Reisen Band 1

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Der Anblick des Gebirges war von hier wahrhaft wundervoll. - Wie eine riesige Wand lag die ganze fest in sich zusammengedrängte Masse der eigentlichen Cordilleren, des Rückenmarks eines ganzen ungeheuren Welttheils, gerade und hoch aufstrebend vor uns, und eine zackige Schneemasse krönte die gewaltigen Gipfel. Aber es sah nicht aus, als ob der Schnee auf diese Berge niedergefallen wäre, sondern der ganze obere Theil der Gebirgsmasse schien aus Schnee und Eis zu bestehen, so blitzte und funkelte und strahlte es im hellen fröhlichen Sonnenlicht. Nur hier und da, wo die senkrecht niederschießenden Hänge so schroff und glatt abfielen, daß auch nicht eine Flocke daran hatte haften können, zeigte der alte Berg die nackten Glieder und verrieth dadurch die ungeheuren Schichten des gefangenen Schnees, der in seine Zacken hineingeweht worden, und dort Schluchten ausfüllte, in denen andere Gebirge Raum gehabt hätten.

Im Anfang war der Weg ziemlich gut, d. h. steinig und abschüssig genug, aber doch breit und nicht gefährlich - wir waren ja einmal in den Bergen, wo es eben keine Chausseen mehr giebt. Je weiter wir aber hineinkamen, desto höher mußten wir auch hinauf, und desto näher traten von beiden Seiten die Gebirge zusammen, so daß der jetzt plötzlich ganz schmale Pfad schon anfing an steilen bröcklichen Schluchten hinzuführen, und die Maulthiere nicht mehr die Wahl hatten wo sie gehen wollten, sondern sich auf den einen schmalen Weg verwiesen sahen. Oft passirten wir jetzt Plätze, wo links der Abgrund viele hundert Fuß steil unter uns lag, während rechts schroffe vorragende Felsstücke jedes Abdrängen davon auf das Unerbittlichste versagten. So allmälig kamen /135/ wir aber in diesen Engpaß hinein, und so viel des Neuen umgab mich zu derselben Zeit, daß ich im Anfang kaum auf den Weg achtete. Mein Blick hing in den steilen, jäh niederschießenden Schluchten, die oben von weichen schimmernden Schneeschichten ausgefüllt, unten von grünen Myrtenbüschen bewachsen waren, und hier - dort drüben strich er mit langsam gewaltigem Flügelschlag - sah ich den ersten Condor, den Riesengeier dieser Berge. Hier aber begann ich auch zum ersten Mal die unendliche Größe dieser Gebirge zu ahnen, als der ungeheure Vogel, der so dicht an uns hingeflogen war, daß ich das scharfe Schlagen seiner Schwingen hatte hören können, nach dem gegenüberliegenden, nur wenige hundert Schritt entfernt geglaubten Hang hinüber und weiter und weiter strich, und die Hänge immer noch nicht erreichte, und zuletzt so klein aussah wie ein junger Rabe.

Der Weg wurde aber wirklich immer schmaler, und wo er sich vor uns in Schlangenlinien dicht um die Felsen schmiegte, schien es mir plötzlich, als ob er dort vollkommen aufhöre. Mein sonst gewiß scharfes Auge konnte nicht die Spur eines Aussprungs mehr entdecken, und doch befanden wir uns schon mehrere hundert Fuß über dem kleinen Strom, der tief unter uns wie ein Milchbach über Felsenblöcke dahinsprudelte - und hinauf? - lieber Gott, die ganzen Cordilleren lagen noch wie in e i n e r schroffen Felsmasse über uns, und da hinauf konnte der Pfad unmöglich gehen. - Aber der helle Streifen, der eigentlich nur wie eine Ader in dem dunkleren Gestein aussah, konnte doch auch wahrhaftig nicht der Pfad sein, auf dem wir, an solchem Abgrund hin, mit unseren Thieren die Bahn suchen sollten.

Doch ich durfte nicht mehr so weit vorausschauen, die nächste Nähe nahm bald meine ganze Aufmerksamkeit voll kommen in Anspruch, und es fing schon an, einige Selbstüberwindung dazu zu gehören, das Thier, das ich ritt, an solchen Stellen nicht l e i t e n zu wollen. Mein Führer hatte mir aber besonders angerathen, an irgend einem, mir vielleicht gefährlich scheinenden Paß dem Maulthier nur ganz ruhig und unbesorgt den Zügel zu lassen, denn d a s wisse gewöhnlich am allerbesten wohin es treten müsse, seine Knochen /136/ gesund und unzerbrochen über die Berge zu bringen – und nun - wahrlich das war die Stelle von der ich schon früher gehört - an deren Fuß unten Massen von Maulthieren zerschmettert lagen, und wo ein einziger Fehltritt Thier und Reiter – todt, ehe sie den Boden erreichten – in die Tiefe senden mußte. Dabei führt der Maulthierpfad auch gerade am alleräußersten Rande hin denn die Maulthiere müssen mit ihren Packen, so weit vom Felsen abgehen wir nur möglich, da sie, sobald sie an diesen fest anstoßen, verlorensind. Für den an solche halsbrechende Partien nicht gewöhnten Europäer hat es aber etwas höchst Fatales, das Thier, auf dem er reitet, scheinbar über den Abgrund fortschreiten zu sehen, während doch zur Rechten noch gewiß sechs Zoll Raum sind, die es wenigstens ein klein wenig von dem gähnenden Schlund abbrächten. Auch mir kam es so vor, und als ich, scheu zwischen dem Steigbügel und der Schulter des Thieres hinunterschauend, in die Tiefe blickte und dort, Gott weiß wie tief unten, die Massen von Maulthiergerippen sah, die mahnend zu mir heraufstarrten, da griff ich fast unwillkürlich dem Thier, das ich ritt in die Zügel, und that dadurch etwas, was der Reiter auf solchen Stellen nur im äußersten Nothfall thun sollte – ein Anderere mag da abere auch fischblütig zusehen.

Dadurch nämlich, daß ich den Kopf meines Maulthiers vom Abgrund wegzudrängen suchte, verlor dieses seinen sichern Schritt, trat zur Seite, stieß mit der Satteltasche an den Felsen an, erschrak wahrscheinlich selber darüber und – nein, lieber Leser, wir stürzten nicht zusammen da hinunter, sonst könnte ich Dir meine Fahrt hier nicht erzählen – es stolperte nur. Aber wie es fehltrat und der Stein, an den es stieß, nur eben vielleicht einen Zollbreit von seiner Stelle gestoßen wurde und auch gleich geräuschlos in die Tiefe stürzte, da – ja, ich brauch mich deß nicht zu schämen, denn es war mir allerdings n i c h t gleichgültig, ob ich hinunterfiel oder oben bleib – da lief’s mir doch eiskalt und fröstelnd den Rücken hinunter, und es war als ob mir das Blut in den Adern stockte. Die Maulthiere sind aber vortreffliche Ge-/137/schöpfe, und wenn ich auch nicht eingebildet genug bin zu glauben, daß es sich nur meinetwegen bemüht habe wieder festen Fuß zu fassen, so that es das doch seines eigenen langohrigen Selbst willen. Gleich darauf schritt es wieder so ruhig und sicher, als ob gar nichts vorgefallen gewesen und wir nicht Secunden lang am Rand eines entsetzlichen Grabes gehangen, über die gefährliche Stelle hinweg. Ich ließ ihm aber von da an, besonders an solchen Orten, den Zügel vollkommen, und habe mich nur wohl dabei befunden.

Diese Stelle war aber keineswegs, wie ich früher immer geglaubt, nur wenige Fuß, sondern im Gegentheil viele hundert Schritt lang, und ich fand jetzt daß alle die Plätze, wo ich den helleren bandartigen Streifen um steile Felshänge herum schon vorher mit den Augen verfolgt hatte, wirklich ein eben solcher, oder doch wenigstens ganz ähnlicher Pfad waren, dem wir, wir mochten jetzt wollen oder nicht, treu bleiben mußten. An den meisten Orten hätten wir die Maulthiere nicht einmal wenden können.

Trotzdem soll es doch etwas ungemein Seltenes sein, daß ein Thier mit einem Reiter in diese Tiefe stürzt, und die meisten, die hier verunglücken, sind Lastthiere, und zwar alte Lastthiere, die von den jungen, zum ersten Mal diese Bahn beschreitenden, hinabgedrängt werden. Das junge Thier stößt nämlich im Anfang gewöhnlich zuerst ein paar Mal mit seinen Packen an die Felsen und wird dadurch von selber dem äußersten Rande der gefährlichen Bahn zugewiesen. In den vor ihm gähnenden Abgrund kann aber das arme erschreckte, von dem Treiber noch gepeinigte Thier nur mit Entsetzen hinabschauen, und um diesem Anblick zu entgehen, drängt es jetzt in ängstlicher Hast, unbekümmert ob seine Packen gegen den Fels anschlagen, den Kopf zwischen das ihm nächste, vor ihm gehende Thier und den Felsen hinein, und das arme, also mit Gewalt dem Abgrund zugeschobene Wesen stürzt, so kaum wenige Zoll von dem äußersten Rand entfernt, vielleicht mit einem Fuß schon auf einem schwankenden Steine stehend, rettungslos in die Tiefe.

Ist der Fluß nicht zu hoch, dann gehen wohl einige der Treiber zurück, am Tucunjado unten hinzuklettern und wenigstens /138/ die Packen und den Sattel noch zu retten. Hat es aber kurz vorher geregnet, so dürfen sie das nicht einmal wagen, denn der Strom schwillt manchmal so reißend schnell an, daß sie, in der engen Schlucht von ihm überrascht, vielleicht selbst ihr Leben noch dabei einbüßen könnten. Tritt erst einmal das Wasser aus dem schmalen Bett, dann ist auch Alles was in seinen Bereich kommt verloren.

Eine andere böse, ja fast noch schlimmere Stelle als die vorige hatten wir nur wenige Stunden später an demselben Felshang zu passiren. Der Weg war hier eben so schmal der Abrund eben so tief und noch dazu eine Schneewehe, oben von den Bergen herunter, gerade darüber hingestürzt, so daß man den Pfad nicht einmal unterscheiden konnte. Der Führer war vorangeritten und durch ein Felsstück meinen Augen entzogen worden, so daß ich nicht bemerkte ob er im Sattel geblieben oder abgestiegen war, ich ritt denn auch ruhig fort, bis ich plötzlich dicht vor der schmalen bösartigen Schneewehe stand, wo das Thier im wahren Sinn des Wortes einen durch den darüber gestürzten Schnee noch unsicherer gemachten Pfad von höchstens vier Zoll Breite hatte, und die hinter mir herkommenden Peons riefen mir plötzlich mit lauter Stimme zu „abzusteigen“.

Das war eine höchst interessante Lage - den einzigen Platz, wo man noch absteigen konnte, hatte ich versäumt – links hinunter, wie es sich gehört, konnte ich gar nicht, denn auch kein Zollbreit Raum war da, auf dem ich hätte fußen können, und rechts stieg dicht am Maulthier der Felsen empor- zurück konnt‘ ich eben so wenig. Da half also kein langes Besinnen, ich mußte, so gut das gehen wollte, an der rechten Seite des Thieres hinunter, zwischen dieses und den Felsen hinein – wobei sich das arme Wesen, das natürlich fürchtete, den Abgrund hinabgeschoben zu werden, so fest als es nur möglicher Weise konnte, gegen mich anpreßte. Nichtsdestoweniger gelang es mir endlich – ich kroch dann unter seinem Kopf vor und schritt langsam den schmalen Pfad im Schnee – der übrigens kaum sechs Schritt lang war, voran – das Maulthier folgte, und wir legten auch diesen Weg glücklich zusammen zurück. /138/ Der Weg blieb von da an wohl noch immer schmal und gefährlich, wir waren aber durch diese Engpässe so an Schluchten und Abhänge gewöhnt worden, daß ich schon anfing einen Pfad von drei Fuß Breite neben einem gähnenden Abgrund hin für etwas Chausseeartiges zu halten und dem Thier dabei unbekümmert die Sporen gab.

 

„Aber warum steigt der Reiter überhaupt an solchen Engpässen nicht ab?“ fragt hier der Leser, und eigentlich mit ganz gutem Grund – „es ist doch tausendmal besser ein paar Meilen zu Fuße zu gehen und einfach das Maulthier und seine Satteltasche zu riskiren, als Leib und Leben leichtsinniger Weise im Sattel preiszugeben.“

Ein richtiger Grund existirt dafür freilich nicht – die Bergbewohner bleiben aber im Sattel – sehr wahrscheinlich weil sie zu faul sind, den Weg zu g e h e n - und der Fremde, der manchmal diese Stellen besucht, scheut sich dann gewöhnlich weniger Muth zu zeigen – wie er nämlich glaubt – als diese, sich sich nur w u n d e r n würden wenn er ginge, daß er sich einer solchen Unbequemlichkeit unnützer Weise aussetzt. Daß sie zerschmettert werden würden, wenn ihr Maulthier einen falschen Schritt thut, wissen sie dabei recht gut, aber auch eben so genau was ihr eigenes Leben werth ist – und das scheint sich dann meistens des Absteigens nicht zu lohnen.

Die Nacht lagerten wir an der Schneegrenze, und es war, da wir auch nicht einmal Holzu zu einem ordentlichen Feuer hatten, ziemlich kalt. An Auslagern aber gewöhnt, richtete ich mir mein Lager mit Hülfe des Sattels und meiner Decken so gut her, daß ich weich und warm bis zum nächsten Morgen schlief, und der Führer, ein Chilene, der die Berge schon gar oft passirtwar, gab mit das höchst schmeichelhafte Zeugniß – „Wenn ich auch wirklich nichts verstände, wüßt‘ ich doch wenigstens mein Bett zu machen“.

Unsere Thiere fuhren hier sehr schelcht. – Nicht ein Grashalm wuchs dort für sie, an dem sie sich hätten letzen können; nur hier und da gelbes, strohartiges Gestrüpp, das noch vom Sommer her die dürren, saftlosen Halme aus einzelnen Ritzen vorsteckte, wo vielleicht vor Jahren Maulthier-/140/dünger ein wenig Fruchterde gesammelt hatte. Selbst einen Schluck Wasser zu bekommen, mußten sie mehrere hundert Fuß eine steile bröckliche Schlucht hinunterklettern, dort mit Lebensgefahr saufen, und dann wieder, müde wie sie waren, heraufklimmen - und nachher keinen Bissen zu fressen. Als ich sie übrigens bedauerte, meinte der Führer ganz ruhig: - „Oh, heute ist nur der erste Abend, da spüren sie noch nichts; wenn's aber länger dauert, geht's ihnen freilich hart an. Doch sind sie zäh und können ungemein viel aushalten." Und länger mußte es allerdings dauern, denn vor uns lagen die Schneegebirge, und ich zweifelte sehr daß ihnen dort oben selbst die schwache Erholung gewährt werden würde, Zahnstocher zu kauen.

Von hier ab verließen wir aber auch den harten, festen Boden und betraten die Schneeregion, die wir bis dahin sich fortwährend über unseren Köpfen hin, aber doch näher und näher hatten ziehen sehen. Jetzt reichte sie bis zu uns nieder, und wie abgeschnitten fast liefen plötzlich erst ein paar Windwehen über den Pfad hinüber, vielleicht zwanzig Schritt breit und eben so viel Raum hart gefrorenen nackten Steinbodens zwischen sich lassend, und dann plötzlich begann sie in einer ununterbrochen öden blitzenden Fläche. - Der Winter hatte sein Leichentuch über die schlummernden Cordilleren geworfen, und die kecken Menschenkindlein wagten, es mit Füßen zu treten.

Sonntag den 15. Juli machten wir nur einen kurzen Marsch, denn die Peons hatten, anstatt ihre Vorbereitungen in Mendoza zu treffen, wie sie vorgegeben, alles das versäumt, und vergeudeten nun hier einen ganzen Tag, ein Taschentuch voll Kohlen zu brennen und ihre Schneeschuhe herzurichten. Unter Schneeschuhen darf sich der Leser aber nicht die in Nordamerika gebräuchlichen weidengeflochtenen Gestelle denken. Die hiesigen sollen nicht dazu dienen über den Schnee hinzulaufen, sondern nur denselben von den Füßen abzuhalten, und diese werden deshalb erst in ein weiches Schaffell dicht eingeschlagen und umwickelt, und bekommen dann noch eine feste rindslederne Sohle, was, wie sich später zeigte - Klima und Umständen auf das Vortrefflichste angemessen ist. /141/

An dem Hügel nun, wo wir lagerten und die Kohlen brannten, hatten wir schon eine ganze Weile auf unsern Führer gewartet, der vor etwa einer Stunde zurückgeblieben war, und jetzt erst, viel später eintraf. Endlich kam er und trug etwas, dem Anschein nach ziemlich Schweres und Umfangreiches in seinem Poncho. Ich glaubte erst, es seien Kohlen, er aber bog sich zu mir über, öffnete den Poncho und zeigte mir eine wahre Unmasse der vortrefflichsten Rosinen - Traubenrosinen im Schnee. „Wo er die her habe?" war wohl die erste und natürlichste Frage; er aber zeigte lachend nach einer gar nicht entfernten, ebenfalls mit Schnee zum großen Theil bedeckten Felswand hin und versicherte mir: von dort her, und es seien noch eine ganze Menge dort. - Das war jedenfalls ein Naturwunder. - Konnten die Trauben hier an einem, vielleicht vor der Kälte geschützten Ort gereift und zu Rosinen geworden sein? - aber diese Süße - den Ort mußte ich unter jeder Bedingung in Augenschein nehmen, und trotz des tiefen Schnees machte ich mich, da die Maulthiere abgesattelt standen, zu Fuß auf, dies Naturwunder zu besuchen.

Fünfhundert Schritt mußt' ich etwa gehen, da überschritt ich einen kleinen niedern Hügel, kam zu den bezeichneten Felsen und fand - keine Rebenstöcke mit aus dem Schnee vorragenden Trauben, wie ich sie höchst romantischer Weise wirklich erwartet, sondern einige zwanzig hier verlassen stehende Kisten mit Rosinen, die ein vom Schneesturm überraschter Maulthiertrupp hatte zurücklassen müssen, um nur Menschen und Thiere in Sicherheit zu bringen. Und diese hier durch Zwang den Vorbeipassirenden preisgegebenen wurden so von Denen respectirt, die selbst nur zu oft mit Waaren durch die Berge zogen, und denen jeden Tag Gleiches passiren konnte? - Als ich noch dastand und kopfschüttelnd den hier halb im Schnee vergrabenen Vorrath betrachtete, von dem schon zwei Kisten fast ganz geleert und eine dritte angebrochen waren, kam einer unserer Peons auf seinem Thiere ebenfalls herangesprengt und begann ohne weitere Umstände seine mitgebrachten Satteltaschen zu füllen. Ich machte ihm, so gut ich das vermochte, Vorstellungen des-/142/halb, er lachte aber nur und meinte, „wenn er es nicht nähme, nähmen es Andere," wie Figura zeigte, und schien, darin überhaupt gar nichts Außerordentliches zu finden, daß er fremdes Eigenthum plünderte.

Das Kohlenbrennen selber war ein höchst einfaches Geschäft. - Mit ihren langen Messern gingen die Burschen daran, das Holz der kleinen niederen Büsche, die hier noch wuchsen, abzuhauen oder da, wo es sich brechen ließ, niederzubrechen, und schafften das jetzt Alles auf zwei ziemlich hohe Haufen, die sie zusammentraten, so gut das eben gehen wollte und dann anzündeten. Als das Holz zu Kohle heruntergebrannt war, überdeckten sie den jetzt ziemlich klein gewordenen Haufen mit etwa drei Zoll Erde und ließen das Feuer ausgehen. Die ganze Kohlenmasse betrug solcher Art etwa fünfzehn Pfund, die sich einer der Peons am andern Morgen in ein altes Hemd band und auf den Rücken warf, und ich meinestheils sah noch nicht recht ein, wie wir mit der Kleinigkeit Feuerung durch den ganzen Schnee kommen wollten - wenn es nicht unterwegs Aushülfe gab - und gab es die, wozu dann überhaupt die Kohlen? Doch es wäre thöricht gewesen, sich jetzt mit solchen Sachen den Kopf zu zerbrechen, und ich schlenderte indessen ein wenig an dem Hügel herum, um zu sehen, ob ich nicht die Fährten irgend eines wilden Thieres im Schnee erkennen könnte.

Fuchsfährten, die wenigstens den unsrigen auf ein Haar glichen, schienen viele da zu sein, von einem größeren vierfüßigen Raubthier konnte ich aber nichts weiter erkennen - nur ein Strauß mußte sich hier in diese Schneewüste hinausgewagt haben - hier im Schnee und dort im weichen, feuchten nackten Boden ließen sich die mächtigen Spuren des Thieres auf das Genaueste erkennen. Als ich aber meinen Begleitern von einem avestruz erzählte, lachten sie laut auf und der Führer meinte, der Strauß ließe sich nicht, selbst in den ersten und niedrigsten Hügeln, besonders nicht im Winter, blicken, und wenn hier dem Boden die Spuren eines großen Vogels eingedrückt wären, so könne es eben nur der Condor sein. - Ich wollte erst gar nicht glauben, daß es einen Raubvogel auf der Welt gäbe, der eine solche Spur /143/ hinterlassen könne, und hatte an einen Condor in der That anfangs gar nicht gedacht. Bei genauerer Untersuchung fand ich aber doch daß der Mann Recht habe; die Krallen gingen tief, tief in den Boden hinein, wo das kolossale Thier hingetreten hatte, und selbst der Schritt war einwärts, nicht gerade gestellt wie beim Strauß.

Nicht weit von dort, wo wir uns jetzt befanden, sollte auch, der Aussage meiner Führer nach, una casa, ein Haus an der sogenannten punta del vaca stehen, wo wir noch an diesem selben Abend übernachten wollten. Meine Erwartungen darüber, als wir es etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichten, waren aber, wie ich mir dort gestehen mußte, etwas zu exaltirt gewesen. Wir fanden nur eine kleine niedere und vorn offene, roh aus Steinen errichtete, und mit Reisig und Erde gedeckte Doppelhütte, und ringsum tiefen Schnee, selbst kein Holz ein Feuer anzumachen, und nur einige früher einmal hier zurückgelassene Kohlen.

Und was bekamen die Maulthiere zu fressen? - nichts - zum Wasser wurden sie einmal getrieben, und dann mußten sie die ganze Nacht, ohne auch nur einen Grashalm zu bekommen, mit den wundgescheuerten Rücken in der kalten Hütte stehen; ja selbst wenn sie am andern Morgen von hier zurückgingen, konnte ihnen erst der nächste Abend Nahrung bringen.

Die Maulthiere sind wirklich nach dem Kameel wohl die zähesten, ausdauerndsten Lastthiere der Welt; denn welches andere Geschöpf hätte das bei schwerer Arbeit ausgehalten, zwei Tage in die Gebirge und einen wieder hinaus, ohne eine Hand voll ordentliches Futter - ja zwei Tage davon, auch ohne nur einen Grashalm zu sehen, bergauf bergab zu marschiren und an Hängen hinzuklettern, wo sie sich manchmal ordentlich mit den Hufen festhalten mußten. - Im Sommer, wenn sie die ganze Tour über die Cordilleren zurücklegen können, haben sie's übrigens nicht besser, und sind häufig vier volle Tage auch gänzlich ohne Futter, wo sie dann den trocken gewordenen Dünger anderer Maulthiere, als einziges zu erreichendes Nahrungsmittel, verzehren - und dabei bestehen. /144/

Manchmal halten sie's aber auch nicht aus, wenn der rohe, gefühllose Mensch Last auf Last auf ihren Rücken ladet und die erschöpften Glieder in den steilen Bergen endlich den Dienst versagen; Zeugniß davon geben die Unmassen von Maulthiergerippen, die überall an dem ganzen Weg durch die Cordilleren liegen, und die da, wo sie starben, auch unter ihrer Last erlagen und eben ruhig ihrem Schicksal überlassen wurden. Die Condors und andere Raubvögel reinigen dann in ungemein schneller Zeit das Aas, und an dem Gerippe vorbei - nie darüber hinweg - suchen sich die nachkommenden Maulthiere die Bahn.

Am nächsten Morgen standen wir früh zum Marsch gerüstet. Zu meinem Erstaunen that aber mein Führer gar nicht so, als ob er überhaupt beabsichtige seinen Fuß in Schnee zu setzen - und in der That beabsichtigte er das auch wirklich nicht. Er eröffnete mir jetzt, daß er mit den Maulthieren hier umkehren werde, ich aber mit den Peons meinen Weg weiter und allein suchen müsse. Auf der andern Seite der Cordilleren würde ich dann von seinem Vater, der dort an-sässig wäre, andere Pferde bekommen, die mich nach Valparaiso brächten. Ich verstand zu wenig Spanisch, um dagegen ernstlich zu protestiren; im Grunde war mir's auch wirklich einerlei, wenn er nur drüben sein Wort erfüllte, und wir brachen jetzt, nachdem ich gegen den Schnee alle möglichen Vorsichtsmaßregeln gebraucht, auf, unsern beschwerlichen und, wenn ein Unwetter eintrat, auch wirklich gefährlichen Weg so rasch wie nur immer möglich zurückzulegen.

Die Schreckensgeschichten nämlich, die man mir von einem Wintermarsch durch die Cordilleren erzählt hatte, gingen wirklich in's Unglaubliche. - Wie Viele waren schon in dem Schnee, wenn die Sonne daraus schien, erblindet - wie Viele in plötzlichen „temporale" erfroren. - Bestätigt ist, daß einmal in den argentinischen Kriegen ein ganzer Trupp der feindlichen besiegten Truppen in Winterszeit in die Berge flüchtete, um nach Chile zu entkommen, und dort in den hier und da errichteten kleinen Steinhäusern jämmerlich verhungerte oder erfror. Kurz, alle diese Erzählungen hatten keinenfalls viel Ermuthigendes und konnten nur dazu dienen, mir den /145/ ganzen Weg als etwas Entsetzliches erscheinen zu lassen. Bald fand ich jedoch, daß wenigstens der Anfang nicht so gräßlich sei, als er geschildert worden. - Die grüne Brille, die ich in der Tasche trug, meinen Augen im Nothfall zu Hülfe zu kommen, blieb eben in der Tasche; ich brauchte sie gar nicht, obgleich die Sonne gewiß aus besten Kräften auf den blendenden Schnee herniederblitzte. - Ei, zum Wetter, unsere deutschen Schneeflächen sind so weiß wie die der Cordilleren, die Sonne scheint dort eben so hell, und man trägt doch keine grünen Brillen. Auch fand ich bald, daß ich am Körper vollkommen warm genug gekleidet sei, denn die scharfe Bewegung thut auch schon das Ihrige, ihn zu erwärmen. So wanderten wir denn (ich voran, um im Thal hinauf eine Bahn zu treten, in der mir die mit meinem Sattel und Provisionen Beladenen leichter folgen könnten) zwar langsam, denn der tiefe Schnee ließ keine Eilmärsche zu, aber doch rüstig vorwärts, und hatten jetzt, wenn wir einmal ausruhen wollten, kein anderes Lager als den Schnee oder einen durch den Wind von seiner Decke befreiten Felsen.

 

Hierbei muß ich aber noch eines höchst nützlichen Meubles Erwähnung thun, das jeder Gebirgswanderer bei sich und auch wirklich nöthig hat. Es ist dies ein Stuhl - aber weder von Mahagoni noch Kirschbaum, weder gepolstert noch rohrgeflochten, weder drei-, vier- noch einbeinig, und überhaupt kein Stuhl, wie wir ihn eigentlich in civilisirten Ländern zu sehen gewohnt sind, sondern einzig und allein ein Schaffell, das umgürtet wird und hinten bis tief unter den „letzten Rückenwirbel" hinunterhängt. Mit dem kann man sich getrost auf den Schnee niederlassen, man wird sich nicht erkälten, und es liegt stets aus der rechten Stelle.

Unser Weg lag noch immer an dem kleinen Fluß hin, dessen Lauf wir schon aus dem Thal herauf gefolgt waren; als wir aber die erste Felsenspitze umschritten, die über der punta del vaca hinauslief und diesen Platz etwas gegen die Nordweststürme schützte, breitete sich ein Schauspiel vor unseren Blicken aus, das ich nie im Leben vergessen werde.

Tief in das Gebirge hinein dehnte sich ein weites Thal, und himmelauf an beiden Seiten, obgleich wir doch schon /146/ mehrere Tage aufwärts geklettert waren, starrten die Berge empor in wilden, phantastischen Massen; hier durch gewaltige Schneewehen zu einem glatten, fast abgerundeten Ganzen zusammengegossen, dort wieder wie Riesen, die gewaltsam den drängenden Schnee von sich abschüttelten, schroff und nackt auseinander gerissen. Der Anblick war furchtbar schön, und ich blieb wirklich erstaunt vor dem prachtvollen Panorama stehen, das sich in einer Ausdehnung vor mir ausbreitete, von der ich damals selber keinen Begriff hatte. - Ich wußte noch nicht, wie nahe die dünne, durchsichtige Luft uns in solcher Höhe selbst die entferntesten Gegenstände rückt. Meine beiden Begleiter benutzten diese Gelegenheit, ihren ersten Ruhepunkt zu machen, und ihr wunderliches monotones Singen lenkte meine Aufmerksamkeit zuerst wieder von den kühnen Contouren der mich umgebenden Gebirgsmassen ab und den beiden Burschen zu, die allerdings originell genug aussahen. Meine Banditen waren, wie schon gesagt, stehen geblieben. Den Oberkörper jetzt vorn überbiegend, während sie sich mit beiden Händen auf den langen Stab stützten, brachten sie die nicht überschwere Last gerade auf ihren Rücken, murmelten oder sangen eine Art Lied, das nur aus zwei Tönen bestand, und gönnten so den „Hüftknochen", wie sie meinten, eine kurze Rast.

Das geschehen, und als sie sahen daß ich ebenfalls wieder marschfertig war, richteten sie sich empor, und weiter ging's einem kleinen runden Gebäude, einer sogenannten casucha zu, die wir deutlich und, wie es schien, in gar nicht großer Entfernung vor uns konnten liegen sehen. Meiner Berechnung nach glaubte ich wenigstens, daß wir in zwei, spätestens drei Stunden recht gut müßten dort sein können. Zu meinem Erstaunen marschirten und marschirten wir aber den ganzen Tag bis Abends fast zu Sonnenuntergang, und als wir endlich ihren Eingang erreichten und ich zurückschaute, sah der Berghang, an dessen anderer Seite die punta del vaca lag, gerade so aus, als ob eine Büchsenkugel bis dorthin getragen haben würde - und wir waren den ganzen Tag gewandert.

Von Morgens bis Abends hatten wir nun allerdings nur /147/ vier Leguas zurückgelegt, waren aber doch so erschöpft, als ob wir sechzehn gemacht hätten. Das Waten in dem tiefen Schnee ermüdet ungemein, noch dazu, da der Fuß gar keinen festen Haltpunkt findet, auf dem er Grund fassen kann. Die Schneeschichten sind allerdings viel zu tief und der ballende Schnee läßt den Körper schon nicht ganz hinunter, nur beim Heben desselben geben sie wieder nach und gewähren so nie einen festen, sichern Tritt.

Eine nähere Erwähnung verdienen jedoch hier diese im Lande sogenannten casuchas, ohne deren Hülfe eine Winterreise durch die Cordilleren, wenn nicht unmöglich, doch mit steter Lebensgefahr verknüpft wäre. Es sind kleine einfache Hütten, aus Backsteinen und zwar gewölbt gebaut, um dem Wanderer bei etwa eintretendem Schneesturm ein Obdach zu bieten. Zu diesem Zweck stehen sie auch auf wohl zehn bis zwölf Fuß hohem Mauerwerk, zu dem eine Treppe hinaufführt, damit sie nicht so leicht verweht werden können. Bequemlichkeiten bieten sie freilich weiter keine, als eben nur die vier nackten Wände und die Nähe des Wassers, denn Feuerung muß sich Jeder, will er sie haben, mitbringen. Nicht selten geschieht es dabei, daß bei einem recht scharfen Schneesturm Reisende schon acht, vierzehn Tage, ja vier Wochen in ihnen festgehalten wurden und dann vor Kälte und Hunger fast umkamen. Noch der letzte Correo, der nach Chile hinüberging, war genöthigt, elf volle Tage in einem dieser kleinen Rettungshäuschen beizulegen, weil Schnee und Sturm ihn keinen Schritt weit hinausließen. Ohne dieselben wäre der Reisende aber gewiß rettungslos verloren, überraschte ihn nur das geringste Wetter; denn er ist erstlich nicht im Stande genug Feuerung mitzunehmen, um sich auch nur eine Stunde an jedem Abend warm zu halten, und die furchtbaren Schneewehen, die solchen Temporales eigen sind, würden ihn bald bedecken und vernichten. In der Argentinischen Republik liehen diese casuchas nur etwas zu weit von einander entfernt, und wer gerade in der Mitte zwischen zweien einmal von einem tüchtigen Wetter überfallen wird, kann von Glück sagen, wenn er mit dem Leben davonkommt.

Wir fanden einige Kohlen in dieser casucha, brauchten /148/ also unsern kleinen Vorrath nicht gleich anzugreifen, und machten uns etwas kochend Wasser zu Thee und einer „Charquesuppe", die ich dem Leser in der That nicht appetitlich genug schildern kann.

Zuerst muß ich ihm freilich die N o t h w e n d i g k e i t der Suppe überhaupt darthun. Das Charque, oder getrocknete Fleisch, war nämlich so hart geschlagen und so zäh, daß es erst wieder zwischen zwei Steinen zermalmt und dann in heißem Wasser halb aufgelöst werden mußte, um nur einigermaßen genießbar zu werden.

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