Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke

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Viertes KapitelDie Schifferkiste

Natürlich erzählte ich meiner Mutter sofort alles, was ich wußte und was ich ihr vielleicht schon längst hätte erzählen sollen. Wir erkannten sogleich, daß wir uns in einer schwierigen und gefährlichen Lage befanden.

Ein Teil von dem Gelde des Kapteins – wenn er überhaupt welches hatte – gehörte ohne Zweifel uns; aber es war nicht wahrscheinlich, daß unseres Kapteins Schiffskumpane, von denen ich zwei Musterexemplare gesehen hatte, den Schwarzen Hund und den blinden Bettler, geneigt sein würden, ihre Beute herauszugeben, um damit die Schulden des Toten zu bezahlen. Wenn ich den Befehl des Kapteins befolgt hätte, mich sofort auf ein Pferd gesetzt und Dr. Livesey geholt hätte, so wäre meine Mutter allein und ohne Schutz geblieben; daran war natürlich nicht zu denken. Ebenso unmöglich erschien es uns beiden, noch viel länger im Hause zu bleiben; wir erschraken, wenn nur eine Kohle in der Küche raschelte, ja sogar vor dem Ticken der Wanduhr. Unsere Ohren glaubten in der Nachbarschaft Schritte zu hören, die sich unserem Haus näherten. Auf dem Fußboden der Schenkstube lag der Leichnam des Kapteins, und um ihn schwebte gewissermaßen die Gestalt des abscheulichen blinden Bettlers, der jeden Augenblick zurückkehren konnte. Fortwährend sträubten sich die Haare auf meinem Kopfe, und ich bekam eine Gänsehaut, wie man zu sagen pflegt.

Jedenfalls mußten wir schnell zu irgendeinem Entschluß kommen; und am Ende hielten wir es für das beste, beide miteinander das Haus zu verlassen und in dem nahen Dorfe Hilfe zu suchen. Gesagt, getan. Mit bloßen Köpfen liefen wir sofort in die Dämmerung hinaus und in den kalten Nebel hinein.

Das Dörfchen lag nur wenige hundert Schritte von unserem Hause entfernt, obwohl man es vom »Admiral Benbow« aus nicht sehen konnte, denn es lag am anderen Ufer der nächsten Bucht. Besonders ermutigte mich der Gedanke, daß das Dorf in entgegengesetzter Richtung zu der lag, aus welcher der Blinde gekommen und wohin er vermutlich zurückgekehrt war. Wir waren nur wenige Minuten auf der Straße, obgleich wir einige Male stehenblieben, um eng aneinandergeschmiegt zu lauschen. Aber es war nichts Ungewöhnliches zu hören – nichts als das leise Plätschern der Wellen und das Krächzen der Krähen im Walde.

Die Lichter waren schon angezündet, als wir das Dorf erreichten, und ich werde niemals vergessen, wie froh es mich machte, den gelben Schein in Türen und Fenstern zu sehen. Leider stellte sich heraus, daß wir dort nicht viel mehr Hilfe bekommen konnten. Man sollte meinen, die Leute hätten sich vor sich selber schämen müssen – aber es ist Tatsache: keine Seele wollte mit uns nach dem »Admiral Benbow« zurückgehen. Je mehr wir von unseren Sorgen sprachen, desto fester klammerten sie sich an das Obdach ihrer Häuser – Männer sowohl wie Frauen und Kinder. Der Name des Kapitäns Flint, den ich früher niemals gehört hatte, war vielen von den Leuten gut genug bekannt und jagte ihnen große Furcht ein. Einige von den Männern, die jenseits unseres Hauses auf den Feldern gearbeitet hatten, erinnerten sich außerdem, verschiedene Fremde auf der Landstraße gesehen zu haben; sie hatten sie für Schmuggler gehalten und waren deshalb aus Vorsicht nach Hause gegangen; einer von ihnen hatte sogar einen kleinen Küstenschoner in der Bucht Kittshole gesehen. Der bloße Gedanke, daß Kumpane von Kapitän Flint in der Nähe wären, genügte, sie auf den Tod zu erschrecken. Kurz und gut: es waren zwar mehrere gern bereit, zum Dr. Livesey zu reiten, dessen Haus in einer anderen Richtung lag, aber keiner wollte uns helfen, unser Haus zu verteidigen.

Man sagt, Feigheit sei ansteckend; andererseits ist es aber auch wahr, daß Zureden manchmal hilft. Darum hielt meine Mutter eine Ansprache an sie, als jeder sein Sprüchlein gesagt hatte. Sie erklärte, sie wolle kein Geld verlieren, da es ihrem vaterlosen Knaben gehöre.

»Wenn keiner von euch den Mut hat,« sagte sie, »so haben Jim und ich ihn; wir gehen wieder dahin, von wo wir gekommen sind, und mögt ihr großen, waschlappigen, ängstlichen Männer euch schämen! Die Kiste wollen wir öffnen, und wenn es uns das Leben kosten sollte. Und wenn Ihr so gut sein wollt, Frau Croßley, so gebt mir Euren Sack da, damit ich unser Geld hineintun kann, das uns von Rechts wegen gehört.«

Natürlich sagte ich, ich wolle mit meiner Mutter gehen; und natürlich erhoben sie alle ein lautes Geschrei über unsere Tollkühnheit; aber das Ende vom Liede war, daß trotz alledem kein Mann uns begleiten wollte. Es war nichts weiter zu erreichen, als daß sie mir eine geladene Pistole gaben, für den Fall, daß wir angegriffen würden, und daß sie uns versprachen, es sollten gesattelte Pferde bereit gehalten werden, für den Fall, daß wir auf unserem Rückweg verfolgt würden; außerdem sollte ein junger Bursche sofort zum Doktor reiten, um bewaffnete Hilfe herbeizuholen.

Mir klopfte das Herz, als wir beiden in der kalten Nacht auf dieses gefährliche Abenteuer auszogen. Der Vollmond ging eben auf und schien rötlich durch den oberen Rand des Nebels. Dies veranlaßte uns zu besonderer Eile; denn es war klar, daß es taghell sein würde, bevor wir wieder zu Hause wären, so daß man uns sehen mußte, wenn Beobachter aufgestellt waren, wie wir es von den Seeräubern wohl annehmen konnten. Wir schlichen uns geräuschlos und schnell an den Hecken entlang, doch sahen oder hörten wir nichts, was unsere Ängste vermehrte, bis, zu unserer großen Erleichterung, die Tür des »Admiral Benbow« sich hinter uns geschlossen hatte.

Ich schob sofort den Riegel vor, und wir standen keuchend einen Augenblick im Dunkeln – ganz allein im Hause mit der Leiche des Kapteins. Dann holte meine Mutter eine Kerze aus dem Zapfraum; und Hand in Hand gingen wir in die Schenkstube. Der Kaptein lag so, wie wir ihn verlassen hatten: auf dem Rücken, die Augen weit offen, den einen Arm ausgestreckt.

»Zieh den Fenstervorhang herunter, Jim!« flüsterte meine Mutter; »sie könnten kommen und uns von draußen beobachten.«

Als ich dies getan hatte, fuhr sie fort:

»Und nun müssen wir den Schlüssel kriegen von dem da; und wer ihn anrühren soll, das möchte ich wohl wissen!«

Und sie stieß eine Art von Seufzer aus, als sie diese Worte sagte.

Ich ließ mich sofort auf die Knie nieder. Auf dem Fußboden, dicht neben der Hand des Kapteins, lag ein kleines rundes Stück Papier, das auf der einen Seite geschwärzt war. Ich konnte nicht dran zweifeln, daß dies der schwarze Fleck sei; und als ich es ansah, stand auf der anderen Seite, in sehr guter, deutlicher Handschrift die kurze Botschaft:

»Du hast Zeit bis heute abend zehn Uhr.«

»Er hatte Zeit bis zehn, Mutter,« sagte ich; und gerade in diesem Augenblick begann unsere alte Uhr zu schlagen. Das plötzliche Geräusch jagte uns einen furchtbaren Schrecken ein; aber es war eine gute Neuigkeit: es war erst sechs Uhr.

»Nun, Jim,« sagte meine Mutter, »den Schlüssel!«

Ich suchte in allen seinen Taschen. Ein paar kleine Münzen, ein Fingerhut, etwas Nähfaden, ein paar große Nadeln, ein Stück Kautabak, der an dem einen Ende abgebissen war, sein Schiffermesser mit dem gekrümmten Heft, ein Taschenkompaß und eine Zunderdose – das war alles, was sie enthielten, und ich begann den Mut zu verlieren.

»Vielleicht trägt er ihn um den Hals,« sagte meine Mutter.

Ich überwand meinen starken Widerwillen, öffnete sein Hemd am Halse – und richtig, an einem geteerten Bindfaden, den ich mit seinem eigenen Messer durchschnitt, fanden wir den Schlüssel.

Dieser glückliche Fund erfüllte uns mit Hoffnung, und wir liefen sofort, ohne eine Sekunde zu verlieren, nach der kleinen Stube hinauf, in der er so lange geschlafen hatte und wo seit dem Tage seiner Ankunft seine Kiste an der Wand gestanden hatte.

Sie sah von außen genau wie jede andere Seemannskiste aus; auf dem Deckel war mit einem glühenden Eisen der Buchstabe B eingebrannt; die Ecken waren etwas zerstoßen, wie wenn sie lange Dienste getan hätte und viel herumgeworfen worden wäre.

»Gib mir den Schlüssel!« sagte meine Mutter.

Das Schloß ging etwas schwer, aber im Nu hatte sie den Schlüssel umgedreht und den Deckel zurückgeschlagen.

Ein starker Geruch nach Tabak und Teer schlug uns entgegen, aber obenauf war nichts zu sehen als ein sehr guter Tuchanzug, der sauber gebürstet und sorgfältig zusammengelegt war. Die Kleider waren niemals getragen worden, wie meine Mutter mir sagte. Darunter aber lag ein Haufen von Gerümpel: ein Quadrant, ein Zinnkännchen, mehrere Stücke Tabak, zwei Paar sehr schöne Pistolen, ein Silberbarren, eine spanische Taschenuhr und einige andere Schmucksachen von geringem Wert und meistens von ausländischer Herkunft, ein Paar Kompasse in Messinggehäusen und fünf oder sechs seltene westindische Muscheln.

Ich habe später oft darüber nachgedacht, warum er wohl diese Muscheln in seinem Verbrecherleben überall mit sich herumgeschleppt hätte.

Wir hatten nichts von irgendwelchem Wert gefunden, außer dem Silber und den Schmucksachen, und diese konnten uns alle nichts nützen. Unterhalb dieses Gerümpels lag ein alter Schiffermantel, der in mancher Sturmnacht von Seesalz weiß geworden war. Meine Mutter riß ihn ungeduldig heraus, und da lag vor uns ein Bündel, das in Wachstuch eingewickelt war und dem Anschein nach Papier enthielt, und daneben ein Leinenbeutel, der wie von Goldstücken klirrte, als meine Mutter ihn aufhob.

»Ich werde diesen Schurken zeigen, daß ich eine ehrliche Frau bin,« sagte sie. »Ich nehme, was mir zukommt, und nicht einen Heller mehr. Halte Frau Croßleys Beutel!«

Sie begann den Betrag der Rechnung des Kapitäns aus seinem Beutel in den hineinzuzählen, den ich hielt.

Es war ein langwieriges, schwieriges Geschäft; denn es waren Münzen von allen Größen und aus allen möglichen Ländern – Dublonen und Louisdors und Guineen und Piaster, und ich weiß nicht was sonst noch, und sie lagen alle bunt durcheinander. Außerdem kamen Guineen am seltensten vor, und nur mit diesen konnte meine Mutter ihre Rechnung machen.

 

Als wir mit unserem Geschäft halb fertig waren, legte ich plötzlich meine Hand auf ihren Arm; denn ich hatte in der stillen, kalten Winterluft einen Ton gehört, bei dem mir das Herz in die Kehle kam – das Tap-tap von dem Stock des Blinden auf der gefrorenen Landstraße.

Es kam näher und immer näher, und wir saßen da und hielten den Atem an. Dann gab es einen scharfen Schlag gegen die Haustür, und dann konnten wir hören, wie die Klinke gedreht wurde und wie der Riegel klirrte. Offenbar versuchte der Kerl ins Haus zu kommen. Dann war es lange Zeit totenstill, drinnen und draußen. Schließlich begann wieder das Tap-tap und entfernte sich zu unserer unbeschreiblichen Freude und klang immer leiser, bis es endlich ganz aufhörte.

»Mutter,« sagte ich, »nimm das Ganze und laß uns gehen!«

Ich war überzeugt, daß die verriegelte Tür Verdacht erregt haben müßte und daß uns bald das ganze Hornissennest um die Ohren schwirren würde. Aber wie zufrieden ich war, daß ich die Tür verriegelt hatte, das kann niemand sich vorstellen, der diesen fürchterlichen Blinden nicht gesehen hat.

Meine Mutter wollte jedoch, so groß auch ihre Furcht war, keinen Heller mehr nehmen, als was ihr zukam; sie wollte sich aber auch nicht mit weniger zufrieden geben; denn sie war eigensinnig.

Sie sagte, es sei ja noch lange nicht sieben; sie kenne ihr Recht, und ihr Recht wolle sie haben. Sie stritt noch mit mir darüber, da hörten wir einen kurzen, leisen Pfiff, in ziemlich weiter Entfernung vom Berge her. Das war für uns beide mehr als genug. Sie sprang auf und rief:

»Ich will nehmen, was ich habe!«

»Und ich will dies nehmen, um die Rechnung auszugleichen,« sagte ich und griff nach dem Wachstuchpaket.

Im nächsten Augenblick tasteten wir beide uns im Dunkeln die Treppe hinunter; denn wir ließen die Kerze neben der leeren Kiste stehen. And dann hatten wir schon die Tür geöffnet und waren in vollem Rückzug.

Wir waren keine Sekunde zu früh gegangen. Der Nebel zerteilte sich schnell; der Mond schien bereits ganz hell über die ganze Landschaft, und nur gerade unten auf dem Grunde des Hohlweges und bei der Haustür unseres »Admiral Benbow« hing noch ein dünner Schleier, der die ersten Schritte unserer Flucht verhüllte. Noch lange nicht auf halbem Wege nach dem Dorf, ganz dicht am Fuß des Berges, mußten wir in das helle Mondlicht hinaustreten. Und noch mehr: der Schall von Schritten mehrerer schnellaufender Menschen war bereits zu hören, und als wir uns umsahen, zeigte uns ein Licht, das hin und her schwankte und schnell näher kam, daß einer von den Leuten eine Laterne trug.

»Liebes Kind,« sagte meine Mutter plötzlich, »nimm das Geld und laufe! Mir wird übel.«

Da dachte ich, jetzt sei es sicherlich mit uns beiden zu Ende. Wie verwünschte ich die Feigheit der Nachbarn! Wie tadelte ich meine arme Mutter wegen ihrer Ehrlichkeit und ihrer Geldgier, wegen ihrer vorigen Waghalsigkeit und jetzigen Schwäche!

Zum Glück waren wir grade an der kleinen Brücke; ich führte sie, die an allen Gliedern bebte, bis an das Geländer; und da stieß sie einen Seufzer aus und sank gegen meine Schulter.

Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, und ich fürchte, ich habe sie hart angefaßt, – aber es gelang mir, sie über den Uferrand zu schleppen und noch ein Stückchen unter den Brückenbogen zu ziehen. Weiter konnte ich sie nicht bekommen; denn die Brücke war zu niedrig, so daß ich kriechen mußte.

Hier mußten wir nun bleiben – meine Mutter lag kaum versteckt, und wir waren noch in Hörweite vom »Admiral Benbow«.

Fünftes KapitelDer Tod des Blinden

Meine Neugierde muß wohl stärker gewesen sein als meine Furcht; denn ich konnte nicht bleiben, wo ich war, sondern kroch wieder die Böschung hinauf, wo ich meinen Kopf hinter einem Busch Heidekraut verbarg; von dort aus konnte ich die Landstraße vor unserem Hause übersehen.

Kaum lag ich in diesem Versteck, da begannen auch meine Feinde schon sichtbar zu werden. Es waren sieben oder acht Männer; sie liefen schnell, ihre Schritte klangen laut auf der Landstraße, und der Mann mit der Laterne war den anderen um ein Stückchen voraus. Drei von ihnen liefen mit angefaßten Händen, und ich konnte trotz dem Nebel sehen, daß der Mann in der Mitte der blinde Bettler war.

Im nächsten Augenblick gab seine Stimme mir die Gewißheit, daß meine Vermutung richtig gewesen war; denn er schrie:

»Schlagt die Tür ein!«

»Jawohl, Herr!« antworteten zwei oder drei Stimmen, und die ganze Bande stürmte auf den »Admiral Benbow« los; der Laternenträger kam zuletzt. Dann konnte ich sehen, wie sie stillstanden, und hörte sie leise sprechen, wie wenn sie überrascht wären, daß sie die Tür offen fanden. Aber die Pause war nur kurz, denn der Blinde gab sofort neue Befehle aus. Seine Stimme klang lauter und heller, wie wenn er eifrig und wütend wäre.

»Hinein, hinein, hinein!« brüllte er und fluchte über ihre Langsamkeit.

Vier oder fünf von den Männern gehorchten ihm sofort; zwei blieben bei dem schrecklichen Bettler auf der Straße. Es folgte eine Pause, dann hörte ich einen Ausruf der Überraschung, und dann brüllte eine Stimme aus dem Hause heraus:

»Bill ist tot!«

Aber der Blinde fluchte wieder und schalt sie wegen ihrer Langsamkeit.

»Sucht an seiner Leiche, ein paar von euch feigen Hunden, und die übrigen gehen nach oben und holen die Kiste!« rief er.

Ich hörte, wie sie unsere alte Treppe hinaufpolterten; das ganze Haus muß davon gezittert haben. Gleich darauf kam wieder ein erstauntes Geschrei; das Fenster in des Kapteins Stube wurde aufgestoßen, und eine Glasscheibe klirrte; Kopf und Schultern eines Mannes, der sich weit hinauslehnte, wurden im Mondschein sichtbar. Er rief zu dem blinden Bettler herunter, der immer noch auf der Straße stand:

»Pew! Sie sind uns zuvorgekommen! Sie haben die Kiste schon um und um gekehrt!«

»Ist es da?« brüllte Pew.

»Das Geld ist da.«

»Zum Geier mit dem Geld!« fluchte der Blinde; »ich meine: ist Flints Schrift da?«

»Wir sehen hier nichts davon!« antwortete der Mann von oben.

»Heda! Ihr da unten – ist sie an Bills Leib?« schrie der Blinde wieder.

Hierauf kam ein anderer von den Kerlen – wahrscheinlich jener, der unten geblieben war, um des Kapteins Leiche zu durchsuchen, vor die Haustür und sagte:

»Bill war schon durchsucht; sie haben nichts übriggelassen.«

»Es sind die Leute von der Wirtschaft – es ist der verdammte Bengel. Ich wollte, ich hätte ihm das Lebenslicht ausgeblasen!« rief der Blinde, Pew. »Sie waren gerade eben noch hier – sie hatten die Tür verriegelt, als ich hinein wollte. Auseinander, Jungens, sucht sie!«

»Allerdings, sie haben ihre Funzel hier gelassen,« sagte der Mann am Fenster.

»Auseinander und sucht sie! stöbert das ganze Haus durch!« wiederholte Pew und schlug mit seinem Stock auf den Boden.

Nun folgte ein großes Hallo durch unsern ganzen alten Gasthof; schwere Stiefel trampelten auf und ab, Tische und Stühle wurden umgeschmissen, Türen eingetreten, daß die ganzen Felsen davon widerhallten. Aber einer nach dem anderen kamen die Männer wieder heraus auf die Straße und erklärten, wir seien nirgends zu finden. Und gerade in demselben Augenblick hörte ich wieder das Pfeifen, das meine Mutter und mich aufgeschreckt hatte, als wir des toten Kapteins Geld zählten; es war wieder ebenso deutlich vernehmbar, aber diesmal war es ein Doppelpfiff. Ich hatte gedacht, es sei sozusagen die Trompete des Blinden, durch die er seine Leute zum Sturmangriff gesammelt hätte; jetzt aber begriff ich, daß es ein Signal von der Bergeshöhe an der Dorfseite war, und zwar, wie aus der Wirkung auf die Freibeuter hervorging, ein Warnungszeichen, daß Gefahr herannahe.

»Da pfeift Dirk wieder,« sagte einer von den Leuten. »Zweimal! Wir werden ausreißen müssen. Kameraden!«

»Ausreißen, »Schafskopf!« schrie Pew. »Dirk war ein Dummkopf und ein Feigling von Anfang an – um den braucht ihr euch nicht zu kümmern. Sie müssen ganz dichtebei sein, sie können nicht weit gekommen sein; ihr habt ja das Ding in der Hand! Sucht sie doch, ihr Hunde! Oh, Gottverdammich! Wenn ich Augen hätte!«

Diese Aufforderung schien einige Wirkung zu haben; denn zwei von den Kerls begannen hier und da herumzusuchen; aber sie waren nicht recht bei der Sache, so kam es mir vor, und dachten die ganze Zeit über halb und halb an ihre eigene Gefahr; alle übrigen standen unentschlossen auf der Landstraße.

»Ihr habt Tausende zum Zugreifen, ihr Dummköpfe, und ihr wißt nicht, was ihr tun wollt! Ihr wäret so reich wie Könige, wenn ihr's finden könntet, ihr wißt, daß es hier ist, und ihr steht herum und döst! Unter euch allen war keiner, der es wagte, vor Bill zu treten, und ich, ich tat es – ein blinder Mann! Und nun soll ich euretwegen alle meine Aussichten verlieren! Soll ein armer, winselnder Bettler sein, der kaum seinen Schluck Rum hat, während ich in einer Kutsche fahren könnte! Wenn ihr bloß so viel Schneid hättet wie ein Mehlwurm in einem Zwieback, so würdet ihr sie jetzt noch fangen.«

»Hol's der Henker, Pew, wir haben ja die Dublonen,« knurrte einer.

»Vielleicht haben sie das verdammte Ding versteckt,« sagte ein anderer; »nimm die Guineen, und steht hier nicht herum, euch zu streiten.«

Streiten war das rechte Wort; denn Pews Ärger wurde infolge dieser Einwendungen so groß, daß er seine Leidenschaft nicht mehr beherrschen konnte und trotz seiner Blindheit nach links und rechts auf sie losschlug, und mehr als einmal verkündigte mir ein dumpfer Ton, daß er einen getroffen hatte.

Die Leute dagegen schimpften wieder auf den blinden Kerl, drohten ihm mit fürchterlichen Flüchen und versuchten vergeblich, den Stock zu packen und ihm denselben zu entwinden.

Diese Balgerei war unsere Rettung; denn während die Prügelei noch in vollem Gange war, kam von der Höhe des Berges über dem Dorf ein anderes Geräusch – die Hufschläge galoppierender Pferde. Beinahe gleichzeitig fiel ein Pistolenschuh mit Blitz und Knall von der Hecke her. Offenbar war dies das letzte Warnungssignal; denn die Freibeuter machten sofort kehrt und liefen nach den verschiedensten Richtungen auseinander: einer am Strande der Bucht entlang, seewärts, ein anderer schnurstracks den Berg hinauf und so weiter, so daß in einer halben Minute von ihnen keine Spur mehr vorhanden war – außer Pew. Den hatten sie im Stich gelassen – ob aus reiner Angst oder um sich wegen seiner Schimpfereien und Schläge zu rächen, das weiß ich nicht. Jedenfalls blieb er allein zurück, tappte wie rasend auf der Landstraße hin und her, tastete mit seinem Stock um sich und rief nach seinen Kameraden. Schließlich geriet er in die falsche Richtung, lief ein paar Schritte an mir vorbei nach dem Dorfe zu und schrie: »Johnny, Schwarzer Hund, Dirk!« – und was er sonst noch für Namen nannte – »Ihr werdet doch den alten Pew nicht im Stich lassen, Kameraden! Denkt doch an den alten Pew l«

Gerade in diesem Augenblick wurden die Pferde auf der Höhe sichtbar, und vier oder fünf Reiter sprengten im Mondschein in vollem Galopp den Abhang hinunter.

Da begriff Pew seinen Irrtum; er kreischte auf, drehte sich um und lief in den Graben hinein, so daß er zu Fall kam. Aber er war in einer Sekunde wieder auf den Füßen und machte von neuem einen Sprung; er war jedoch so verwirrt, daß er geradezu in die Pferde hineinlief.

Der Reiter des vordersten Pferdes suchte ihn zu retten, aber vergeblich. Mit einem Schrei, der laut durch die Nacht klang, stürzte Pew zu Boden und die vier Hufe trampelten über seinen Leib hinweg. Der Blinde fiel auf die Seite, legte sich dann sachte auf sein Gesicht und rührte sich nicht mehr.

Ich sprang auf und rief die Reiter. Sie hatten schon von selber, voll Entsetzen über den Unfall, ihre Pferde angehalten, und ich erkannte sofort, wer sie waren. Der eine war der junge Bursche, der vom Dorf aus zum Dr. Livesey geritten war; die anderen waren Zollbeamte, die er unterwegs getroffen hatte; er war so verständig gewesen, sofort mit ihnen umzukehren. Zollinspektor Dance hatte Nachricht von dem verdächtigen Küstenfahrer in Kittshole erhalten und war deshalb auf dem Wege dorthin; diesem Umstände verdankten meine Mutter und ich, daß wir vom Tode errettet wurden.

Pew war tot – mausetot. Meine Mutter trugen wir nach dem Dorf; etwas kaltes Wasser und Riechsalz brachten sie bald wieder zu sich, und der Schreck hatte ihr nichts geschadet; nur klagte sie unaufhörlich darüber, daß sie nicht ihr ganzes Geld bekommen hätte.

 

Inzwischen ritt der Zollinspektor so schnell er konnte nach Kittshole; aber seine Leute mußten absteigen und sich im Finstern durch die Talschlucht tasten, dabei ihre Pferde am Zügel führen und manchmal sogar wieder stützen; dabei mußten sie fortwährend auf der Hut vor einem Hinterhalt sein. Es war also weiter nicht zu verwundern, daß das Schiff schon unter Segel war, als sie an der Bucht ankamen. Es war aber noch nicht weit draußen und er rief es an. Eine Stimme antwortete ihm, er solle sich lieber nicht dem Mondschein zeigen, sonst werde er etwas Blei in den Leib bekommen; und gleichzeitig pfiff eine Kugel dicht an seinem Arm vorbei. Bald darauf segelte das Schiff um die Landspitze herum und verschwand. Inspektor Dance stand da, wie er sagte, »wie ein Fisch auf dem Trocknen«; er konnte nichts weiter tun, als einen Mann nach B. zu schicken, um den Zollkutter aufmerksam zu machen. »Und das«, sagte er, »ist so gut wie gar nichts. Sie sind uns ausgerückt, und damit basta. »Ich freue mich bloß, daß ich dem Meister Pew auf die Hühneraugen getreten habe!«

Inzwischen hatte er nämlich meine Geschichte gehört. Ich ging mit ihm nach dem »Admiral Benbow« zurück. Man kann sich kaum vorstellen, in welchem Zustand von Verwüstung das Haus war; sogar die Wanduhr war von den Kerlen bei ihrem wütenden Suchen nach meiner Mutter und mir umgeworfen worden; und obgleich außer dem Geldbeutel des Kapteins und etwas Silbergeld aus der Tischlade nichts weggenommen war, konnte ich doch sofort sehen, daß wir zugrunde gerichtet waren. Dance konnte die ganze Geschichte nicht begreifen.

»Sie bekamen das Geld, sagtest du doch? Na, was suchten sie dann, Hawkins; wahrscheinlich noch mehr Geld?«

»Nein, Herr Inspektor; ich glaube, nach Geld suchten sie nicht mehr. Ich glaube tatsächlich, ich habe das, was sie suchten, in meiner Brusttasche; und wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, so möchte ich es gerne in Sicherheit bringen.«

»Gewiß, mein Junge, da hast du ganz recht. Ich will es an mich nehmen, wenn du willst.«

»Ich dachte, vielleicht würde Dr. Livesey –«

»Ganz recht!« unterbrach er mich lachend, »vollkommen richtig; Dr. Livesey ist ein Gentleman und ein königlicher Beamter. Und – gut, daß ich daran denke – es ist wohl ebensogut, wenn ich selber zu ihm reite und ihm oder dem Squire[3] Bericht mache. Meister Pew ist nun doch mal tot; nicht daß es mir leid täte, aber er ist doch tot, siehst du, und die Leute werden es einem Zollbeamten Seiner Majestät anzuhängen suchen, wenn ihnen das irgend möglich ist. Weißt du was, Hawkins? Wenn du Lust hast, nehme ich dich gleich mit.«

Ich dankte ihm herzlich für sein Anerbieten, und wir gingen miteinander nach dem Dorfe zu, wo die Pferde warteten. Kaum hatte ich meiner Mutter mein Vorhaben mitgeteilt, so saßen schon alle im Sattel.

»Dogger,« sagte Inspektor Dance, »Ihr habt einen guten Gaul; laßt den Jungen bei Euch hinten aufsitzen.«

Sobald ich hinaufgestiegen war und mich an Doggers Leibriemen festgehalten hatte, gab der Inspektor Befehl zum Abmarsch, und der kleine Zug machte sich im scharfen Trabe auf den Weg nach Dr. Liveseys Haus.

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