Reisen Band 2

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Ein Schlag seiner Peitsche trieb die Pferde an, die Kutsche - wenn ich mich einer so groben Schmeichelei schuldig machen darf, ein solches Fuhrwerk Kutsche zu nennen - schoß vorwärts, und mit dem plötzlichen Ruck, oder ich möchte sagen der nachfolgenden „Onantität von Rucken“, wurden wir so ohne weiteres Erbarmen durcheinander geschüttelt, daß sich ein Teil der Passagiere setzte, d. h. nicht etwa in unserem civilisirten und gesellschaftlichen Sinne, sondern wie durch irgend einen chemischen Proceß, als Bodensatz formiert wurde, während die andere, leichtere Hälfte obenauf zu liegen kam. Ich saß - oder sitzen sollte hier eigentlich ein passives Verbum sein - ich wurde also gesessen.

Um die Sache noch vollkommen zu machen, fing es etwa um zehn Uhr Abends an zu regnen, und um zwölf Uhr goß es, so daß wir in der Tat jede gegründete Ursache hatten, uns elend zu befinden, und vollkommen entschuldigt gewesen wären, hätten wir unserem Unmut in Flüchen und anderen Zeichen grimmigen Zornes Luft gemacht. Aber Gott bewahre! Die Extreme berührten sich auch hier. Ich weiß mich der Zeit nicht zu erinnern, daß ich eine ganze Nacht hindurch, selbst in der angenehmsten Gesellschaft und unter den erfreulichsten Verhältnissen, mehr gelacht und mich besser amüsiert hätte, als auf diesem fliegenden Marterkasten. Obgleich fast Keiner noch das Gesicht des Andern gesehen hatte, ausgenommen beim /68/ ersten Einsteigen, wo man doch wenig auf einander achtet, noch dazu da so Viele unterwegs ausstiegen, und man nicht einmal wissen konnte wer eigentlich sitzen geblieben war, und später vielleicht die wenigen Secunden beim Abendessen, lachten und schwatzten wir doch Alle so gemütlich mit einander, als ob wir schon die längsten Reisen mitsammen gemacht hätten, und Anekdoten und Geschichten wurden erzählt, und Lieder gesungen die ganze Nacht hindurch. Wir mußten dabei einen steilen Berg übersteigen, den sogenannten razor-back (Rasiermesserrücken). Es regnete zugleich wie aus kleinen Eimern, die Pferde konnten den Wagen kaum leer hinaufschleppen, die armen Frauen kaum ihr eigenes Selbst hinaufbringen, und ich trug außer meiner Büchsflinte, die ich nicht aus den Händen ließ, noch kleine Kinder den Razorback hinauf und wieder hinunter - auch eine sehr schöne Beschäftigung für einen reisenden Literaten - aber nichts vermochte unsere gute Laune zu stören, und der Kutscher schüttelte nur immer verwundert den Kopf und meinte, solch' wunderliches Volk sei ihm in seiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen, und er hätte doch noch stärkere Ladungen bei noch scheußlicherem Wetter hier herauf und hinunter gefahren.

Naß wie die Katzen und über und über voll Schlamm stiegen wir wieder ein, unsere gute Laune blieb aber immer dieselbe, und nur gegen Morgen, als es zu regnen aufhörte und der kalte, fröstelnde Morgenwind über die Bergkuppen strich, wurden die Gespräche zuerst einsilbiger, das Lachen kürzer und einzelner. Hier und da fing Einer oder der Andere an zu nicken, und knöpfte sich fester in seinen Rock ein, wenn er durch das Schaukeln des Wagens, der ihm nicht die geringste Rücklehne bot, emporgeschnellt wurde, und nun vor Kälte zitternd fand, daß er - nicht etwa in seinem Bette, was er vielleicht eben in flüchtigen Umrissen geträumt, sondern an Bord einer australischen königlichen Postkutsche sei.

Als der Morgen endlich dämmernd anbrach, wünschte ich mir zeichnen zu können, denn eine solche Gruppe betrübter Gestalten habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen; wir mußten in der Tat Alle laut auflachen, als wir einander /69/ ansichtig wurden. Das komischste Bild war ein mir gegenübersitzender Kollege, ein Mr. Johnson, der Herausgeber des Goulbourne Herald, der nach Sidney eine kleine Vergnügungstour im schönsten Wetter gemacht hatte, und jetzt im kalten Regen, nur mit einem dünnen Sommerröckchen bekleidet, fröstelnd, die zusammengefalteten Hände zwischen die Knie geklemmt, den fadennassen Seidenhut tief in die Stirn gedrückt, dasaß und - ein Bild des Leidens und der Resignation - seinen Rockkragen zu einer doppelten Wasserrinne dienen ließ, indem er rechts das jetzt wieder niederträufelnde Regenwasser von einem hellblauen baumwollenen Regenschirm und links von einem grünen Sonnenschirm geduldig auffing, und aus sein Vorhemdchen nicht allein weiter beförderte, sondern diesem auch die entsprechende hellblaue und grüne Farbe getreu und unparteiisch mitgeteilt hatte.

Auf einer der Zwischenstationen, deren Namen ich vergessen habe, ließen wir einen Teil der Passagiere und bekamen nun hinreichenden Raum; in Goulbourne setzten wir auch den Editor des Goulbourne Herald, der sich heilig verschwor, unsere Reise auf das Genaueste zu beschreiben, an seiner eigenen Tür ab, wo der gute, etwas feuchte Mann von Frau, Kindern und Hunden aus das Herzlichste empfangen wurde, und dort bekamen wir auch zum ersten Mal, seit wir Sidney verlassen hatten, drei Stunden Rast, wurden aber um zwei Uhr schon wieder herausgeholt, und galoppierten nun in stockfinsterer Nacht bei wahrhaft schauderhaften Wegen unserem leider noch so fernen Ziel entgegen.

Etwas interessant wurde die Fahrt übrigens noch durch das Gerücht von „Buschrähndschern", die sich in neuerer Zeit wieder auf der Straße gezeigt und die Post schon mehrere mal angefallen hatten. Ich hielt meine Büchse auch deshalb fortwährend geladen: gerade hier hinter Goulbourne sollte die gefährlichste Stelle sein. An Passagieren waren wir noch ein Mann in einer blauen Blouse - einem sogenannten Buschhemd - und eine der Damen, „die letzte Rose" und wahrscheinlich meine Schutzbefohlene, eine Frau, vielleicht achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt, ebenfalls mit einem kleinen Kind, o h n e welches ich bis jetzt hier sehr wenig /70/ Frauen gesehen hatte. Die arme Frau wollte übrigens noch bis Gundcgay, und mußte von Wind und Wetter nicht wenig aushalten, ja ich weiß in der Tat nicht, wie es das Kind wenigstens in dem Unwetter, Tag und Nacht auf dem offenen Kasten, ausgehalten haben könnte, hätte ich nicht glücklicher Weise meine wollenen Decken für die Landreise mitgeführt, die das Schlimmste wenigstens von Mutter und Kind abhielten.

Vier bis fünf Meilen mochten wir so etwa im Dunkeln gemacht haben, und unser Weg lag durch einen dichten Gumwald - der Leser darf sich auch nicht etwa denken, daß wir eine ordentlich gebahnte Poststraße unter uns gehabt hätten; nein, wie es der bergige Boden und die ziemlich dicht stehenden Bäume gestatteten, hatten sich die Wagen mit der Zeit ihre Bahn gesucht, denen waren andere gefolgt, und so bildeten sich nach und nach Poststraßen, auf denen man allerdings vollkommen sicher und nur der Gefahr ausgesetzt war, entweder von Buschrähndschern angefallen und totgeschossen zu werden, oder - das Wahrscheinlichere - bei dem tollen Fahren der Kutscher den Hals oder sonst einige notwendige Gliedmaßen zu brechen. Ich hatte schon mehrere mal vergeblich versucht, dem unsichern Sitz mit einer kaum vier Zoll hohen Rücklehne ein paar Minuten Schlaf abzustehlen, die Gefahr war aber zu groß, herunter und zwischen die Räder zu stürzen, und ich suchte mich zuletzt mit Gewalt munter zu erhalten, als plötzlich die Frau, die sich schon die ganze Zeit ängstlich umgesehen hatte, meinen Arm faßte und mir zuflüsterte, sie hätte eine Gestalt eine kurze Strecke hinter uns über die Straße gleiten sehen. Kurzes Aufpassen überzeugte mich bald, daß ein Reiter, jetzt links von uns, nicht mehr auf der Straße, sondern durch den Wald galoppierte und allem Anschein nach uns vorzukommen schien; er hielt sich jedoch mehr links und ein kleines Gebüsch verbarg ihn bald unseren Augen. Der Kutscher, dem ich das Gesehene mitteilte, stieß einen leisen Fluch aus und meinte, die verwünschten Kerle hätten schon neulich seinen Kameraden angefallen und, als ihnen dieser mit den Postpferden zu schnell gewesen sei, ein Pistol auf's Geratewohl dem Wagen nachgefeuert, ohne jedoch irgend Jemand zu verletzen. /71/ Natürlich hatte ich indessen meinen Poncho vom rechten Arm zurückgeworfen und die Büchse, zum Gebrauch fertig, auf's Knie genommen, glücklicher Weise sollte ich aber keinen Gebrauch davon machen; hatten die Burschen vielleicht in Goulbourne erfahren, daß wir bewaffnet waren, oder hatten wir dem nächtlichen, vielleicht höchst moralischen Reiter überhaupt Unrecht getan, ihn für einen Räuber zu halten - genug, wir bekamen nichts weiter von ihm zu sehen, und nur einmal glaubten wir rasche Hufschläge vor uns auf der Straße zu hören.

Lange hatte ich mich schon darauf gefreut, einmal eine ordentliche australische Landschaft und den Urwald in seiner ganzen Eigentümlichkeit zu schauen, denn oben am Huntcrsriver war cs mir vorgekommen, als ob die Natur dort schon zu sehr von Menschenhänden im Zaum gehalten sei, ich konnte wenigstens keinen großartigen Baumwuchs, wie das schon so oft geschildert worden, finden, und statt eines Wechsels in den Gruppen lösten sich nur immer und immer wieder Gumbäume einander ab. Die Leute dort vertrösteten mich auf den Murray, und ich fing jetzt selber an mich darauf zu vertrösten, denn hier im Innern wurde die Scenerie nur immer trostloser. Bis Goulbourne schienen in den letzten Wochen ziemlich starke Regen gefallen z« sein, und das Gras wuchs voll und üppig, das Vieh sah gut aus und grüne Büsche in einem ziemlich starken Unterholz gaben der ganzen Landschaft etwas Freundliches, wenn auch Monotones in der zu großen Ähnlichkeit des Laubes. Je weiter wir aber nach Westen zogen, desto dürrer wurde der Boden, desto dünner die Vegetation, desto magerer das Vieh, das wir an der Straße trafen, und als wir das kleine Städtchen Jas erreichten, schien Alles aufzuhören.

In Yis sollte uns aber noch etwas Anderes bevorstehen. So schlecht die Wagen nämlich bis jetzt gewesen waren, so hatte man doch wenigstens darauf sitzen können, ohne der steten Gefahr ausgesetzt zu sein, herauszufallen, hier in Yis sollte aber auch dies aufhören. Von da aus bekamen wir einen zweirädrigen Karren, auf dem Zwei nach vorn und Zwei nach hinten (die auf dem Rücksitz mit dem Rücken den /72/ Pferden zugewandt) sitzen k o n n t e n, Drei nach vorn und Drei nach hinten aber aufgenommen werden, wenn sich Schlachtopfer genug dazu finden. Die vorn saßen, hatten sich noch nicht zu beklagen; der Karren hing auf ziemlich guten Federn, und der Vordersitz war, wenn auch nicht bequem, doch leidlich, es war, als ob man bei einer gewöhnlichen Kutsche mit auf dem Bock saß. Die Hintersitze erwiesen sich aber in der Tat lebensgefährlich, und wie ich später gehört habe, soll auch schon mehrfaches Unglück, besonders mit Damen, vorgefallen sein, die nicht im Stande waren, sich gegen das furchtbare Rütteln des Kastens an dem niedern eisernen Geländer und mit fast keinem Fußbord festzuhalten, und dann rettungslos herabgeschleudert wurden, wobei sie noch ihrem Gott danken konnten, wenn sie nicht auf das herumwirbelnde Rad stürzten.

 

Die Wege sind dabei, Hügel auf und nieder und durch trockene Lagunen und Schluchten, wahrhaft lebensgefährlich, was etwas die zwei Räder entschuldigt; denn ein vierrädriger Wagen würde noch mehr dem Umwerfen ausgesetzt sein. So, steilen Abhang hinauf oder hinunter, geht es fortwährend im Galopp, so daß beim Wiederaufführen die hinten Sitzenden die ganze Wucht ihres Körpers einzig und allein ihren Händen oder ihren um die schmale eiserne Stange geschlungenen Armen anvertrauen müssen.

Die Szenerie wurde hier, wenn das seit den letzten Meilen überhaupt möglich gewesen wäre, noch trauriger; kein Grashalm so weit das Auge reichte, kein Busch außer niederen Gumbüschen, und alle, alle ein und dasselbe Laub; ja so verzweifelt gleichförmig sind selbst die Blätter untereinander, daß man, wenn man sie nicht selber vom Zweig bricht, gar nicht bestimmen kann, was die obere oder untere Seite an ihnen ist.

D i e Annehmlichkeit haben die mit dem Rücken nach vorn Sitzenden, daß ihnen niederhängende Zweige gar nicht selten nicht allein den Hut vom Kopf reißen, sondern den Kopf manchmal fast auch mitnehmen möchten - der Karren rasselt in der Zeit an, bis Ihr Kutscher oder Pferde bewegen könnt zu halten, und von dem Schlag noch halb be-/73/

täubt, kann der Passagier oft hundert und zweihundert Schritt zurücklaufen, um seine verlorene Kopfbedeckung wieder zu holen.

„Verliert Ihr manchmal Passagiere von dem Kasten herunter?" - frug ich den Kutscher, als uns das Marterwerkzeug zum ersten Mal vorgestellt wurde.

„Selten!" lautete die lakonische Antwort.

Freitag Abend, den 25. April, kamen wir glücklich nach Gundegay, einem kleinen Städtchen am Murrumbidgee. Hier ließen wir unsere letzte Dame, und die arme Frau war durch die anstrengende Tour wirklich mehr tot als lebendig.

In Gundegay, das wir in der Nacht erreichten, blieben wir etwa eine Stunde und fanden den kleinen Ort noch in voller Aufregung eines Angriffs wegen, den ein benachbarter Murrumbidgee-Stamm auf die friedlichen Indianer oder Blacks gemacht hatte, die sich gewöhnlich in Gundegay selber aufhielten. Mitten in der Stadt hatten sie diese plötzlich überfallen, mehrere verwundet und einen getötet, ohne jedoch einen Weißen, von denen ihnen gerade mehrere in den Weg kamen, zu verletzen. Die Leute waren hier wieder einmal voll von schrecklichen Geschichten über die „treacherous devils", verräterischen Teufel, wie sie überall genannt wurden.

Wir mußten hier über den Murrumbidgee, den ich, obgleich er ein ganz ansehnliches Bett hat, kaum einen Fluß nennen darf, denn er bestand, in dieser allerdings sehr trockenen Jahreszeit, nur aus einer Kette von Wasserlöchern ohne irgend eine Strömung, ja ohne Verbindung derselben untereinander; und in jedem Sommer tat er dasselbe. Gerade hier war jedoch Wasser genug, und wir setzten in einem großen breitschlächtigen Fährboot über.

Am nächsten Tag bekamen wir für die Abgegangene wieder einen andern Passagier als Leidens geführten - einen jungen Mann, und seiner weißen Halsbinde und dem etwas breit- krämpigen Hut nach unter jeder Bedingung Geistlicher, der, wie ich auch bald genug erfuhr, seine Glieder allmonatlich dem australischen Marterfuhrwerk, Royal-Mail genannt, preisgab, um in Albury seine geistlichen Functionen zu versehen - ich betrachtete ihn mir als eine Art Märtyrer mit einer /74/ gewissen Ehrfurcht. In Albury glücklich und ohne Knochenbrüche angekommen, hält er dann Sonntags seine regelmäßigen Predigten, und tauft und traut was ihm gebracht wird und sich während seiner Abwesenheit angehäuft hat.

Interessant war sein Entree - natürlich kam er zu mir auf den Hintersitz, und mit einem sanften, verbindlichen Gruß aufsteigend, nahm er seinen Sitz ein und zog ein kleines Gebetbuch aus der Tasche, in dem er zu lesen anfing. Er war allerdings schon öfter auf dieser Post gefahren und hatte volle Ursache, seinen Leichnam dem Herrn der Heerschaaren im Besondern und sämtlichen Posten im Allgemeinen zu empfehlen, aber er gab auch ein treffendes Beispiel, daß man in Zeit der Not wenn man beten will, nicht die Hände dabei falten darf, sondern zugreifen muß; denn kaum konnte er zehn Worte gelesen haben, als der Kutscher in die Pferde hieb, und mit dem ersten Ruck war auch Buch und Hut des geistlichen Mannes, der nur rasch mit beiden Händen ausgriff, um sich vor dem eigenen Falle zu bewahren, über Bord. Wir mußten wieder halten, um Beides aufzulesen, und der reisende Prediger steckte von da ab sehr vernünftiger Weise sein Buch in die Tasche.

Am nächsten Abend bekamen wir etwa dritthalb Stunden Zeit zum Schlafen; wie wir aber am andern Morgen wieder abfahren wollten, erwies es sich, daß der geistliche Herr kein „kleines“ Geld bei sich hatte, um seine Zeche zu zahlen; seiner Bitte, das Geld bis Albury für ihn auszulegen, willfahrte ich gern, wunderte mich nur, dort angekommen, über sein schlechtes Gedächtnis. Er erwähnte kein Wort weiter von den drei Schillingen, und ich muß vermuten, daß er mich als ein „ W e r k z e u g“ betrachtet habe.

Diesen Morgen traf ich auch einige deutsche Familien, die hier bei Engländern ausgemietet waren und ihre Heimat mitten in dem graslosen, dürren Gumwald gegründet hatten; sie fühlten sich aber trotzdem vollkommen wohl, denn sie hatten doch hier, was sie in Deutschland nicht gehabt: ihr gutes Auskommen, und mit anderen Bedürfnissen total unbekannt, mit ihrer Familie um sich her, auch weiter keine Entschädigung /75/ nötig für Das, was sie etwa sonst noch im alten Vaterland zurückgelassen.

Die Gegend war hier übrigens so wasserarm, daß mir die Leute versicherten: nicht weit von hier sei im Walde ein Wasserloch, zu dem der glückliche Besitzer desselben einen Mann mit einem geladenen Gewehr gestellt habe, um fremdes Vieh und fremde Viehtreiber davon abzuhalten.

Butter und Milch gelten gegenwärtig in dieser Gegend als Naturmerkwürdigkeiten.

Sonnabend um zwölf Uhr erreichten wir endlich bei besserem Weg und über die Ebene hin, welche die Wasser des Murrumbidgee und Murray voneinander trennt, das kleine Städtchen A l b u r y, am Ufer des letzteren, und an allen Gliedern steif, kaum fähig von dem steten Anhalten meine Arme noch zu regen, kletterte ich vor einem der Wirtshäuser in Albury von dem Marterkastcn herunter, und war wirklich selber erstaunt, mich noch ganz und unzerbrochen, nur mit einigen im Verhältnis zu den erhaltenen Stößen wirklich unbedeutenden Quetschungen, wieder vorzufinden. Hier verließ ich die sogenannte Melbourne-Post, um mich auf dem Murray oder Hume, wie der Murray hier oben größtenteils genannt wird, einzuschiffen.

Albury ist ein kleines, wachsendes Städtchen, so recht im Innern des Landes, und steht bis jetzt auch nur durch diese Personenpost und sonst durch Güterkarren mit dem fast vierhundert Meilen entfernten Sidney und dem nur etwa zweihundert Meilen abliegenden Melbourne in Verbindung.

In gegenwärtiger Zeit beschränkt sich diese Verbindung aber fast einzig aus die Post, denn der totale Grasmangel der Umgegend und die enormen Preise für j e d e s Viehfutter machten es den sonst gehenden Güterkarren fast unmöglich, ihr Vieh durchzubringen, und diese Preise, besonders des Proviants, waren deshalb auch sehr gestiegen. Handel und Verkehr stockte aus dieser Ursache auch etwas in Albury, denn seit sechzehn Monaten war kein ordentlicher Regen gefallen, und der Murray in diesem Augenblick so niedrig, daß sich der ewige älteste Mann mit dem schlechten Gedächtniß selbst /76/ nicht darauf besinnen konnte, ihn je so niedrig gesehen zu haben.

Von Mr. und Mrs. Heaver in Albury, an die ich Briefe von Sidney aus gebracht hatte, wurde ich aus das Herzlichste aufgenommen; sie behandelten mich während der kurzen Zeit meines Aufenthalts dort in der Tat nicht wie einen Fremden, sondern wie ganz zu ihrer Familie gehörig, und hier war es, wo ich die fast unbegrenzte Gastfreundschaft des Murray zum ersten Mal, und zwar gleich in ihrer ganzen Ausdehnung, kennen lernte. Ich werde nie die wirklich angenehme Woche vergessen, die ich in ihrem Hause verlebte.

Meine erste Sorge in Albury war nun natürlich, mich nach einem Canoe oder Fahrzeug umzusehen, aus dem ich meine Reise antreten konnte, oder, da kein solches zu bekommen war, nach passendem Holz zu einem auszuhauenden Canoe; aber leider sollte ich hier alles Das bestätigt finden, was mir schon mehrere der in Albury Bekannten vorher darüber gesagt hatten. Gumbäume so weit das Auge reichte, Gumbäume so weit ich am Ufer hinauf- oder hinunterging - ewige, unverwüstliche, unvermeidliche, unausstehliche Gumbäume, mit einem Holz so schwer, daß der kleinste Span wie Blei untersank, und daraus sollte ich ein Canoe hauen? Eine Hoffnung blieb aber noch: in den Hügeln dicht bei Albury sollten noch Stringybarkbäume mit etwas leichterem und besser zu bearbeitendem Holze stehen, und um diese aufzufinden, nahm ich mir einen der dort herumstreifenden Indianer oder „Schwarzen“ mit.

Bei Albury lagerte gerade ein kleiner Stamm, und ich bekam hier diese Söhne der australischen Wildniß zum ersten Mal in ihrem vollen, noch wenig civilisirten Zustand zu sehen. Oh mein schönes Imeo mit deinen Palmen- und Guiavenschattcn, mit deinen Orangen und Brodfrüchten und deinen lieben, freundlichen, schlanken und reinlichen Bewohnern — die Männer mit den offenen Gesichtern und kräftigen Gestalten, die Frauen mit den klaren schwimmenden Augen, den üppigen, glattgekämmten und geölten Haaren und dem freundlichen Lächeln! - und von dort wie mit einem Zauberschlag hierher verpflanzt zwischen die ewigen trostlosen Gumbäume /77/ und zwischen das schwarze, schmutzige, heimtückische, mordlustige Volk dieser Wälder - der Abstand war zu entsetzlich. Und das zu erreichen, hatte ich mich selbst der Gefahr ausgesetzt, auf einer australischen Royal-Mail zu fahren! Es geschah mir aber ganz recht; ich habe mich überhaupt schon von frühester Kindheit an mit größter Mühe, und oft mit nicht geringer Aufopferung, in alle möglichen Arten von Verlegenheiten hineingearbeitet, und war dann gar häufig selber erstaunt, ihnen wieder, wenn auch oft mit Hinterlassung sämtlicher Federn, entgangen zu sein. Gegenwärtig schien ich mich in einer Urpatsche zu befinden, und ich fing an, wirklich neugierig zu werden, wie ich aus dieser wieder gerettet würde.

Die Erzählungen, die ich hier über die Schwarzen oder Blacks, wie sie die Engländer nennen, hörte, waren gar nicht tröstlicher Art; in letzter Zeit besonders sollten wieder mehrere Mordtaten vorgefallen sein, und wie auch darüber Einige noch im Zweifel waren, ob ich mein Canoe glücklich den Fluß hinunterführen könne, so waren sie doch darüber Alle einig, daß ich wahrscheinlich unterwegs von den Blacks „gespeert“ werden würde. Eine angenehme Sache, wenn man bedenkt, daß die Speere von sehr hartem Holz und sehr spitz sind, welche Spitze von den unvorsichtigen Wilden jedesmal vorneweg geworfen wird! Man gab sich dabei jede nur erdenkliche Mühe, mir die für mich doch jedenfalls interessant sein müssenden genauesten Daten anzugeben, mit welcher Sicherheit sie ihr Ziel zu treffen wüßten, und zwar von achtzig bis hundert Schritt, und die Mitte des Stromes, die ich nicht einmal immer halten konnte, betrug an keiner Stelle mehr als vierzig bis fünfzig.

Auf das Umständlichste erfuhr ich ebenfalls, was sie mit Denen machen, die sie entweder überfallen oder auf sonstige Art in ihre Gewalt bekommen. Sie haben gerade kein besonderes Interesse dabei, sie zu töten (falls sie nicht zu einer besonders feierlichen Gelegenheit, wie zum Beispiel zur Einweihung eines Zauberers, Menschenflcisch gerade gebrauchen sollten), sondern sie nehmen sich nur das N i e r e n f e t t - weiter nichts - und überlassen den Überwundenen dann höchst freundlich seinem Schicksal. Mit diesem Fett bestreichen /78/ sie sich alsdann, und glauben törichter Weise damit die Stärke des Überwundenen zu erhalten. Und solch eines albernen Vorurteils willen soll man sich den Leib aufschneiden lassen? Es ist himmelschreiend!

 

Das, was ich von den Blacks in meiner nächsten Umgebung sah, war nicht geeignet, mir größeres Vertrauen zu ihnen einzuflößen. In Albury lief ein mit weißem Ton (ein Zeichen der Trauer) und roter Erde bemalter Schuft herum, der zwei Tage vorher ohne die mindeste Veranlassung seiner eigenen Frau den Schädel eingeschlagen, und von dem Zeder wußte, daß er schon sieben Weiße teils selber ermordet, teils bei ihrer Ermordung hülfreiche Hand geleistet hatte. Dennoch ließen ihn die Gerichte ruhig und frei herumgehen, ja verhinderten sogar, daß sein eigener Stamm ihn des Frauenmordes wegen bestrafte. Das hochweise Gericht steckte ihn nur - und welchen moralischen Eindruck das auf den Schuft gemacht haben muß! -eine Nacht auf die Wache.

Während ich noch dort war, trat ihm ein Pferd die mittlere Zehe des einen Fußes ab, er lief aber an dem ordentlich frostigen Morgen mit dem blutenden Stumpf so ungeniert herum, als ob seinem Fuße nicht das Mindeste fehle.

Sonntag den 27. marschierte ich mit einer dieser schwarzen Seelen in die Hügel hinein, wir fanden aber nur sehr wenig Stringybarkbäume, die groß genug waren, um ein Canoe auszuhauen. Nur etwa eine halbe Meile vom Fluß ab standen mehrere, und ich beschloß, einen Versuch mit dem besten von diesen zu machen. Am Montag nahm ich mir einen Arbeiter, einen jungen Australier, zu Hilfe, um einen Baum umzusägen und mir beim Aushauen zu helfen. Der beste Stringybark aber, den wir fällten, war hohl und brach beim Sturze morsch entzwei, und mein Gehülfe versicherte mir, wir würden nicht einen einzigen gesunden Stringybark in der Nähe des Flusses finden. Um nun nicht noch mehr Zeit unnütz zu verlieren, blieb also nichts weiter übrig, als einen der schweren und hart zu bearbeitenden Gumbäume zu fällen, und mit diesem zu versuchen, wie weit er sich eben aushöhlen und dünn machen lasse. Gesagt getan, rüstig gingen wir /79/ daran, zwei Stunden später hatten wir einen passenden Baum gefunden und gefällt, schlugen an dem Abend noch die Rinde herunter und begannen nun am nächsten Morgen die ordentliche Arbeit des Aushöhlens.

In der Zwischenzeit machte ich in Albury einige sehr interessante Bekanntschaften, so unter anderen die eines Mr. Roper, der Doktor Leichhardt's erste Entdeckungstour nach Port Essington mitgemacht und dort durch einen Speerwurf der Blacks ein Auge verloren hatte. Die Bewohner Alburys interessierten sich aber ebenfalls für meine zu unternehmende Fahrt, denn dadurch wurde ein schon lange liebgewonnenes Projekt wieder in Anregung gebracht, die mögliche Befahrung des Murray und Hume, die für ihr kleines Städtchen von unberechenbarem Nutzen sein mußte. Man beschloß denn auch, mein Canoe bei seiner Abfahrt feierlich zu taufen, und Einzelne meinten, es wäre nur schade, daß sie nie das Ende des Unternehmens zu hören bekämen, denn die Schwarzen würden mich jedenfalls irgendwo „anspießen“.

Sonnabend den 3. Mai bekam ich mein Canoe fertig und ins Wasser, und nahm es den Fluß, der hier entsetzliche Biegungen machte, etwa sieben Meilen hinunter, bis unter den Landungsplatz von Albury, von wo aus ich am Montag mit Provisionen und sonstig Nötigem vollkommen gut ausgerüstet, aufbrechen wollte. Viele wollten mir selbst j e t z t noch abreden, die lange beschwerliche Reise so ganz allein anzutreten; mein Entschluß war aber einmal gefaßt, zurück konnt' ich ja auch gar nicht mehr, denn von Sidney aus waren meine Sachen schon sämtlich nach Adelaide gesandt, und mein Geld, lieber Gott, das war schon gar bös zusammengeschmolzen, und eine lange, lange Strecke lag vor mir. - Doch ich hatte Pulver und Blei genug, und fürchtete nichts als die vielleicht zu großen Beschwerden, wenn ich in von Wilden gefährdete Gegenden kommen sollte und dann Niemanden hatte, mit dem ich Nachts abwechselnd Wacht halten konnte.

Doch mit Gott! Ich war schon aus so verschiedenen Klemmen herausgekommen, und würde also in dieser auch nicht stecken bleiben; überdies hatte ich schon so mehrfache Erfah-/80/rungen, daß Gefahren gewöhnlich in der Entfernung bedeutend übertrieben werden und viel von ihren Schrecknissen verlieren, wenn man ihnen gerade auf den Leib rückt. Es war ja ebenfalls so in Südamerika gewesen, wo nur ein einziger alter Spanier mir die Möglichkeit einräumte, durch die empörten Stämme der Pampas und über die schneegefüllten Kordilleren zu kommen, und ich doch frisch und gesund Chile erreichte.

Sonntags suchte mich da plötzlich ein junger Deutscher auf, der, eben nach Albury gekommen, von meiner etwas abenteuerlichen Fahrt gehört hatte und nun, selber von allen Mitteln entblößt und eigentlich ungewiß, wohin sich zu wenden, sich erbot, mich zu begleiten. Es war ein junger Seemann, und er versicherte mir, mit einem Canoe ebenfalls ganz gut umgehen zu können. Allerdings wurde dadurch mein Canoe, das eigentlich nur auf eine einzige Person mit ihren Bedürfnissen eingerichtet war, so viel schwerer, und meine Provisionen mußten natürlich auch so viel knapper werden, während ich nicht im Stande war, noch größere Quantitäten anzukaufen; nichtsdestoweniger ging ich gern daraus ein, den jungen Burschen, der ein offenes und ehrliches Gesicht hatte und überhaupt aus guter Familie zu sein schien, zum Begleiter anzunehmen, erleichterte es ja mir selber, wenn er sich nur ein klein wenig brauchbar anstellte, die Reise, und machte sie für Zwei, die an bedrohten Stellen abwechselnd wachen konnten, weit weniger gefährlich. Unsere Abreise wurde deshalb auf den nächsten Tag festgestellt, und ich sah jetzt dem Augenblick ordentlich mit Ungeduld entgegen.

Den Sonntag streiften wir noch ein wenig in der Nachbarschaft Alburys herum, aber die Gegend sah trostlos aus: nicht ein Grashalm war in Berg oder Thal zu sehen, das Vieh ging herum, als ob ihm die scharfen Knochen jeden Augenblick durch die Haut stoßen müßten, und an den Lagunen im Innern lagen überall halbversunkene und dann verhungerte Rinder. Sie waren dort in den Schlamm geraten und so schwach und matt gewesen, daß sie sich nicht wieder hatten herausarbeiten können. Dabei war auch bei mehreren Schafzuchten! die so bösartige Rotzseuche, der soge-/81/nannte Katarrh, ausgebrochen, so daß einer allein, um nur den Rest seiner Schafe zu retten, neunhundert Stück in einem Strich hatte totschlagen und verbrennen lassen. Andere hatten zwei-, vier- und mehr tausend verloren, und wußten nicht, wie viel sie von den ihnen übrig gebliebenen noch würden erhalten können.

Weiter zurück im Lande sollte etwas Gras sein, so kam alles Vieh, das in Albury geschlachtet wurde, vom Billibong herunter und mußte hier teuer bezahlt werden. Es war übrigens auch kein Wunder; seit sechzehn Monaten kein anständiger Schauer gefallen, wo sollte die Vegetation da herkommen? Die Gumbäume - an und für sich und in den besten Verhältnissen traurige Gewächse - standen trübselig in dieser Dürre und rasselten mit den langen, trockenen, lanzettförmigen Blättern. Diese Blätter selber enthalten auch nicht die geringste Feuchtigkeit, und brechen wie Glas, wenn man sie in die Hand nimmt. Wegen eines stark cajeputöligen Geschmacks, den sie haben, frißt sie aber auch nicht einmal das Vieh, und die kleinen Gumbüsche standen deshalb, trotz dem gänzlichen Mangel an jedem grünen Futter, unberührt.

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