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Eine Mutter

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Der Maulwurfsfänger hatte im Nu die Gefahr erkannt, aber er verlor seine Besinnung nicht. Der Förster durfte nicht schießen, das wußte er recht gut, die Gesetze verboten es; vor ihm lag das weite Haferfeld, und mit drei Schritten Vorsprung hätte ihn der Alte im Leben nicht eingeholt. So half es denn nichts; die schon sicher geglaubte Beute mußte er freilich im Stich lassen, aber für sich selber fürchtete er auch keinen Moment, und mit einem leisen, eigenthümlichen Pfiff, den sein Spitz gut genug kannte, richtete er sich empor und sprang über das erlegte Stück hinweg, um das Freie zu gewinnen – aber hier fing er sich im wahren Sinne des Worts in seiner eigenen Schlinge.

Der starke Messingdraht war nämlich hoch genug gespannt, um den Kopf eines Stück Wildes in seinen Bereich zu bringen, wonach er dann, sobald sich etwas darin gefangen hatte, auf der einen Seite losriß, damit die Schlinge auf der andern desto fester angezogen werden konnte. Das Wildkalb hatte aber, von der Gewalt, die es festhielt, fortdrängend, seinen Kopf auf die entgegengesetzte Seite gebracht, und als es im Todeskampfe zusammenbrach, drückte es hier den Messingdraht mit sich nieder. Wenn sich aber der kleine, schwanke Fichtenstamm, an welchem derselbe befestigt war, auch halb niederbog, so blieb der Draht doch an jener Seite höher gespannt, was der Mann natürlich in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Als er deshalb über das Wildkalb hinwegsprang, hakte sein einer Fuß darin, und ehe er den andern vorbringen konnte, um sich zu stützen, verlor er das Gleichgewicht und schlug der Länge nach auf den Boden nieder.

Der Förster, welcher jetzt dicht an ihm war, bekam hier einen freieren Blick, als unter den dunkeln Kiefern, da schon das lichte Haferfeld den Hintergrund bildete. Er hatte die aufspringende Gestalt auch bemerkt, und trotz seiner Jahre noch immer ziemlich rüstig, zögerte er keinen Augenblick, den Verbrecher zu packen. Sprang er dann in das Feld, ei, in die Beine durfte er ihn schießen, das war erlaubt, das wollte er wenigstens verantworten, oder dachte auch vielleicht in dem Augenblick gar nicht einmal daran, ob da eine Verantwortung nöthig sei. Nur erst einmal haben, das Andere fand sich alles nachher. Da sah er, wie der Flüchtling auf den Boden niederschlug, er hörte den Fall und setzte mit einem Jubelruf hinterdrein.

Hier aber störte ihn der Spitz, der ihm mit Wuthgekläff nach den Beinen fuhr, so daß er unwillkürlich erschreckt zur rechten Seite hinüberprallte, wo er ebenfalls gegen den starken Draht stieß. Das aber war kein Hinderniß. Ein Tritt nach dem Hund machte ihm einen Augenblick Luft; den Draht hielt er in der Hand und bückte sich geschwind darunter durch, und so rasch war das Alles gegangen, daß er dem zu Boden Geworfenen schon die Hand auf den Rock legte, als sich dieser von der Erde wieder emporschnellte und jetzt mit Einem Satz in's freie Feld hinausfliehen wollte.

Aber so leicht ging das nicht mehr. Der alte Förster hatte ihn wie mit eisernem Griff am Rock, und fühlte jetzt nicht einmal, daß ihm der Köter wieder nach den Beinen fuhr.

»Steh, Hund!« schrie er, die Flinte noch immer mit der Rechten haltend, »oder, Gott straf' mich, ich schieß' Dich zusammen!«

»Alter Tropf,« zischte der zur Verzweiflung getriebene Wilddieb zwischen den Zähnen durch, »Du hältst mich noch nicht!« Und den Arm herumwerfend, schnitt er ihm mit dem scharfen Genickfänger, den er noch immer in der Hand hielt, quer durch das Gesicht hinüber. In demselben Moment that er einen Ruck, und während der Förster, durch Schmerz und Schreck übermannt, einen Augenblick in seinem Griff nachließ, riß er sich los und sprang jetzt, nicht in das offene Haferfeld, sondern in das Fichtendickicht hinein, wohin ihm der Alte mit der Wunde gar nicht folgen konnte.

Der Förster fühlte, wie ihm das Blut in's rechte Auge rann, und fast rasend vor Wuth, riß er die Flinte an die Backe und drückte ab. Sehen konnte er nichts, denn die Gestalt des Flüchtigen war schon im Dickicht verschwunden; nur die Richtung hielt er, und fast unwillkürlich tief, um keinen Mord zu begehen. Aber zeichnen wollte er den Halunken, daß er ihm morgen seine Thäterschaft beweisen konnte, und kein Gericht in der Welt hätte ihn deshalb, wie er meinte, verurtheilen dürfen.

Erst mit dem Schuß selber kam er eigentlich wieder zur Besinnung und horchte jetzt in den Wald hinein, während er sich mit der linken Hand in's Gesicht fühlte. Heiland der Welt, was ihm der Schuft für einen Schnitt versetzt hatte, und wie das brannte und blutete! Seine ganze Hand war naß, und er fühlte, wie ihm der warme Strom in den Bart hineinlief. Aber nichts regte sich im Gebüsch; war der Bursche doch in's freie Feld hinausgeflohen? Er sprang dort hinüber, aber er konnte nichts sehen. Das rechte Auge war schon völlig zugeklebt, und vor dem linken flimmerte es ihm wie tausend Sterne und Lichter.

Da drinnen war es ihm eben, als ob er etwas hätte rascheln hören; jetzt Alles wieder ruhig, es konnte eine Maus gewesen sein – oder hatte er den Menschen todtgeschossen?

Es fing an ihm unheimlich da draußen allein im Walde zu werden – und wie ihn sein Gesicht schmerzte! Was konnte er auch weiter jetzt hier thun? Es blieb am besten, er ging zurück in's Schloß, um dort seinen Bericht abzustatten und sich die Wunde verbinden zu lassen, es wurde ihm überhaupt schon so weich und schwach um's Herz und in den Gliedern. Das war ein schöner Festabend, wo er einmal hatte recht vergnügt sein wollen; Jesus, wie mußte er jetzt aussehen und die Leute erschrecken, wenn er dort zurück zu den fröhlichen Menschen kam – und heute gerade Verlobung! Aber allein wäre er nicht mehr im Stande gewesen, sein eigenes, fast eine halbe Stunde entferntes Forsthaus zu erreichen; er wollte, daß er erst die kurze Strecke nach dem Schloß zurückgelegt, so schwer, so furchtbar schwer wurden ihm die Glieder.

Draußen am Haferrand konnte er nicht hingehen; dort war ein tiefer Graben, über den er jetzt nicht zu springen wagte. Er taumelte in das Kieferwäldchen zurück, um wieder auf den freien Kiesweg im Innern des Parks zu kommen. Dort hatte er auch nicht mehr so weit nach dem Schlosse. Jetzt erreichte er die Büsche, die ihn noch vom Wege trennten; dort hindurch führte irgendwo ein schmaler Pfad, aber wie sollte er den jetzt finden? Er mußte gerade hindurch, und wie weh das that, wenn ihn einer der Zweige auf die Wunde schlug, und wie schwindelig er wurde! Es war ihm ordentlich, als ob der Boden unter seinen Füßen schwanke; aber weiter, nur weiter, daß er wieder zu Menschen, zu Hülfe kam und dort seine Geschichte erzählen konnte.

Jetzt sah er den lichteren Grasplatz vor sich – da war auch der Weg – Gott sei Dank! Den Park entlang galoppirte ein Reiter, was das Pferd laufen wollte; war das der Maulwurfsfänger? Aber wo hatte der so schnell das Pferd herbekommen? Es wurde ihm immer schwächer zu Sinn; seine Gedanken verwirrten sich, weite, glänzende Regenbogen flimmerten ihm vor den Augen und der ganze Park drehte sich mit ihm. Hatte er denn auch die rechte Richtung eingeschlagen und lag das Schloß dorthin zu oder dort drüben? Er war ganz irre geworden und blieb stehen; wie ihm die Kniee zitterten! Er streckte den Arm aus, um sich an etwas zu halten; aber die tastende Hand griff nichts weiter, als die elastischen Zweige der nächsten kleinen Büsche.

Noch that er einige Schritte vorwärts über den Weg hinüber auf den Rasen; er fühlte, daß er umsinken müsse – dann schwanden ihm die Sinne und er brach ohnmächtig, wo er stand, zusammen.

22.
Ein gestörtes Fest

Lautlose Stille herrschte in dem Festsaal, als der alte Graf ihn verlassen hatte und nicht zurückkehrte. Man wußte, es war etwas geschehen – aber was? Die Gräfin behauptete noch immer ihren Platz; ein Diener war an ihr vorbeigegangen und hatte ihr einige Worte zugeflüstert. Sie hielt sich stolz aufrecht und suchte ruhig auszusehen. War es möglich, noch einen Eclat zu vermeiden? Der Gedanke allein hielt ihre Sinne gefesselt.

Helene befand sich in einer furchtbaren Unruhe. Irgend etwas mußte vorgefallen sein. Selbst die Diener sahen verstört aus – irgend etwas Entsetzliches – und Paula's Aufregung vorher! – Aber die Musik, die hinter ihrem Vorhang nichts davon bemerkte, spielte noch immer den Festmarsch weiter.

»Meine Gnädige,« flüsterte der Staatsrath seiner Nachbarin zu, »wie mir scheinen will, fallen wir mit unserem Tannhäuser vollständig aus der Rolle. Die Verwirrung tritt schon ein, ehe der Festmarsch zu Ende ist, und jetzt wird gleich der Chor der Pilger erschallen. Ich fürchte, wir bekommen heut Abend nichts zu essen.«

»Das wäre entsetzlich!« sagte das alte Stiftsfräulein mit einem giftigen Blick über die Tafel. »Und doch hat der Graf da Silber genug aufgeschichtet, um das Banket eines Kaisers zu überfüllen.«

»Ich habe einen starken Verdacht, daß die Platten – plattirt sind,« flüsterte der Staatsrath.

»Wohl möglich,« meinte das Fräulein; »lieber Gott, es ist ja Alles Schein heutzutage auf der Welt!« – und sie hatte wirklich Ursache, so zu reden, denn sie selber trug falsche Locken, falsche Zähne und falsche Wattirungen, und der Staatsrath, mit einem boshaften Blick über ihre Gestalt, flüsterte:

»Wie Recht haben Sie, meine Gnädige! Aber da kommt George, er sieht blasser aus, wie gewöhnlich.«

Der alte Graf Bolten, der sich bis jetzt außerordentlich ruhig gehalten und nicht von seinem Platz bewegt hatte, ging auf ihn zu, nahm seinen Arm, flüsterte einen Augenblick mit ihm und verließ dann den Saal.

»Was ist, George?« sagte die Gräfin. »Warum kommt der Vater nicht zurück? Wo bleibt Paula? Unsere Gäste warten…«

»Ein plötzliches Unwohlsein hat den Vater ergriffen,« sagte George mit heiserer, fast tonloser Stimme. »Es thut mir leid, die Gesellschaft zu stören; ich fürchte, er wird nicht bei der Tafel erscheinen können.«

Die Trompeten hinter dem Vorhange schmetterten ihre fröhlichen Weisen so stark hervor, daß die Worte beinahe unverständlich wurden. George schritt zu dem Vorhang, schlug ihn zurück und gebot Ruhe.

 

Mit einem Mißklang hörten die Leute überrascht mitten im Tact auf, und eine unheimliche Stille lag in dem Moment auf dem Saal. Da trat der alte Graf Bolten wieder in den Saal und sagte mit ernster, aber vollkommen leidenschaftsloser Stimme:

»Meine Herrschaften, es thut mir leid, Sie benachrichtigen zu müssen, daß wir uns in keinem Hause der Freude, sondern in einem Hause der Trauer befinden. Meinen alten Freund Graf Monford hat ein ernster Unfall betroffen, der seine Familie an sein Lager fesseln muß – die Tafel ist aufgehoben, denn es würde unmöglich sein, unter diesen Umständen noch längere Störung hier zu verursachen.«

»Aber was fehlt ihm? Was ist geschehen?« rief es von allen Seiten.

»Hoffentlich nichts,« erwiderte abweisend der alte Herr, »was uns verhindern könnte, in einigen Wochen, ja, vielleicht in einigen Tagen wieder eben so fröhlich hier zusammen zu kommen – Frau Gräfin, erlauben Sie mir, daß ich Ihnen meinen Arm biete und Sie hinüber zu Ihrem Gemahl führe.«

»Jetzt kommt der Chor der Pilger, meine Gnädige; habe ich es Ihnen nicht gesagt? Und wie gut die Suppe riecht!« flüsterte der Staatsrath seiner Nachbarin zu.

»Meine Nerven!« stöhnte diese und machte eine Bewegung, als ob sie sich an seinen Arm hängen wollte, dem der Hofmann aber geschickt auswich, indem er that, als ob er es gar nicht bemerkte, und sich rasch ab zu einem Andern der Gesellschaft wandte. Die Dame wurde deshalb nicht ohnmächtig.

Aber eine grenzenlose Verwirrung hatte sich indessen der Gäste bemächtigt. Felix war rasch zu Helenen hinüber gegangen. Er wollte mit George sprechen, aber dieser war seiner Mutter schon gefolgt, und aufdrängen durfte er sich nicht. Er fühlte auch recht gut, daß man jetzt der Familie keinen größeren Gefallen thun könne, als sie sobald als irgend möglich von der Gegenwart Fremder zu befreien; deshalb Helenens Arm ergreifend, flüsterte er ihr rasch zu:

»Komm, mein Herz, hier ist weiter nichts zu thun, als uns zu entfernen. Bei der wundervollen Nacht gehen wir recht gut zu Fuß in die Stadt zurück; laß uns ein wenig eilen, daß wir nicht in den Troß kommen.« Er nahm ihren Arm und führte sie aus dem Saal, und das war das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.

Draußen auf dem Gang stand ein alter Diener, der dem Grafen seinen Rock gab.

»Können Sie mir nicht sagen, Freund, was vorgefallen ist?«

»Der große Gott weiß es!« sagte der Alte, und die Thränen standen ihm in den Augen – »aber Geheimniß kann's nicht mehr bleiben: die junge Comtesse ist fort und Graf Bolten ihr nach. Draußen im Park fiel eben ein Schuß, die Diener wollen mit Fackeln hinaus – das überlebt der alte Herr nicht.«

»Großer Gott, Paula?« rief Helene. Felix aber, ihr selber den Mantel umwerfend und ihren Arm in den seinen ziehend, führte sie hinaus in's Freie.

Nicht so rasch kam die übrige Gesellschaft fort. Viele der Damen, ja, die meisten trugen weiße Atlasschuhe, da man sehr stark auf einen kleinen Ball gerechnet hatte. Sollten sie in diesen den weiten Weg in die Stadt zurücklegen? Aber die Wagen konnte man doch auch unmöglich hier erwarten, und ein anderes Haus war nicht in der Nähe. Boten über Boten wurden jetzt vorausgeschickt, Leute waren dazu genug versammelt, um die Wagen zu beordern, daß sie wenigstens entgegenkamen, oder an Droschken auftrieben, was sich finden ließ – am Theater hielten jetzt eine Menge –, und wie die wilde Jagd hetzten eine Anzahl von jungen Burschen den Weg hinab und an Rottacks vorüber.

Immer leerer wurde es oben im Schlosse, immer unheimlicher. George selber war auf einem zweiten Pferd davongesprengt – wohin? Er wußte es selber nicht.

In Paula's Zimmer stand die Gräfin und las ein kleines Briefchen, das sie versiegelt auf der Tochter Toilettentisch gefunden. Ihr Gesicht war marmorbleich, aber keiner ihrer eisenharten Züge verrieth, welche Gefühle in diesem Augenblick ihr Inneres bewegten.

In dem Zettel, der »An meine Eltern« überschrieben war, standen nur folgende wenige Worte: »Lieber Vater, liebe Mutter! Ich kann den jungen Bolten nicht heirathen, ich würde unglücklich mein ganzes Leben sein. Ich liebe mit aller Kraft meiner Seele Rudolph Handor und werde sein Weib. Oh, verzeiht Eurer armen Tochter!«

Sie faltete das Billet zusammen, kleiner und kleiner, bis es einen dünnen Streifen bildete, und fast mechanisch hob sie es dann empor zum Licht, entzündete es und sah zu, bis es sich verzehrte, ja, die Spitzen ihrer weißen Glacéhandschuhe versengte. Dann schritt sie langsam hinüber zu ihrem Gatten, der noch immer bewußtlos auf einem Sopha lag, während ihm der Haushofmeister mit zitternden Händen kalte Umschläge um die Schläfe machte. Der alte Graf Bolten stand daneben, die rechte Hand auf den Tisch gestützt, in starrer Ruhe und verwandte keinen Blick von dem unglücklichen alten Manne.

Drei Boten waren nach verschiedenen Ärzten gesandt, um sie rasch herbeizurufen; sie konnten aber noch nicht da sein, der Weg war zu weit.

Die Gräfin trat in's Zimmer; Graf Bolten rührte sich nicht und wandte ihr den Blick nicht einmal zu. Sie zog ihre weißen Glacéhandschuhe aus, nahm dem Haushofmeister das nasse Tuch ab und sagte tonlos:

»Sehen Sie nach der Tafel – daß alle Fremden das Haus verlassen – einige junge Leute behalten Sie zurück, wenn wir vielleicht noch Boten gebrauchen sollten.«

»Zu Befehl, Frau Gräfin.«

»Wo ist George?«

»Fort – er hat sich ein Pferd satteln lassen.«

»Es ist gut – sehen Sie nach dem Hause.«

Der Haushofmeister zog sich mit einer Verbeugung und einem traurigen Blick auf seinen Herrn zurück; er wäre noch so gern bei ihm geblieben, aber seine Pflicht rief ihn auf seinen Posten. Die Frau Gräfin hatte Recht: die Masse dort aufgestellten Silbers durfte nicht ohne Aufsicht bleiben – daß sie nur daran gedacht hatte!

Eine halbe Stunde verging so. Graf Bolten rührte sich nicht, er schien wie aus Stein gehauen, und nicht regungsloser war der Ohnmächtige auf dem Sopha, dem die Gattin ruhig und mechanisch die Umschläge wechselte. Endlich fuhr ein Wagen vor. So still war es im Hause geworden, daß man deutlich das Knirschen der leichten Räder auf dem Kies hören konnte. Es war einer der Ärzte, der in Carrière herausgejagt sein mußte.

Draußen vor dem Fenster wurden auch Stimmen laut und Leute kamen mit Fackeln. Weder Graf Bolten noch Gräfin Monford beachteten es. Der Arzt schien einen Augenblick da draußen aufgehalten zu sein; es dauerte wenigstens unverhältnißmäßig lange, ehe er eintrat, oder däuchte ihnen die Zeit nur so lang? Endlich kam er und trat zu dem Lager des Kranken, dessen Hand er nahm, um den Puls zu fühlen.

»Gnädige Gräfin, ich bedauere unendlich…«

»Was halten Sie von seinem Zustand, Doctor?«

Der Doctor schüttelte mit dem Kopf – endlich frug er leise:

»Liegt irgend eine bestimmte Ursache dieser heftigen Störung der Lebensthätigkeit vor? Schreck oder Gemüthsbewegung?«

»Es ist möglich,« erwiderte kaum hörbar die Gräfin.

Der Arzt nickte, ohne etwas weiter zu fragen oder den Puls des Kranken loszulassen. Er hielt einen Aderlaß für nothwendig, aber ehe er ihn anwenden konnte, schlug der Kranke die Augen auf und stierte den Doctor bestürzt an.

»Mein bester Herr Graf, wie fühlen Sie sich jetzt? Es ist Ihnen plötzlich unwohl geworden, nicht wahr?«

Der Graf antwortete nicht. Er schloß die Augen wieder und legte seine Hand gegen die Stirn, als ob er sich auf etwas besänne. Er trug noch seine weißen Handschuhe, und der Arzt entfernte sie jetzt vorsichtig, was der Leidende ruhig geschehen ließ, und rieb ihm dann die Schläfe mit Eau de Cologne.

»Ich danke Ihnen, Doctor,« sagte der Kranke nach einiger Zeit – es waren die ersten Worte, die er wieder sprach –; »bitte, legen Sie mir die Handschuhe nicht fort, ich muß zur Gesellschaft zurück.«

Der Doctor sah die Gräfin fragend an.

»Heute Abend nicht mehr, George,« sagte diese. »Du hast sehr lange in Ohnmacht gelegen, die Gäste sind längst nach Hause, es ist spät.«

Der Kranke sah sie rasch an, und wieder fuhr er sich nach der Stirn, lag aber eine Weile ruhig. Endlich sagte er leise:

»Schicke George und Paula zu mir her; ich will sie sprechen.«

»Die Kinder sind schon im Bett,« erwiderte die Gräfin – »morgen früh – heute halte Dich nur ganz ruhig, daß Du morgen wieder wohl und kräftig bist. Fühlst Du Dich besser?«

Der Arzt hatte zu Graf Bolten aufgesehen, als dieser ihm ein Zeichen gab und das Zimmer verließ. Der Arzt folgte ihm nach einigen Secunden.

»Was halten Sie von dem Zustand des Kranken? Glauben Sie, daß es eine bloße Ohnmacht war?«

»Ich – hoffe, ja. – Hat der Graf Monford dieses Zucken des linken Augenlides schon öfter gehabt?«

»Ich glaube nicht; ich habe es nie bemerkt.«

»Es kann Schwäche im Auge sein; ich hoffe, es ist nicht mehr.«

»Und was fürchten Sie sonst?«

»Oh, nichts, in der That nichts! Nur im ersten Augenblick fürchtete ich, daß es ein leichter Schlaganfall sein könne. Er ist aber ja schon wieder vollkommen bei Besinnung.«

Der Graf nickte langsam mit dem Kopf und sagte endlich:

»Gehen Sie wieder zu dem Kranken hinein, Doctor, ich will nach Hause fahren. Ich glaube, Ruhe wird ihm am wohlsten thun. Gute Nacht, Doctor. Morgen früh bitte ich Sie, mir Nachricht zu senden, wie Sie ihn verlassen haben."

»Sehr gern, Herr Graf, ich werde nicht ermangeln – da draußen haben sie ja auch einen Verwundeten…«

»Einen Verwundeten?« fragte der Graf hastig und erschreckt.

»Den alten Förster. Sie brachten ihn eben in's Haus, wie ich ankam, aber es scheint nichts Gefährliches zu sein. Nur ein Schnitt oder ein Hieb durch's Gesicht – er war von Blutverlust wahrscheinlich ohnmächtig geworden. Ich werde dann gleich nach ihm sehen.«

Der Graf zog seinen Überrock allein an, denn die Diener waren alle hinausgegangen, nahm seinen Hut, nickte dem Arzt noch einmal zu und verließ das Haus, um sich erst der Richtung hinter dem Schlosse zuzuwenden, wo er noch die Fackeln sah.

Allgemeine Bestürzung herrschte indessen auch unter der Dienerschaft, der das Vorgefallene natürlich kein Geheimniß bleiben konnte, ja, die das eigentlich Geschehene sogar schon früher wußte, als die Herrschaft selber. Der junge Gärtnerbursche hatte nämlich erzählt, daß er, als er im Park heraufgekommen wäre, ein paar Frauen bemerkt hätte – Damen mit großen, weiten Kleidern, die rasch den Weg hinabgeeilt wären und von denen die eine etwas Schweres getragen hätte. Vorher aber habe er einen Wagen unten am Drahtthor halten sehen, und ein Herr dort habe ihn gefragt, ob die Tafel schon begonnen hätte. Er glaubte damals, daß der Herr mit zu den Gästen gehöre, vielleicht einer der Rittergutsbesitzer aus der Nachbarschaft, der den Weg durch den Wald gekommen sei; nur daß er nicht mitging oder das Thor nicht geöffnet haben wollte, wunderte ihn – auf was wartete er denn noch? Aber er mußte sich selber eilen, daß er das Tractement nicht versäumte. Die Damen, denen er nachher begegnete, machten ihn stutzig, und er erzählte, was er gesehen, dem einen Lakai, der jetzt seinerseits die Kammerjungfer der gnädigen Comtesse suchte, sie aber nirgends finden konnte. Ehe man aber der Herrschaft selber Mittheilung davon machen konnte, war die Flucht der Comtesse oder wenigstens ihre Abwesenheit schon bemerkt, und der Bericht des Gärtners konnte nur die Richtung andeuten, die sie genommen. Bald darauf sprengte Graf Bolten fort, und gleich danach fiel der Schuß in derselben Gegend.

Der Haushofmeister hatte eine Anzahl von Pechfackeln herausschaffen lassen, um sie heute vielleicht beim Heimfahren der Herrschaften zu verwenden. Mit einigen von diesen machte sich nun eine Anzahl junger Burschen, darunter der Forstgehülfe, auf, um den Park abzusuchen, und da sie sich auf den Wegen vertheilten, trafen sie hier auf den ohnmächtig gewordenen alten Förster, den sie jetzt zurück zum Schloß trugen. Mehrere wurden freilich nach dem Drahtthor geschickt, um dort nach dem Wagen zu sehen, aber der war natürlich fort. Nur die Gleise desselben fanden sie im Sande, wo er gehalten, dann hatte er den dort einzigen Weg nach dem Dorfe eingeschlagen – aber wohin dann weiter? Im Dorf selber liefen vier Wege nach vier verschiedenen Richtungen ab – welchen hatte der Wagen nun verfolgt? Das Dorf lag auch zu weit, um dort jetzt nachzusehen; auch ging der Wind heut Abend ziemlich heftig, und sie hätten sich mit den Pechfackeln, die fortwährend Funken abwarfen, doch nicht zwischen die Strohdächer hineinwagen dürfen. Die Bauern würden es gar nicht gelitten haben.

Der Förster erholte sich übrigens sehr rasch wieder und kaum wie sie ihn in des Haushofmeisters Zimmer auf ein schnell hergerichtetes Lager gelegt hatten. Blutverlust mußte die Ursache seiner Ohnmacht gewesen sein, vielleicht auch der Schmerz der Wunde mit der Aufregung. Wie aber das vorquellende Blut gerann, hörte auch die Blutung von selber auf; der Alte sah aber schrecklich aus.

 

Der Schnitt ging ihm über dem rechten Auge weg quer über die Nasenwurzel und dann schräg die linke Backe hinab, den er vollständig geschlitzt hatte, daß er auseinander klaffte. Seine Kleider waren dabei bis hinab wie mit Blut getränkt, und die Leute fürchteten zuerst, daß er noch vielleicht eine andere und gefährlichere Wunde an sich habe. Er wurde deshalb ausgezogen und untersucht; es ergab sich aber glücklicher Weise nichts Derartiges, und als er wieder zu sich kam, bestätigte er auch, daß er nirgends sonst getroffen sei; nur den Schnitt habe ihm der verfluchte Kerl, der Maulwurfsfänger, gegeben, als er ihn beim Wildern erwischt, und die kleine Kröte, der Spitz, müsse ihn auch in die Beine gebissen haben – der eine Hinterlauf schmerze ihn schändlich da unten um die Wade herum.

Das erwies sich in der That so; die Hose war dort an drei oder vier Stellen zerrissen und das scharfe Gebiß der kleinen Bestie tief in das Bein eingedrückt, daß das Blut daran herunter gelaufen.

Also mit der Flucht der Comtesse hatte diese Verwundung, wie die Leute anfangs geglaubt, gar nichts zu thun. Dem alten Manne that aber besonders die zerschnittene Backe so weh, daß ihm das Sprechen außerordentlich schwer wurde. Er wollte noch etwas sagen, ließ es aber wieder sein und flüsterte nur das Eine Wort: »Doctor –« dann legte er den Kopf zurück, um sich auszuruhen. Der Doctor war aber noch drinnen beim Grafen und konnte nicht herausgerufen werden – er sollte sich nur noch ein klein Weilchen gedulden, er käme gleich.

Jetzt fuhren noch rasch hintereinander zwei Wagen vor, in denen die beiden anderen herbeigerufenen Ärzte saßen. Der eine von diesen wurde auch sofort bedeutet, daß er, so schnell er irgend könne, hinüber in des Haushofmeisters Zimmer käme, wo ein Verwundeter läge; vorher mußten die beiden Herren aber pflichtschuldigst zum Grafen hinein. Der eine fragte nur: »Was für eine Wunde?«

»Ein Schnitt durch's ganze Gesicht.«

»Nun, das ist nicht so gefährlich, ich komme gleich hinüber« – und damit war er rasch verschwunden, und der Förster mußte warten.

Bei dem Grafen aber konnten sie gar nichts thun. Er hatte sich wieder erholt, fühlte sich jedoch noch sehr angegriffen und beantwortete die an ihn gerichteten Fragen zuerst nur ganz unvollständig und dann gar nicht mehr, und winkte endlich mit der Hand – er wollte allein sein.

Die Ärzte zogen sich zu einer Berathung zurück, das heißt, keiner von ihnen wollte den andern fragen, was er über die Sache denke – er hätte sich dadurch etwas vergeben können –, sondern nur seine Meinung geltend machen. Der Hausarzt, ein Ober-Medicinalrath, behandelte die Sache auch sehr cavalièrement. – Es hatte nichts zu sagen: er kannte die Natur des Grafen – morgen würde nichts von der heutigen Schwäche übrig sein. Es war nur eine Nervenaufregung oder Überreizung, er hoffe das Beste. Die beiden anderen Herren waren ja doch nur aus Versehen, oder in der Angst, ihn nicht gleich zu treffen, gerufen worden.

Der zuerst gekommene Arzt widersprach dem vollkommen und hielt es für einen Nervenschlag, der vielleicht wiederkehren könne. Der Ober-Medicinalrath zuckte die Achseln – was half es ihm zu widersprechen! Er hatte die Behandlung des Kranken ja doch von jetzt ab allein, und die Consultation war eine bloße Höflichkeitsform. Er bat die Herren, ihn zu entschuldigen, da er noch einen andern Fall im Hause zu behandeln habe, und ging zu dem alten Förster hinüber.

Hier aber war nicht viel zu thun. Er nähte die furchtbare Wunde ziemlich gleichmüthig zu, wobei er sich erkundigte, woher der Alte den Schnitt habe, legte dann einen Verband um, betrachtete sich die Bißwunden, ließ sie auswaschen, verordnete kalte Umschläge und ließ sich dann von dem Haushofmeister ein Zimmer anweisen. Er wollte hier übernachten, falls die Frau Gräfin noch einmal nach ihm verlangen sollte.

Der alte Förster fühlte sich indeß durch das Zunähen der Wunde und den Verband sehr erleichtert; er ließ sich noch ein Glas Wein geben, um sich ein wenig zu stärken, und verlangte dann nach seinem Forstgehülfen.

Während er so da lag, war ihm doch die Sache mit dem Schuß, und daß er nachher noch ein Rascheln in den Büschen gehört hatte, im Kopf herumgegangen. Wenn er den Menschen nun doch, obgleich er blind in den Busch gefeuert und tief gehalten, getroffen? Der Forstgehülfe stand noch draußen und besprach die Familienverhältnisse mit einem der Lakaien, der höchst entrüstet über die Flucht war, denn das Kammermädchen schien Eindruck auf ihn gemacht zu haben, und nicht ihm einmal hatte sie sich entdeckt!

»Herr Förster, Sie haben nach mir verlangt!«

»Ach, Wenzel, sind Sie das? Stopfen Sie mir erst einmal meine Pfeife; sie steckt in der linken Rocktasche und der Tabaksbeutel in der rechten.«

»Ja wohl, Herr Förster.« Die Pfeife wurde gestopft und gebracht. Wenzel zündete einen Fidibus an, aber das Rauchen wollte nicht recht gehen. Hatte die Pfeife keinen Zug, oder that ihm dabei die Backe so weh? Der Forstgehülfe selber probirte, sie zog vortrefflich; der Förster nahm sie noch einmal zwischen die Lippen, aber es ging nicht. Er seufzte tief auf und gab sie Wenzel zurück.

»Rauchen Sie sie selber, Wenzel,« sagte er traurig; »es geht nicht. Der verfluchte Maulwurfsfänger!«

»Und weiter soll ich nichts?« fragte der Forstgehülfe, der, dem Auftrag gehorsam, die Pfeife zwischen die Zähne nahm.

»Doch Wenzel; setzen Sie sich einmal einen Augenblick hierher. Das Maul thut mir so weh, ich kann nicht laut sprechen. Nehmen Sie sich Jemanden mit einer Laterne mit, und gehen Sie auf den Platz zurück, wo Sie mich vorher gefunden haben. Das wissen Sie doch, wo das war?«

»Ja wohl, Herr Förster.«

»Gut, von da an gehen Sie auf meinem Schweiß zurück bis zu dem Fichtenstreifen, der am Hafer hinläuft. Sie können nicht fehlen, er muß überall auf den Büschen sitzen. Dort finden Sie eine Drahtschlinge, die der verdammte Halunke, der Maulwurfsfänger, gelegt hat, und ein Stück Wild darin; ich weiß nicht, was es ist, ich hatte keine Zeit, nachzusehen.«

»Der Lumpenkerl!« sagte der Forstgehülfe in gerechter Entrüstung – »ob ich's mir nicht immer gedacht habe!« und qualmte stärker.

»Halten Sie's Maul und hören Sie zu!« sagte der Förster – »gerade wo das Stück liegt, hab' ich gestanden, auf der andern Seite drüben und links hinein in die Fichten geschossen; die Schrote müssen noch in den Zweigen sitzen. Nehmen Sie sich lieber zwei Laternen mit, daß Sie besser sehen können, und suchen Sie mir die Fichten ab, ob ich den Lump nicht doch vielleicht zu Holz geschossen habe.«

»Glauben Sie, daß er etwas hat?«

»Ich weiß es nicht; hingehalten hab' ich – ein bischen tief – aber ich konnte nichts sehen; der Schweiß lief mir in's Auge und stockfinster war's auch, und der Kerl stak in dem jungen Holz drin – aber nachher hat's geraschelt; es ist doch möglich, daß ihm ein paar Schrote in die Beine gefahren sind – 's ist zwar nur Nummer sechs, aber ich möchte doch nicht gern, daß der Kerl die Nacht im Busch läge. Machen Sie, daß Sie fortkommen. Wenn Sie zurück sind, sagen Sie mir Antwort, dann will ich einschlafen.«

Der Forstgehülfe gehorchte dem Befehl; junge Burschen, die ihn begleiten wollten, waren noch genug da, und die Fackeln aufgreifend, welche schon vorher benutzt worden, schritt der kleine Trupp rüstig durch den Park, bis sie die Gegend erreichten, wo sie vorher den Förster gefunden.

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