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Eine Mutter

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Eben kam auch die Militärmusik vom nächsten Ort auf einem Leiterwagen angefahren, denn die hiesige hatte nicht abkommen können, da sie gleich nach dem Theater nothwendig zu dem beabsichtigten Fackelzug und einem Ständchen für den Erbprinzen gebraucht wurde.

Dem Maulwurfsfänger entging nichts von alledem. Seine kleinen grauen Augen blitzten nach allen Seiten, ohne daß irgend einer der hier Versammelten auch nur die geringste Acht auf ihn gehabt hätte; die Wenigsten bemerkten ihn sogar, und die ihn bemerkten, fanden es natürlich und ganz in der Ordnung, daß er sich ebenfalls zu diesem Feste eingefunden; gehörte er doch mit zu den Arbeitern im Schlosse, in dessen Park er in jeder Woche ein paar Mal zu finden war.

Der alte Bursche betheiligte sich aber nicht an dem Trinken. Wohl eine halbe Stunde lang, als der Förster schon längst in der Stube war, stand er noch halb versteckt in dem Gebüsch an einen Baum gelehnt. Dann erst, als er sich vollständig überzeugt hatte, daß der Forstmann fest hinter seinem Tisch und seiner Flasche Wein saß, zog er sich vorsichtig in das Dickicht zurück und umging jetzt, immer durch das Buschwerk kriechend, das Schloß.

Einmal mußte er freilich noch eine ganze Weile warten, denn wie er den einen Weg kreuzen wollte, standen dort Leute aus dem Dorf und plauderten miteinander. Endlich – und wie lang ihm die Zeit dabei wurde – zogen sie sich ebenfalls zum Schlosse hin, und er glitt jetzt, immer die Büsche haltend und alle offenen Wege vermeidend, der nämlichen Gegend zu, in der ihn damals der Förster bei seiner nächtlichen Fasanenjagd entdeckt, wenn auch nicht erwischt hatte. Aber nicht zu den Fasanen zog ihn dieses Mal sein Trieb des Wilderns.

Der alte Förster war ein ganz ausgezeichneter Forstmann und es hätte kaum einen besseren für die Waldculturen geben können, aber er war kein Jäger, und das darf uns in unserer Zeit gar kein Wunder nehmen. – Allerdings hegte er das Wild, weil es ihm der Graf befohlen hatte, und er haßte und verfolgte alle Wilddiebe aus Leibeskräften, weil ihm das einmal in der Natur lag, daß er keinen Eingriff in seine Rechte dulden konnte. Aber eigentliche Liebe zum Wild hatte er nicht und konnte sie nicht haben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ihm schon seit vielleicht zwanzig Jahren verboten war, selber etwas zu schießen, was der Graf nur für ein Vorrecht der Cavaliere oder etwa eingeladener Gäste hielt.

Der Förster sollte den ganzen Tag in seinem Walde sein; er sollte abspüren und bestätigen, er sollte jeden Hirsch kennen, der auf den verschiedenen Revieren stand, jeden Rehbock sogar; aber der ächten Waidmannslust durfte er selber nie folgen.

In der Jagdzeit hatte der Graf immer eine Menge Gäste, zu deren Ehren Treibjagen veranstaltet oder die mit dem Förster oder einem der Forstgehülfen Bürschen geschickt wurden. Mußte aber Wild abgeschossen werden, so bekamen nie oder nur in höchst seltenen Fällen die Forstleute Auftrag dazu, sondern der junge Graf that es selber, oder lud sich ein paar von seinen Kameraden dazu ein, die dann vielleicht die nöthige Anzahl erlegten und noch außerdem drei oder vier andere Stück zu Holz schossen.

Im Anfange war der Förster außer sich darüber, zuletzt wurde er gleichgültig dagegen, und es dauerte nicht lange, so lag ihm die Forstcultur viel mehr am Herzen, als das Wild, ja, er fing an, sich zu ärgern, wenn der Wildstand zu sehr wuchs, da sie ihm in kalten Wintern seine Culturen schädigten.

Hirsche und Rehe, so weit war er schon gekommen, nannte er »das Viehzeug«, und wäre es dem Grafen einmal eingefallen, seinen ganzen Wildstand auszurotten, der alte Förster würde ihm mit Vergnügen dabei geholfen haben.

Solche Verhältnisse fanden übrigens nicht allein in Haßburg statt; sie sind ziemlich allgemein in ganz Deutschland geworden, und unsere Nachkommen dürfen sich nicht wundern, wenn sie in unserem Vaterland eben so vergebens nach einem wirklichen Jäger suchen werden, wie man jetzt bei uns noch nach einem Wolf, Luchs oder Bären sucht. Sie sind eben oder werden wenigstens ausgerottet.

Der alte Förster hatte, mit einem Wort, »keine Passion« für das edle Waidwerk; er züchtete das Wild, wie eine Hausfrau Hühner und Gänse züchtet, und deshalb war der alte Maulwurfsfänger ein so gefährlicher Kunde für sein Revier.

Dieser nämlich, durch seinen Beruf schon vollkommen berechtigt, überall im Park, in dem es einen sehr bedeutenden Damwildstand gab, umherzusuchen, um angeblich nach Maulwürfen und ihren Gängen zu forschen, hatte diese günstige Gelegenheit nicht unbenutzt verstreichen lassen und kannte alle Wechsel des überhaupt vollkommen vertrauten Wildes so genau, als ob er es hier seit seiner Jugendzeit beobachtet habe; aber das genügte ihm nicht allein.

Er wußte recht gut, daß er in dem umschlossenen und kleinen Park nicht schießen durfte, ohne im Augenblick die sämmtlichen Schloßbewohner auf seiner Fährte zu haben; an ein Wegschaffen irgend eines erlegten Stück Wildes wäre dann nicht zu denken gewesen. Der alte Bursche verstand aber mehr als Maulwürfe zu fangen, und mit dem Terrain erst einmal genau bekannt, hatte er auch bald seinen Plan entworfen.

Gleich hinter der Fasanerie lag ein schmales und langes Fichtendickicht, das den Park gewissermaßen gegen das daranstoßende Feld abschloß und absichtlich so dicht angesäet war, um besonders den jungen Fasanen genügenden Schutz gegen Raubvögel zu gewähren. Hier hindurch hatte sich das Damwild einen Wechsel angelegt, um zu dem Haferstück zu gelangen, und sobald der Maulwurfsfänger den ausspürte, legte er am äußersten Rand desselben auch noch eine Art von künstlicher Salzlecke an, indem er oben unter die Äste einer jenen Platz überragenden Eiche ein paar kleine Salzsäcke band. Bei Regen und nasser Witterung tropfte das aufgelöste Salz herunter, und das Wild hatte dann auch nach kaum drei Wochen den Platz schon aufgefunden und leckte dort ein tiefes Loch in den Boden, um den salzigen Geschmack der Erde zu bekommen.

Weiter wollte der Wilderer nichts; er ließ sie ruhig gewähren, bis seine Zeit gekommen war, und den heutigen Abend hielt er dazu passend. Der Förster saß oben bei der Flasche, der Forstgehülfe war mit den alten Böllern beschäftigt und außerdem ebenfalls durstig; von den Beiden hatte er also nichts zu befürchten. Aus dem Schloß selber kam Niemand heut Abend in den Park, davon war er fest überzeugt; eine bessere und günstigere Gelegenheit fand sich deshalb nicht wieder, und er war fest entschlossen, sie zu benutzen.

Aber er hatte auch schon vorgearbeitet. Daß er ohne Schußwaffe und in einer ziemlich dunkeln Nacht, da der Mond erst nach zwölf Uhr aufging, nichts würde ausrichten können, wußte er recht gut. Zu seinem Wilddiebstahl brauchte er aber kein Licht; ja, Dunkelheit war ihm eher noch günstig, denn schon mit der einbrechenden Dämmerung hatte er sich auf ihm vortrefflich bekannten Wegen in jenes Dickicht geschlichen und dort auf dem Wechsel eine feste Drahtschlinge aufgestellt. Gleich nach Dunkelwerden wechselte das Damwild gewöhnlich von der Parkwiese nach dem Haferfeld hinüber, und nahm es dann wirklich einen andern Weg, so hatte er weiter nichts zu thun, als außen am Park das Feld langsam abzugehen, und er konnte sicher sein, daß eins oder das andere der Thiere den kleinen Pfad annahm und sich dann fing.

Jetzt hatte er den Fichtenstreifen erreicht und kroch vorsichtig darin hinauf; aber er war zu dicht, er kam nicht fort, und wieder in das offene Holz hineinbiegend, glitt er unmittelbar am innern Rand der Stelle zu, wo er seine Schlinge wußte.

Halt, was für ein Geräusch war das? Er hielt und horchte; es schlug etwas den Boden.

»Hurrah,« jubelte er in sich hinein, »da steckt mein Sonntagsbraten, dem auch die Flasche Wein nicht fehlen soll!« und wie ein Indianer fast, rasch und geräuschlos, floh er über die trockenen Nadeln hin, mit denen hier eine Anzahl mehr einzeln stehender Kiefern den Boden bestreut. Jetzt erreichte er den Platz. Die Anstrengungen des gefangenen Wildes, da es den Feind nahen hörte, wurden stärker; es riß und zerrte an den Büschen und schnellte sich vom Boden empor. Aber die Schlinge, an die elastischen Zweige der nächsten jungen Bäume befestigt, hielt, und wenige Minuten später hatte der Maulwurfsfänger seine Beute, ein feistes Schmalthier, gefaßt, zu Boden gerissen und ihm mit seinem scharfen Genickfänger den Todesstoß gegeben.

Die Gäste waren alle versammelt, und während ein Theil von ihnen, den wundervollen Abend noch genießend, vorn auf der Terrasse spazieren ging, bildeten sich auch in dem Saal selber, dessen Thüren und hohe Fensterflügel weit geöffnet standen und die balsamische Luft wie den Duft der Blumen überall herein ließen, einzelne Gruppen von Bekannten untereinander. Und jetzt kam auch George, der sich aber Einzelne unter den Gästen aussuchte, um ein paar Worte mit ihnen zu flüstern. Auch zu Rottacks ging er hinüber.

»Meine Herrschaften,« sagte er rasch und fröhlich, »gleich nach dem Souper beginnt unser Wirken; thun Sie mir also den Gefallen und machen Sie sich, sobald Sie möglicher Weise können, von der Tafel los, damit es keinen Aufenthalt giebt. Ich darf doch auf Sie zählen?«

»Sicher,« sagte Rottack.

»Und Paula hat noch nichts gemerkt? Sie sprachen vorhin mit ihr angelegentlich, Frau Gräfin.«

»Sie hat keine Ahnung und, ich fürchte, auch fast keinen Gedanken für die Festlichkeit,« seufzte Helene; »das arme Kind kommt mir recht angegriffen und so unnatürlich aufgeregt vor.«

»Desto besser, desto besser!« lachte George vergnügt vor sich hin, denn er selber sah, hörte und dachte heute an nichts Anderes, als eben seine beabsichtigte Überraschung.

»George, wo bist Du so lange geblieben?« rief in diesem Augenblick Paula und eilte auf ihn zu; »ich habe Dich so ersehnt.«

»Mein liebes Herz, ich hatte zu thun und wußte Dich ja hier so gut aufgehoben. Wie geht es Dir, Schatz?«

 

Paula antwortete ihm nicht. Sie sah ihn mit ihren großen Augen fest an, und dann seinen Arm ergreifend und ihn leise ein paar Schritte mit sich zur Seite führend, flüsterte sie:

»Bleibe mir immer gut, George; behalte Deine Schwester lieb.«

»Aber, Paula, was fehlt Dir? Du gehst ja doch noch nicht von uns, wenn Du auch von jetzt an einem Andern angehören wirst; mache Dir doch keine thörichten Sorgen.«

»Mein guter George!«

»Komm, Kind, da beginnt die Tafelmusik; um Gottes willen, was hast Du, Paula, wir sind ja nicht allein!«

Paula hatte mit der Hand fast krampfhaft seinen Arm gefaßt, zog ihn an sich und drückte einen heißen Kuß auf seine Schulter. Dann ließ sie ihn plötzlich los und schritt der Thür der Terrasse zu.

Eine Weile noch wogten die Gäste durcheinander, hier sich begrüßend, dort mitsammen plaudernd, bis der Haushofmeister endlich feierlich auf den Grafen Monford zuschritt und ihm meldete, daß die Suppe servirt werden könne.

»Meine Herrschaften, zur Tafel!« rief der Graf fröhlich; »meine Herren, nehmen Sie sich Ihre Damen. Wo ist Hubert?«

»Er sprach eben im andern Zimmer mit der Mama,« sagte George.

»Rufe ihn einmal. Wo ist denn Paula? Sie war ja eben noch da.«

»Sie wird draußen auf der Terrasse sein; ich werde nachsehen.«

George ging hinaus, um die Schwester zu suchen; aber auf der Terrasse war sie nicht, und von dort herein zogen jetzt die Gäste, dem willkommenen Ruf zur Tafel folgend.

Langsam schritt Paar nach Paar in den zu Tageshelle erleuchteten Saal und ordnete sich nach ihren, ihnen bestimmten Plätzen um die Tafel, deren Pracht das Auge ordentlich blendete.

Riesige silberne Candelaber streckten ihre breitästigen Arme aus und hielten zahllose flammende Wachskerzen. Prachtvoll gearbeitete Frucht- und Blumenkörbe standen dazwischen, und den mittleren Theil deckten sogar noch niedere Aufsätze von blank polirtem Silber, die wie eben so viele Spiegel das Licht tausendfältig zurückstrahlten.

Was Deutschland nicht allein, nein, was die Welt an Blumen und Früchten bot, war auf der Tafel angehäuft, von der saftigen Kirsche bis zur goldgelben Banane und Ananas, und damit harmonirte der Saal selber, der, so einfach auch decorirt, doch in jedem einzelnen Stück den Reichthum sowohl wie den Geschmack des Besitzers verrieth.

Abgeschieden von den Gästen durch einen hohen, schwerseidenen Vorhang, wie man ihn auf dem Theater wohl gemalt sieht, saß das Musikcorps, das mit dem Wagner'schen Marsche aus »Tannhäuser« begonnen hatte, und nach dem Tacte desselben ordneten sich unwillkürlich die Gäste; aber man wollte sich setzen, und ungeduldig sah der Graf umher, denn Paula, Hubert und George fehlten noch. Hatten sie den Ruf zur Tafel nicht gehört?

Der Haushofmeister wurde hinausgeschickt, um nach ihnen zu sehen. Er kehrte ebenfalls nicht wieder.

»Um Gottes willen,« flüsterte Helene ihrem Begleiter zu, »die Comtesse wird doch nicht unwohl geworden sein; sie sah vorhin so bleich aus!«

»Das ist mir auch aufgefallen,« erwiderte dieser; »Graf Monford scheint unruhig zu werden.«

»Eine kleine Störung,« lächelte der Staatsrath seiner Nachbarin, einem gelben, aber sehr reichen Stiftsfräulein von Wurmholz, zu, »die Elisabeth hat ihr Stichwort versäumt und der Festmarsch wird noch einmal von vorn anfangen müssen.«

»Das junge Brautpaar,« sagte die Gnädige achselzuckend, »wird draußen auf der Terrasse schwärmen und nicht bedenken, daß wir Hunger haben; es ist schon ein Viertel nach Neun.«

»Grausame Liebe!« stöhnte der Staatsrath.

Der Graf wurde in der That unruhig, denn solch ein Verstoß gegen die Etiquette gehörte mit zu den unangenehmsten Dingen, die ihm, wie er glaubte, überhaupt passiren konnten.

Ein anderer Diener wurde hinausgeschickt, um den Haushofmeister zu suchen. Er kehrte nach einigen Minuten zurück und flüsterte dem Grafen einige Worte zu.

»Entschuldigen Sie einen Augenblick, meine verehrtesten Herrschaften,« sagte der Graf ruhig, »ich glaube, meine arme Paula ist unwohl geworden; aber es wird nichts zu sagen haben.«

Er verließ mit festen, langsamen Schritten den Saal. Draußen am Eingang stand George.

»Nun, was ist? Was habt Ihr? Wo ist Paula?«

»Fort, Vater!« stöhnte George, der leichenblaß aussah.

»Fort?«

»Ihr Kammermädchen hat vorhin einen kleinen Koffer fortgetragen; mein Jean will sie gesehen haben, und der Gärtner behauptet, hinten am Drahtthor habe ein Wagen gehalten.«

»Wo ist Hubert?« sagte der alte Graf tonlos und hielt sich an dem nächsten Sessel fest.

»Er läßt meinen Rappen satteln.«

Der alte Herr sah seinen Sohn stier an, dann drehte er sich langsam um, als ob er in den Saal zurückschreiten wollte; aber hier verließen ihn die Kräfte. George konnte eben noch zuspringen, um ihn in seinen Armen aufzufangen.

20.
Hamlet, Prinz von Dänemark

Director Krüger, den wir verlassen haben, als er im Conversationszimmer von all' der Angst und Aufregung wie gerädert zusammenknickte, sollte aber noch nicht zu Ruhe kommen, denn wieder mußte das Orchester Nachricht haben, was es jetzt spielen sollte, da es den Trauermarsch doch nicht noch einmal beginnen konnte. Außerdem kam Fräulein Bellachini eben, von rauschendem Applaus und einer erneuten Blumensalve verfolgt, athemlos und erhitzt, aber mit einem ganz seligen Gesicht in das Conversationszimmer und warf dem Director lachend einen Blumenregen vor die Füße. Der mußte er etwas Angenehmes sagen, sonst gab sie ihm das zehnfach in allerlei Ärgerniß wieder zurück, denn genau so stolz wie eine Sängerin auf ihre Kehle, ist eine Tänzerin natürlich auf ihre Füße.

»Mein liebes, verehrtes Fräulein,« sagte er, sich mit einem innerlichen Seufzer von dem Sopha emporrichtend, »Sie haben getanzt wie ein junger Gott, wie eine Sylphide, eine Bajadere, eine Triade oder Gott weiß, wie die Dinger heißen – Sie haben getanzt wirklich zum – zum Küssen. – Erlauben Sie, daß ich Ihnen im Namen Deutschlands um den Hals falle…

»Mein bester Herr Director…«

Der Director fiel; während er sie aber etwas tragisch umarmte, sah er an der Thür Sulzer stehen und rief zugleich aus:

»Schicken Sie doch zum Donnerwetter zum Kapellmeister, daß er irgend etwas Schwermüthiges spielt – aber kurz! – Ist denn der Rebe fertig?«

»Er läßt eben sagen, es könne angehen.«

»Mein liebes Fräulein, der Erbprinz wird entzückt sein,« sagte Krüger, sie bei Seite schiebend. – »Jetzt müssen Sie aber hinaus, Sulzer, und die Veränderung anzeigen.«

»Mit der Krone?«

»Meinetwegen mit dem Reichsapfel – das ist ja alles Ein Deubel! Haben Sie in's Orchester geschickt?«

»Ja – was soll ich denn anzeigen?«

»Sagen Sie nichts von Rebe!« rief Krüger rasch – »wegen plötzlich eingetretener Heiserkeit des Herrn Handor hätte eins der Mitglieder die Rolle des Hamlet gleich und ohne Vorbereitung übernommen – Direction bäte um Nachsicht.«

»Soll ich Meier's dicken Backen auch gleich anzeigen?«

»Den werden sie selber sehen – na, wenn das heut Abend gut geht…«

»Wär' es nicht eigentlich passend, Herr Director, wenn Sie selber vorher hinauf in die Loge zum Erbprinzen gingen und ihm…«

»Mit meiner großcarrirten Hose?« rief Krüger, »auf die mir noch der Esel, der Schulze, vorher die Lampe gegossen hat? Sehen Sie einmal den Ölflecken – machen Sie, daß Sie hinauskommen!«

»Da fängt die Ouvertüre schon wieder an.«

»Na, dann warten Sie, bis sie fertig ist – nachher aber gleich – der Vorhang braucht gar nicht wieder zu fallen – Sie gehen nur ab.«

Es war jetzt in der That weiter nichts zu thun. Unten im Orchester spielten sie eins jener monotonen Stücke, die gewöhnlich in Schauspielen die Zwischenacte ausfüllen und nichts sind, als ein musikalisches Geräusch, bei dem sich das Publikum ungestört unterhalten kann, und Aus- und Eingehende die Thüren werfen.

»Ist denn Rebe noch nicht unten?« fragte der Director ungeduldig – »wenn wir jetzt noch einmal eine Pause machen müssen…«

»Ich stehe zu Ihren Diensten, Herr Director,« sagte aber dieser selber, indem er in vollem Costüm auf seinen Chef zutrat.

Er hatte die vorher aufgetragene Schminke abgenommen und sah eigentlich bei Lampenlicht geisterhaft bleich aus – aber zu der Rolle paßte es. Das Costüm saß seiner schlanken, edlen Gestalt ebenfalls wie angegossen, und Krüger sah ihn ordentlich überrascht an.

»Und Sie haben wirklich noch Courage?«

»Sie sehen mich vollständig bereit, meinen Platz auszufüllen.«

»Na, Gott gebe seinen Segen dazu – Sie haben es selber gewollt.«

Die Musik schwieg; Sulzer gab das Zeichen zum Aufziehen des Vorhanges und trat dann rasch hinaus.

»Wer da?« schrie ihm Mauser aus dem Souffleurkasten, als ersten Ausruf Bernardo's, entgegen, denn er hatte mit Schmerzen auf den Beginn gewartet und glaubte natürlich, es sollte jetzt losgehen. Sulzer stutzte, und im Parket, wo man den Ruf deutlich gehört hatte, lachten Einige. König Claudius sammelte sich aber rasch wieder, und vortretend und zuerst den Erbprinzen, dann das Publikum mit einer ehrerbietigen Verbeugung begrüßend, brachte er die Anzeige der stattfindenden Veränderung.

Das Publikum nahm dieselbe ruhig hin, und nur ein leises Flüstern lief durch's Parterre, denn kein Name war genannt und Niemand wußte, wer jetzt den Hamlet spielen solle. König Claudius ließ sich aber auf keine weiteren Erklärungen ein, und Mauser selber unten im Souffleurkasten war in der äußersten Spannung, wer von Allen die Hauptrolle im Stücke so rasch übernommen haben konnte, daß er selber keine Ahnung davon hatte.

König Claudius aber war abgegangen. Aus der Coulisse trat der wachthabende Posten, Francisco, vor und schulterte seine Hellebarde, und Bernardo trat von der andern Seite auf.

Die erste Scene ging auch ruhig vorüber, und nur die Spannung des Publikums wurde mit der Verwandlung gesteigert.

Jetzt traten der König, die Königin, Hamlet, Polonius, Laertes und die Hofleute mit Gefolge auf, und Aller Augen hingen an dem Prinzen, aber jetzt nicht an dem Erbprinzen, sondern an dem von Dänemark, den man mit seinem bleichen Antlitz nicht einmal gleich erkannte. Aber plötzlich – Niemand wußte, woher er gekommen – flog der Ruf in einem hörbaren Zischeln durch das Theater:

»Rebe – Rebe spielt den Hamlet!«

Auf einer der vordersten Bänke saß Jeremias, der heute Rebe, wenn auch in einer kleinen Rolle, auf dem Zettel gefunden hatte und, ohne daheim etwas davon zu sagen, in's Theater gegangen war, um ihn selber einmal spielen zu sehen. War es überhaupt die letzte Rolle, in der er hier auftreten sollte. Sein Nachbar rief jetzt ebenfalls: »Rebe spielt den Hamlet!«, und es gab ihm einen ordentlichen Stich in's Herz, als er den Ausruf hörte.

»Rebe den Hamlet – na, wenn das gut geht!« stöhnte er, gleich dem Director – »was ist denn da vorgefallen und dem unseligen, verzweifelten Menschen in den Kopf gestiegen? Wenn er sich da blamirt – und natürlich wird er –, ist er für immer verloren!« – Jeremias wäre auch jetzt mit Vergnügen fortgegangen, denn er glaubte zu ahnen, was geschehen würde, und mochte das Elend nicht mit ansehen; aber es war unmöglich. Er saß gerade in der Mitte im Parquet, und die Sitze waren so eng, daß die ganze eine Reihe hätte aufstehen müssen, um ihn hinaus zu lassen, und was für Aufsehen würde das mitten im Act erregt haben! Er mußte schon bleiben, wo er war, und geduldig still halten. Was auch geschah, er konnte es doch nicht mehr ändern.

Und wie unbefangen der Mensch dabei aussah, und wie blaß aber auch! Während der König mit Polonius sprach, unterhielt er sich mit den Hofleuten, als ob ihn die ganze Geschichte gar nichts anginge. Im Hause selber herrschte dabei noch immer einige Unruhe, und das flüsterte und zischelte an allen Ecken und Enden. In dem Augenblick aber, wo sich der König an Hamlet wandte:

 
»Doch nun, mein Vetter Hamlet, und mein Sohn…«
 

herrschte Todtenstille, und man hätte ein Blatt Papier können fallen hören.

Hamlet sprach aber seine kurzen Sätze einfach und verständig, die ersten Worte nur noch etwas leise – er war noch zu befangen. Trotzdem verstand man jede Silbe, denn das Publikum wagte kaum zu athmen, und schon bei der Anrede an die Mutter:

 
»Scheint, gnäd'ge Frau? Nein – ist! Mir gilt kein Scheint…«
 

schien er seine ganze Fassung erlangt zu haben oder hatte vielmehr das Publikum so vergessen, daß er nur Auge und Ohr für seine Rolle hatte, und nach dem Abgange der Übrigen, bei den heftigen Worten:

 
»Zerschmölze doch dies allzu feste Fleisch,
Zerging' und löst' in einen Thau sich auf!
Oh, hätte nicht der Ew'ge sein Gebot
Gerichtet gegen Selbstmord! Gott, oh Gott,
Wie ekel, schal und flach, wie unersprießlich
Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt…«
 

sprach er sie mit einer solchen edlen und auch in keiner Bewegung übertriebenen Leidenschaft, daß der Director, der indessen hinter der Coulisse wie auf glühenden Kohlen stand, fast unwillkürlich in sich hineinmurmelte: »Gut, bei Gott, recht gut! Verfluchter Kerl, der Rebe, wenn er nur so fortführe! Am Ende käme er noch unausgepfiffen durch.«

 

Rebe schien aber nichts Derartiges zu fürchten, denn in der nächsten Scene mit Horatio, Bernardo und Marcellus benahm er sich mit so edlem Anstand und sprach, was er zu sprechen hatte, so durchaus im Geist der Rolle, daß das Staunen im Zuschauerraume wuchs, während er die Damen durch seine wie für den Hamlet geschaffene Gestalt schon halb gewonnen hatte. Aber trotzdem regte sich keine Hand, Alles saß lautlos und still, wie erwartungsvoll, daß plötzlich irgend etwas Außerordentliches geschehen solle, bis zu der Scene mit dem Geist, wo er diesem folgt und ihn endlich stellt.

Barthel war schauerlich als Geist. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß ein im Fegfeuer leidendes Gespenst, wenn es einmal über der Erde erscheine, auch seine dort unten erlittenen Qualen deutlich kund geben müsse, und wimmerte seine Rolle kläglich ab. Die Haßburger hatten sich aber an ihn gewöhnt; sie wußten es nicht anders, als daß der Geist wimmern muß, und nur die Fremden im Theater schüttelten mit dem Kopf, wagten aber kein Urtheil kund zu geben.

Desto besser war Rebe, der in dieser Scene ordentlich aus sich herausging, ohne aber eine einzige unnatürliche Bewegung zu machen oder im Geringsten stark aufzutragen. Das Grausen, das ihn erfaßte, als er den Geist erblickte, theilte sich dem Publikum mit, und wie der Geist mit dem »Ade, ade, gedenke mein!« abwimmerte und Hamlet in die Worte ausbrach:

 
»Oh Herr des Himmels! Erde! Was noch sonst?
Nenn' ich die Hölle mit? –«
 

hörte man hier und da einzelne leise Ausrufe von: »Gut! Recht brav!« Aber keine Hand rührte sich.

Der Erbprinz selber schien ganz ergriffen von dem Spiel und gab unwillkürlich wieder das vorher so gut eingeschlagene Zeichen zum Applaudiren, indem er die Fingerspitzen der weißen Glacéhandschuhe vorn zusammenbrachte – aber es half nichts.

Bei der Tänzerin war es etwas Anderes gewesen und diese eine berühmte Notabilität; sie mußte beklatscht werden, oder ganz Haßburg hätte sich blamirt. Ihren Rebe aber, den kannten sie besser als irgend jemand Anders, und da hinein ließen sie sich nicht reden, und wenn es vom Erbprinzen selber gewesen wäre.

Der Vorhang fiel, und schweigend wie das Grab saß das ganze Haus, bis plötzlich wieder das Zischeln und Flüstern begann und Einer dem Andern seine Bemerkungen leise mittheilte, oder erst vorsichtig dessen Ansichten hören wollte.

Jeremias athmete tief auf. Wie der Vorhang fiel, war ordentlich, als ob ein Alp von seiner Brust genommen wäre, in einer solchen, fast fieberhaften Spannung hatte er in den vorigen Scenen gesessen und zugesehen. Jetzt war es vorbei, er konnte wenigstens einmal wieder ordentlich Luft schöpfen, und ein eigenes, merkwürdiges Gefühl durchzuckte ihn, als er dabei die verschiedenen, aber fast sämmtlich günstigen Urtheile über den neuen Hamlet hörte.

»Na, nu seh' einmal ein Mensch an; wer hätte das dem Rebe zugetraut? Nicht gemuckst hat er bis jetzt, und gethan, als ob er nicht Drei zählen könnte, und nun rückt er auf einmal mit dem Hamlet heraus.«

»Na, aber der Handor hätt' ihn doch besser gespielt…«

»Nicht so viel, nicht die Probe; geschrieen hätt' er mehr, ja – aber der verfluchte Kerl sah ordentlich wie ein Prinz aus!«

»Ja, das war nichts,« sagte da ein Anderer, »die Scene mit dem Geist kann ein Jeder spielen, die spielt sich von selber – aber nachher wollen wir einmal sehen! Mein Hamlet wär's nicht.«

»Ach was, er macht's so gut er kann,« meinte Einer auf einer hintern Bank, »und wer weiß denn auch, wann er die Rolle übernommen hat? Der Handor steht ja noch auf dem Zettel.«

»Was nur dem heute fehlt?«

»Fehlen? Er hat wieder 'was zu viel – der Champagner wird heute gut geschmeckt haben!«

»Daß ihm nur noch Jemand 'was borgt! Mir ist er auch noch hundertfünfzig Thaler schuldig – das ist ein leichtfertiger Patron.«

»Da ist der Rebe ordentlicher, der bezahlt Alles, was er kauft.«

»Ja, aber er kauft nichts,« lachte ein kleiner dicker Mann; »der arme Teufel hat immer kein Geld…«

»Bst, es geht wieder an!« – Das Gespräch war abgeschnitten.

Oben auf der Bühne hatte indessen eine andere Scene gespielt, und kaum fiel der Vorhang, als der Director, ordentlich verlegen, auf Rebe zukam und, sich die Hände reibend, sagte:

»Nun, Herr Rebe, ich gratulire! Es – es geht ja recht gut. Ich – ich muß Ihnen gestehen, ich – habe das nicht erwartet.«

»Sie glaubten, ich würde durchfallen, Herr Director?«

»Aufrichtig gesagt, ja; das Schwierigste haben Sie freilich noch immer vor sich, aber bei einer so plötzlichen Übernahme einer Rolle ist das Publikum auch immer rücksichtsvoll genug, ein Auge zuzudrücken. Ich hoffe doch jetzt wenigstens, daß wir das Stück zu Ende bringen.«

»Woran Sie bis dahin gezweifelt haben. Es freut mich wenigstens, Herr Director, daß Sie, wenn ich morgen Haßburg verlasse, kein so hartes Urtheil über mich fällen werden, als das bisher vielleicht der Fall war. Ich habe Ihnen doch wenigstens bewiesen, daß ich nicht blos zum Stühlehinaustragen zu verwenden bin, und daß Sie mir die Rolle des Güldenstern mit recht gutem Gewissen hätten anvertrauen können.«

»Mein lieber Herr Rebe« (»lieber« Herr Rebe hatte er ihn noch nie genannt), sagte der Director wirklich etwas verlegen, »es – es thut mir in der Seele leid, daß wir es nicht früher einmal mit einer etwas bedeutenderen Rolle versucht haben! Halten Sie sich nur heut Abend tapfer; das Publikum ist noch merkwürdig still, aber verlieren Sie den Muth nicht, es geht doch vielleicht noch gut.«

»Mit ein klein wenig Nachsicht hoffe ich mein Versprechen zu lösen,« sagte Rebe; »aber das Orchester beginnt schon wieder. Entschuldigen Sie, Herr Director, ich komme nachher von der andern Seite, und möchte noch einen Blick in meine Rolle werfen.«

»Bitte, lassen Sie sich um Gottes willen nicht stören!«

Der Director war die übertriebene Höflichkeit. Er kannte sich selber nicht wieder, und Peters ging immer hinten auf dem Theater auf und ab und schüttelte mit dem Kopf. So etwas war ihm in seiner Praxis noch nicht vorgekommen.

Hinter der Scene stand Pfeffer als Todtengräber mit dem Geist.

»Wißt Ihr 'was Neues, Barthel?«

»Nichts, mein Prinz,« erwiderte Barthel mit den Worten des Güldenstern, »außer daß die Welt ehrlich geworden…«

»So will ich's Euch sagen,« rief Pfeffer, »in dem Rebe steckt ein Schauspieler!«

»Es brauchte kein Todtengräber vom Grabe herzukommen,« citirte Barthel weiter, nur mit einer Veränderung des Textes, »uns das zu sagen – aber was für einer, ist die Frage.«

»Ein tüchtiger, wackerer Schauspieler!« rief Pfeffer in Eifer. »Hol' mich der Teufel, der Handor reicht ihm das Wasser nicht in der Scene.«

»Bah,« sagte Barthel, der von der Schauspielkunst ganz eigene Ideen hatte, »er sprach den Hamlet etwa gerade so, als ob Sie oder ich einen Geist gesehen hätten und außer sich wären – von Kothurn keine Spur – man darf doch nie vergessen, daß man auf dem Theater ist!«

»Ich will Ihnen 'was sagen, Barthel,« meinte Pfeffer, »Sie sind ein Esel und verstehen vom Hamlet gerade so viel wie der Peters!«

»Ich will Ihnen 'was sagen, Pfeffer,« erwiderte Barthel, »wir sind gute Freunde, aber Sie brauchen deshalb nicht gleich so grob zu werden…«

»Ruhe da hinten, es geht an!« rief der Inspector aus der Coulisse heraus, und im nächsten Augenblick ging der Vorhang wieder in die Höhe.

In der zweiten Scene erregte der neugeworbene Güldenstern mit seinem dicken Backen einige Heiterkeit, denn der Regisseur hatte ihn nicht mit angemeldet; aber das Publikum beruhigte sich bald darüber, denn Meier, als welcher er bald erkannt wurde, war eine zu beliebte und allbekannte Persönlichkeit in der Stadt, für deren bestes Bier er als Orakel galt, als daß man ihn irgend hätte kränken mögen. Außerdem lag es auf der Hand, daß er nur aus Gefälligkeit in Rebe's Rolle eingetreten sei. Der Erbprinz lachte aber, daß er sich zurückbeugen und sein Gesicht mit dem Tuch bedecken mußte, und Meier warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

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