Stützen der Gesellschaft

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LUNATA

Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Schauspiel in vier Akten

© 1907 Henrik Ibsen

Originaltitel Samfundets Støtter

Aus dem Norwegischen von Karl Strecker

Umschlagbild Carl Locher

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Personen

Karsten Bernick, Konsul

Betty, seine Frau

Olaf, ihr Sohn, dreizehn Jahr alt

Martha Bernick, des Konsuls Schwester

Johann Tönnesen, Frau Bernicks jüngerer Bruder

Lona Hessel, ihre ältere Halbschwester

Hilmar Tönnesen, Frau Bernicks Vetter

Rörlund, Adjunkt

Rummel, Großkaufmann

Vigeland, Sandstad, Kaufleute

Dina Dorf, ein junges Mädchen im Hause Bernicks

Krap, Prokurist

Aune, Schiffsbaumeister

Frau Rummel

Frau Holt, Postmeistersgattin

Frau Lynge, Doktorsgattin

Fräulein Rummel

Fräulein Holt

Bürger und andere Einwohner, Ausländische Seeleute, Dampfschiffpasagiere.

Das Stück spielt in einer kleineren norwegischen Küstenstadt, und zwar im Bernickschen Hause.

Erster Akt

Ein geräumiges Gartenzimmer im Bernickschen Hause.

Links im Vordergrund führt eine Tür in das Zimmer des Konsuls; weiter zurück, an derselben Wand, ist eine ähnliche Tür. In der Mitte der entgegengesetzten Wand befindet sich eine größere Eingangstür. Die Wand im Hintergrunde besteht fast ganz aus Spiegelglas; von ihr führt eine offene Tür zu einer breiten Terrasse, über die sich ein Zeltdach spannt. Ein Teil des Gartens wird unten vor der Treppe sichtbar, die von der Terrasse herabführt. Er ist von einem Gitter eingefriedigt, das eine kleine Pforte hat. Vor und längs dem Gitter draußen zieht sich eine Straße hin, die auf der gegenüberliegenden Seite mit kleinen, hell angestrichenen Blockhäusern bebaut ist. Es ist Sommer, und die Sonne scheint warm. Einzelne Leute gehen von Zeit zu Zeit auf der Straße vorüber; man bleibt stehen und unterhält sich; in einem Kramladen an der Ecke werden Käufer bedient usw.

Im Gartenzimmer sitzt um einen Tisch eine Gesellschaft von Damen. Mitten vor dem Tisch sitzt Frau Bernick, zu ihrer Linken Frau Holt mit Tochter; neben ihnen Frau Rummel und Fräulein Rummel. Rechts von Frau Bernick sitzen Frau Lynge, Martha und Dina. Sämtliche Damen sind mit Handarbeiten beschäftigt. Auf dem Tisch liegen große Stöße halbfertiger und zugeschnittener Wäsche und Kleidungsstücke. Weiter zurück an einem kleinen Tisch, auf dem zwei Blumentöpfe und ein Glas Zuckerwasser stehen, sitzt Rörlund und liest aus einem Buch mit Goldschnitt vor, doch so, daß die Zuschauer nur einzelne Worte hören können. Draußen im Garten läuft Olaf umher und schießt mit einer Armbrust nach der Scheibe.

Nach einer kleinen Weile kommt Aune sacht durch die Tür rechts. In der Vorlesung tritt eine kleine Störung ein; Frau Bernick nickt ihm zu und zeigt auf die Tür links. Aune geht leise zur Tür des Konsuls und klopft ein paar Mal leise und in Zwischenräumen an. Krap, den Hut in der Hand und Schriftstücke unter dem Arm, kommt aus dem Zimmer.

Krap. So, Sie haben geklopft?!

Aune. Der Herr Konsul hat mich rufen lassen.

Krap. Allerdings, kann Sie aber nicht empfangen –- hat mir aufgetragen, –

Aune. Ihnen? Ich möchte doch lieber –

Krap. – mir aufgetragen, Ihnen dies zu sagen: Sie sollen die Vorträge einstellen, die Sie Sonnabends für die Arbeiter halten.

Aune. So? Ich dächte doch, meine freie Zeit, die könnte ich verwenden –

Krap. Sie können Ihre freie Zeit nicht dazu verwenden, die Leute untauglich zu machen für die Arbeitszeit. Letzten Sonnabend haben Sie über den Schaden gesprochen, den die Arbeiter durch unsere neuen Maschinen und durch die neue Arbeitspraxis auf der Werft haben würden. Warum tun Sie das?

Aune. Das tue ich, um die Gesellschaft zu stützen.

Krap. Merkwürdig! Der Konsul sagt, es wirke auflösend auf die Gesellschaft.

Aune. Meine Gesellschaft ist nicht die Gesellschaft des Herrn Konsul, Herr Krap! Als Obmann des Arbeitervereins muß ich –

Krap. Sie sind vor allen Dingen Obmann auf der Bernickschen Werft. Sie haben vor allen Dingen Ihre Schuldigkeit zu tun für die Gesellschaft, die sich »Firma Bernick« nennt; denn von ihr leben wir alle zusammen. – So, nun wissen Sie, was der Herr Konsul Ihnen zu sagen hatte.

Aune. Der Herr Konsul würde es mir nicht auf die Art gesagt haben, Herr Prokurist. Aber ich weiß schon, wem ich das zu verdanken habe, – dem verdammten Amerikaner, der hier auf Reparatur liegt. Die Leute wollen, daß hier so gearbeitet werden soll, wie sie es drüben gewohnt sind, und das –

Krap. Schon gut! Auf weitere Erörterungen kann ich mich nicht einlassen. Sie kennen jetzt die Ansicht des Herrn Konsul und damit basta! Gehen Sie jetzt nur wieder auf die Werft, da sind Sie gewiß nötig; ich komme selbst sehr bald hinunter. – Entschuldigen Sie, meine Damen!

Er grüßt und geht durch den Garten und die Straße hinunter. Aune geht still nach rechts ab. Rörlund, der während dieser mit gedämpfter Stimme geführten Unterredung die Lektüre fortgesetzt hat, ist gleich darauf mit dem Buch zu Ende und klappt es zu.

Rörlund. Und somit, meine lieben Zuhörerinnen, ist die Geschichte aus.

Frau Rummel. Ach, was für eine lehrreiche Erzählung!

Frau Holt. Und so moralisch!

Frau Bernick. Ein solches Buch gibt wirklich viel zu denken.

Rörlund. O ja! Es bildet ein wohltuendes Gegenstück zu dem, was uns leider täglich Journale und Zeitschriften auftischen. Jene vergoldete und geschminkte Außenseite, die die große Gesellschaft zur Schau trägt, was steckt im Grunde dahinter? Hohlheit und Fäulnis, wenn ich so sagen darf. Kein moralisches Fundament, auf dem man stehen kann. Mit einem Wort, diese große Gesellschaft von heutzutage ist ein übertünchtes Grab.

Frau Holt. Nur allzu wahr.

Frau Rummel. Wir brauchen uns nur die amerikanische Schiffsmannschaft anzusehen, die hier jetzt liegt.

Rörlund. Von solchem Auswurf der Menschheit will ich gar nicht reden. Aber selbst in den höheren Kreisen – wie steht es da? Überall Zweifel und Gärung; Unfriede in den Gemütern und Unsicherheit in allen Verhältnissen – und wie ist da draußen nicht das Familienleben untergraben! Wie wagen sich nicht freche Umsturzgelüste an die wertvollsten Wahrheiten heran!

Dina ohne aufzusehen. Aber geschehen nicht auch dort viele große Taten?

Rörlund. Große Taten–? Ich verstehe nicht–-

Frau Holt erstaunt. Aber, mein Gott, Dina –!

Frau Rummel gleichzeitig. Aber Dina! wie kannst Du nur –?

Rörlund. Ich würde es nicht für zuträglich halten, wenn solcherlei Taten Eingang bei uns fänden. Nein, da müssen wir doch Gott danken, daß es hier bei uns so ist, wie es ist. Wohl wächst leider auch hier Unkraut zwischen dem Weizen; aber wir bestreben uns doch redlich, es nach Möglichkeit auszujäten. Es gilt, meine Damen, die Gesellschaft rein und die Verirrungen von ihr fern zu halten, die eine fieberhafte Zeit uns aufdrängen will.

Frau Holt. Und davon gibt es hier leider mehr als genug.

Frau Rummel. Ja, voriges Jahr hing es nur an einem Haar, und wir hätten nach unserer Stadt die Eisenbahn gekriegt.

Frau Bernick. Na, das hat doch Karsten verhindert.

Rörlund. Die Vorsehung, Frau Bernick. Sie können überzeugt sein, Ihr Mann war das Werkzeug einer höheren Macht, als er es ablehnte, auf den Schwindel einzugehen.

Frau Bernick. Und dennoch mußte er sich in den Zeitungen so viel Häßliches sagen lassen. Aber wir vergessen ganz, Ihnen zu danken, Herr Adjunkt. Es ist wirklich mehr als freundlich von Ihnen, daß Sie uns so viel Zeit opfern.

Rörlund, Nicht der Rede wert! Jetzt in den Ferien –

Frau Bernick. Nun ja, – ein Opfer ist es doch, Herr Adjunkt.

Rörlund rückt seinen Stuhl näher. Bitte, – nichts mehr davon, verehrteste Frau! Bringen Sie nicht alle, eine wie die andere, ein Opfer einer guten Sache zuliebe? Und bringen Sie es nicht froh und freudig? Diese moralisch Verkommenen, für deren Besserung wir arbeiten, gleichen verwundeten Soldaten auf einem Schlachtfeld. Sie, meine Damen, Sie sind die Diakonissinnen, die barmherzigen Schwestern, die Charpie zupfen für die unglücklichen Verstümmelten und den Verband sanft um ihre Wunden legen, sie heilen und wieder gesund machen –

Frau Bernick. Es muß eine Himmelsgabe sein, alles in so schönem Lichte sehen zu können.

 

Rörlund. Vieles ist in dieser Beziehung angeboren; aber vieles kann auch erworben werden. Es handelt sich nur darum, die Dinge im Lichte einer ernsten Lebensaufgabe zu sehen. Nun, was sagen Sie, Fräulein Bernick? Finden Sie nicht auch, daß Sie sozusagen einen festeren Boden unter Ihren Füßen fühlen, seitdem Sie Ihr Leben der Schule geweiht haben?

Martha. Ach, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Oft, wenn ich da in der engen Schulstube stecke, wünsche ich mir, ich wäre weit draußen auf dem wilden Meer.

Rörlund. Ja, sehen Sie, liebes Fräulein, das sind Anfechtungen. Doch solch unruhigen Gästen gegenüber, da heißt es: Tür zu! Das wilde Meer – das meinen Sie natürlich nicht buchstäblich; Sie meinen die große, wogende Gesellschaft der Menschen, in der so viele zugrunde gehen. Und schätzen Sie denn wirklich das Leben so hoch, das Sie da draußen summen und brausen hören? Werfen Sie nur einen Blick auf die Straße! Da gehen die Menschen in der Sonnenglut und schwitzen und plagen sich ab mit ihren kleinen Angelegenheiten. Nein, da haben wir es wahrlich besser, die wir hier in der Kühle sitzen und der Seite den Rücken kehren, von der die Wirrungen kommen.

Martha. Gott, Sie haben ja gewiß vollkommen recht –

Rörlund. Und in einem Haus wie diesem, in einem guten, makellosen Hause, wo das Familienleben in seiner schönsten Gestalt in die Erscheinung tritt – wo Friede und Eintracht herrschen – Zu Frau Bernick. Wonach horchen Sie, Frau Bernick?

Frau Bernick wendet sich zur vordersten Tür links. Wie laut sie da drin sind!

Rörlund. Ist da etwas Besonderes los?

Frau Bernick. Ich weiß nicht. Ich höre nur, daß jemand drin bei meinem Mann ist.

Hilmar Tönnesen, die Zigarre im Mund, kommt durch die Tür rechts; er bleibt stehen, wie er die Damen sieht.

Hilmar. O, bitte um Entschuldigung –

Er will sich zurückziehen.

Frau Bernick. »Hilmar, so tritt doch nur näher; Du störst nicht. Wolltest Du etwas ?«

Hilmar. Nein, ich wollte nur einen Blick ins Zimmer tun.– Guten Morgen, meine Damen! Zu Frau Bernick. Na, was ist denn nun geworden ?

Frau Bernick. Womit?

Hilmar. Bernick hat ja eine Sitzung zusammengetrommelt.

Frau Bernick. So?! Was gibt es denn eigentlich?

Hilmar. Ach, es ist schon wieder der Schwindel mit der Eisenbahn.

Frau Rummel. Ist wohl nicht möglich!

Frau Bernick. Der arme Karsten, soll er noch mehr Unannehmlichkeiten haben –

Rörlund. Aber wie reimt sich das zusammen, Herr Tönnesen? Der Konsul Bernick hat doch voriges Jahr deutlich genug erklärt, daß er keine Eisenbahn haben will.

Hilmar. Ja, das meine ich auch; aber ich habe den Prokuristen Krap getroffen, und der hat mir erzählt, die Eisenbahnfrage wäre wieder aufgenommen worden, und Bernick hätte eine Besprechung mit drei hiesigen Geldleuten.

Frau Rummel. Es war mir doch auch so, als hörte ich Rummels Stimme.

Hilmar. Natürlich ist Herr Rummel mit dabei, sodann der Kaufmann Sandstad vom Steinweg und Michael Vigeland – Sankt Michael, wie sie ihn nennen.

Rörlund. Hm –

Hilmar. Verzeihung, Herr Adjunkt!

Frau Bernick. Und es war hier doch so schön und friedlich.

Hilmar. Ich für mein Teil hätte nichts dagegen, wenn die Balgerei wieder losginge. Da gäbe es wenigstens eine Zerstreuung.

Rörlund. Ach, diese Art Zerstreuungen, meine ich, kann man entbehren.

Hilmar. Je nun, das kommt auf die Veranlagung an. Gewisse Naturen brauchen ab und zu aufrüttelnde Kämpfe. Doch so was hat das kleinstädtische Leben leider selten zu bieten, und nicht jedem ist's gegeben – Blättert im Buche des Adjunkten. »Die Frau als Dienerin der Gesellschaft.« Was ist das für ein Zeug?

Frau Bernick. Aber, Hilmar! Das mußt Du nicht sagen. Du hast sicher das Buch nicht gelesen.

Hilmar. Nein; ich habe auch nicht die Absicht es zu tun.

Frau Bernick. Dir ist heut gewiß nicht wohl.

Hilmar. Allerdings nicht.

Frau Bernick. Hast vielleicht heute nacht nicht gut geschlafen?

Hilmar. Sehr schlecht. Ich machte gestern Abend einen kleinen Spaziergang meines Leidens wegen; dann ging ich ein bißchen in den Klub hinauf und las einen Reisebericht vom Nordpol. Es liegt etwas Stählendes darin, den Menschen in ihren Kampf mit den Elementen zu folgen.

Frau Rummel. Und das ist Ihnen wohl nicht gut bekommen, Herr Tönnesen?

Hilmar. Es ist mir sehr schlecht bekommen; ich habe die ganze Nacht dagelegen und mich im Halbschlaf gewälzt und geträumt, ich würde von einem greulichen Walroß verfolgt.

Olaf, der die Gartentreppe heraufgekommen ist. Du bist von einem Walroß verfolgt worden, Onkel?

Hilmar. Im Traum, Du Schafskopf! Aber spielst Du immer noch mit der albernen Armbrust?! Weshalb siehst Du nicht zu, ein richtiges Gewehr zu bekommen ?

Olaf. Ich wollte schon gern, aber –

Hilmar. In solchem Gewehr, da liegt doch Sinn drin. Es gewährt immer einen Nervenreiz, wenn man Feuer gibt.

Olaf. Und dann könnte ich Bären schießen, Onkel. Aber Papa erlaubt es mir nicht.

Frau Bernick zu Hilmar. Setz' ihm doch nicht solche Sachen in den Kopf, Hilmar.

Hilmar. Hm, – ja, ja, ein schönes Geschlecht, das da heutzutage heranwächst! Da redet man von Körperübungen, – aber, himmlischer Vater! – die ganze Geschichte ist nur Spielerei; kein ernstes Streben mehr nach jener Abhärtung, die ein mannhafter Zusammenstoß mit der Gefahr uns verschafft. – Esel, richte doch nicht immer so die Armbrust auf mich! Sie kann losgehen.

Olaf. Aber Onkel, es ist ja kein Bolzen drin.

Hilmar. Das kannst Du nicht wissen. Es könnte doch einer drin sein. – Tu sie weg, sage ich! Warum zum Kuckuck bist Du nie mit einem von Deines Vaters Schiffen nach Amerika hinübergefahren? Da könntest Du eine Büffeljagd oder einen Kampf mit den Rothäuten sehen.

Frau Bernick Aber, Hilmar –

Olaf. Ei, das möchte ich gern, Onkel! Und dann könnte ich am Ende auch Onkel Johann und Tante Lona besuchen.

Hilmar. Hm –; dummes Zeug!

Frau Bernick. Du kannst jetzt wieder in den Garten gehen, Olaf.

Olaf. Darf ich auch auf die Straße, Mutter?

Frau Bernick. Ja, aber nicht zu lange.

Olaf läuft hinaus durch das Gittertor.

Rörlund. Sie sollten dem Kind nicht solche Flausen in den Kopf setzen, Herr Tönnesen.

Hilmar. Natürlich; er soll hier sitzen und ein Stubenhocker werden, wie so viele andere!

Rörlund. Aber warum reisen Sie nicht selbst hinüber ?

Hilmar. Ich? Mit meinem Leiden? Na freilich, auf das nimmt man ja hier in der Stadt nicht viel Rücksicht. Aber trotzdem – man hat doch gewisse Verpflichtungen gegen die Gesellschaft, in der man lebt. Hier muß doch wenigstens ein Mensch sein, der die Fahne der Idee hochhält. Uh! da schreit er wieder.

Die Damen. Wer schreit?

Hilmar. Ach! Ich weiß nicht. Sie sind niederträchtig laut da drin, und das macht mich nervös.

Frau Rummel. Das wird mein Mann sein, Herr Tönnesen. Aber wissen Sie, er ist so gewohnt, in großen Versammlungen zu sprechen –

Rörlund. Die andern, finde ich, haben auch grade kein leises Organ.

Hilmar. Herrgott ja, – wenn es gilt, den Daumen auf den Geldbeutel zu halten, dann –. Hier geht ja alles auf in kleinlicher, materieller Interessenwirtschaft. Uh!

Frau Bernick. Es ist jedenfalls besser als früher, wo alles in Vergnügungen aufging;

Frau Lynge. War es früher wirklich so schlimm hier?

Frau Rummel. Ja, das können Sie glauben, Frau Lynge. Sie können sich glücklich preisen, daß Sie damals noch nicht hier gewohnt haben.

Frau Holt. Es hat sich freilich vieles geändert. Wenn ich an meine Mädchentage zurückdenke –

Frau Rummel. Ach, denken Sie bloß so vierzehn, fünfzehn Jahre zurück. Gott stehe mir bei, was für ein Leben war das hier! Damals bestanden noch der Ballverein und der Musikverein –

Martha. Und der dramatische Verein. An den kann ich mich noch gut erinnern.

Frau Rummel zu Hilmar. Richtig, wo Ihr Stück aufgeführt wurde, Herr Tönnesen.

Hilmar geht nach dem Hintergrund. Ach was –!

Rörlund. Ein Stück des Studiosus Tönnesen?

Frau Rummel. Ja, das war lange, bevor Sie hierher kamen, Herr Adjunkt. Es wurde übrigens nur ein mal gegeben.

Frau Lynge zu Frau Rummel. Das war wohl das Stück, worin Sie die Liebhaberin gespielt haben, wie Sie mir erzählten, Frau Rummel?

Frau Rummel schielt nach Rörlund. Ich? Kann mich dessen wirklich nicht entsinnen, Frau Lynge. Aber ich entsinne mich noch recht gut dieser ganzen ausgelassenen Geselligkeit in den Familien.

Frau Holt. Ich weiß noch die Häuser, wo es jede Woche zwei große Diners gab.

Frau Lynge. Und dann war ja hier auch eine umherziehende Schauspielertruppe, habe ich gehört.

Frau Rummel. Ja, das war schon das Allerärgste –!

Frau Holt unruhig. Hm, hm –

Frau Rummel. Wie? Schauspieler? I, davon weiß ich ja gar nichts mehr.

Frau Lynge. Freilich, die Leute sollen ja so viele tolle Streiche gemacht haben. Was waren das eigentlich für Geschichten?

Frau Rummel. Ach, es war im Grunde nichts, Frau Lynge.

Frau Holt. Liebste Dina, reich' mir da die Leinwand her.

Frau Bernick zu gleicher Zeit. Dina, mein Herz, sieh doch mal nach, wo Kathrine mit dem Kaffee bleibt.

Martha. Ich komme mit Dir, Dina.

Dina und Martha ab durch die oberste Tür links.

Frau Bernick steht auf. Und mich entschuldigen Sie wohl auch für einen Augenblick, meine Damen, – ich denke, wir trinken den Kaffee draußen.

Sie geht auf die Terrasse hinaus und deckt den Tisch. Der Adjunkt steht in der Tür und spricht mit ihr. Hilmar steht draußen und raucht.

Frau Rummel leise. Gott, Frau Lynge, was haben Sie mir für einen Schreck eingejagt!

Frau Lynge. Ich?

Frau Holt. Ja, aber eigentlich haben Sie doch selbst angefangen, Frau Rummel.

Frau Rummel. Ich? Nein, wie können Sie nur so etwas sagen, Frau Holt! Es ist ja kein Sterbenswörtchen über meine Lippen gekommen.

Frau Lynge. Aber was gibt es denn?

Frau Rummel. Wie Sie nur davon anfangen konnten –! Haben Sie denn nicht gesehen, daß Dina im Zimmer war?

Frau Lynge. Dina? Aber um Gottes willen, ist denn was los mit –?

Frau Holt. Und noch dazu hier im Hause! Wissen Sie denn nicht, daß Frau Bernicks Bruder –?

Frau Lynge. Was ist mit ihm? – Ich weiß ja von gar nichts; ich bin ja ganz neu –

Frau Rummel. Also Sie haben nicht gehört, daß –? Hm – Zu ihrer Tochter. Du Hilda, Du kannst ein wenig in den Garten gehen.

Frau Holt. Du auch, Netta! Und seid recht artig gegen die arme Dina, wenn sie kommt.

Fräulein Holt und Fräulein Rummel ab in den Garten.

Frau Lynge. Also was war das mit Frau Bernicks Bruder?

Frau Rummel. Wissen Sie nicht, daß er es war, der die häßliche Geschichte hatte?

Frau Lynge auf Hilmar Tönnesen zeigend. Hat der Studiosus Tönnesen eine häßliche Geschichte gehabt?

Frau Rummel. Aber nein doch! Hilmar ist ja ihr Vetter. Ich spreche vom Bruder –

Frau Holt. – von dem berüchtigten Tönnesen –

Frau Rummel. Johann hieß er. Er ging nach Amerika.

Frau Holt. Mußte nach Amerika, verstehen Sie.

Frau Lynge. Und er hatte eine häßliche Geschichte?

Frau Rummel. Ja, es war so was – wie soll ich's nur nennen? – Es war etwas mit Dinas Mutter. Ich erinnere mich dessen noch, als war's gestern gewesen. Johann Tönnesen war im Geschäft der alten Frau Bernick; Karsten Bernick war eben von Paris heimgekommen, – war noch nicht verlobt –

 

Frau Lynge. Na, und die häßliche Geschichte?

Frau Rummel. Ja, sehen Sie, den Winter war Möllers Schauspielertruppe hier –

Frau Holt. – und bei der Truppe waren der Schauspieler Dorf und seine Frau. Die jungen Leute hier waren rein vernarrt in das Weib.

Frau Rummel. Gott weiß, wie man die schön finden konnte. Da kommt nun Dorf eines schönen Abends spät nach Hause –

Frau Holt. – ganz unerwartet –

Frau Rummel. – und findet – ; nein, es läßt sich wirklich nicht erzählen!

Frau Holt. Nein, Frau Rummel, er hat nichts gefunden; denn die Tür war von innen verschlossen.

Frau Rummel. Das wollte ich ja gerade sagen; er fand die Tür verschlossen. Und denken Sie nur! Es ist einer drin, und der muß zum Fenster hinausspringen.

Frau Holt. Ganz hoch aus einem Giebelfenster!

Frau Lynge. Und das war Frau Bernicks Bruder?

Frau Rummel. – Ja freilich!

Frau Lynge. Und darum ist er nach Amerika durchgebrannt ?

Frau Holt. Er mußte wohl. Das können Sie sich doch denken.

Frau Rummel. Und hinterher wurde etwas entdeckt, das fast ebenso schlimm war. Denken Sie sich, er hatte sich an der Kasse vergriffen –

Frau Holt. Aber das weiß man ja nicht genau, Frau Rummel; vielleicht waren es nur Gerüchte.

Frau Rummel. Ah, da muß ich doch bitten –! War das nicht stadtbekannt? Hätte die alte Frau Bernick nicht um ein Haar dieser Geschichte wegen Bankerott gemacht? Das habe ich doch von Rummel selbst. Aber ich will nichts gesagt haben – Gott behüte!

Frau Holt. Doch zu Madam Dorf wanderte das Geld keinesfalls, denn sie –

Frau Lynge. Und wie wurde das Verhältnis zwischen Dinas Eltern später?

Frau Rummel. Nun, Dorf zog seines Weges und ließ Frau und Kind zurück. Aber die Madam, die war, weiß Gott, so frech, noch ein ganzes Jahr hier zu bleiben. Auf dem Theater durfte sie sich freilich nicht mehr zeigen; aber sie ernährte sich mit Waschen und Nähen –

Frau Holt. – und versuchte, Tanzunterricht zu geben.

Frau Rummel. Das ging natürlich nicht. Welche Eltern hätten wohl ihre Kinder so einer anvertraut? Aber es dauerte auch nicht mehr lange mit ihr; die feine Madam war doch nicht gewöhnt zu arbeiten. Sie bekam's auf der Brust und starb.

Frau Lynge. Ah, das waren freilich häßliche Geschichten.

Frau Rummel. Sie können sich denken, wie schwer Bernicks daran getragen haben. Es ist der dunkle Fleck in der Sonne ihres Glücks, wie Rummel sich einmal ausdrückte. Sprechen Sie darum hier im Hause nie wieder von diesen Dingen, Frau Lynge.

Frau Holt. Und, um Gottes willen, ebensowenig von der Halbschwester!

Frau Lynge. So? Frau Bernick hat auch noch eine Halbschwester?

Frau Rummel. Gehabt – glücklicherweise; denn jetzt ist's mit der Verwandtschaft zwischen den beiden aus. Ja, das war ein besonderes Pflänzchen! Denken Sie mal, die schnitt sich die Haare kurz und lief im Regenwetter mit Männerstiefeln umher.

Frau Holt. Und als der Halbbruder, das verwahrloste Subjekt, sich auf und davon gemacht hatte, und natürlich die ganze Stadt über ihn aufgebracht war – wissen Sie, was sie da getan hat? Sie ist ihm nachgereist.

Frau Rummel. Aber die skandalöse Geschichte, die sie vor ihrer Abreise hatte, Frau Holt!

Frau Holt. Pst! Nichts davon!

Frau Lynge. Wie? Die hatte auch eine skandalöse Geschichte?

Frau Rummel. Ja, hören Sie nur: Bernick hatte sich eben mit Betty Tönnesen verlobt, und wie er mit ihr am Arm zu ihrer Tante kommt, um es anzuzeigen –

Frau Holt. Tönnesens waren nämlich elternlos, wissen Sie.

Frau Rummel. – da steht Lona Hessel von ihrem Stuhl auf und gibt dem feinen, gebildeten Karsten Bernick eine Ohrfeige, daß es nur so knallte.

Frau Lynge. Nein, hat man je –!

Frau Holt. Es ist die volle Wahrheit.

Frau Rummel. Und dann packte sie ihren Koffer und fuhr nach Amerika.

Frau Lynge. So hatte sie es wohl selber auf ihn abgesehen?

Frau Rummel. Ja, das können Sie glauben, das hatte sie. Sie bildete sich steif und fest ein, daß ein Paar aus ihnen würde, wenn er von Paris zurückkäme.

Frau Holt. Denken Sie nur an! Sich so was einzubilden; Bernick, – der junge, elegante Weltmann, – der vollkommene Kavalier, – der Liebling aller Damen –

Frau Rummel. – und trotzdem so anständig, Frau Holt, und so moralisch.

Frau Lynge. Aber was treibt denn dieses Fräulein Hessel in Amerika?

Frau Rummel. Ja, sehen Sie, darüber liegt, wie Rummel sich einmal ausdrückte, ein Schleier, den man schwerlich lüften dürfte.

Frau Lynge. Wieso nicht?

Frau Rummel. Sie steht, wie Sie begreifen werden, mit der Familie ja nicht mehr in Verbindung; aber so viel weiß doch die ganze Stadt, daß sie drüben für Geld in den Kneipen gesungen hat –

Frau Holt. – und öffentliche Vorträge gehalten hat –

Frau Rummel. – und ein ganz verrücktes Buch geschrieben hat.

Frau Lynge. Nein denken Sie nur –!

Frau Rummel. O, ja! Lona Hessel ist auch so ein Flecken in der Sonne des Bernickschen Glücks. So, jetzt wissen Sie also Bescheid, liebe Frau Lynge. Ich habe, bei Gott, nur deshalb über diese Verhältnisse gesprochen, damit Sie sich in acht nehmen.

Frau Lynge. Da können Sie ganz ruhig sein. Aber die arme Dina Dorf! Es tut mir wirklich leid um sie.

Frau Rummel. Na, für die war es ja ein reines Glück. Denken Sie nur, wenn sie in den Händen der Eltern geblieben wäre! Wir haben uns natürlich alle ihrer angenommen und ihr nach Kräften gute Lehren gegeben. Später setzte Fräulein Bernick durch, daß sie hier ins Haus kam.

Frau Holt. Aber ein schwer zu behandelndes Kind ist sie immer gewesen. Sehr begreiflich – die schlechten Beispiele! Ein solches Kind ist ja nicht wie eins von unsren; man muß Nachsicht mit ihr haben, Frau Lynge.

Frau Rummel. Still, da kommt sie! Laut. Ja, die Dina ist wirklich ein sehr geschicktes Mädchen. Ei, bist Du da, liebe Dina ? Wir legen eben die Arbeit weg.

Frau Holt. Wie lieblich Dein Kaffee duftet, liebste Dina! So ein Täßchen am Vormittag –

Frau Bernick auf der Terrasse. Darf ich bitten, meine Damen!

Martha und Dina waren mittlerweile dem Dienstmädchen dabei behilflich, den Kaffee zu servieren.

Alle Damen nehmen draußen Platz und überbieten sich in Freundlichkeiten gegen Dina. Nach einer kleinen Weile kommt Dina ins Zimmer und sucht ihre Handarbeit.

Frau Bernick draußen am Kaffeetisch. Dina, willst Du nicht auch –?

Dina. Nein, danke, – ich mag nicht.

Sie setzt sich an ihre Näharbeit. Frau Bernick und der Adjunkt wechseln einige Worte; gleich darauf kommt er ins Zimmer.

Rörlund macht sich am Tische zu schaffen und sagt leise: Dina!

Dina. Ja.

Rörlund. Warum wollen Sie nicht mit draußen bleiben ?

Dina. Wie ich mit dem Kaffee hereinkam, da merkte ich der fremden Dame an, daß man über mich gesprochen hatte.

Rörlund. Doch haben Sie nicht auch gesehen, wie freundlich sie zu Ihnen draußen war?

Dina. Aber das vertrage ich nicht!

Rörlund. Sie haben einen streitbaren Sinn, Dina.

Dina. Ja.

Rörlund. Doch warum?

Dina. Ich bin nun einmal so.

Rörlund. Könnten Sie nicht versuchen, anders zu werden?

Dina. Nein.

Rörlund. Und warum nicht?

Dina sieht ihn an. Ich gehöre ja zu den moralisch Verkommenen.

Rörlund. Pfui, Dina.

Dina. Meine Mutter gehörte auch zu den moralisch Verkommenen.

Rörlund. Wer hat Ihnen so etwas gesagt?

Dina. Niemand; man sagt mir nichts. Warum tun sie das? Man faßt mich so behutsam an, als ob ich zerbrechen würde, wenn –. O, wie ich diese ewige Gutherzigkeit hasse!

Rörlund. Liebe Dina, ich verstehe recht gut, daß Sie sich hier bedrückt fühlen; aber –

Dina. Ja,! könnt' ich nur weg, weit weg. Ich würde mir schon selbst weiter helfen, wenn ich nur nicht unter Menschen lebte, die so – so –

Rörlund. So – ?

Dina. – so anständig und so moralisch sind.

Rörlund. Aber Dina, das ist nicht Ihre Meinung.

Dina. O, Sie verstehen schon, wie ich das meine. Jeden Tag müssen Hilda und Netta her, damit ich sie mir zum Muster nehme. Ich kann nie so wohlanständig werden wie sie. Ich will nicht so werden. Ach, wäre ich weit weg, ich wollte schon brav werden!

Rörlund. Sie sind ja brav, Dina.

Dina. Was hilft mir das hier?

Rörlund. Also fortgehen –. Denken Sie im Ernst daran?

Dina. Ich möchte nicht einen Tag länger hier bleiben, wenn Sie nicht wären.

Rörlund. Sagen Sie mir, Dina, – warum sind Sie eigentlich so gern mit mir zusammen?

Dina. Weil Sie mich so viel Schönes lehren.

Rörlund. Schönes? Halten Sie das, was ich Sie lehren kann, für etwas Schönes?

Dina. Ja. Oder – eigentlich lehren Sie mich nichts; aber wenn ich Sie reden höre, dann kann ich so viel Schönes sehen.

Rörlund. Und was verstehen Sie denn eigentlich unter schön?

Dina. Darüber habe ich nie nachgedacht.

Rörlund. So denken Sie jetzt darüber nach! Was verstehen Sie unter schön?

Dina. Schön ist etwas, das groß ist – und weit weg.

Rörlund. Hm. – Liebe Dina, ich mache mir Ihretwegen aufrichtige Sorgen.

Dina. Nur das?

Rörlund. Sie wissen doch recht gut, wie unsäglich teuer Sie mir sind.

Dina. Wenn ich Hilda oder Netta wäre, so würden Sie sich nicht scheuen, es merken zu lassen.

Rörlund. Ach, Dina, Sie können gar nicht beurteilen, was für unzählige Rücksichten –. Wenn man dazu berufen ist, eine moralische Stütze zu sein der Gesellschaft, in der man lebt, so –. Man kann nicht vorsichtig genug sein. War' ich nur sicher, daß meine Beweggründe nicht falsch gedeutet würden; – aber dem sei, wie ihm wolle; Ihnen muß und soll geholfen werden. Dina, versprechen Sie mir, daß, wenn ich komme, – wenn die Verhältnisse mir gestatten, zu kommen, – und ich sage: hier ist meine Hand – wollen Sie dann diese Hand ergreifen und meine Gattin werden? – Versprechen Sie mir das, Dina?

Dina. Ja.

Rörlund. Dank, Dank! Denn auch für mich –. O, Dina, ich bin Ihnen doch so gut –. Still! Man kommt, – Dina, um meinetwillen – gehen Sie hinaus zu den ändern!

Sie geht hinaus an den Kaffeetisch. In demselben Augenblick kommen Rummel, Sandstad und Vigeland durch die Tür links, begleitet von Bernick, der einen Stoß Papiere trägt.

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