Reisen Band 1

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Was Mendozas Lage betrifft, so kann es für Ackerbau und Weinzucht wohl kaum eine günstigere geben. Gegen die Süd- und Westwinde durch die gewaltigen Cordilleren geschützt, deren weiße Zackenkronen in prachtvoller Majestät dicht hinter ihm emporstarren, und in deren Arm hineingeschmiegt es eigentlich liegt, bietet es seinen Bewohnern an animalischer und vegetabilischer Nahrung Alles, was das Herz nur wünschen kann. Auch die Preise aller Lebensmittel sind außerordentlich billig, da der schwierige Verkehr mit den übrigen Ländern, von denen sie aus der einen Seite /120/ durch die Pampas, auf der andern durch die Cordilleren getrennt werden, die Ausfuhr natürlich sehr vertheuert und erschwert.

Das Klima ist herrlich - im Sommer soll der Schnee der Berge die Temperatur mildern, und jetzt, wo wir uns mitten im Winter befanden, hatten wir ein Weiter, wie bei uns an einem kühlen Sommertag. Alles gedeiht hier vortrefflich, und außer dem Getreide werden hier besonders Früchte, wie Orangen, Feigen, Trauben usw., in Masse gezogen. Die Trauben sind so süß, daß die Mendoza-Rosinen an der chilenischen Küste einen Namen haben und in großen Ouantitäten über die Cordilleren geschafft werden. Der Wein aber, der aus ihnen gekeltert wird, schmeckt so gut, daß mir der Mund noch jetzt danach wässert. Ich kann ihn nur mit gutem Portwein vergleichen, obgleich er süßer als dieser ist und jung nicht so viel Feuer hat als der Portwein. Einige Jahre alt, glaub' ich aber sicher, daß er sich mit diesem in jeder Hinsicht messen könnte. Die Mendozaner trocknen eine große Menge von Trauben, indem sie dieselben oben in ihren Giebeln aushängen; sie halten sich vortrefflich, sind süß wie Zucker, und fast so saftig, als ob sie eben vom Stock genommen wären.

Der Wein wird übrigens hier auf eigenthümliche, dem Klima aber natürlich auch entsprechende Weise gebaut, und zwar nicht wie bei uns an Stöcken, die wir nöthig haben, da wir der Traube müssen so viel Sonne zukommen lassen, wie wir ihr möglicher Weise nur gewähren können, sondern in weiten Lauben, so daß die Mendozaweingärten nur lauter überwachsene Gänge bilden, die an heißen Sonmmertagen wahrhaft paradiesische Spaziergänge bieten müssen. Die Trauben hängen dadurch sämmtlich im Schatten, reifen langsam und gewinnen dadurch natürlich nur an Zuckerstoff und Saft. Wir bezahlten für die Gallone (fünf Flaschen) vom besten Wein etwa fünf Silbergroschen nach unserem Geld. Ueberhaupt ist das Leben in Mendoza ungemein billig, und wenn ich mir für einen halben Real (etwa 2'/z Silbergroschen) Früchte: Trauben, Orangen und Feigen holen ließ, so hatte ich zwei bis drei Tage daran zu essen. /121/

Brod, Fleisch und Gemüse stehen in demselben Verhältniß: die Miethen wie Dienstleute sind ebenfalls spottbillig, die Gegend ist dabei ein Paradies - was will also der Mensch mehr? - Wäre dies nicht ein Platz, ein Asyl für die „Europamüden", die sich irgendwo in der Welt eine stille Heimath gründen wollten? Dem europäischen Treiben wären sie hier allerdings entrückt, denn von der übrigen Welt hörten und sähen sie nichts, oder doch wenigstens so gut als nichts mehr, wie es aber mit dem argentinischen würde, müßten sie freilich riskiren, und welches Unglück hat seitdem diese schöne Stadt betroffen! Das Erdbeben von 1861 machte sie fast der Erde gleich und von 10,000 Einwohnern kamen 7000 in kaum drei Secunden um ihr Leben.

Die Postverbindung Mendozas mit der Außenwelt besteht einzig und allein, nach dem Atlantischen wie Stillen Ocean hin, in Courieren, die regelmäßig und zu allen Jahreszeiten zwischen Buenos-Ayres und dieser Stadt - nur sehr unregelmäßig aber im Winter nach Valparaiso hinübergehen, da der Schnee der Gebirge den Uebergang nicht allein oft sehr erschwert, sondern sogar Monate lang ganz verhindert.

Eine Annehmlichkeit Mendozas muß ich aber noch erwähnen, und das sind die warmen Bäder, die sich etwa drei Leguas von der Stadt entfernt befinden. Das Wasser ist selbst im Winter, wo der doch immer thauende Schnee aus den niederen Bergen das Uebrige in eisiger Kälte erstarren machte, etwa 16 Grad, und wird durch Quellen erzeugt, die aus der Erde mitten in der flachen Steppe hervorsprudeln. Dadurch aber haben sie auch ein eigenes, schilfbegrenztes Bett erzeugt, und werden nun von den Bewohnern des benachbarten Städtchens, besonders in Sommerszeit, gar fleißig besucht. Die Bequemlichkeiten dort sind freilich sehr geringer Art und bestehen eigentlich nur in mehreren höchst mittelmäßigen Lehmhütten. Den Horizont umgürten aber dafür im Westen die schnee- und eisbedeckten Cordilleren, und die Bäder selber liegen gar traulich und versteckt in dem darüber wogenden Grün - bedarf es da erst noch eines besondern Luxus und kostbarer, schwer zu erlangender Bequemlichkeiten, den Aufenthalt doch zu einem angenehmen zu machen? Sonst bietet /122/ Mendoza freilich, dem Fremden wie dem Einheimischen keine besonderen Vergnügungsörter, und die Leute sind hier meistens auf ihre eigenen Familien angewiesen. Wer sich darin glücklich fühlt, ist glücklich und bedarf nichts weiter – und wer nicht? – den wird auch die herrlichste Umgebung, das Lust und Freude athmende Leben nicht glücklich machen können.

Am 9. Juli wohnte ich einem Freiheitsfest der Argentiner, das sie gewöhnlich, wie den 25. Mai, auf das Festlichste begehen, bei. Der Tag wurde übrigens auf höchst unschuldige Art und Weise gefeiert; Morgens war Parade und Abends Illumination. Hier hatte ich dann zum ersten Mal Gelegenheit, das argentinische Militär auf einer Parade und beim Exerzieren versammelt zu sehen, denn in Buenos-Ayres ist es, wie sich der Leser erinnern wird, streng untersagt, sich während dieser Zeit auf der Straße, ja nicht einmal auf den flachen Dächern der Häuser blicken zu lassen. Der Anblick war aber auch wirklich für Einen, der die europäische Disciplin nun einmal gewohnt ist, komisch.

Die Soldaten, ein kleiner Trupp von höchstens 120 bis 150 Mann, schlenderten nach einer höchst mittelmäßigen Musik um den Hauptplatz der Stadt herum. An der Musik waren ein Dutzend Neger schuld, die ihre Instrumente auf das Gewissenloseste mißhandelten, und die Soldaten marschirten dazu so entsetzlich langsam, daß ich im Anfang glaubte, sie bewegten sich gar nicht weiter, sondern höben nur im Taxt die Füße. Im Allgemeinen waren sie ganz weiß mit rothen Mützen und Aufschlägen gekleidet, und hatten Bajonettgewehre, als sie aber – langsam, o wie langsam – näher kamen, sah ich, daß die Beinkleider keineswegs alle von der Farbe der Unschuld waren, und noch ungenirter gingen sie mit ihren Füßen. Einige hatten Schuhe, andere Stiefel, noch andere Hühneraugen, und diese trugen dann (jedenfalls der größeren Bequemlichkeit wegen) ihre Schuhe oder Stiefel zusammengebunden über dem einen Arm und gingen lieber barfuß. – Den Officieren konnte das natürlich gleichgültig sein. Das Exerciren ging allerdings dem Namen nach in Reih und Glied, doch hatten die Commandirenden genug zu thun, nur einigermaßen Ordnung zu halten, da eine ziemlich lebhafte /123/ und gewiß interessante Conversation zwischen den „Gemeinen" deren Aufmerksamkeit etwas zu sehr in Anspruch nahm.

Die Illumination am Abend war desto brillanter, und wurde, als es schau dunkel war, erst durch die Straßen einhersprengende Cavalleristen anbefohlen. Die Reiter hielten nämlich an jedem Haus an und schrieen einige dem Fremden gewiß unverständliche Worte hinein, was Illumination bedeutete.

Wie schon erwähnt, ist die Bauart der Häuser in Mendoza noch ganz altspanisch. Die Gebäude sind gewöhnlich in großen Vierecks aufgeführt - die Fenster alle nach dem gerämnigen und hellen Hof oder den Gärten hinaus, so daß die Straßenfront nur sehr wenig vergitterte Fenster und oft ganz kahle Mauern zeigt. - Die Fenster konnten also auch aus diesem Grund nicht illuminirt werden, und man setzte nun die Lichter - etwa sechs vor jedes Haus - vorn auf das Straßenpflaster, wo sich dann die Jugend damit amüsirte und wohl auch die Illumination selber dadurch regulirte, daß sie hier und da ein mißliebiges oder ihrer Ansicht nach verschwenderisches Licht wegnahm und auf eine mehr protegirte oder weniger beleuchtete Stelle brachte.

Die Illumination begann stückweise und endete auch so; ihre Dauer beschränkte sich auf die Viertellänge eines Talglichts. - Es giebt doch nichts Kläglicheres auf der Welt, als eine officielle Freudenbezeigung.

Interessant war es mir, am andern Tag die argentinische Kavallerie zu sehen, wie sie gerade von der „Fütterung" kam. Die Soldaten hatten Fleisch „gefaßt" und dasselbe in ihrer wilden appetitlichen Art ganz einfach unter den linken Steigbügel gebunden. Daß es ihnen beim tollen Ritt an die Füße und die Beine des Pferdes schlug, schien ihnen ziemlich gleichgütlig. In diesen Tagen mußten sie aber auch ausrücken, und zwar, wie ich von meinem alten Correo hörte, die nächsten Anstedlungen gegen die Indianer zu schützen, die sich toller Weise ganz in die Nähe Mendozas gewagt haben sollten. Der Alte meinte freilich, sie wären jedenfalls, da sie ihn am El Morro verfehlt hätten, auf seiner Spur nachge-/124/ kommen. Da man behauptete, einige kühne Unitarios seien die Führer der Wilden und hätten von Buenos-Ayres Kunde bekommen, daß der Correo wichtige Depeschen und Gold mit sich führe, so war die Sache gerade nicht unmöglich. Ich blieb übrigens nicht lange genug in Mendoza, um es bestätigt zu hören.

Natürlich suchte ich jetzt auch, einmal an Ort und Stelle, soviel als möglich authentische Berichte über die Cordilleren und den Wintermarsch über sie hin einzuziehen. Die aber klangen hier am Fuß derselben fast eben so entsetzlich als in Buenos-Ayres und Rio de Janeiro, nur daß hier die Leute sämmtlich sagten, die Cordilleren seien keineswegs „geschlossen" und man könne den Uebergang jeden Tag versuchen und wohl auch glücklich zu Stande bringen, wenn man aber dabei e r w i s c h t w ü r d e, d. h. wenn man einen Temporale oder Schneesturm bekäme, dann wäre die Sache auch fertig und man könnte von Glück sagen, wenn man nur einfach erfröre und nicht auch noch verhungerte. - Hier war doch Hoffnung - hier gab es doch wenigstens keine Menschen, die da nur bei einer Erwähnung der Sache gleich schrieen, es ist total u n m ö g l i c h, es ist Wahnsinn, es nur versuchen zu wollen. - Auf den Temporale mußte ich es deshalb wagen.

 

Acht volle Tage hatte ich in Mendoza gelegen und mich nach einem Führer über die Cordilleren umgesehen, während mir Alle riethen, doch ja lieber zu warten, bis der Correo von St. Jago herüber käme und ich mit dem dann nichts allein billiger, sondern auch sicherer gehen könne. Mir ließ es aber keine Ruhe mehr in der Argentinischen Republik. Es trieb mich meinem Fahrzeug wieder zu, und ich hatte nun so viel über die „furchtbaren Gefahren der Berge", über Erfrieren, blind und todtgeschlagen werden gehört, daß ich es endlich satt bekam und auch gleichgültig dagegen wurde. Eins nur schreckte mich wirklich im Anfang ein wenig, und das war der rasende Preis, den der erste Führer, den wir auffanden, forderte, mich sicher und gut hinüberzubringen, er war 300 Dollars - sagte dreihundert Dollars - und dabei mußte ich noch durch die Berge zu Fuß gehen. Er meinte aber, es sei in jetziger Zeit mit so vielen Umstän-/125/

den und Gefahren verknüpft, daß er es - der gute Mann kam gleich um ein Drittel herunter - unter zweihundert keinesfalls thun könne. Selbst das war ich nicht im Stande zu geben und mußte mich nach einem andern umsehen. Dadurch aber verging die Zeit, und ich sah mich endlich genöthigt, wollte ich nicht noch eine Woche herumlaufen, die freilich etwas gemäßigteren, aber doch noch immer schweren Bedingungen eines andern Führers einzugehen, der nur fünf Unzen (also etwa 80 spanische Thaler) und außerdem noch Beköstigung verlangte - ebenfalls eine Sache von circa fünf Dollars, da man sich auf den schlimmen Fall eines Schneesturms vorsehen muß. Der Mann meinte außerdem, fünf Unzen sei jedenfalls in dieser Jahreszeit ein höchst mäßiger Preis, denn wenn man einmal sein Leben riskiren wolle, müsse man auch etwas dafür erhalten. Für den Weg rechnete er, wie er sagte, eine Unze - für die Gefahr die vier anderen.

Der Preis der Unzen selber war in Mendoza sehr verschieden von Buenos-Ayres, wo die argentinische wie chilenische und mexikanische Doublone gleich sechzehn Dollars galt, während die argentinische und mexikanische hier siebzehn, die chilenische achtzehn Dollars stand.

Jetzt, einmal mit einem Führer im Reinen, ging ich scharf daran, die nöthigen Provisionen einzulegen, und diese bestanden besonders in getrocknetem Fleisch, charque genannt, das die Argentiner zu diesem Zweck - nämlich in möglichst kleinen Raum zusammengedrängt - zuzubereiten wissen. Dieses getrocknete Fleisch, schon an sich fest und hart, wird nämlich noch mit Hämmern so zusammengeschlagen, bis es wie dicke Pappe aussteht und auch eben so leicht zu kauen ist; dann noch fest in ein kleines Paket geschraubt, bildet es zuletzt eine steinartige harte, felsenschwere Masse, an der sich die einzelnen Scheiben ablösen wie Marienglas. Es ist auf diese Art Allerdings eine nicht unbedeutende Quantität Nahrungsstoff in einen möglichst engen Raum zusammengedrängt. Außer dem Fleisch, was unser hauptsächlichstes Subsistenzmittel unterwegs sein sollte, hatte mir Herr Rohde oder „Don Carlos", wie er allgemein in Mendoza genannt wurde, da die Spanier fast nur die Vornamen bekannter Leute gebrauchen auch /126/ noch in wirklich freundlicher Weise Mehl besorgt, damit ich so wenig als möglich Kosten haben möchte. Zu diesem nahmen wir ein Mädchen in's Haus, das zu backen verstand und aus dem Mehl eine Art harter vortrefflicher Zwiebacke bereitete, und mit noch einigen Zwiebeln, etwas rothem Pfeffer, einer kleinen Büchse gebrannten und gemahlenen Kaffees, und einem eisernen Kocher, Wasser zu sieden, waren wir fix und fertig.

So viel war indessen von dem blendenden Schnee der Cordilleren und vom wirklichen Erblinden Einzelner, die um diese Jahreszeit den Uebergang gewagt, gesprochen, daß Don Carlos (Schiller genirte mich ungemein bei diesem Namen) sich nicht abreden ließ, mir eine grüne Brille mitzugeben. Selbst der Führer versicherte mir dabei, ich würde sie gebrauchen können, denn er selber habe den Weg schon mehrere Mal gemacht und sich noch immer nicht an den blendenden Schnee gewöhnen können. Ich dachte kopfschüttelnd an unsere deutschen Schneeflächen, steckte aber doch die Brille vor allen Dingen einmal in die Tasche - ich kannte die Verhältnisse des Landes noch nicht, und die darin Eingeweihten wissen so etwas meistens besser wie der Fremde.

Daß der Argentinische Staat übrigens ein Polizeistaat sei, sollte ich, ehe ich diese wirklich rothe Republik verließ, noch erfahren. Ich mußte nämlich, trotzdem daß mein Paß in Buenos-Ayres auf Valparaiso schon vistirt war, noch hier einen neuen Paß nach dieser Stadt nehmen und dafür (die Pässe sind in Mendoza theurer als die Pferde) 5 ¼ spanische Thaler bezahlen. Ich protestirte dagegen und verwies auf den schon nach Valparaiso vistrten Paß, die Polizeibeamten frugen mich aber, „was sie Buenos-Ayres (die Hauptstadt der Argentinischen Republik) anginge", und da ich ihnen hierauf keine genügende Antwort geben konnte, ersuchten sie mich um die „landesübliche Münzsorte".

Interessant waren mir hier die Verhandlungen im Polizeigebäude, das ich ebenfalls nur mit rothem Band um den Hut und mit eben solchem im Knopfloch betreten durfte. - Meine spanische Erlaubnißkarte, die Argentinische Republik wieder verlassen zu dürfen, wurde in fünf verschiedenen Stuben von /127/ fünf verschiedenen Leuten unterschrieben - es war wie ein Stammbuch - und viermal prangte darauf die argentinische Devise viva la confederacion Argentina, mueran los vajes Unitarios.

Doch genug von Mendoza, ich führe den Leser vielleicht einmal später wieder - wenn er Lust haben sollte, mir zu folgen - dahin zurück. Jetzt aber muß ich nach Valparaiso aufbrechen, sonst versäume ich mein Schiff, das vielleicht schon dort im Hafen liegt und - meiner nicht wartet, sondern so schnell als möglich seine Erfrischungen einzunehmen und sein Ziel - San-Francisco - zu erreichen sucht. Also über die Cordilleren!

6.

Wintermarsch über die Cordilleren.

Am Mittwoch Abend, den 11. Juli 1849, setzten wir uns endlich, von meinen beiden deutschen Freunden Rohde und Schöpf bis zum nächsten, nur eine Legua entfernten Haltpunkt begleitet, in Marsch. Die Führer thun das gewöhnlich, um am nächsten Morgen gleich frei von der Stadt zu sein und recht früh aufbrechen zu können. Hier tranken wir noch ein paar Flaschen Wein zusammen, und ich warf mich, als sich die anderen Beiden wieder nach ihren eigenen Wohnungen zurückgezogen hatten, auf meine Decke, um der noch kurzen Nacht ein paar Stunden Ruhe abzugewinnen. Das erste Nachtquartier ging denn auch ruhig und ohne weiter etwas Besonderes vorüber. - Wir lagerten vor dem Haus, aber ohne Feuer, und es war ziemlich kalt, doch schlief ich gut - ich war nur froh, so weit wenigstens meinem endlichen Ziel ent-gegengerückt zu sein.

Der Mond stand noch hell und klar am Himmel, als /128/ wir am Donnerstag Morgen in die Sättel sprangen. Die kleine Caravane bildeten mein Führer, ein Chilene, in einem sonst in der Argentinischen Republik verpönten grünen Poncho, zwei Peons oder Diener, von denen der eine mein Gepäck, der andere Provisionen und einige Kohlen tragen sollte, und dann ich selbst. Der Morgen war frisch, aber herrlich; links (neben uns lagen die prächtigen Berge, hinter denen, in noch weiter Ferne, die weißen Schneekuppen wie drohend zu uns herüberschauten, und rechts dehnte sich die allerdings nicht ( sehr romantische, mit niederen Büschen bedeckte Ebene aus. Endlich stieg im Osten die Sonne empor und warf ihre Strahlen auf die roth erglühenden Schneefelder der Cordilleren, und über den Himmel hinaus breitete sich der rosige Saum - und die Vögel zwitscherten, der Thau hing an den grünen Blättern der Sträucher - die Thiere trabten lustig in den reizenden Morgen hinein, und selbst meine Begleiter - sonst gerade nicht lieblich und holdselig anzuschauen - sangen und pfiffen, und schienen sich ebenfalls der herrlichen Natur zu freuen.

Rechts, dicht am Weg, stand ein einzelnes Häuschen und ein hoher Weidenbaum dicht davor; dahin bogen sie plötzlich ab. - Wollten sie schon wieder Rast machen? - wir waren kaum eine Stunde geritten - nein, vor dem Baum hielten sie und murmelten ein halblautes Gebet.

Ich sah ihnen erstaunt zu; als sie aber fertig waren, zog der eine Peon auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, zeigte nach dem Baum hinauf und sagte: una bota! (ein Stiefel); - ich blickte auf und - sollte mir denn, soweit die Republik reichte, jeder freundliche Augenblick durch irgend etwas Scheußliches verbittert werden? - oben an den einen Ast war der Fuß desselben Verbrechers, dessen Kopf mich schon von der Stange herunter angestarrt - bis zum Knie abgeschnitten - angenagelt. Ich wandte mich schaudernd von dem halb verwesten, halb vertrockneten Ueberrest jenes Verbrechers ab, drückte meinem Thier die Sporen in die Seiten und sprengte voran - die Anderen lachten.

Es mag sein Gutes haben, diesem Volk die Folgen eines Verbrechens - das hier wohl nicht einmal zu den seltenen ge-/129/hört - täglich und wohin es sich auch wendet, vor Augen zu führen; es hat aber auch jedenfalls für Den, der nicht gerade immer ein „abschreckendes Beispiel" vor sich zu haben braucht, etwas höchst Fatales und Widerliches. Und was haben nun gar die armen Menschen in dem kleinen friedlichen Haus verbrochen, daß sie das scheußliche Bein da bei ihrem Ein- und Ausgang immer vor Augen haben müssen? - Ich scheue mich wahrlich nicht vor Leichen und habe deren schon in mancherlei Gestalt gesehen, in dem Haus möcht' ich aber doch nicht, sei es um welchen Preis es wolle, wohnen. Der Morgen war mir denn auch richtig wieder verdorben, und ich war nur froh, als wir uns mehr und mehr den Bergen näherten, wo mit der alten Umgebung auch die alten Gedanken verdrängt werden mußten.

Am meisten trug übrigens das hier gar nicht so weit von der Stadt schon vorkommende Wild dazu bei, mich zu zerstreuen. Wir sahen viele Guanakas - die Lamas der Cordilleren - und auch einige Strauße, die letzteren aber sehr scheu und gleich beim Anblick der Pferde in wilder Flucht.

Das Guanaka ist ein prächtiges Thier - so groß wie ein Hirsch fast, nur mit noch längerem Hals und weicher, herrlicher Wolle, aber sehr leicht zu schießen, denn die Jagd darauf wird hier nur sehr schwach betrieben, und das Wild läßt die Jäger mit nur einiger Vorsicht leicht auf hundert Schritt heran. Für mich waren übrigens auch noch außerdem meine Begleiter, und besonders die beiden Peons, die mein Gepäck trugen, von höchstem Interesse.

Der chilenische „vagujano" (wie sie ihn dort nannten) bot nichts Besonderes; eine kräftige, untersetzte Gestalt, von dem grünen, mit bunter Einfassung besetzten Poncho überhangen, die niedere Stirn mit einem breitrandigen Strohhut bedeckt und sonst mit ziemlich nichtssagendem Gesicht, das nur gleichgültig bald über die rechte, bald über die linke Schulter hinüberschaute, ritt er voraus. Die beiden Peons dagegen erinnerten mich - und sonderbarer Weise gleich von Anfang an - lebhaft an die beiden Banditen aus Flotow's Stradella4. Der Eine - ein trocken drolliger Bursch, aber mit einer /130/ Galgenphysiognomie, wie sie wohl noch kaum dagewesen, verzog nur selten das Gesicht zu einem Lachen, während sich der Andere, ein kleiner, jüngerer Bursch, fortwährend über die Geschichten, die jener erzählte, ausschütten wollte. Der Erste war ein Argentiner, der Zweite ein Chilene, Beide trugen aber die argentinische Tracht, Beide auch das lange, argentinische Messer hinten im Gürtel, und ich zweifle gar nicht, daß sie bei passender Gelegenheit auch recht passenden Gebrauch davon zu machen gewußt hätten.

Wir waren alle vier beritten, diesmal aber nicht auf Pferden, sondern auf Maulthieren; denn Pferde würden, wie mir der Führer sagte, in den Engpässen, die wir zu passiren hätten, nicht allein nicht fortkommen, sondern auch den Reiter, wenn der nicht fortwährend zu Fuß gehen wollte, zu sehr gefährden. Die Maulthiere waren übrigens vortrefflich, und wennsie uns auch vielleicht noch im flachen Land nicht so rasch vorwärts trugen, als es Pferde gethan haben würden, ritten sie sich doch leicht und bequem.

Dreizehn Leguas von Mendoza entfernt betraten wir zuerst die Grenzhügel der Cordilleren; aber kein Baum erfreute das Auge, nur niederes Buschwerk stand in den Thälern, und an den Seitenhängen hin kletterten Ziegen und hier und da auch Kühe und Maulthiere, und weideten das spärliche Gras ab. Das Wasser schien aber in dieser Gegend besonders rar, und wir hatten an dem Abend wirklich Mühe, einen guten Lagerplatz zu finden. Es war schon dunkel, als wir endlich eine ziemlich steile Felswand erreichten, unter deren Schutz wir ein Feuer anzünden und ein Stück Guanakafleisch braten konnten, aber keineswegs Holz genug da, die ganze Nacht ein Feuer zu unterhalten. Als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, mußten wir es ausgehen lassen und legten uns, so gut das angehen wollte, in unsere Decken gewickelt, die Sättel unter dem Kopf, zur Ruhe nieder. Den Abend vorher war es aber gar nicht so kalt, und ich selbst auch wohl die warmen Nächte Mendozas noch gewohnt gewesen, kurz, ich gab mir gar keine besondere Mühe, mein Lager nach allen Regelndes Berg- und Waldlebens zu bereiten, sondern warf mich eben nur auf eine Decke hin und deckte mich mit dem /131/ Poncho zu. Dafür sollte ich aber auch büßen – ich fror die Nacht schmählich, und konnte mir im Anfang eigentlich gar nicht erklären, woher das kam, bis ich am andern Morgen das Wasser in dem neben mit stehenden Blechbecher – gefroren fand.

 

Das erste Zeichen, wie wir schon in die Berghöhen vorgerückt seien, machte sich hier bemerklich, und als wir ausrückten, fanden wir deren nur zu bald mehr. Der Bach, an dessen Ufer wir hinauf mußten, hatte überall Eis, so daß mein Maulthier an mehreren, wirklich abschüssigen Stellen verschiedene Male ausglitschte und zu stürzen drohte, jedesmal aber durch den ermunternden Zuruf der Führer wieder zu neuer Anstrengung angespornt wurde. Dieser Zuruf selbst aber hatte wirklich etwas Charakteristisches, und bestand nur in dem Worte: „oh mula, oh mula!“ – Dem strauchelnden Thier wurde nur zugerufen, daß es ein „Maulthier“ sei, und es so bei seinem Ehrgefühl auf die wirksamste Art angefaßt. Ein Maulthier und stolpern – nein, das ging gar nicht – der Führer hatte vollkommen Recht, und es nahm jetzt alle seine Kräfte zusammen, so daß wir Stellen glücklich passirten, auf denen Pferde Hals und Beine gebrochen hätten.

Höher und höher stiegen oder kletterten wir vielmehr hinauf, bis wir die mit dünnem Schnee bedeckten Kuppen erreichten – doch lange noch keine Cordilleren. – Diese an sich schon ziemlich hohen Berge haben auch den für den Wanderer, der hier schon Bedeutendes geleistet zu haben glaubt, allerdings nicht ermuthigenden und auch etwas unanständigen Namen der „Piojos der Cordilleren“. Hier fand ich selbst im Schnee die Spuren der Guanakas und des Puma oder amerikanischen Löwen, der die Höhen zu lieben scheint. – Die Fährte des letzteren war etwas größer als die des amerikanischen Panthers, und mein Führer versicherte mir, daß man das Thier zwar manchmal, aber doch nur äußerst selten am Tag zu sehen bekäme. Nachts aber, und selbst bei Mondschein, streife es umher und folge sogar manchmal den Fährten der Menschen, die es aber nie selber angriffe.

Auf dem höchsten Gipfel dieser Hügel, wie ich sie doch wohl nennen muß, öffnete sich uns aber auch plötzlich ein /132/ Panorama, das ich nun und nimmer vergessen werde. Unter uns, zu unsern Füßen, lag das unmittelbar die Cordilleren umschließende Thal, und schroff und scharf stiegen aus diesem empor die gewaltigen Bergen – die Riesenleiber in ihre weißen, blitzenden Schneedecken gehüllt und hineinragend in die Wolken mit den starren, zackigen Kronen.

Da hinüber wollt‘ ich armes schwaches Menschenkind – da hinüber, wo unberechenbare Schneemassen oft Berg mit Berg verbanden und die Schluchten in ihrer unergründlichen Tiefe bis zum Rand füllten – da hinüber, wo alles andere Leben in eisigem Frost erstarrt war, und selbst der Condor mit rascherem Flügelschlag die zackigen Eisfelder und Kuppen überflog? – Ja, da hinüber wollt‘ ich – und es war zugleich auch ein stolzes, freudiges Gefühl, daß gerade die schwache Menschenkraft es wagenkonnte, all‘ die Schwierigkeiten zu besiegen und sich die Bahn zu brechen, wo jede Bahn, jeder Fortgang unmöglich schien.

Der Himmel spannte sich in sich in freundlicher Bläue über der prachtvoll großartigen Winterlandschaft aus; nur der Windzug strich scharf da oben, wo wir standen, über die Kuppen hin.

Doch mein Führer war nicht der Mann, sich lange bei „Naturschönheiten“ aufzuhalten. – Er hatte die Cordilleren schon mehr gesehen und wollte in’s Thal, wo die Thiere nicht allein zu fressen bekommen, sondern er selbst auch mit seinen Leuten bessere Pflege erhalten konnten, wie wir sie in den letzten zwei Nächten gehabt. Bergab ging’s jetzt nun wieder scharf, und zwar so, daß wir den ersten Schnee bald hinter uns ließen und in ein sonniges, freundliches Thal hinabstiegen, wo grüne Myrtenbüsche, wenigstens auf eine Zeit lang die kahlen, nackten Felsen verdrängten. Die Sonne schien hier warm und erquickend, und gegen Abend entreichten wir dem Lauf eines kleinen Wassers in der letzten Stunde folgend, ein Haus. Dort fanden die Maulthiere, die sich die letzten Tage spärlich genug behelfen mußten, gute Wiede, und wir selbst ein vortreffliches Glas Mendozawein, uns daran zu erquicken.

Dies war das westlichste Haus der Argentinischen Re-/133/publik, und hier versorgten wir uns auch noch mit ein paar Hörnern voll Mendozawein, die wir über's Pferd hingen. Diese Art, Flüssigkeiten zu transportiren, ist übrigens so originell als praktisch. Ein paar gewöhnliche Ochsenhörner, natürlich so groß wie sie solche bekommen können, werden unten gerade abgesägt und mit einem fest eingesetzten und verpichten hölzernen Boden versehen, dann oben durch das spitze, harte Ende ein Loch hineingebohrt und ein Stöpsel draufgesetzt, und die Flasche ist fertig. Zwei solche Flaschen bindet man mit einem kurzen Ende Rohhaut - die hier überall den Bindfaden vertritt - zusammen und hängt sie solcher Art über den Sattel. - Schon von Buenos-Ayres hatte ich ein Paar solcher „Zwillinge", nur etwas kleiner, für Caňa (den Vorlauf von Rum, eins der angenehmsten und leichtesten spirituösen Getränke) mitgenommen.

An dem Abend spät kamen auch vier Guanakajäger mit fünfzehn mächtigen Hunden zurück, mit denen sie ein armes Thier in den Bergen zu Tode gehetzt hatten. Das ist die einzige Art, wie sie das Wild in dieser Gegend erlegen können, denn Feuergewehr führen sie nicht, oder wissen nur so mittelmäßig damit umzugehen, daß sie sich nicht darauf verlassen können.

Hier hatten sich unsere Maulthiere, die von da an, wie mein Führer sagte, in den Bergen nicht mehr viel Futter finden würden, noch einmal tüchtig satt gefressen, und die armen Thiere schienen es fast zu wissen, daß es jetzt einem für sie schlechten Terrain zugehe. So wie sich nur Einer der Einfriedigung näherte, spitzten sie schon die Ohren und liefen nach dem entferntesten Ende derselben, um nur nicht eingefangen zu werden. Arme Geschöpfe, das hilft euch nichts - der Lasso erreicht euch, wo ihr auch seid, und seiner fliegenden Schlinge, unter der ihr erschreckt und zitternd zusammenzuckt, entgeht ihr nicht.

Am nächsten Morgen - Sonnabend den 14. Juli - brachen wir früh auf, und zwar jetzt dem Eingang der Cordilleren, einem schmalen Thale zu, das sich der Tucunjado in die Felsen gerissen. Wir blieben an der linken Seite des Bergstroms, und ich mußte staunend sehen, wie sich die Spuren /134/ des jetzt allerdings niedern Stromes bis zu dreißig und vierzig Fuß über uns erhoben, und dann noch Zeugniß gaben wie er das nächste niedere Land überschwemmt habe. Eine furchtbare Gewalt muß es sein, die all' die tausend Wasser dieser ungeheuren Bergkette im Frühjahr sammelt und donnernd in's Thal hinabsendet, und nicht zu verwundern ist's dann, daß sie ganze Felsstücke mit fortreißt, und selbst an den steinigen Ufern mit Erfolg wühlt und gräbt, und ihr Bett verändert und erweitert.

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