Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke

Текст
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Achtes KapitelDie Wirtschaft ›Zum Fernrohr‹

Als ich gefrühstückt hatte, gab der Squire mir einen Zettel für »John Silver, Gastwirtschaft zum Fernrohr« und sagte mir, ich könnte das Haus leicht finden; denn ich brauchte bloß an den Docks entlang zu gehen und mich nach einer kleinen Taverne umzusehen, die als Zeichen ein großes Messingfernrohr hätte. Überglücklich über diese Gelegenheit, noch mehr Schiffe und Matrosen zu sehen, machte ich mich auf den Weg; ich kam durch ein großes Gedränge von Menschen und Karren und Warenballen; denn die Tätigkeit an den Docks war um diese Stunde auf ihrem Höhepunkt. Schließlich fand ich denn auch die mir genannte Taverne.

Es war eine recht saubere Wirtschaft. Das Schild war frisch gemalt; vor den Fenstern hingen hübsche rote Gardinen; der Fußboden war mit reinem weißem Sand bestreut. Die Schenke lag zwischen zwei Straßen und hatte einen Eingang von jeder derselben, so daß es in dem großen, niedrigen Schenkzimmer ziemlich hell war, trotz den dichten Wolken von Tabaksqualm.

Die Gäste waren fast lauter Seeleute, und sie sprachen so laut, daß ich an der Tür stehen blieb und beinahe Angst hatte, einzutreten.

Während ich wartete, kam aus einem Nebenzimmer ein Mann heraus, und ich sah auf den ersten Blick, daß dies Long John sein müßte. Sein linkes Bein war dicht an der Hüfte abgenommen, und unter der linken Achsel hatte er eine Krücke, die er mit wunderbarer Geschicklichkeit handhabte und an der er herumhüpfte wie ein Vogel. Er war sehr groß und stark, mit einem Gesicht, so groß wie ein Schinken. Dieses Gesicht war häßlich und blaß, aber von klugem und lächelndem Ausdruck. Er schien wirklich in sehr lustiger Laune zu sein, er pfiff vor sich hin, wie er sich so zwischen den Tischen bewegte und die besonders beliebten Gäste mit einem Scherzwort oder mit einem Schlag auf die Schulter begrüßte.

Nun hatte ich, um die Wahrheit zu sagen, gleich bei der ersten Erwähnung Long John Silvers in Squire Trelawneys Brief innerlich gefürchtet, er könnte jener einbeinige Seemann sein, nach dem ich vom alten »Admiral Benbow« so lange Zeit ausgeguckt hatte. Aber ein einziger Blick auf den Mann vor mir genügte. Ich hatte den Kaptein gesehen, und den Schwarzen Hund, und den blinden Bettler Pew, und ich glaubte zu wissen, wie ein Pirat aussähe – jedenfalls nach meiner Meinung ganz anders als dieser reinliche, freundliche Schenkwirt.

Ich bekam sofort neuen Mut, trat über die Schwelle und ging stracks auf den Mann los, der auf seine Krücke gelehnt dastand und mit einem Gast sich unterhielt. Ich hielt ihm den Zettel hin und fragte:

»Herr Silver?«

»Jawohl, mein Junge; so heiß ich ganz gewiß. Und wer bist denn du?«

Als er aber den Brief des Squire sah, schien es ihm ordentlich einen Ruck zu geben. Er gab mir die Hand und sagte ganz laut:

»Aha, ich verstehe! Du bist unser neuer Kajütsjunge; freut mich, dich zu sehen!«

Und er gab mir einen festen Händedruck.

Gerade in diesem Augenblick stand einer von den Gästen plötzlich auf und lief aus der Tür. Diese befand sich ganz in seiner Nähe und er war sofort aus der Straße verschwunden. Aber seine Eile war mir aufgefallen, und ich erkannte ihn auf den ersten Blick. Es war der Mann mit dem käsigen Gesicht, der zuerst in den »Admiral Benbow« gekommen war und dem die beiden Finger fehlten.

»Oho!« rief ich; »haltet ihn! Da ist ja der Schwarze Hund!«

»Wer er ist, darauf gebe ich keinen Pfifferling!« rief Silver; »aber er hat seine Zeche nicht bezahlt. Harry, lauf ihm nach und halte ihn fest!«

Einer von den anderen Gästen, der ebenfalls ganz nahe bei der Tür saß, sprang auf und machte sich zur Verfolgung auf.

»Und wenn er der Admiral Hawke wäre, seine Zeche soll er bezahlen!« rief Silver; dann ließ er meine Hand los und fragte: »Wer, sagtest du, daß er wäre? Der schwarze was?«

»Hund, Herr Silver,« sagte ich. »Hat Herr Trelawney Ihnen nicht von den Piraten erzählt? Er war einer von ihnen.«

»So!« rief Silver. »In meinem Hause! Ben, lauf und hilf Harry! So? War das einer von diesen Kerls? Hört mal, Morgan! Ihr habt ja wohl mit ihm getrunken? Kommt mal her!«

Der Mann, den er Morgan nannte – ein alter grauhaariger Matrose mit einem mahagoniroten Gesicht –, kam mit einer ziemlich dämlichen Miene heran, indem er seinen Priem im Munde herumrollte.

»Na, Morgan!« sagte Long John sehr ernst; »Ihr habt doch wohl nie in Eurem Leben früher diesen Schwarzen – Schwarzen Hund gesehen? Nicht wahr?«

»Gewiß nicht, Herr!« sagte Morgan, mit einem Kratzfuß.

»Ihr kanntet doch seinen Namen nicht? Oder?«

»Nein, Herr!«

»Beim heiligen Donnerwetter, Tom Morgan, da könnt Ihr Euch freuen!« rief der Wirt. »Hättet Ihr mit einem solchen Kerl was zu tun gehabt, Ihr hättet mein Haus mit keinem Fuß mehr betreten, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Und was sagte er denn zu Euch?«

»Das weiß ich nicht mehr so recht, Herr,« antwortete Morgan.

»Habt Ihr einen Kopf auf Euren Schultern, oder ist das ein verdammtes Kalbsgekröse?« rief Long John. »Weiß ich nicht mehr recht! – Ach nee! Vielleicht wißt Ihr auch nicht mehr so recht, mit wem Ihr überhaupt gesprochen habt? Na, besinnt Euch mal, wovon hat er denn geplappert – Reisen, Kapitäne, Schiffe? Raus damit! Was war's denn?«

»Wir sprachen so von Kielholen,« antwortete Morgan.

»Von Kielholen? Ach nee! Das war ja eine recht passende Unterhaltung, Gottverdammich! Setzt Euch man wieder hin, Ihr seid ein Schafskopf.«

Während Morgan wieder auf seinen Stuhl lossteuerte, flüsterte Silver mir in vertraulichem Ton, durch den ich mich sehr geschmeichelt fühlte, ins Ohr:

»Der Tom Morgan ist ein ganz braver Kerl – bloß ein fürchterlicher Döskopf. Aber nun,« fuhr er laut fort, »laßt mich doch mal nachdenken – Schwarzer Hund? Nein – den Namen kenne ich nicht; ganz gewiß nicht. Aber halt – mir ist doch so – ja, ich habe den Kerl mal gesehen! Er kam manchmal mit einem blinden Bettler zu mir – jawoll, das tat er!«

»Daß er das tat, darauf können Sie sich verlassen,« sagte ich. »Ich habe auch den blinden Mann gekannt. Pew war sein Name.«

»Richtig!« rief Silver, jetzt ganz aufgeregt. »Pew! Das war sein Name. Ganz gewiß! Ah – der Kerl sah wie ein Haifisch aus, wahrhaftig! Aber wenn wir diesen Schwarzen Hund zu fassen kriegen, na, da wird aber Kapitän Trelawney Augen machen! Ben ist ein guter Läufer – da sind wenig Seeleute, die besser laufen können als Ben. Der muß ihn einholen, Hand über Hand, Gottverdammich! Von Kielholen sprach er? Ach nee! Na, den will ich kielholen!«

Die ganze Zeit über, während er diese Sätze hervorstieß, humpelte er auf seiner Krücke in der Schenkstube herum, schlug alle Augenblicke mit der flachen Hand auf einen Tisch und war offenbar so aufgeregt, daß er einen Richter in Old Bailey oder einen Polizisten von Bow Street von seiner Unschuld überzeugt haben würde. Mein Verdacht war wieder rege geworden, als ich den Schwarzen Hund im »Fernrohr« wiedergefunden hatte, und ich beobachtete den Schiffskoch sehr scharf. Aber er war für mich ein zu fixer Schauspieler und ein zu abgefeimter Schlaukopf, und als nach einiger Zeit die beiden Matrosen ganz außer Atem zurückkamen und meldeten, sie hätten in einem Gedränge die Spur verloren und wären selber für Spitzbuben ausgescholten worden, da hätte ich mich ohne Bedenken für Long John Silvers Unschuld verbürgt.

»Sieh mal, Hawkins,« sagte er zu mir, »es ist doch ein verdammt hartes Ding für einen Mann wie mich, wenn so was passiert – nicht wahr? Da ist Käpp'n Trelawney – was soll der davon denken? Hier sitzt der verdammte Sohn von einem Holländer in meinem eigenen Haus und trinkt von meinem eigenen Rum! Hier kommst du zu mir rein und sagst mir's gerade auf den Kopf zu! Und hier lasse ich ihn vor meinen eigenen Augen uns allen durch die Lappen gehen! Na, Hawkins, tu mir den Gefallen und stelle dem Käpp'n die Geschichte ins richtige Licht! Du bist ja man ein Junge, das ist richtig, aber du bist helle wie 'n Dreierlicht. Das hab ich gleich gesehen, als du in die Tür kamst. Na, die Sache ist doch so: was konnte ich denn tun, mit diesem alten Stück Holz, worauf ich rumhumple? Als ich noch ein kriegstüchtiger Sergeant bei den Seesoldaten war, da hätte ich ihn bald beim Wickel gehabt, und da hätte er meine Fäuste kennengelernt; aber jetzt –«

Plötzlich schwieg er und sein Unterkiefer fiel herunter, wie wenn ihm auf einmal etwas eingefallen wäre.

»Die Zeche!« rief er: »Drei Lagen Rum! Herrjemine, Gottverdammich – hab' ich richtig die Zeche vergessen!«

Und er fiel auf eine Bank und lachte, daß ihm die Tränen über die Backen liefen. Unwillkürlich mußte ich mitlachen, und so lachten wir beide, immer von frischem, daß die ganze Schenkstube dröhnte.

»Herrgott nochmal, was für ein großartiges Seekalb ich bin!« sagte er und wischte sich die Backen ab. »Du und ich, wir zwei beiden müssen uns gut vertragen, Hawkins – denn, meiner Seel, ich habe mich benommen wie ein Schiffsjunge! Aber hör' mal, wir wollen uns fertig machen; ich gehe mit dir. So geht das nicht. Pflicht ist Pflicht, Kameraden! Ich will meinen alten Dreispitz aufsetzen und mit dir zu Käpp'n Trelawney gehen und diese Geschichte von dem Schwarzen Hund melden. Denn sieh mal, jung Hawkins, die Geschichte ist ernst, und wir beiden haben da nicht gerade gut abgeschnitten, wie ich wohl sagen darf. Der Meinung bist du auch, sagst du? Nein, helle waren wir nicht – helle waren wir alle beide nicht. Aber hol' der Teufel meine Knöpfe! Der Streich mit meiner Zeche, der war nicht schlecht!«

Und er begann wieder zu lachen, und zwar so von ganzem Herzen, daß ich wieder in seine Heiterkeit einstimmen mußte, damit er nur nicht glauben möchte, ich hätte den Witz nicht ebensogut verstanden wie er.

 

Auf unserem kleinen Spaziergang die Kajen entlang zeigte er sich als ein sehr unterhaltsamer Gesellschafter; er erzählte mir allerlei über die verschiedenen Schiffe, an denen wir vorüberkamen: über ihre Takelungen, ihre Nationalität, ihren Tonnengehalt; wie das eine Schiff abgeladen werde, jenes andere Ladung einnehme, ein drittes sich seefertig mache. Und dabei erzählte er ab und zu eine kleine Geschichte von Schiffen oder Schiffern, oder wiederholte einen Seemannsausdruck so lange, bis ich ihn vollkommen richtig sagen konnte. Ich begann zu sehen, daß dieser Mann einer von den besten Schiffsmaaten war, die einer finden konnte.

Als wir in den Gasthof kamen, saßen der Squire und Dr. Livesey beisammen und tranken einen Topf Bitterbier mit einer gerösteten Brotscheibe drin, um sich etwas zu stärken, bevor sie an Bord des Schoners gingen, den sie besichtigen wollten.

Long John erzählte die Geschichte vom Schwarzen Hund von Anfang bis zu Ende – sehr lebhaft und vollkommen der Wahrheit gemäß.

»Ja, so war es; nicht wahr, so war es, Hawkins?« sagte er alle Augenblicke, und ich konnte ihm jedesmal bestätigen, daß es wirklich so gewesen war.

Die beiden Herren bedauerten, daß der Schwarze Hund entwischt war; aber wir waren alle derselben Meinung: nämlich, daß dabei dann eben nichts mehr zu machen sei; und nachdem die Herren ihm ihre Zufriedenheit ausgesprochen hatten, nahm Long John wieder seine Krücke unter die Achsel und empfahl sich.

»Und heute nachmittag um vier alle Mann an Bord!« rief der Squire ihm nach.

»Jawoll, Herr!« rief der Koch vom Gang zurück.

»Na, Squire,« sagte Dr. Livesey, »ich habe im allgemeinen nicht viel Vertrauen zu Ihren Entdeckungen; aber das will ich Ihnen sagen, dieser John Silver gefällt mir.«

»Der Mann ist einfach großartig!« erklärte der Squire eifrig.

»Und nun,« fuhr der Doktor fort, »darf Jim wohl mit uns an Bord kommen – nicht wahr?«

»Natürlich darf er das,« sagte der Squire. »Nimm deinen Hut – wir wollen uns das Schiff besehen.«

Neuntes KapitelPulver und Waffen

Die Hispaniola lag ein ziemliches Stück draußen, und wir kamen unter dem Bugspriet und hinter dem Heck so manches anderen Schiffes vorbei; manchmal berührte der Kiel unseres Bootes ihre Ankertaue, und manchmal fuhren wir unter solchen durch. Schließlich aber lagen wir neben dem Schoner und wurden, als wir an Bord kamen, vom Steuermann, Herrn Arrow, empfangen und begrüßt – einem braun gebrannten alten Schiffer, mit Ringen in den Ohren und mit einem schielenden Auge. Der Squire und er waren offenbar gute Freunde; ich bemerkte jedoch bald, daß zwischen Herrn Trelawney und dem Kapitän nicht das gleiche Verhältnis bestand.

Der Kapitän war ein Mann mit scharfem Blick, der mit allem an Bord unzufrieden zu sein schien, was er uns übrigens bald selber sagen sollte, denn wir waren kaum in die Kajüte hinuntergegangen, so folgte uns ein Matrose und sagte:

»Käpp'n Smollett, Herr, wünscht mit Ihnen zu sprechen.«

»Ich stehe dem Kapitän stets zu Diensten. Laßt ihn hereinkommen,« sagte der Squire.

Der Kapitän, der seinem Boten gefolgt war, trat sofort ein und machte die Tür hinter sich zu. »Nun, Käpp'n Smollett, was haben Sie zu sagen? Es ist doch alles in Ordnung, hoffe ich: alles schiffsgemäß und seefertig?«

»Tscha, tscha, Herr,« sagte der Kapitän, »ich glaube, es ist wohl besser, wenn ich ganz offen spreche, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mir das übelnehmen. Mir gefällt diese Kreuzerfahrt nicht; mir gefallen die Leute nicht; und mir gefällt mein Steuermann nicht. Das ist kurz und bündig.«

»Vielleicht, Herr, gefällt Ihnen auch das Schiff nicht?« fragte der Squire, sehr ärgerlich, wie ich sehen konnte.

»Darüber kann ich nichts sagen, Herr, denn ich habe den Schoner noch nicht versucht,« sagte der Kapitän. »Er scheint ein schneidiges Schiff zu sein, mehr kann ich nicht sagen.«

»Vielleicht, Herr, gefällt Ihnen auch Ihr Auftraggeber nicht?« sagte der Squire.

Aber hier griff Dr. Livesey ein und sagte:

»Halt mal, halt! Solche Fragen haben weiter keinen Zweck, als daß sie Unfrieden stiften. Der Kapitän hat entweder zu viel oder zu wenig gesagt, und ich muß ihm erklären, daß ich von ihm Näheres über den Sinn seiner Worte zu hören wünsche. Sie sagen: diese Kreuzerfahrt gefällt Ihnen nicht. Nun, warum denn nicht?«

»Ich war, Herr, wie wir das nennen, ›auf versiegelte Order‹ angenommen: ich sollte für diesen Herrn das Schiff fahren, wohin er mir befehlen würde, schön und gut. Aber jetzt finde ich, daß jeder Mann vor dem Mast mehr davon weiß als ich selber. Das nenne ich nicht anständig – nun, tun Sie das?«

»Nein,« sagte Dr. Livesey, »das finde ich auch nicht.«

»Sodann erfahre ich, daß wir auf Schatzsuche gehen – das heißt: ich erfahre das von meinen eigenen Leuten. Nun, Schatzsuchen ist ein kitzliges Geschäft; Fahrten hinter Schätzen her gefallen mir überhaupt nicht, am wenigsten aber, wenn sie geheim gehalten werden, und wenn – entschuldigen Sie, Herr Trelawney – das Geheimnis schon dem Papagei erzählt worden ist.«

»Silvers Papagei?« fragte der Squire.

»Es ist so eine Redensart,« sagte der Kapitän. »Ich will damit sagen: es wird darüber geplappert. Und ich bin der Meinung, von Ihnen, meine Herren, weiß keiner, worum es geht. Aber ich will Ihnen sagen, was ich davon denke: es geht um Leben und Tod, und zwar scharf auf der Kante.«

»Das ist alles klar, und wie ich glaube, vollkommen richtig,« antwortete Dr. Livesey. »Wir nehmen das Wagnis auf uns; aber wir sind nicht so unwissend, wie Sie von uns glauben. Zweitens sagen Sie: die Mannschaft gefällt Ihnen nicht. Sind es keine guten Seeleute?«

»Sie gefallen mir nicht, Herr!« antwortete der Kapitän. »And ich bin der Meinung, eigentlich hätte ich meine eigenen Leute mir selber aussuchen sollen.«

»Vielleicht haben Sie da recht,« erwiderte der Doktor. »Vielleicht hätte mein Freund Sie hinzuziehen sollen; aber wenn er Ihnen dabei überhaupt zu nahe getreten ist, so ist das ohne Absicht geschehen. Drittens: Herr Arrow gefällt Ihnen nicht?«

»Nein, Herr. Ich glaube, er ist ein guter Seemann; aber er läßt sich der Mannschaft gegenüber zu sehr gehen, um ein guter Offizier sein zu können. Ein Steuermann sollte sich für sich halten, sollte nicht mit den Leuten vor dem Mast trinken!«

»Wollen Sie damit sagen, daß er trinkt?« rief der Squire.

»Nein, das nicht,« antwortete der Kapitän; »nur, daß er zu vertraulich mit ihnen ist.«

»Na, was ist denn das Lange und Kurze davon, Kapitän?« fragte der Doktor. »Sagen Sie uns, was Sie eigentlich wollen.« »Nun, dann also: Meine Herren, sind Sie entschlossen, diese Fahrt zu unternehmen?«

»Wie Eisen!« rief der Squire.

»Gut. Sie haben mit großer Geduld Dinge von mir angehört, die ich nicht beweisen konnte; lassen Sie mich bitte Ihnen noch ein paar Worte mehr sagen. Die Leute sind gerade dabei, das Pulver und die Waffen ins Vorderschiff zu bringen. Nun, Sie haben ja einen guten Platz unter der Kajüte; warum die Waffen und das Pulver nicht dorthin bringen? Das ist der erste Punkt. Dann haben Sie vier von Ihren eigenen Leuten mitgebracht, und wie ich höre, sollen einige von diesen in der Vorderback schlafen. Warum wollen Sie sie nicht neben der Kajüte schlafen lassen? Das ist der zweite Punkt.«

»Sonst noch etwas?« fragte Herr Trelawney.

»Nur noch ein einziger,« sagte der Kapitän. »Es ist schon zu viel geschwatzt worden.«

»Viel zuviel!« gab der Doktor zu.

»Ich will Ihnen sagen, was ich selber gehört habe,« fuhr der Kapitän fort: »Sie haben eine Karte von einer Insel; auf dieser Karte befinden sich Kreuze, um die Stellen anzuzeigen, wo Schätze vergraben sind; und die Insel liegt –« und dann nannte er ganz genau Länge und Breite.

»Das habe ich niemals einer Menschenseele gesagt!« rief der Squire.

»Die Mannschaft weiß es, Herr!« antwortete der Kapitän.

»Livesey, dann müssen Sie oder Hawkins es gesagt haben!« rief der Squire.

»Es kommt nicht viel darauf an, wer es gewesen ist,« antwortete der Doktor, und ich konnte wohl sehen, daß weder er noch der Kapitän großen Wert auf Herrn Trelawneys Beteuerungen legte. Auch ich tat das sicherlich nicht, denn er war wirklich überaus redselig; aber in diesem Falle glaube ich, sprach er tatsächlich die Wahrheit und hatte wirklich keinem Menschen die Lage der Insel genannt.

»Nun, meine Herren,« fuhr der Kapitän fort, »ich weiß nicht, wer diese Karte hat; aber ich mache es ausdrücklich zur Bedingung, daß sie sogar vor mir und Arrow geheim gehalten wird. Sonst müßte ich Sie bitten, zurücktreten zu dürfen.«

»Ich verstehe,« sagte der Doktor. »Sie wünschen, daß wir diese Sache geheim halten, daß wir aus dem hinteren Teil des Schiffes eine Art Festung machen, die mit den eigenen Leuten meines Freundes bemannt ist und wo alle Waffen und der ganze Pulvervorrat des Schiffes sich befinden. Mit anderen Worten: Sie befürchten eine Meuterei.«

»Herr Doktor!« sagte der Kapitän; »ich habe nicht die Absicht, Sie zu beleidigen, aber ich erkläre Ihnen: Sie haben kein Recht, mir Worte in den Mund zu legen, die ich nicht gesprochen habe! Kein Kapitän, Herr Doktor, hätte das Recht, überhaupt in See zu gehen, wenn er tatsächliche Gründe hätte, so etwas zu sagen. Von Herrn Arrow glaube ich, daß er ein durchaus ehrlicher Mann ist; dasselbe gilt von einigen unter der Mannschaft; vielleicht sind sie sogar alle ehrlich – das weiß ich nicht. Aber ich bin verantwortlich für die Sicherheit des Schiffes und für das Leben von Mann und Maus an Bord. Ich sehe Dinge vorgehen, die nach meiner Meinung nicht ganz richtig sind. Und ich bitte Sie, gewisse Vorsichtsmaßregeln zu treffen oder mich von meiner Stellung zurücktreten zu lassen. Und das ist alles.«

»Kapitän Smollett,« begann der Doktor mit einem Lächeln, »haben Sie vielleicht mal die Fabel von dem Berg und von der Maus gehört? Sie werden freundlichst entschuldigen – aber Sie erinnern mich an diese Fabel. Als Sie in die Kajüte traten, hatten Sie mehr im Sinn – darauf würde ich meine Perücke wetten!«

»Doktor,« sagte der Kapitän, »Sie sind ein kluger Mann. Als ich eintrat, hatte ich die Absicht, meine Entlassung zu verlangen. Ich dachte nicht, daß Herr Trelawney auch nur ein Wort von mir anhören werde.«

»Das hätte ich auch nicht getan!« rief der Squire. »Wäre Livesey nicht hier gewesen, ich hätte Sie zum Kuckuck geschickt! Aber nun habe ich Sie ja einmal angehört. Ich will tun, was Sie wünschen; aber ich sage Ihnen offen: es gefällt mir nicht von Ihnen!«

»Das können Sie halten, wie Sie wollen, Herr Trelawney!« sagte der Kapitän. »Sie werden finden, daß ich meine Pflicht tue.«

Und damit empfahl er sich.

»Trelawney,« sagte der Doktor, »entgegen allen meinen Erwartungen glaube ich, es ist Ihnen gelungen, zwei ehrliche Männer an Bord zu bekommen – diesen Mann und John Silver.«

»Silver – da gebe ich Ihnen recht!« rief der Squire; »aber dieser unerträgliche Schwätzer – nein! Ich erkläre Ihnen, ich halte sein Benehmen für unmännlich, unseemännisch und geradezu unenglisch!«

»Na, wir werden sehen,« sagte der Doktor.

Als wir wieder auf Deck kamen, hatten die Leute bereits angefangen, die Waffen und das Pulver umzupacken; sie sangen bei ihrer Arbeit, und der Kapitän und Steuermann Arrow standen dabei und beaufsichtigten sie.

Die neue Anordnung war ganz nach meinem Sinne. Der ganze Schoner war umgepackt; am Stern waren sechs Kojen eingerichtet, die früher zum Schlafraum der Mannschaft gehört hatten; und diese Kojen waren mit der Kombüse und der Vorderback nur durch einen Gang an der Pfortlukenseite verbunden. Es war ursprünglich beabsichtigt worden, daß der Kapitän, Arrow, Hunter, Joyce, der Doktor und der Squire diese sechs Kojen haben sollten. Jetzt wurde bestimmt, daß Redruth und ich zwei davon bekommen sollten, während Arrow und der Kapitän auf Deck in der sogenannten Hundehütte schlafen sollten, die um soviel höher gemacht wurde, daß man sie beinahe eine Deckshütte nennen konnte. Natürlich war sie trotzdem noch sehr niedrig, aber sie bot Platz genug, um zwei Hängematten anzubringen; diese Anordnung schien auch dem Steuermann zu gefallen. Auch er hatte vielleicht seine Zweifel in bezug auf die Mannschaft gehabt; aber hierüber kann ich nur eine Vermutung aussprechen; denn wir hatten, wie man bald hören wird, nicht lange Gelegenheit, seine Ansichten zu vernehmen.

Wir waren alle tüchtig an der Arbeit, das Pulver und die Kojen an ihren neuen Platz zu bringen, als die letzten paar Leute, und mit ihnen Long John, in einem Hafenboot ankamen.

 

Der Koch kletterte so gewandt wie ein Affe an der Schiffswand herauf, und sobald er sah, was auf Deck vorging, rief er:

»Hoho, Jungens! was ist das?«

»Wir packen das Pulver um, Jack,« antwortete einer.

»Nanu, Gottverdammich!« rief Long John, »wenn wir das tun, versäumen wir die Morgenflut!«

»Mein Befehl!« sagte der Kapitän, kurz angebunden. »Ihr könnt hinuntergehen, mein Mann, die Mannschaft wird Abendessen nötig haben.«

»Jawoll, Herr!« antwortete der Koch, legte die Hand an den Hut und verschwand sofort nach seiner Kombüse.

»Das ist ein guter Mann, Kapitän,« sagte der Doktor.

»Sehr wahrscheinlich, Herr Doktor,« antwortete Kapitän Smollett. »Fix, Leute, fix!« rief er den Leuten zu, die das Pulver umpackten; plötzlich bemerkte er, daß ich das Drehgeschütz betrachtete, das wir mitten auf dem Deck hatten, einen langen Messing-Neunpfünder. Da rief er:

»Heda, du, Schiffsjunge! Fort da! Geh zum Koch und mach dir was zu schaffen!«

Während ich schnell nach der Kombüse lief, hörte ich ihn ganz laut zum Doktor sagen:

»Günstlinge will ich auf meinem Schiff nicht haben!«

Ich kann versichern, ich war vollständig der Meinung des Squires und haßte den Kapitän von ganzem Herzen.

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»