie sich vorgenommen, daß ihr Mann ihm ,,eine gute Stelle sagen solle"; das versprach sie auch dem Assessor aus freien Stücken, und der gutmüthige einfache Mann hatte eine aufrichtige Freude darüber. Kalifornien kam ihm jetzt nicht mehr so fremd und öde vor; er sollte ja einen Freund dort finden, der ihn mit seinem Rath und seiner Erfahrung unterstützen würde. Mit diesen Gefühlen schaute er, das jüngste Kind der Frau Siebert auf dem Arm, nach dem auftauchenden Land hinüber und zeigte dem kleinen dreijährigen Burschen die Berge, „hinter denen sein Vater wohnte".

„Die Frau ist versorgt," sagte jetzt Herr Hufner, aber mit etwas unterdrückter Stimme, zu dem Apotheker - „der Mann hat ein Heidenglück gehabt."

„Wer? - der Assessor?"

„Bst - sprechen Sie nicht so laut - nein, ich meine jener Siebert. Ich weiß nicht, wie viel tausend Dollar der und seine Kameraden im Ganzen förmlich aus der Erde geschaufelt haben. Der Stellen giebt es aber noch mehr, und die Matrosen haben da ein vortreffliches Sprüchwort: Es sind noch so gute Fische im Meer, wie je herausgekommen."

„Ja," sagte Ohlers, „und: was Deines Amts nicht ist, /17/ da laß Deinen Vorwitz, ' oder: Schuster bleib bei Deinem Leisten."

„Wie so?" frug Herr Hufner verwundert.

„Nun, ich meine nur," erwiderte Ohlers trocken. „Die aber, denk' ich, die sich das als ein so großes Vergnügen vorstellen, eine Schaufel statt Spazierstock und eine Spitzhacke statt Regenschirm zu tragen, werden am Ende doch wohl finden, daß sie sich eine verwünscht unbequeme Unterhaltung ausgesucht haben. Nun - der Geschmack ist verschieden. - Aber - wenn ich nicht irre, kommt da unser verrückter „Amerikaner" angeschlichen. Bin auch neugierig, was der eigentlich in Kalifornien verloren hat, und was er dort mit seiner Frau anfangen will."

Der Passagier, von dem er sprach, war ein noch junger, schlanker und blasser Mann, ein geborener Amerikaner, der auf dem Schiff, seines scheuen, abgeschlossenen Wesens wegen, kurzweg den Beinamen des „Verrückten" erhalten hatte. Schiffs-Passagiere sind außerordentlich rasch mit solchen Beinamen bei der Hand. Er war erst in Valparaiso mit einer jungen, höchst liebenswürdigen Frau an Bord gekommen, da ein paar Kajüts-Passagiere dort das Schiff verlassen hatten, und konnte Tage lang auf dem Quarterdeck sitzen, ohne ein Wort mit irgend Jemandem zu sprechen. Nur auf das Meer starrte er dann hinaus, der Richtung zu, in der er Kalifornien wußte, und die Zwischendecks-Passagiere meinten dabei, er suche sich nur einen Platz unten im Wasser aus, wo er nächstens einmal bequem hineinspringen könne.

Die ersten Tage war er allerdings, und zwar ununterbrochen, auf dem Schiff umhergegangen, die verschiedenen Passagiere zu mustern. Er sah sie dann einzeln, wie sie an ihm vorüber- oder ihrer Beschäftigung nachgingen, starr und aufmerksam an, sprach aber mit keinem, und es schien ordentlich, als ob er Jemanden unter ihnen suche. Auch hatte er sich gleich am ersten Tage die Namenliste geben lassen und sie eifrig durchstudirt. Ob er freilich irgend einen Bekannten zu finden hoffte oder fürchtete, wußte Niemand, und es war wohl natürlich, daß sich die Passagiere, mit keiner weiteren Beschäftigung, über das sonderbare Betragen des Mannes /18/ die wunderlichsten Erzählungen bildeten. Da er sich aber still und anspruchslos zurückhielt, ermüdeten sie auch endlich, sich mit ihm zu beschäftigen, und fertigten ihn zuletzt mit dem schon erwähnten Beinamen ab.

Seine Frau war ein junges liebenswürdiges Wesen von kaum achtzehn oder neunzehn Jahren, und wenn sie an Deck erschien, wich sie nie von seiner Seite. Gegen sie selber blieb er auch immer zärtlich und aufmerksam, ja er konnte dann sogar heiter sein. Nur wenn sie ihn verließ, kam der düstere, unheimliche Geist über ihn. Heute freilich schien selbst ihre Nähe den sonst so wohlthätigen Einfluß auf ihn verloren zu haben. Mit dem Land in Sicht, war eine seltsame wilde Unruhe über ihn gekommen, und wieder und wieder lief er über das ganze Deck bis vorn zum Bugspriet, starrte hinüber nach der Küste, als ob er damit ihre Ankunft dort beschleunigen könne, und kehrte dann wieder auf das Quarterdeck zurück.

An Bord befand sich noch, als Kajüts-Passagier, ein alter Herr, ein Arzt, und nur schlichtweg der Doctor genannt - der sein Kojen-Nachbar und dabei der Einzige war, mit dem er sich manchmal unterhielt. Er klagte dann über Schmerzen im Kopf und Beklemmung auf der Brust, und ließ sich leichte Mittel von dem Arzt verschreiben. Diese nahm er auch gehorsam ein, aber das Uebel besserte sich nicht, und Doctor Rascher merkte bald, daß dem hartnäckigen Unwohlsein eine tiefere, das Gemüth betreffende und berührende Ursache zu Grunde liege. Alle Anspielungen darauf blieben jedoch erfolglos. Der Patient leugnete hartnäckig etwas Derartiges zu kennen, ja wich zuletzt ängstlich jeder nur dahin zielenden Andeutung aus. Er schien entschlossen, den fremden Doctor nicht zu seinem Vertrauten zu machen, und dieser konnte ihn natürlich nicht dazu zwingen, deshalb aber auch seinen Zustand nicht verbessern.

Der Amerikaner, dessen Name Hetson war, hatte wieder eine Weile über Bord gesehen, während Ohlers ihn schweigend und kopfschüttelnd betrachtete. Endlich richtete er sich auf, hob gegen Süden, von welcher Richtung sie hergekommen waren, wie drohend die geballte Faust, murmelte einige Worte /19/ in englischer Sprache, die weder der Apotheker noch Hufner verstanden, und wandte sich dann rasch wieder, um auf das Quarterdeck zurückzukehren. Die ihn umstehenden Zwischendecks-Passagiere hatte er keines Blicks gewürdigt.

„Ob sie wohl Narrenhäuser in San Francisco haben?" sagte Ohlers, der ihm nachsah, als er langsam über den Gangweg schritt - „wäre am Ende gar keine so üble Speculation, ein solches, etwas geräumiges Institut da drüben anzulegen. Eigentlich und genau genommen ist schon die Hälfte von Denen, die überhaupt jetzt hier hinüberlaufen, halb und halb verrückt, und daß es bei den Meisten drüben zum Ausbruche kommt, läßt sich mit Gewißheit annehmen. Ich muß mir die Sache doch einmal ordentlich überlegen/'

Hetson schritt indessen auf dem Quarterdeck auf und ab. Seine Frau ging zu ihm und legte ihren Arm in den seinen, und das schien ihn zu beruhigen; wenigstens verließ er bald daraus das Deck und stieg in seine Kajüte hinunter.

Der Mittag rückte jetzt heran, und Capitain wie Steuermann hatten sich mit ihren Instrumenten an Deck eingefunden, ihre Observationen zu nehmen. Leider aber versteckte sich gerade gegen zwölf Uhr die Sonne hinter dichten Wolken, und wenn auch die Seeleute hartnäckig versuchten wenigstens einen Schein ihrer Scheibe zu bekommen, blieb doch Alles vergeblich. Auf offener See hat das nun nicht viel zu sagen; das Schiff hält eben seinen Kurs, und ein heller Tag gleicht Alles wieder aus. Hier aber, dicht vor einer fremden Küste, deren Landmarken noch Keiner von ihnen kannte, mußten sie nothwendig eine mittägige Sonnen-Observation bekommen, um genau die Breite zu erfahren, in der sie sich befanden. Die Wolken verhinderten das, und doch rückten sie, bei der jetzt immer günstiger werdenden Brise, dem Land rasch näher. Das geschah aber nur, um möglicher Weise ein oder das andere Fahrzeug zu treffen, das ihnen den Weg zeigte, wenn sie nicht die Einfahrt selber von außen erkennen konnten. Jedenfalls mußten sie den Versuch machen.

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